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London Calling

Letzte Woche war ich für ein paar Tage in London. Zwei Dinge waren diesmal neu: Erstens war war das mein erster Besuch in London seit dem Austritt des United Kingdom aus der EU. Zweitens war ich diesmal kein „Voll-Tourist“, weil ich einen Freund besucht habe.

Sonderausstellung im Museum of London

Von ersterem habe ich nicht allzu viel mitbekommen. Wie bereits seit über tausend Jahren bezahlt man dort weiterhin mit dem Pfund. Ebenfalls wie bereits vor dem Brexit musste man mit Ausweis oder Reisepass reisen, da das Vereinigte Königreich sich nie dem Schengen Abkommen angeschlossen hatte. Ein Visum ist zumindest für einen einfachen Besuch nicht nötig. Ich hoffe, das bleibt auch so. Man muss es ja nicht auf die Spitze treiben.

So weit also alles, wie bereits bekannt.

Einen anderen Charakter hat die Reise für mich aber dadurch bekommen, dass ich einen Freund besucht habe, der seit kurzem in London arbeitet. Also habe ich nicht in einem Hotel in der Innenstadt übernachtet, sondern in seinem Mini-Appartement in West Hampstead. Das fühlt sich mit seinen typischen zweigeschossigen Reihen- und Doppelhäusern und der Hauptstraße mit den kleinen Geschäften dann schon wie in einer Kleinstadt an – bloß dass diese „Kleinstadt“ zig Kilometer in jede Himmelsrichtung geht.

Diesmal anders: London privat – und mit Schneefall

Mein Freund hat mich am Dienstag vom Flughafen Heathrow abgeholt und wir sind zunächst per Bus zu seiner Bude gefahren, damit ich meine Sachen dort ablegen kann. Ich hatte mich in London bisher immer mit der U-Bahn fortbewegt. Mit dem Bus dauert es zwar länger, aber man bekommt ein ganz anderes Gefühl für die Struktur der Stadt. Wie die Orte zusammenhängen, welche Gebäude und Geschäfte dort sind, wer vermutlich dort wohnt (mit viel oder wenig Geld, eher britische oder eher ausländische Bewohner usw.). Das waren neue Eindrücke mich.

Camden Town – vermutlich überwiegend Mittelklasse
St. John’s Wood – vermutlich etwas mehr als Mittelklasse

Ein weiterer Vorteil der Busse: Sie sind mit pauschal 1,50 wirklich günstig und fahren in kurzen Abständen in fast jeden Winkel der Stadt. So bin ich „aus Versehen“ an interessanten Ecken der Stadt vorbeigekommen – zum Beispiel an den Abbey Road Studios. Umweltschonend sind die Busse dank Hybridantrieb ebenfalls. Die meiste Zeit fahren sie elektrisch.
Trotzdem – wenn man es eilig hat kommt man um die Bahn nicht herum. Ich habe am Mittwochnachmittag vom Piccadilly Circus nach Cricklewood (Luftlinie ca. 8Km) mit dem Bus weit über eine Stunde benötigt. Tags drauf vom Shard am Bahnhof London Bridge (10km Luftlinie) nur 40 Minuten.

Sightseeing

Mein Freund arbeitet seit knapp drei Monaten in London und war seit dem mit Arbeiten, Wohnungssuche, Arbeiten, Sonderschichten und Arbeiten beschäftigt – hat also von der Stadt bisher kaum etwas gesehen.

Dagegen hatte sich bereits meine Mutter brennend für London interessiert und das hat ein wenig auf mich abgefärbt. Daher kenne ich auch die eine oder andere Annekdote, geschichtliche Eckdaten und Orte abseits der üblichen Touristenrouten und habe ich den „Reiseleiter“ gespielt.

Den ersten Abend haben wir zum Teil im Bike Shed Motorcycle Club verbracht. Ein wirklich netter Treffpunkt für die Custom Motorrad Szene mit Restaurant, Bar/Lounge, Barber und Shop für stilsichere Motorrad Klamotten. Es gibt eine Bike Garage für Gäste und es stehen mehrere interessante Maschinen verteilt im Laden. Das Ganze findet sich etwas versteckt in den Bögen des Bahnviaduktes in der Old Street in Shoreditch.

The Bike Shed in der Old Street
Selten und teuer: Brough Superior SS100

Den halben Mittwoch haben wir in Camden verbracht. Ein Bummel über den Camden Market auf dem ich auch bereits mit meiner Schwester war, durch Camden Town, am Regent’s Canal entlang bis zur Wellington Road.

„Landsitze“ am Regent’s Canal

Dann musste mein Freund leider zur Arbeit und ich habe mich in die City begeben um eine TARDIS zu kaufen, die ich jemandem als Mitbringsel versprochen hatte. Es stellte sich zu meiner Verblüffung als relativ schwierig heraus, Dr. Who Merchandise zu finden. Zauberstäbe (Harry Potter) gab es überall, aber eine Raum-Zeitmaschine fand ich nur noch als Restposten bei Hamleys in der Regent Street. In diesem erstklassigen Spielzeuggeschäft war ich vor genau 40 Jahren mit meiner Mutter gewesen. Das fiel mir ein als ich das Geschäft wieder verlassen hatte. Dann dachte ich daran, dass sie seit 5 Jahren tot ist und bin sentimental geworden. Ein Spaziergang um den St. James’s Park entlang an der Royal Society, dem Institute of Contemporary Arts, den Horse Guards und dem Buckingham Palace hat mich wieder etwas beruhigt bevor ich zurück zum Appartement fuhr.

