Vor drei Jahren habe ich bereits über “Die wahrscheinlich lässigste Musikmesse der Welt” berichtet. Und auch in diesem Jahr traf sich in der Wuhlheide in Berlin vom 8. bis zu, 10. Mai das Who-is-who der elektronischen Musikszene zur Superbooth. Diese Mischung aus Messe, Festival, Szenetreff und Zeltlager im Wald ist international einzigartig. Es sind sowohl die großen, bekannten Marken (Moog, Korg, Yamaha) vertreten, aber auch viele kleinere und unabhängige Einmann-Firmen.
Seebühne am FEZ – Entspannen beim Soundset
Cooles Ambiente, coole Besucher
Das Wetter spielte auch in diesem Jahr mit: sonnig, trocken, nicht zu warm und nicht zu kalt – nicht ganz unwichtig, wenn die Hälfte der Veranstaltung draußen und in Zelten stattfindet. Das entspannte Ambiente trägt dazu bei, dass hier alle auf Augenhöhe miteinander agieren. Man ist gemeinsam an cooler Musik und spannend klingenden Dingen interessiert. Und so kann man auch bekanntere Leute mal eben in der Schlange vor dem Espresso Stand in eine kleine Fachsimpelei verstricken.
Festivalfeeling in der Zeltstadt
Oder man lässt sich in einem Zelt irgendein obskures Gadget, wie den Taschentracker M8 (s.u.) vorführen, während direkt daneben jemand um ein gemeinsames Foto gebeten wurde. In meinem Fall war das Lisa Bella Donna, eine US Amerikanische Komponistin, die für ihre Werke an Modularsythesizern bekannt ist. Ich sollte sie etwas später nochmals eher aus Versehen auf dem Stand von Moog sehen, als ich den neuen, kleinen Moog Messenger ausprobiert habe. Dort gab sie ein kleines aber sehr feines viertelstündiges Set zum Besten. Wunderbar!
Soundset von Lisa Bella Donna am Stand von Moog
Auch sonst sind mir viele – zumindest in der Szene – bekannte Gesichter aufgefallen. Natürlich Herr Schneider von Schneidersladen, der die Superbooth organisert hat, Dieter Döpfer, der mit der Erfindung des Eurorackformates die Renaissance analoger Modularsysnthesizer eingeleitet hat, diverse Blogger, wie BoBeats, True Cuckoo, Nick Batt von Sonicstate und Anthony Marinelli. Der hat als Studiomusiker bereits am Thriller Album von Michael Jackson mitgearbeitet. Er saß saß locker mit einem Getränk auf einer Bierbank unter ‘nem Baum und unterhielt sich mit mit zwei Kumpels – genauso wie irgendein Dude aus Kreuzberg. Witzigerweise ist das bereits der zweite Musiker, den ich aus der Nähe gesehen habe, der mit Michael Jackson gearbeitet hat. Vor Jahren saß ich in der SAE in Kreuzberg bei einem kleinen Workshop zu Modularsynthesizern und habe erst im Nachhinein erfahren, wer dieser nette, ältere Herr namens Michael Boddicker eigentlich ist. Schön zu sehen, dass das alles ganz normale, freundliche Menschen sind.
Messefeeling in der Turnhalle
Cooles Spielzeug
Genug Namedropping – was für Spielzeug fand ich denn interessant? OMG – viel zuviel, als dass ich hier alles aufzählen könnte. Ich nehme einfach mal drei je Produkte aus den beiden Kategorien Tracker und Komplettsynthesizer.
Tracker und Grooveboxen
Tracker und Grooveboxen sind kompakte Geräte, mit denen man “Tracks zusammenbauen” kann. Also eher kleine Studios im Taschenformat, als “richtige” Instrumente, die man in zusammen mit anderen spielt. Manche lassen sich sogar unterwegs nutzen und können so als elektronisches Notizbuch für Songideen dienen. Von den kompakten Maßen soll man sich nicht täuschen lassen: Klangmäßig haben die es mächtig drauf.
Teenage Engineering OP-XY
Die schwedische Firma Teenage Engineering war im Außenbereich mit einem Campingbus und einem Partyzelt vertreten, unter dem auf einem Klapptisch diverse Geräte zum Ausprobieren lagen. Darunter war auch der OP-XY, der ein bischen an den Casio VL-1 Taschenrechner erinnert, den 1981 Trio bei ihrem Hit “Da da da” verwendet haben. Nur dass der OP-XY super klingt, extrem solide gebaut und mit ca. €2.300,- schweineteuer ist.
Polyend Tracker +
Deutlich günstiger (ca. €800,-), aber größer und ohne eingebauten Akku nicht mehr wirklich portabel nutzbar ist der Polyend Tracker +. Er hat ein weniger “musikalisches” Bedienkonzept, als der OP-XY: Es ist ein Tracker – ein Konzept, mit dem auf den frühen Heimcomputern wie C64 oder Amiga mit sehr begrenztem Speicher lange Musikstücke komponiert wurden. Diese sind eine Kette von Pattern mit Abspielinformationen (Spur, Tonhöhe- und Länge, verwendeter Klang usw.). Die Benutzeroberfläche ist quasi ein direkter Blick in die Speicherzellen des Gerätes. Das klingt zunächst weder intuitiv, noch sehr musikalisch, ist aber sehr mächtig, wenn man den Dreh erst mal raus hat.
Dirtywave M8
Das selbe Prinzip nutzt auch der M8 von Dirtywave (ca. €600,-). Hier aber mit extrem reduzierter Benutzeroberfläche, und eingebautem Akku. Das Produkt, das über mehrere Jahre aus einem DIY Bastelprojekt weiterentwickelt wurde, besticht durch sehr solide Hardware. Das perfekte musikalische “Notizbuch”, wenn man unterwegs ist. Die Lernkurve ist aber recht steil.
Weitere ähnliche Geräte, die ich leider nicht ausprobiert habe sind Ableton Move (ca. €450,-) und der BENTO von 1010music (ca. €1.100,-) . Diese Geräte sind mir leider erst im Nachgang aufgefallen.
Komplettsynthesizer Kommen wir nun zu “richtigen” instrumenten – den Komplettsynthesizern. Damit meine ich Instrumente, die nicht erst zusammengesteckt werden müssen und mit Klaviatur spielbar sind.
Als neues, günstiges Einsteigermodell besticht der monophone Moog Messenger mit dem fetten Sound, für den die Firma seit Jahrzehnten bekannt ist. Die Verarbeitungsqualität mit dem Metallgehäuse und den Moog-typischen Reglern ist gut. Bei einem Preis von gerade mal €850,- kann man nicht ganz, die seidenweiche Bedienung der größeren Moog erwarten, aber In dieser Preisklasse spielt der Messenger ganz vorne mit.
Moog Messenger
Eine andere, legendäre Synthesizerschmiede ist Oberheim. Der TEO-5 wurde zwar bereits letztes Jahr vorgestellt, aber ich habe ihn erst jetzt in die Finger bekommen. Das kompakte und leichte Gerät ist mit €1.600,- für einen Oberheim sehr günstig. Dafür bekommt man ein kompaktes und leichtes Gerät mit 3 1/2 Oktaven Klaviatur, jede Menge Knöpfe und Drehregler. Man muss auf solche Dinge, wie Holzpaneele und extrem hochwertige Regler verzichten, aber das bedeutet nicht, dass das hier eine billige Kiste wäre. Sieht gut aus, fühlt sich gut an und der Klang ist absolute Sahne – sowohl qualitativ, als auch vielseitig. Und das allerwichtigste: Ich finde ihn sehr zugänglich. Ich hatte einfach mal ein paar Presets genommen und dann daran ein bisschen rumgeschraubt. Irgendjemand nahm einfach mal den zweiten Köpfhörer und hat mir bei meinen Klangimprovisationen zugehört. Wir waren beide sehr angetan.
