tiny little gizmos

Feine Kunst und großer Kommerz-Scheiss

Sonntag. Anstatt des angedrohten Dauerregens bleibt der Tag trocken und sogar die Sonne lässt sich hier und da blicken. Also rauf auf das Fahrrad und gemütlich durch die Stadt treiben lassen. Dabei habe ich unter anderem am Potsdamer Platz und bei einer Galerie in Friedrichshain halt gemacht. Das verlief etwas anders als gedacht. Ich erzähle mal chronologisch rückwärts.

Feine Kunst

Zum Abschluss der kleinen Berlinrundfahrt machte ich halt um den Projektraum in der Alten Feuerwache an der Weberwiese in Friedrichshain zu besuchen. Dort war die Ausstellung „Eigenleben“ von Katrin Wegemann zu sehen. Ich war eigentlich gekommen, um die Zeichnungen zu sehen. Umso erstaunter war ich dann von der Qualität der Keramikarbeiten. Die stellten für mich die durchaus guten und ansprechenden Zeichnungen in den Schatten.

Alte Feuerwache in der Marchlewskistr.

Möglicherweise bin ich da meinem eigenen Vorurteil etwas erlegen. Keramik ist für mich emotional vorbelastet: Werkunterricht in der Schule, Töpferkurse in der Toskana für Frauen mittleren Alters auf Selbsterfahrungstrips, usw.

Davon ist hier gar nichts zu merken. Das hier sind durchwegs ästhetisch ansprechende und handwerklich hochwertige Kunstwerke. Schön, wenn man über die eigenen Vorturteile stolpert und positiv überrascht wird.

Schöner Raum – tolle Werke

Geistloser Kommerz-Shice!

Mein erstes Ziel war der Potsdamer Platz. Dort findet zur Zeit mal wieder die Berlinale statt. Von den verschiedensten öffentlich-rechtlichen Medien stehen dort ganze Karawanen von Lastwagen mit Übertragungstechnik und sonstwas herum und allerlei wichtige Leute scheinen dort auch rumzulaufen.

Nicht dass mich das im geringsten interessiert.

Ich lebe seit 37 Jahren in Berlin ohne auch nur ein einziges Mal auf der Berlinale gewesen zu sein oder aktiv das Programm gelesen oder die Berichte verfolgt zu haben. Der ganze Rassel lässt mich völlig kalt.

Also Potsdamer Platz.

Als ich 1986 nach Berlin kam war das eine Wüste, die durch Mauer und Todesstreifen durchtrennt war.
Da war nichts. Dort wollte man nicht hin.

Nach der Wiedervereinigung 1996 war es die größte Baustelle Europas mit einer Baugrube, in der man ohne Probleme eine Kleinstadt versenken könnte. Technisch spannend, ansonsten nur nervtötend.

2006 Gab es dort hochmoderne Büroflächen, mehrere Kinocenter (u.a. eines, in der unsynchronisierte Originalversionen liefen), und in den Potsdamer Platz Arkaden einige Läden, in denen ich gerne eingekauft habe. Ich war alle paar Wochen mal dort.

Nochmal zehn Jahre später – 2016 – habe ich selber im ehemaligen Debis-Hochhaus gearbeitet. Ich habe es gehasst. Die Büroflächen waren laut, die Klimatechnik hat 50% der Zeit nicht funktioniert, im Shoppingcenter waren nur noch Läden, die ich nicht mehr interessant fand, Mittags gab nur minderwertiges Fast Food und der Verkehr morgens hin und abends zurück war die Hölle – und zwar gleichgültig, ob ich Bus, U-Bahn, S-Bahn oder Moped benutzt habe. Dann hat auch noch die Mall of Berlin eröffnet und der ganze Bereich Potsdamer Platz war im ökonomischen Sturzflug. Irgendwann wurden die Arkaden dann geschlossen.

Jetzt – Anfang 2023 – haben die Arkaden nach Totalumbau wieder eröffnet. Ich las, dass irgendein amerikanischer Investor ein neuen Konzept hatte – unter anderem mit einem neuen Gastronomiebreich. Das wollte ich mir ansehen.

Wie ich oben schrieb, bin ich nicht ganz frei von Vorurteilen. Was ich für völlig in Ordnung halte, so lange ich die hin und wieder auch überprüfe.

Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu den USA. In manchen Dingen halte ich die USA für brilliant, in vielen für hemdsärmelig und in anderen für völlig inkompetent. Stadtplanung und Gastronomie zähle ich auf jeden Fall in die letzte Kategorie. Von daher war meine Erwartungshaltung nicht hoch.