Institute of Contemporary Arts an der Mall

Der Donnerstag Morgen überraschte uns mit Schneefall und so haben wir zunächst nach Indoor Aktivitäten gesucht. Eine Besonderheit, die ich mir seit langem ansehen wollte war das Postmuseum. Dort kann man unter anderem die 2003 außer Dienst gestellte Mail Rail besichtigen: Ein komplexes Mini-U-Bahn System zum Transport von Briefen, das sich mit einer Netzlänge von 35Km von der Paddington Station im Westen bis zum Eastern District Post Office in Whitechapel unter der City hindurchzieht und insgesamt 8 Bahnhöfe und Umladepunkte unter wichtigen Postämtern hat.

Unscheinbarer Eingang zur Londoner Unterwelt

Die Tunnel liegen durchschnittlich in 20m Tiefe und wurden mit derselben Technik, wie die Tube errichtet. Sie sind aber wesentlich enger. Die Züge fuhren automatisch auf 610mm Schmalspur. Mer Information gibt es hier. Zwischen Tube und Mail Rail gibt es keine Verbindung.

Im Mount Pleasant Mail Centre kann man teile des Streckennetzes mit speziell angefertigten Mini-Zügen als Besucher befahren. Man darf allerdings weder zu groß, noch zu dick sein und unter Platzangst sollte man auch nicht leiden, weil die Züge und Tunnel wirklich extrem eng sind. Die Präsentation ist sehr gelungen. Ein echter Tipp für Technikinteressierte.

Mail Rail: Mini-Züge für winzige Tunnel
Tunnel mit Abzweig

Nach dem Besuch des Postmuseums wurde das Wetter freundlich. Daher liefen wir zu einem weiteren Ort, der mich als halber Stadtplaner interessierte: Zum Barbican. Dieser riesige Gebäudekomplex aus dem 70er Jahren ist im Brutalismus Stil gebaut worden und beherbergt neben über 2000 Wohnungen viele Einrichtungen für Kunst, Kultur, Musik und Theater.

Barbican von der gleichnamigen U-Bahn Station aus gesehen

Das Barbican weist alles auf, was den Brutalismus ausmacht: Quadratkilometerweise Sichtbeton, Punkthochhäuser, Überbauung von Straßen, höhergelegte Fußgängerbereiche, mehrgeschossig aufgeständerte Zeilenbauten, Abschottung zur Stadt, verwinkelte Durchgänge und Treppen.

Neben der schieren Größe faszinierte mich vor allem der gute Zustand der Anlage. Alles im Originalzustand. Nichts war kaputt oder sichtbar geflickt, kein Balkon hatte eine Satellitenschüssel. In keiner der zahlreichen Ecken, Treppen und Durchgänge roch es nach Urin, nirgendwo lungerten zwielichtige Gestalten herum und nirgendwo war Graffiti. Nicht etwa, dass es entfernt worden wäre – es war nie Graffiti auf den jungfräulichen Betonwänden.

Stattdessen gab es ruhige Innenhöfe mit Gras, Bäumen, Wasser und einigen Besuchern, die sich im Windschatten der Hochhäuser sonnten. Die ganze Szene wirkte, wie direkt vom Reißbrett der Planer aus den 60er Jahren. Ich fragte mich, weshalb genau diese Anlage von den üblichen Verwüstungen verschont geblieben ist.

Direkt neben dem Barbican liegt das Museum of London, das halb über einen Kreisverkehr gebaut wurde. Abgesehen von der aktuellen Sonderausstellung „London Calling“ über The Clash liefert das Museum einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Stadt von vorgeschichtlicher Zeit über die Zeit der Römer, des Mittelalters bis zur großen Pest und dem großen Feuer. Der zweite Teil der Ausstellung beginnt mit der Renaissence und reicht über die Viktorianische Zeit bis zur Gegenwart.

Der Eintritt ist kostenlos. Die Ausstellung so sehr umfangreich und liebevoll gestaltet, dass ich mich im Anschluss zu einer Spende entschlossen habe. Kurz vor dem Ausgang hat uns ein junger Mitarbeiter gefragt, ob wir an einer Umfrage zu einem Teil der Ausstellung teilnehmen würden, was wir taten. Im Anschluss ergab sich noch ein recht spannendes Gespräch über London, Berlin, Stadtplanung und Geschichte in dessen Verlauf wir die beiden Gründe für den hervorragenden Zustand des Barbican erfahren haben.
Erstens ist die zentrale Lage sehr begehrt – dementsprechend wohlhabende Klientel wohnt dort. Zudem gehört dieser Bereich von London aufgrund der höchsten Terrorwarnstufe zu den bestüberwachten Gebieten des Vereinigten Königreiches, für das zudem eine eigene Polizeieinheit abgestellt wurde. Und das nicht erst seit 2001. Ich erwähnte, dass ich mich noch an die IRA Anschläge aus den 70er und 80er Jahren erinnerte, was mit Nicken erwidert wurde.

Den Rest des Nachmittags schlenderten wir durch die City. Die St. Pauls Cathedral konnten wir leider nicht besichtigen. Wer kann schon damit rechnen, dass dort ein Gottesdienst abgehalten wird? ;-)

The Shard am Bahnhof London Bridge

Der Abschluss war ein Spaziergang durch Southwark zum Bahnhof London Bridge, wo wir durch die Massen der Büroangestellten, die gerade aus den Hochhäusern in die Underground strömten mitgerissen wurden. Die Tube haben wir in Kilburn verlassen um dort noch einmal zusammen essen zu gehen.

Leider war mein Aufenthalt damit schon wieder beendet, aber ich habe ja jetzt einen guten Grund, wieder nach London zu reisen. Mir wird auch für das nächste Mal sicher das eine oder andere einfallen.