Oberheim TEO-5
In einer deutlich höheren Preisklasse (€3.700,-) spielt der Arturia Polybrute 12. Wie der Moog und der Oberheim nutzt auch der Arturia Analogschaltkreise zur Klangerzeugung. Das Metallgehäuse mit Holzpaneelen ist absolut top verarbeitet. Ein echter Brocken – sowohl was Gewicht (23kg), als auch die Klänge angeht. Auch hier sind Klänge von kristallklar bis ultra-fett möglich. Das Besondere sind hier die ausgefeilten Möglichkeiten, die Klänge während des Spielens zu beeinflussen. Die 5 Oktaven Tastatur hat polyphonen Aftertouch. Zu den üblichen Pitch-Bend und Modulationsrädern kommen ein Sensorfeld auf der Holzleiste über den Tasten und die X/Y/Z Sensorfläche links von den Tasten dazu. Über das Matrixfeld kann man einstellen, welche Spielhilfe welchen Klangparameter steuern soll. Somit ist ein unheimlich nuanciertes Spiel mit Soundmorphing möglich.
Arturia Polybrute 12
Diese Geräte zeigen eine unglaubliche Spannbreite. Man kann nicht einfach sagen “Je teurer, desto besser”, sondern je nach Vorlieben und Einsatzzweck kann auch das günstigste Gerät das beste sein. Gut klingen tun alle. Ich habe mich im Nachgang gefragt, welches Instrumente ich am liebsten mitgenommen hätte. Bei den Gadgets wäre es der M8 Tracker und bei den Instrumenten der Oberheim TEO-5.
Tatsächlich habe ich aber nichts gekauft, weil ich mit meinem kleinen digitalen “Studio” gerade sehr zufrieden bin. Dennoch war der Besuch der Superbooth mal wieder ein Fest.
Am letzten Sonntag gab mir der Internationale Museumstag den Anlass nach interessanten Museen in Berlin zu schauen. Ich stieß auf das Musikintrumentenmuseum, das an diesem Tag für 12:00 eine Einführung in Modularsynthesizer angekündigt hatte. Zwar kenne ich das Prinzip der analogen Klangsynthese und habe auch selber ein kleines Modularsystem, aber die Vorführung sollte von einem Mitarbeiter von Schneidersladen durchgeführt werden. Die organisieren auch die jährliche Musikmesse “Superbooth“, auf der ich mich die Woche zuvor bereits gut unterhalten habe (Bericht folgt noch).
Die Sammlung des Musikinstrumentenmuseums Berlin
Das Museum befindet sich neben der Philharmonie in Tiergarten und ist im Wesentlichen ein einziger, sehr großer Raum im Staatlichen Instituts für Musikforschung. Die Sammlung umfasst Instrumente vom 16. bis zum 21. Jahrhundert und ist breit gefächert, obwohl es sich überwiegend um europäische Instrumente handelt. Es gibt diverse Holz- und Blechblasinstrumente, Saiteninstrumente zum Zupfen und Streichen, Tasteninstrumente vom Nähkastenklavier über Cembalo, Spinett, Piano und Konzertflügel, sowie Orgeln in allen möglichen Größen und Einsatzzwecken. Das Museum hat ebenfalls einige sehr interessante elektronische Musikinstrumente.
Ich empfand es als eine kleine Herausforderung, dem Drang zu widerstehen, zumindest die Tasteninstrumente kurz auszuprobieren. Wann steht man schon mal vor einem erstklassig erhaltenen und spielbereiten Cembalo, das Königin Sophie-Charlotte von Preußen gehört hat?
Nachdem ich mir einen ersten Überblick über die historischen Instrumente verschafft hatte, fing die Demonstration des Modularsynthesizers an. Nachdem die Grundlagen der additiven Klangsynthese (Oszillator, Filter, Hüllkurben,…) demonstriert waren, wurde deutlich, dass ein Modularsynthesizer weit über die üblichen Vorstellungen darüber, was ein Musikinstrument ist hinausgeht. Man kann Tasten zum Spielen verwenden, aber es gibt auch ganz andere Eingabemöglichkeiten – Kontaktflächen, Gitarren, ja sogar Hirnströme oder elektrische Impulse beim Pflanzenwachstum. Oder das Instrument spielt sich selbst, in der Vorführung z.B mit einem Stepsequenzer. Ich empfand die knappe Stunde als kurzweiligen Crashkurs.
Einführung in Modularsynthesizer
Eigentlich wollte ich nun gehen, aber es begann eine Führung durch die Ausstellung, der ich mich anschloss. Dabei wurden einige typische Instrumente geschichtlich und funktional erläutert und auch kurz demonstriert. Darunter waren Trompete, Klarinette, Regal (eine Art Hausorgel), Geige (je eine normale und eine Taschengeige), Cembalo, Klavier und Hammondorgel. Den krönenden Abschluss boten Vorführungen der Kirchenorgel, die drei Geschosse hoch ist und ganz zum Schluss mehrere Filmmusikstücke auf der “Mighty Wurlitzer” – einer Theater- und Kinoorgel aus dem Jahr 1929. Die letzten beiden Instrumente wetteiferten dabei um den Titel des lautesten Instrumentes – ich würde sagen unentschieden.
Kirchenorgel im MIM
Die Wurlitzer ist insofern besonders, dass bereits der Spieltisch mit vier Manualen bombastisch aussieht, aber das eigentliche Instrument in den drei darüber liegenden, mit Schallklappen versehenen Räumen(!) untergebracht ist. In die Räume kann man von hinten auch durch Fenster hineinsehen. Darin sind nicht nur Orgelpfeifen, sondern auch Röhrenglocken, Marimba, Schlaginstrumente und Einrichtungen für diverse Klangeffekte untergebracht. Sehr interessant!
Spieltisch der “Mighty Wurlitzer”Gesamtansicht der “Mighty Wurlitzer”. Drei Räume hinter braunen Schallklappen
Und selbst in der Abteilung für elektronische Instrumente sind einige charakterische Exponate vorhanden, darunter ein Mellotron, ein EMS Synthesizer, ein Emulator II und das seinerzeit irrsinnig teure Synclavier II (ca. $250.000 in 1984). Vom Melotron gab es eine elektronische Emulation, die man ausprobieren konnte, ebenso wie ein Theremin. Das Highlight für mich, war aber das Mixturtrautonium, auf dem Oskar Sala die Geräusche für Alfred Hitchcocks “Die Vögel” eingespielt hat. Auch dieses Instrument wurde kurz vorgeführt.
Mixturtrautonium von Oskar SalaNED Synclavier II
Der Besuch war sehr interessant und unterhaltsam. Ich dachte, dass mein Besuch eineinhalb oder zwei Stunden dauern würde. Stattdessen war ich über vier Stunden dort. Für Musikinteressierte ist das Museum sehr empfehlenswert – insbesondere, wenn man einer Führung oder Vorführung beiwohnen kann.
Am Abend des achten Mai spielten die Viagra Boys in der Columbiahalle in Berlin. Es war das einzige Konzert auf ihrer “infinite anxiety tour” in Deutschland und es war restlos ausverkauft.
In freudiger Erwartung vor der Columbiahalle
Ich hatte schon seit längerem darauf gehofft, die Band aus Stockholm mal live zu sehen. Dieser heftige Genremix aus Punk, Metal mit Spuren von Jazz, gepaart mit krassen Texten und der selbstironische Performance ließ mich auf ein sehr unterhaltsames Konzert hoffen. Und das war es auch.
Kurz zusammengefasst
Mit der Entscheidung, lieber meine Doc Martens zu tragen, lag ich goldrichtig. Der Laden war packevoll, die Band gab Vollgas. Alle tanzten Pogo und ständig wurden Leute beim Crowdsurfing über die Zuschauermenge getragen. Ich roch links nach Bier, weil eine Bierdusche nach der anderen kam und rechts roch ich nach der Hautcreme einer fremden Frau, was passieren kann, wenn man ein halbes Konzert lang unfreiwillig aneinander klebt… Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass es echt voll und eng war? Zwischendurch musste ich meine Freundin aus der Menge rausziehen, weil sie völlig eingeklemmt war.
Okay, klingt irgendwie nach einem gelungenen Punkkonzert.
Erfreulicherweise überhaupt nicht Punk war die Pünktlichkeit der Veranstaltung. Um genau 20:00 fing die Vorgruppe an, spielte genau eine halbe Stunde. Nach weiteren 30 Minuten startete der Hauptact und dauerte eineinhalb Stunden.
Columbiahalle – vor dem Konzert noch leer, ordentlich und sauber
Volldampf ab Acht!
Die Stimmung war vom ersten Song an exzellent. Und damit meine ich die Vorband, deren Namen ich leider nicht mitbekommen habe, nur dass sie ebenfalls aus Stockholm kamen. Sie haben kräftig eingeheizt, der schwarze Sänger tobte bald mit freiem Oberkörper über die Bühne und bot einen erfreulichen Anblick für die Damen und vermutlich auch für einige Herren. Das Publikum tobte mit. Bereits nach zwei Songs bildete sich eine Pogo-Area vor der Bühne. Super Auftakt!
Und so ging es nach der erfreulich kurzen Umbaupause weiter. Die Viagra Boys starteten mit “Man made of meat” und das Publikum sang sofort mit und es ging schnell so richtig zur Sache. Überall Pogo und Crowdsurfing, Bierbecher flogen herum. Einer traf Sänger Sebastian Murphy am Kopf. Der machte seinem Ruf alle Ehre, indem er sich höflich dafür bedankte “I really appreciate that”.
Viagra Boys – ordentlich was auf die Ohren
Überhaupt – Haltung. Das unterhaltsame an der Band ist ja die völlige Abwesenheit jeglichen Schamgefühls bei gleichzeitig doppelbödiger Themensetzung der Texte. Schon rein optisch sind die Jungs Hingucker – wenn auch in zweifelhafter Art und Weise. Sowohl Sänger Sebastian Murphy (wie immer mit Porno-Sonnenbrille), als auch Bassist Henrik Höckert zeigten mit nacktem Oberkörper, wieviel Tattoos sich auf einem durch ordentlichen Biergenuss gezeichneten Körper unterbringen lassen. Als Kontrast dazu trug der schlanke Saxofonist extrem knappe 70er Jahre Turnhosen im Hot-Pants Stil.
Das vollkommen proletenhaftes Auftreten, kontastiert aber mit Texten die gesellschaftskritische Reflexion zeigt. Die Musik selbst zeigt sich ähnlich widersprüchlich. Einerseits Punk und Partysound mit heftig pumpenden Bässen und verzerrten Gitarren, aber auch interessante Akzente mit Syntesizer, Saxofon, Querflöte und Congas.
Murphy zeigte, dass er sich über Ort und Zeit des Auftritts Gedanken gemacht hat, indem er zwischdurch sagte, dass der Tag ein sehr besonderer für Deutschland und ganz Europa sei – der 80. Jahrestag der Kapitulation des 3. Reichs.
Stilvoller Abgang nach akustischem Drogentrip
Und dann wieder dieses Augenzwinkern, indem man nach einem Song mit dem (etwas irreführenden) Titel “Sports” das Konzert mit “Research Chemicals” – einem viertelstündigen akustischen Drogentrip – beendet um sich dann in bester Theaterbühnenmanier vor dem Publikum zu verbeugen und unter den Klängen von Joe Cockers “up where we belong” von der Bühne zu gehen.
Das Jahr 2025 ist erst ein paar Tage alt, aber ich habe mich gleich daran gemacht, meinen Vorsatz für das neue Jahr umzusetzen. Ja, tatsächlich den einen Vorsatz:
Wieder fotografieren zu lernen.
Das kam so: Zwischen den Festen war es sonnig und frostig und ich wollte ein paar schöne Bilder in den ehemaligen Rieselfeldern in der Nähe von Buch aufnehmen. Ich sah schon Bilder von Galloways, Wisenten und Koniks in der Sonne vor Rauhreif vor mir. Also habe ich mir meine gute Kamera (siehe unten) geschnappt und los ging es.
Das Wetter machte mir gleich den ersten Strich durch die Rechnung. Als ich ankam, war die Sonne verschwunden, der Himmel dunkelgrau und der Rauhreif taute gerade weg. Mit den Tieren hatte ich mehr Glück. Ich habe eine kleine Herde flauschiger Koniks gesehen und kam auch recht nah heran. Zwei dieser niedlichen Pferdchen haben auch schön Modell gestanden und mich lieb angeguckt. Und bei den Wisenten gab es sogar Nachwuchs, der im Stroh neben der Krippe lag. Was für ein Glück!
Leider stellte ich zu Hause fest, dass ich die meisten Bilder komplett verhunzt hatte. Motiv und Blickwinkel waren meist noch gut, aber die Belichtung so mies, dass ich auch mit digitaler Nachbearbeitung nichts mehr retten konnte. Gerade um die Bilder mit den kleinen Wisenten war es wirklich schade.
Ich habe keine ernsthaften Ambitionen als Amateurfotograf, aber immerhin war ich damals in der Schule in der Foto AG und hatte meine S/W Fotos selbst in der Dunkelkammer belichtet. Mein Opa hatte mir sogar eine Praktika TL1000 Spiegelreflexkamera mit ein paar Objektiven geschenkt. In den folgenden Jahrzehnten hatte ich mir auch hin- und wieder mal ein aktuelles Modell zugelegt. Darunter waren Canon EOS 1000F (analog Spiegelreflex) , Nikon F90 (analog Spiegelreflex) oder Nikon D40 (digitale Spiegelreflex) und seit ein paar Jahren eine Olympus OM-D E-M10II (digitale MFT Systemkamera). Alles nicht ganz High-End, aber wenn man damit schlechte Bilder macht, ist das Problem hinter dem Sucher.
Also – wie konnte das passieren?
Ich habe in den letzten Jahren einfach nur noch mit dem Smartphone fotografiert geknipst. Ist ja auch praktischer, als eine sperrige Fotoausrüstung. Das Ding hat man halt immer dabei und es ist schnell. Einfach Bildausschnitt wählen, draufhalten abdrücken und fertig.
War da sonst noch was? Brennweite? Ist fix. ISO, Blende, Belichtungszeit? Egal! Das Foto wird sowieso automatisch schöngerechnet.
Und so hatte ich den ganzen Kram über die Jahre vergessen. Ärgerlich! Also habe ich mir vorgenommen, die Theorie wieder aufs Neue zu lernen und auch gleich mal angefangen. Zum Beispiel mit Objekten (hier ein kleines Kunstobjekt von Petra Tödter).
Der Fokus auf das nahe Objekt (ca. 1/3 Abstand zum Objekt und 2/3 zum Hintergrund)
Offene Blende und kurze Belichtung zum Freistellen mit unscharfem Hintergrund
Geschlossene Blende und lange Belichtung für Tiefenschärfe.
Auf dem Spaziergang durch den Park fiel mir auf, dass die Haselnussbäume bereits Samen bilden. Nach mehreren Versuchen gelang mir dieses Bild:
ISO 400, 42mm, f/5,6, 1/100 Sekunde
Das Freistellen mit Brennweite und Blende gelang gut. Die Belichtungsmessung habe ich auf mittenbetonte Integralmesseung verstellt und da der Autokus konsequent die Baumrinde spannender fand, habe ich ihn ausgeschaltet und manuell scharfgestellt.
Auch nicht ganz ohne – Nachtaufnahmen. Die ersten beiden Bilder habe ich mit einem Zoomobjektiv (Panasonic Lumix 14-42mm 1:3,5-5,6) geschossen und das letzte mit einer lichtstärkeren Festbrennweite (Panasonic Lumix 14mm 1:2,5).
Interessant an der Bildserie, wie schnell sich der Mond bewegt. Die Aufnahmen habe ich innerhalb weniger Minuten gemacht. Beim ersten Bild bewegen sich die Wolken so schnell, dass sie unscharf sind. Beim letzten Bild habe ich mir leider Reflexionen (zwei rote Punkte links vom Mond) eingefangen.
Was habe ich hier gelernt:
Bei Nachtaufnahmen scheint ein möglichst kurze Belichtungszeit positiv zur Bildschärfe und Farbechtheit einzuzahlen.
Eine höhere Empfindlichkeit ist daher von Vorteil. Andererseits nimmt bei richtig hohen Empfindlichkeiten das Bildrauschen zu. Viel hilft also nicht viel, aber ISO 800 ist ein guter Kompromiss.
Wenn der Fokus auf unendlich geht, ist auch eine offene Blende besser, weil sie die Belichtungszeit weiter verkürzt.
Schon die ersten Übungen haben die grundlegenden Zusammenhänge wieder in mein Gedächtnis zurückgeholt. Genauso wichtig ist aber auch, die eigene Ausrüstung besser kennenzulernen. Bis jetzt habe ich nur mit Blendenautomatik gearbeitet, musste mir aber schon zusammensuchen, wo man die Belichtungsempfindlichkeit einstellt, die Art der Belichtingsmessung und den Autofokus-Modus. Und die Verstellmöglichkeiten an einem Stativ sind auch nicht völlig selbsterklärend. Aber mit der Zeit und etwas Übung kommt das wieder zurück.
Also werde ich weiterhin üben und die Kamera auch wieder häufiger auf Ausflüge mitnehmen.
Am letzten Wochenende im November verschlug es mich in den südwestlichsten Zipfel Deutschlands – ins Breisgau. Anlass war die Eröffnung der Ausstellung zum 7. internationalen André-Evard Preises für konkret-konstruktive Kunst.
Einladung und Ausstellungskatalog
Die Ausstellung, die noch bis zum 23.02.2025 in den Räumen der Kunsthalle Messmer in Riegel am Kaiserstuhl zu sehen ist, zeigt Werke von 101 internationalen Künstlern. Ich habe nun bereits zum dritten Mal als Gast an der Eröffnung teilnehmen dürfen und fand die gezeigten Arbeiten auch in diesem Jahr wieder sehr ansprechend und hochwertig. Das betrifft sowohl Material, Farbe und handwerkliche Ausführung, als auch künstlerische Komposition.
Es kommt auch bei guten Ausstellungen nicht sehr häufig vor, dass ich jedes gezeigte Werk gut finde. Hier ist das der Fall. Jede Arbeit hätte in meinen Augen den Preis verdient. Keine leichte Aufgabe für die Jury.
Kunsthalle Messmer
Von der Eröffnung kann ich leider keine Fotos zeigen, da ich alle Personen und Künstler um die Erlaubnis zur Veröffentlichung hätte fragen müssen. Immerhin kann ich stellvertretend die Werke einiger Künstler zeigen, von denen mir eine Erlaubnis vorliegt:
Mary KimPetra TödterFumiari OgawaViktória KörösiRobert Dufter
Wenn ich schon mal in der Gegend bin um Kunst anzusehen, darf auch ein Abstecher in die Paul Ege Art Collection nicht fehlen. Auch hier konnte ich jedes Mal großartige Arbeiten bewundern. In diesem Jahr erfreute mich die Ausstellung Look Loop von Elodie Seguin. Leider habe ich keine Rechte, die raumfüllenden Arbeiten hier zu zeigen. Erwähnen wollte ich es aber auf jeden Fall.
Untergekommen war ich bei Freunden, die vor einigen Jahren aus Berlin nach Emmendingen gezogen sind. Wir haben viel geklönt und diskutiert. Es war alles: bequem, lecker, nachdenklich, anregend und vor allem sehr, sehr nett. Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft!
Gute Kunst, gutes Essen, liebe Freunde – das versöhnt auch mit dem einzigen kleinen Wehrmutstropfen: Dem Wetter. Es war bemerkenswerte drei Tage durchgehend sehr nebelig bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Die Sonne kam lediglich für 15 Minuten zum Vorschein, als ich kurz den Markt am Freiburger Münster besucht habe, um eine Bratwurst zu essen und einen von den in der Gegend weltberühmten Käsekuchen zu kaufen.
Ehemalige Brauerei Riegel an der Elz im Nebel
Die An- und Abreise war ungefähr so, wie ich es erwartet hatte: Egal auf welcher Strecke – die 800km ziehen sich und die Fahrt ist laaaaaang! Premiere war für mich, die Langstecke elektrisch zurückzulegen – aber dazu schreibe ich noch mal einen eigenen Artikel.
Ein Geburtstag lieferte den Anlass zu einem zweitägigen Ausflug nach Rostock. Natürlich war ich schon etliche Male dort oben an der Küste: Von Kühlungsborn und Heiligendamm bis Fischland / Darß / Zingst. Immer links oder rechts an Rostock vorbei oder schnell durch bis nach Warnemünde, aber niemals in der Stadt selbst.
O.K., Warnemünde ist technisch gesehen ein Stadtteil von Rostock – fühlt sich aber nicht so an. Mein Eindruck war immer, dass die Stadt nur aus Schnellstrassen und DDR Plattenbauten entlang der Warnow besteht und tatsächlich stimmt das auch für große Teile der Stadt.
Aber das ist eben nicht alles und ich habe nun eine sehr schöne Seite kennengelernt.
Stadtmauer und Petrikirche.Blick von der Warnow auf Rostock
Rostock ist im Jahr 1283 der Hanse beigetreten und war daher über Jahrhunderte eine blühende Handelsstadt. Zwar wurden während des zweiten Weltkriegs weite Teile der Stadt zerstört, aber die verblüffend große Altstadt hat immer noch viele schöne Ecken und historische Gebäude – teilweise sogar aus dem 14. Jahrhundert. Zudem sind noch Teile der Stadtmauer und mehrere Stadttore erhalten.
Vor der Stadtmauer – Das SteintorHinter der Stadtmauer – Hinunter zum Kuhtor
Ein Highlight für mich sind die beiden noch erhaltenen Bastionen vor der Stadtmauer an der südwestlichen Seite der Altstadt. Auf der Karte kann man noch die typischen, zackigen oder Rondellartigen Grundrisse der Wallanlagen erkennen. Sie sind auch noch immer von einem wassergefüllten Wallgraben umgeben. Im Gegensatz zum 17. Jahrhundert ist die Anlage aber mit großen Bäumen bewachsen und bildet so einen idyllischen Stadtpark. Trotz des Bewuchses kann man aber noch immer deutlich die enormen Höhenunterschiede von bis zu 20m sehen. Kaum vorstellbar, welch unglaublicher Kraftaufwand der Bau dieser Anlagen ohne Maschinen seinerzeit gewesen sein muss.
Heubastion und Wallgraben – früher Verteidungungsanlage, heute Park
Ich war ohnehin etwas erstaunt, daß es in der Altstadt im Gegensatz zum Umland ganz und gar nicht flach ist.
Hinter dem Kuhtor – Likörfabrik und Beginenberg
Und sehr schön ist, dass die Altstadt jenseits der Einkaufsstraße tatsächlich bewohnt wird. Es ist kein reines Shopping / Kneipen / Museums- / Touristenbespaßungs- / Eventdingens, sondern richtige Stadt mit einer Gebäudemischung aus jeder Epoche seit dem 14. Jahrhundert, die ich als sehr angenehm empfinde. Selbst den paar DDR Plattenbauten merkt man an, dass sie in Form und Proportion eingepasst wurden, was seinerzeit vermutlich mit harten Bandagen politisch erkämpft werden musste.
Noch an einigen Stellen vorhanden: Norddeutsche BacksteingotikSchöne Mischung: Wohnstraße zwischen Petri- und Nicolaikirche
Es gibt in der Altstadt viele schöne und besondere Ecken. Die Nicolaikirche (ab 1230) fiel mir auf, weil es einen Gang gibt (Schwibbogen) , mit dem man quer unter dem Kirchenschiff hindurchgehen kann. Noch ungewöhlicher: Im Dachstuhl sind auf mehreren Etagen Wohnungen (für Kirchenmitarbeiter) untergebracht und im Turm sind Büros (der evangelisch Lutherischen Kirche). Am kuriosesten ist jedoch, dass der Umbau zu DDR-Zeiten in den 1980er Jahren durchgeführt wurde – und das Geld dafür aus Westdeutschland kam, aber das ist eine etwas längere Geschichte.
Zwei Tage sind kurz. Was fiel mir sonst auf?
Mir war nicht bekannt, dass das Kreuzfahrtunternehmen AIDA seinen Firmensitz in Rostock hat.
Die Tourismusabgabe der Stadt ist mit €3,70 pro Tag recht happig, zumal der An- und Abreisetag jeweils voll zählen (also 3 x €3,70 für die zwei Tage). Immerhin ist die ÖPNV Nutzung dabei eingeschlossen – nur habe ich das nicht gebraucht.
Und wenn ich schon mal beim Geld bin: Auf der Hinreise bin ich von Berlin zunächst nach Warnemünde und habe mich vom Navi meines Autos einlullen lassen. Das dumme Ding hat mich tatsächlich östlich der Warnow langfahren lassen. Und plötzlich stand ich ohne Wendemöglichkeit vor dem Warnowtunnel – der einzigen mautpflichtigen Strasse in Deutschland! Also erst mal auf den Standstreifen, Geld suchen und dann die völlig unnötigen €4,10 zu bezahlen.
Das Parkhaus am Rande der Altstadt, in dem ich mein Auto stehen ließ,war auch etwas hinterhältig. Bis 45 min darf man umsonst parken, danach kostet es Geld. Max. Tagessatz: €10,-. Eigenlich sehr fair – nur gibt es keine Schranke und somit auch keinen Parkschein. Man muss das einfach wissen und sich einen entsprechenden Ausweis besorgen, weil tatsächlich streng kontrolliert wird.
Und wenn ich schon mal beim Auto bin – in der Überschrift habe ich ein kleines Wortspiel versteckt. Ich bin nämlich nicht nur durch Rostock gestromert (= “ziellos geschlendert”), sondern auch die komplette Strecke hin- und zurück gestromert (= “elektrisch gefahren”). Meinen Benziner habe ich durch ein E-Auto ersetzt und das war die erste etwas längere Fahrt. Aber dazu schreibe ich separat.
Das Zentrum meines kleinen Heimstudios ist seit einigen Jahren das Masterkeyboard Arturia Keylab 88. Die Tastatur von Fatar hat 88 gewichtete Tasten mit Hammermechanik und kommt vom Spielgefühl sehr nahe an ein Klavier heran. Das Gehäuse ist aus Metall mit Seitenteilen aus Holz. Alles ist solide, schwer und hochwertig – bis auf die Drehknöpfe und Schieberegeler.
Masterkeyboard Arturia Keylab 88
Die Kunststoffknöpfe sind nämlich mit Softlack behandelt. Im fabrikneuen Zustand fühlt sich das ganz gut an. Nach wenigen Jahren wird die Oberfläche aber extrem klebrig und eklig. Ungefähr so, als ob man im Sommer in seine seine Tasche fasst und feststellt, dass da seit drei Monaten ein paar Gummibärchen Staub sammeln. Bäh!
Die Suche in der allwissenden Müllhalde ergab, dass man den Softlack auf verschiedene Weisen herunterbekommt. Ich habe mich für Isopropylalkohol entschieden, weil ich den zufällig im Hause hatte. Einfach mit einem in Alkohol getränkten Tuch hart abrubbeln. Nach dem dritten Durchgang hatte ich endlich alles runter. Der Trägerkunststoff fühlt sich sogar ganz angenehm an. Ich weiß gar nicht, weshalb Arturia den überhaupt beschichtet hat. Egal – jetzt ist wieder alles schön.
Knöpfe und Kappen vom Softlack befreit
Und da ich schon mal dabei war, mein Heimstudio zu überarbeiten, habe ich mir endlich auch einen professionellen Keyboardständer gekauft. Der K&M 18820 “Omega Pro” ist so stabil, dass man darauf vermutlich auch einen Steptanz aufführen könnte. Selbst die zweite Ebene ist sehr stabil. Dort habe ich auf einer Leimholzplatte den Musikcomputer samt 22″ Monitor, Tastatur und Audiointerface aufgestellt. Die Kabel habe ich entlang des Gestells geführt. Der Drahtverhau unter dem Keyboard ist somit endlich Geschichte.
Heimstudio – stabil und (fast) ohne Kabelgewirr
Jetzt kann ich ordentlich in die Tasten hauen und ein paar neue Songs basteln.
Wie schon im letzten Jahr, war ich auch in diesem Jahr wieder für ein paar Tage in London. Einer meiner Jugendfreunde lebt dort und sein Geburtstag war Anlass genug um sich in der Metropole mal wieder blicken zu lassen. Obwohl ich die Stadt bereits zum vierten Mal seit 2018 besucht habe, konnte ich wieder viele interessante Orte und Dinge entdecken.
London City Airport – spektakulär und empfehlenswert
Wie bereits 2022 bin ich mit British Airways zum London City Airport in den Docklands geflogen (London hat 5 Flughäfen, die man von Berlin auch alle erreicht). Diesmal bin ich auch von dort abgeflogen und kann es nur empfehlen. Der Flughafen ist klein, schnell und es gab nicht eine Minute Verspätung. Zudem sind die für die Strecke eingesetzten kleinen Embraer 190 sehr komfortabel.
Noch näher dran am Terminal geht nicht – London City Airport
Den spektakulären Anflug knapp vorbei an den Hochhäusern der City und der Docklands hatte ich im letztjährigen Artikel (London, Oktober 2022) bereits beschrieben.
Der Start ist auch sehr speziell: Die Startbahn, die zwischen zwei ehemaligen Hafenbecken liegt, ist mit 1500m extrem kurz. Der Flieger steht am letzten Ende, links und rechts Wasser. Die Bremsen sind fest angezogen, während die Triebwerke auf Vollast hochgefahren werden. Das ganze Flugzeug vibriert, die Tragflächen kommen schon ins schwingen und dann werden auf einmal die Bremsen gelöst. Wow – so schnell bin ich noch nie in der Luft gewesen! Fast ein Katapultstart.
Wetter
Laut Voraussage sollte es an allen Tagen stark und ständig Regnen. Freundlicherweise hielt sich das Wetter nicht ganz daran und wir hatten zwischendurch viel Sonne und konnten so ausgedehnte Spaziergänge machen. Trotzdem: Es hat jeden Tag geregnet und wir hatten immer um 90% Luftfeuchtigkeit. Alle meine Sachen waren stets klamm.
Der Goldbarren in meiner Hand
Im letzten Jahr hat mich der Besuch in der British Library begeistert, bei dem ich etliche historische Schätze im Original ansehen konnte. In diesem Jahr hatte ich ebenfalls eine besondere Erfahrung:
In der Bank of England einen echten Goldbarren anzufassen und sein verblüffend hohes Gewicht zu spüren!
Ihr wisst schon, diese Dinger, die als Währungsreseve in Fort Knox gestapelt werden, wie bei James Bond. Und eben in der Bank of England. Die haben angeblich über 400.000 Stück davon.
Bank of England
Natürlich kommt man dort nicht in die Tresorkammern. Aber die Bank hat ein Museum, in dem man einen(!) Goldbarren anfassen kann. Das Ding ist natürlich so gesichert, das man ihn nicht mitnehmen und auch nicht etwas davon abkratzen kann.
Einer von über 400.000 Goldbarren zum Anfassen
Der Barren aus 99.5% reinem Gold fühlt sich angenehm an und ist verblüffend schwer, selbst wenn man das eigentlich schon vorher weiß. Es sind satte 13Kg. Und nachdem ich das wusste, habe ich gleich mal den aktuellen Goldpreis gegoogelt. Ich hatte den Gegenwert eines guten Einfamilienhauses in der Hand: ca. €780.000. Puh…
Das Museum ist auch sonst sehr interessant: Alte Münzen, Geldscheine, Schecks und sogar die Gründungsurkunde der Bank of England von 1694. Passend dazu wurde erklärt, wie bis zum 17. Jahrhundert zunächst die Goldschmiede Währungshüter waren und nach einem Staatsbankrott die Zentralbank gegründet wurde. Aber auch die Verstrickung der Bank of England in den Sklavenhandel wurde ausfühlich thematisiert. Auf jeden Fall ein sehr lohnenswerter Besuch.
Freizeitvergnügen
Abends haben wir gerne mal zwei Bier im Black Lion Pub in der Kilburn High Road zu uns genommen. Der Pub sieht klasse aus, die Bedienung ist freundlich und aufmerksam, das Bier schmeckt gut und sowohl Sunday Roast (Rinderbraten mit Yorkshire Pudding) als auch der (die, das?) Cheesy Naan waren lecker.
Black Lion Pub – tolles Ambiente, leckeres Essen, viele gute Biersorten
Am Geburtstag von meinem Freund sind wir Mittags zunächst wie in alten Zeiten eine Runde Billiard spielen gegangen. Wir waren zunächst etwas irritiert, weil sich die Billardsalons alle “Billardclub” nannten. Tatsächlich sind es Clubs, bei denen man Mitglied sein kann. Aber auch als normaler Mensch bekommt man einen Tisch, wenn etwas frei ist. Als wir meinten, wir möchten für eine Stunden einen “Pool Table” haben, wurden wir gleich wieder mit den kleinen, feinen kulturellen Unterschieden konfrontiert: “Ihr meint American Pool?” Ähm – ja. Snooker muss nicht sein.
Wie in alten Zeiten – nur mit weniger Haaren
Ich hatte schon einige Wochen vor der Reise vorgeschlagen, wir könnten uns Livemusik anhören und recherchiert, was so geht. Irgendwas nettes, nicht zu teuer und so halbwegs in der Gegend wo mein Kumpel wohnt. Man will ja nicht nachts müde und evtl. etwas angetrunken durch die ganze Metropole zurückeiern. Ich bin dann auf Larkin Poe im Roundhouse in Camden aufmerksam geworden. Die Gruppe sagte mir nichts, aber zwei Frauen die amerikanischen Southern Rock spielen, fand ich passend.
Besser hätte ich es kaum treffen können. Der Veranstaltungsort ist ein ehemaliger alter Lokschuppen aus dem Jahr 1847(!) unweit des berühmten Camden Market. Tolle Location! Das Eröffnungskonzert haben 1966 übrigens Pink Floyd gegeben und seit dem haben so ungefähr alle hier gespielt: Stones, Bowie, Led Zeppelin, Doors, Motörhead, Kraftwerk, …
Passend zu Geschichte des Ortes habe ich mich bei der Vorgruppe The Sheepdogs spontan um 50 Jahre in die frühen 70er gebeamt gefühlt: Southern Blues Rock (obwohl sie aus Kanada sind) im Stile von Allman Brothers, Creedence Clearwater und so weiter. Und die Optik war ebenfalls im 70er Stil. Vor allem sind die Jungs gut! Und das Londoner Publikum hat das gewürdigt. Spätenstens beim zweiten Song waren alle gut dabei, wie das in Berlin häufig nur beim Hauptact der Fall ist.
Roundhouse Camden – The Sheepdogs
Larkin Poe waren eine Spur heftiger und moderner im Sound und haben den Saal ordentlich gerockt. Zwischendurch gab es auch einen rein akustischen Part zu dem sich alle vier Musiker um ein Mikro gruppiert haben um reinsten Südstaaten Blues zu spielen. Als das Publikum schon gut in Schwung war, lobte Sängerin Rebecca Lovell die britische Rockmusik um dann Elton Johns “Crocodile Rock” zu spielen. So ungefähr der ganze Saal (ca. 1000 Besucher) hat laut und deutlich mitgesungen. Das nenne ich mal eine gelungene Hommage an die Gastgeber!
Larkin Poe in Action
Ich hatte eigentlich auch aufgrund des verträglichen Preises von ca. £32,- eher mit einem netten Abend in einem etwas größeren Club gerechnet. Bekommen haben wir ein großartiges Rockkonzert. Klasse!
Überhaupt – Musik…
An den unmöglichsten Stellen stehen in der Stadt Klaviere herum: Im Bahnhof, im Einkaufszentrum und so weiter. Und wenn sich da jemand dransetzt, kann diese Person auch sehr gut spielen. Egal wo ich in London bisher jemanden habe musizieren hören (Pub, Bahnhof, Strassenmusikanten, …) – das Niveau ist stets exzellent gewesen. Und falls Ihr jemals an der Abbey Road seid: Lasst das Foto auf dem Fußgängerüberwegs bleiben. Ich bin da 20 mal mit dem Bus vorbei – immer dasselbe: Die Touristen verstopfen da andauernd die Strasse und ein gutes Foto wird es eh nicht.
Abbey Road Studios – aus dem fahrenden 139er Bus aufgenommen
Der Norden: Hampstead / Golders Green / Fortune Green
Den Sonnenschein am Dienstag haben wir genutzt, um den Norden Londons zu erwandern. Wir sind zunächst von Süden nach Norden durch den riesigen, hügeligen und wilden Landschaftspark Hampstead Heath gelaufen. Dabei haben wir wieder den grandiosen Ausblick vom Parliament Hill über die Innenstadt genossen (Foto von letztem Jahr hier: London, Oktober 2022), sind an malerischen Teichen, knorrigen alte Bäumen vorbeigelaufen und sind von Ausblicken auf Teile Londons, die wie verträumte Kleinstädte in kleinen Tälern im Wald zu liegen scheinen, überrascht worden.
Blick auf London – gerade mal 6km von der City entfernt
Danach sind wir nach Westen zur Hampstead High Street gelaufen. Auch hier viel Grün und Kleinstadtfeeling. An den Läden merkt man, dass Geld hier absolut kein Problem für die Bevölkerung ist. Alles klein, fein, tippi-toppi. Das war genau richtig um ganz entspannt eine kleine Stärkung in einem schnuckeligen Cafe einzunehmen, bevor ich mir eine Besonderheit angesehen habe, die mich seit meinem ersten London Besuch 1980 interessiert hat: Die tiefste U-Bahn Station in London.
Die 1907 eröffnete Station Hampstead der Northern Line liegt fast 60m tief. Sie hat daher keine Rolltreppen sondern nur Aufzüge und eine Treppe für Notfälle. Während die Eingangshalle oben und der Tunnel unten immer noch fast im schicken Originalzustand und gut gepflegt sind, macht der Treppenschacht schon optisch sehr deutlich, dass man die 320 Stufen bitte nur im Notfall benutzt werden sollte: Keine Verkleidung der Metallwand und in der Mitte lärmt der Ventilationsschacht.
320 Stufen in die Tiefe – ich habe die “Umdrehungen” nicht gezählt.
Von hier aus fuhren wir 1 1/2 Stationen in Richtung Norden nach Golders Green.
Ups – woher kommt die halbe Station?
Eigentlich sollte es zwischen Hampstead und Golders Green noch die Station Old Bull and Bush in fast 70m Tiefe unterhalb des Golders Hill geben. Aber weil die darüber geplante Siedlung nie gebaut wurde, gibt es die Station nur im Rohbau.
Am Auslauf des Golders Hill kommt die Northern Line ans Tageslicht. Und kurz hinter den drei(!) Tunnelportalen liegt die Station Golders Green und ein Betriebshof der Tube. Man merkt deutlich, dass dieser Stadtteil erst mit der U-Bahn kurz vor dem ersten Weltkrieg angelegt wurde. Die ehemalige Dorfstraße ist von dreigeschossigen Wohnhäusern gesäumt, die kleine Läden im Erdgeschoss haben und der Rest sind recht großzügige Doppelhäuser mit Garten. Nicht die sonst üblichen Reihenhäuser.
Hampstead Cemetery – perfekte Kulisse für Gruselgeschichten
Von hier aus sind wir mit dem Bus wieder nach Süden zum Fortune Green gefahren. Diese ehemalige Gemeindewiese sollte Ende des 19. Jahrhundert komplett bebaut werden, aber die Anwohner haben damals die Fortune Green Preservation Society gegründet und einen Teil gerettet. Da musste ich sofort an den kautzigen Song We Are The Village Green Preservation Society denken, mit dem Kinks 1968 die englischen Besonderheiten und Spleens auf die Schippe nahmen. Ich habe den Song auch dann nicht mehr aus dem Kopf bekommen, als wir über den daneben liegenden Hampstead Cemetery gelaufen sind. Sehr alt und wild. Nachts bei feuchtem, nebligen Wetter ist das die perfekte Kulisse für Horrorgeschichten.
Gondar Gardens – typische mitteldichte Bebauung in West Hampstead
Stadtumbau
London gehört zu den teuersten Städten der Welt. Ich finde es recht erstaunlich, dass immer noch der größte Teil des Stadtgebietes aus kleinen Reihenhäusern besteht. Weniger erstaunlich ist es hingegen, dass auch sehr viel Stadtumbau mit wirklich großen Hochhäusern durchgeführt wird. Nicht nur Bürogebäude in der City, sondern auch Wohnhochhäuser. Ich habe extrem schrecklich Gegenden gesehen (Docklands), ziemlich schreckliche (neben dem Millenium Dome) und schreckliche (Vauxhall, neben dem MI6) und rund um das ehemalige Kraftwerk Battersea.
Themseufer in Vauxhall – umso erträglicher, je weiter man weg ist.
Ein eher gelungenes Gebiet für Stadterneuerung liegt sehr zentral in Kings Cross. Drei der größten Bahnhöfe Londons liegen auf nicht einmal 700m nebeneinander an der Euston Road: Euston (hässlicher Zweckbau aus den 60ern), St. Pancras (unglaublich protziger “Barock” in rotem Backstein) und Kings Cross (Schlichte Fassade aus gelbem Backstein mit zwei gigantischen Torbögen).
Hinter dem Bahnhof Kings Cross liegt ein neues Stadtquartier
St. Pancras und Kings Cross liegen direkt nebeneinander und teilen sich den größten U-Bahnknotenpunkt der Stadt. Die Gleisanlagen laufen nach Norden ca. im 35 Grad Winkel auseinander. Das V-förmige Gebiet dazwischen wird vom Regents Kanal durchzogen und war früher Umschlagplatz für Kohle, Standort eines Gaswerkes, sowie für kleine Industriebetriebe. In dieser lauten schmutzigen Gegend wohnten auch noch viele arme Menschen, weshalb die 1906 eröffnete U-Bahnstation Yorck Road ab 1918 zunächst teilweise und ab 1932 komplett geschlossen wurde.
Man mochte die Herrschaften, die in die Vorort pendelten nicht unnötig den Kontakt mit armen und schmutzigen Menschen zumuten…
Wohnungen in alten Gasometern neben der SchleuseRenovierte Industriebauten am Kanal – mit Hausboot Liegeplätzen
90 Jahre später ist hier ein neuer Stadtteil entstanden – und er funktioniert verblüffend gut. Das liegt vor allem an seinen Widersprüchen: Zentral und belebt, aber ruhig. Moderne Neubauten, aber die industrielle Vergangenheit nicht komplett abgeräumt. Dicht, aber mit genügend Freiflächen, Wasser und sogar etwas Grün. Sehr verkehrsgünstig, doch ohne Straßenverkehr.
Coal Drop Yard – angenehme Mischung aus alt und neu, Platz und Dichte
Zudem gibt es eine gute Nutzungsmischung: Sehr viel Bürofläche für so ‘unbedeutende’ Firmen wie Google, Meta, Samsung diverse AI-Firmen usw.. Daneben ist ein sehr großes Gebäude mit Colleges für Kunst, Design und Theater. Es gibt sehr viele Wohnungen; Teilweise Apartements für etliche Millionen, aber auch 30% sozialer Wohnungsbau (was immer das in London bedeutet) und sogar Studentenwohnheime. Entlang des Regent Kanals gibt es auch etlich Liegeplätze für Hausboote. Auf dem Gelände findet sich viel Gastronomie und etwas Einzelhandel. Herausgekommen ist ein recht angenehmer Ort, der versucht, die Historie mit einzubeziehen. Der Ort ist recht belebt, aber ruhig.
Wasser, Hausboote, Cafes, etwas Grün, Supermarkt, mitteldichter Wohnungsbau
London wäre aber nicht London, wenn nicht ein paar Strassenblöcke weiter an einer Hauptstraße ein winziger Durchgang wäre, in der man sich plötzlich in das Jahr 1880 zurückversetzt fühlt.
Durchgang in Kings CrossU-Bahn im offenen Einschnitt: Metropolitan, Circle, Hammersmith & City
Wir haben noch etliche andere Dinge gesehen. Zum Beispiel bin ich zum ersten Mal durch den Hyde Park gelaufen oder habe mir den Flohmarkt in der Portobello Road angesehen. Den halte ich übrigens für maßloß überbewertet. Ich meine, er ist ganz nett, wenn man gerade mal in der Gegend ist. Muss jetzt aber auch nicht sein. Da finde ich den Flohmarkt am Mauerpark in Berlin spannender.
Ich kann aber jetzt nicht jede Kleinigkeit aufzählen, die wir gemacht haben, sonst wird dieser Artikel ja nie fertig. Darum komme ich jetzt mal zum…
Fazit
Innerhalb von 5 Jahren war ich jetzt vier mal in London. Jedes mal für mehrere Tage mit straffem Programm. Ich halte mich meist etwas Abseits von den üblichen Sightseeing Routen, aber ich habe immer jede Menge interessanter, skurriler, historisch bemerkenswerter oder einfach nur unterhaltsamer Orte gefunden. Die Stadt wird einfach nicht langweilig. Und dabei habe ich noch nicht mal mit Kunst oder Theater angefangen…
Leider ist sie so unfassbar absurd teuer, dass man das eigentlich nur als Tourist genießen kann – oder man ist wirklich reich. Und ich meine REICH! Ein Jahreseinkommen von läppischen £100.000,- reicht jedenfalls nicht für eine einigermaßen akzeptable Wohnung.
Aber das wird mich nicht abhalten, dort auch im nächsten Jahr mit meinem Kumpel Geburtstag zu feiern. Ich komme wieder!
Am Samstag brachte mir der Postbote die Eintrittskarten für das Konzert von Orchestral Manoeuvres In The Dark im Februar 2024 in Berlin. Und um die Vorfreude noch ein wenig anzufachen ist heute auch noch die neue OMD Platte bei mir eingetroffen: Bauhaus Staircase.
Der Titel bezieht sich auf ein Gemälde von Oskar Schlemmer aus dem Jahre 1932. Überhaupt habe ich beim Hören das Gefühl keine Schallplatte, sondern eine Zitatsammlung aufgelegt zu haben – sowohl inhaltlich, als auch musikalisch.
OMD war ja schon in den 80ern dafür bekannt, dass sie abwechselnd gar liebliche Melodeien (“Maid of Orleans”, “Secret”, “Forever Live And Die”) und thematisch eher sperrige Werke voller Anspielungen (“Enola Gay”, “Dazzle Ships” etc.) mit teils recht eigenwilligen Soundcollagen veröffentlicht haben.
Ich liebe sie für beides.
Im aktuellen Werk wird man keine schlichten Liebeslieder finden. Dafür in den Songs “Bauhaus Staircase” und “Veruschka” Referenzen und Verweise auf deutsche Künstler. Und in anderen Songs düstere Texte, die Bezug auf den Zustand unserer westlichen Demokratien (“Kleptocracy”), das Anthropozän und sein vermutliches Ende (“Anthropocene” und “Evolution of Species”) nehmen.
Und die Musik? Handwerklich natürlich Profiarbeit, wie man es von einer Gruppe, die es seit 45 Jahren gibt zu Recht erwarten kann. Der Titelsong geht gut vorwärts und ich kann nur empfehlen, dazu das hervorragende Video anzuschauen. Der letzte Titel “Healing” ist schön und melancholisch.
Der Rest der Platte pendelt zwischen routiniertem Songwriting und dreistem Zitat. Etwas musikalische Vorbildung und Humor helfen beim Hören. “Look At You Now” klingt für mich wie gruseliger, deutscher 90er Jahre Schlager. “Slow Train” ist eine freche Interpretation von Alison Goldfrapps “Ooh La La”. Der nächste Song auf der zweiten Seite weist mit dem Synthi-Intro und dem Titel “Don’t Go” sehr direkt auf Yazoo hin und das Intro von “Kleptocracy” scheint mir doch recht deutlich von Depeche Modes “Boy say go!” inspiriert zu sein, aber das ändert sich nach ein paar Sekunden; Der Titel treibt jedenfalls gut vorwärts.
Unter dem Strich nicht das stärkste Album von OMD, aber bei weitem auch nicht fade. Schön zu hören, dass sie immer noch gute Songs schreiben können und Andy McCluskey noch so gut bei Stimme ist.
Ich freue mich schon mächtig auf das Konzert im Februar.
Sonntag. Anstatt des angedrohten Dauerregens bleibt der Tag trocken und sogar die Sonne lässt sich hier und da blicken. Also rauf auf das Fahrrad und gemütlich durch die Stadt treiben lassen. Dabei habe ich unter anderem am Potsdamer Platz und bei einer Galerie in Friedrichshain halt gemacht. Das verlief etwas anders als gedacht. Ich erzähle mal chronologisch rückwärts.
Feine Kunst
Zum Abschluss der kleinen Berlinrundfahrt machte ich halt um den Projektraum in der Alten Feuerwache an der Weberwiese in Friedrichshain zu besuchen. Dort war die Ausstellung “Eigenleben” von Katrin Wegemann zu sehen. Ich war eigentlich gekommen, um die Zeichnungen zu sehen. Umso erstaunter war ich dann von der Qualität der Keramikarbeiten. Die stellten für mich die durchaus guten und ansprechenden Zeichnungen in den Schatten.
Alte Feuerwache in der Marchlewskistr.
Möglicherweise bin ich da meinem eigenen Vorurteil etwas erlegen. Keramik ist für mich emotional vorbelastet: Werkunterricht in der Schule, Töpferkurse in der Toskana für Frauen mittleren Alters auf Selbsterfahrungstrips, usw.
Davon ist hier gar nichts zu merken. Das hier sind durchwegs ästhetisch ansprechende und handwerklich hochwertige Kunstwerke. Schön, wenn man über die eigenen Vorturteile stolpert und positiv überrascht wird.
Schöner Raum – tolle Werke
Geistloser Kommerz-Shice!
Mein erstes Ziel war der Potsdamer Platz. Dort findet zur Zeit mal wieder die Berlinale statt. Von den verschiedensten öffentlich-rechtlichen Medien stehen dort ganze Karawanen von Lastwagen mit Übertragungstechnik und sonstwas herum und allerlei wichtige Leute scheinen dort auch rumzulaufen.
Nicht dass mich das im geringsten interessiert.
Ich lebe seit 37 Jahren in Berlin ohne auch nur ein einziges Mal auf der Berlinale gewesen zu sein oder aktiv das Programm gelesen oder die Berichte verfolgt zu haben. Der ganze Rassel lässt mich völlig kalt.
Also Potsdamer Platz.
Als ich 1986 nach Berlin kam war das eine Wüste, die durch Mauer und Todesstreifen durchtrennt war. Da war nichts. Dort wollte man nicht hin.
Nach der Wiedervereinigung 1996 war es die größte Baustelle Europas mit einer Baugrube, in der man ohne Probleme eine Kleinstadt versenken könnte. Technisch spannend, ansonsten nur nervtötend.
2006 Gab es dort hochmoderne Büroflächen, mehrere Kinocenter (u.a. eines, in der unsynchronisierte Originalversionen liefen), und in den Potsdamer Platz Arkaden einige Läden, in denen ich gerne eingekauft habe. Ich war alle paar Wochen mal dort.
Nochmal zehn Jahre später – 2016 – habe ich selber im ehemaligen Debis-Hochhaus gearbeitet. Ich habe es gehasst. Die Büroflächen waren laut, die Klimatechnik hat 50% der Zeit nicht funktioniert, im Shoppingcenter waren nur noch Läden, die ich nicht mehr interessant fand, Mittags gab nur minderwertiges Fast Food und der Verkehr morgens hin und abends zurück war die Hölle – und zwar gleichgültig, ob ich Bus, U-Bahn, S-Bahn oder Moped benutzt habe. Dann hat auch noch die Mall of Berlin eröffnet und der ganze Bereich Potsdamer Platz war im ökonomischen Sturzflug. Irgendwann wurden die Arkaden dann geschlossen.
Jetzt – Anfang 2023 – haben die Arkaden nach Totalumbau wieder eröffnet. Ich las, dass irgendein amerikanischer Investor ein neuen Konzept hatte – unter anderem mit einem neuen Gastronomiebreich. Das wollte ich mir ansehen.
Wie ich oben schrieb, bin ich nicht ganz frei von Vorurteilen. Was ich für völlig in Ordnung halte, so lange ich die hin und wieder auch überprüfe.
Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu den USA. In manchen Dingen halte ich die USA für brilliant, in vielen für hemdsärmelig und in anderen für völlig inkompetent. Stadtplanung und Gastronomie zähle ich auf jeden Fall in die letzte Kategorie. Von daher war meine Erwartungshaltung nicht hoch.
Kurz gesagt – es ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe. Der Umbau ist nicht nur gestalterisch völlig ideenlos, sondern stellenweise sogar verblüffend disfunktional. Vor dem Umbau gab es verschiedene Stellen, an denen man zwischen UG, EG und 1.OG wechseln konnte. Jetzt gibt es zwar noch verschiedene “Löcher” durch die man nach unten gucken kann, aber habe ich nur noch eine recht versteckte Stelle gefunden, die ins UG geführt hat. Das ist definitiv erheblich schlechter als zuvor.
Und vom tollen Betreiberkonzept konnte ich nur so viel entdecken: Amerikanischer Betreiber bevorzugt amerikanische Marken. Mattel und TK-Max? Echt jetzt? Zwei Schrottmarken?
Zudem sind 3/4 der Läden noch nicht fertig, aber die Ankündigungen sind derart langweilig, dass ich keinen Grund sehe, hier jemals herzufahren.
3/4 der Läden sehen im Moment so aus – ob das jemals anders wird?
Ach so – ich hatte übrigens Hunger und war durchaus nicht abgeneigt, im riesigen Gastro-Bereich etwa Geld zu lassen. Alleine die Tatsache, dass hier überall nur noch englisch angesagt zu sein scheint und kein Bargeld mehr akzeptiert wird halte ich für völlig inakzeptabel – aber dazu kommt noch, dass die Preise ungefähr das zweieinhalbfache der üblichen Berliner Preise betragen – und damit meine ich schon die neuen. Ich will einfach für einen zwischendurch-Happen nicht € 15,- bezahlen. Es waren zwar recht viele Leute dort – aber der Optik nach schätze ich 90% als Berlinale Funktionäre oder -Besucher. Schauen wir mal in ein paar Wochen noch mal nach.
Das ganze Ding ist für mich schlechteste Investorenarchitektur. Geplant von Leuten mit viel Geld, völligem Desintresse an Ort und Kultur und keinerlei sinnvoller Idee, außer unnützen Konzernen Spielfläche zu schaffen.
Grausam!
Ach so – und der Name: THE PLAYCE! Oh Gott! Für mich passender: THE SHICE!
Potsdamer Platz – The Shice
Fazit:
Das Alexa ist und bleibt das hässlichste Einkaufszentrum Berlins – aber es funktioniert, weil es am richtigen Platz steht und offensichtlich mit genügend Läden bestückt ist, die die Leute interessieren.
Für die ehemaligen Potsdamer Platz Arkaden sehe ich eigentlich überhaupt keine Chance. Da ist nichts – da will man nicht hin. So schließt sich für mich der Kreis zu 1986: Die Gegend ist wieder untinteressante Wüste – bloß mit Gebäuden.