Kurz gesagt – es ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe. Der Umbau ist nicht nur gestalterisch völlig ideenlos, sondern stellenweise sogar verblüffend disfunktional. Vor dem Umbau gab es verschiedene Stellen, an denen man zwischen UG, EG und 1.OG wechseln konnte. Jetzt gibt es zwar noch verschiedene „Löcher“ durch die man nach unten gucken kann, aber habe ich nur noch eine recht versteckte Stelle gefunden, die ins UG geführt hat.
Das ist definitiv erheblich schlechter als zuvor.

Und vom tollen Betreiberkonzept konnte ich nur so viel entdecken: Amerikanischer Betreiber bevorzugt amerikanische Marken. Mattel und TK-Max? Echt jetzt? Zwei Schrottmarken?

Zudem sind 3/4 der Läden noch nicht fertig, aber die Ankündigungen sind derart langweilig, dass ich keinen Grund sehe, hier jemals herzufahren.

3/4 der Läden sehen im Moment so aus – ob das jemals anders wird?

Ach so – ich hatte übrigens Hunger und war durchaus nicht abgeneigt, im riesigen Gastro-Bereich etwa Geld zu lassen. Alleine die Tatsache, dass hier überall nur noch englisch angesagt zu sein scheint und kein Bargeld mehr akzeptiert wird halte ich für völlig inakzeptabel – aber dazu kommt noch, dass die Preise ungefähr das zweieinhalbfache der üblichen Berliner Preise betragen – und damit meine ich schon die neuen. Ich will einfach für einen zwischendurch-Happen nicht € 15,- bezahlen. Es waren zwar recht viele Leute dort – aber der Optik nach schätze ich 90% als Berlinale Funktionäre oder -Besucher. Schauen wir mal in ein paar Wochen noch mal nach.

Das ganze Ding ist für mich schlechteste Investorenarchitektur. Geplant von Leuten mit viel Geld, völligem Desintresse an Ort und Kultur und keinerlei sinnvoller Idee, außer unnützen Konzernen Spielfläche zu schaffen.

Grausam!

Ach so – und der Name: THE PLAYCE! Oh Gott!
Für mich passender: THE SHICE!

Potsdamer Platz – The Shice

Fazit:

Das Alexa ist und bleibt das hässlichste Einkaufszentrum Berlins – aber es funktioniert, weil es am richtigen Platz steht und offensichtlich mit genügend Läden bestückt ist, die die Leute interessieren.

Für die ehemaligen Potsdamer Platz Arkaden sehe ich eigentlich überhaupt keine Chance. Da ist nichts – da will man nicht hin. So schließt sich für mich der Kreis zu 1986: Die Gegend ist wieder untinteressante Wüste – bloß mit Gebäuden.

Mein Vinyl des Jahres 2023

Es ist gerade mal Mitte Januar und ich glaube, ich habe mein „Platte des Jahres“ bereits gefunden:

Billy Nomates – Cacti.

Billy Nomates – Cacti. Sonderpressung auf transparentem Vinyl

Auf Billy Nomates bin ich aufmerksam geworden, als sie bei den Sleaford Mods dem Titel „Mork ’n Mindy“ das gewisse Etwas mitgegeben hat. Daraufhin hatte ich mir ihre erste EP „Emergency Telephone“ und die erste LP „Billy Nomates“ (beide aus dem Jahr 2020) gekauft und für gut befunden. Die minimalistischen Tracks mit ihrem sehr eigenen Sprechgesang hatten etwas düsteres – eine Stimmung, die ich aus meiner Jugend noch gut kannte und eine Saite in mir zum schwingen gebracht hat.

Seit einigen Wochen tauchen nun immer mehr neue Videos von ihr auf Youtube auf und ich fand alle recht gut. Also habe ich mir die neue LP gleich zum Erscheinungsdatum bestellt – transparentes Viny mit Textinlay. Optisch macht das schon mal Lust darauf, den Plattenspieler anzuwerfen und die Scheibe aufzulegen.

Das habe ich dann auch sofort getan und es ist etwas passiert, was wirklich extrem selten ist: Mir gefällt jeder einzelne der 12 Songs.

Das liegt auch daran, dass die Songs mehrschichtiger geworden sind – oder sagen wir mal eher wie „richtige“ Lieder. Die bisherigen basierten noch stark auf Loops, wie sie auch die Sleaford Mods verwenden und Billy hatte darüber den Sprechgesang in ihrem eigenen Stil gelegt.

Auf Cacti ist das weiterentwickelt. Mehr Melodie, mehr Songstruktur und sogar richtiger Gesang. Weniger „Ich haue der Welt in die Fresse, weil sie mir in die Fresse haut“-Attitüde. Nicht mehr das rebellierende Gossenkind. Immer noch Düsternis im Text, aber mehr Verletzlichkeit. Auch mehr Abwechselung im Arangement.

Kleines Detail am Rande: Beide Seiten beginnen mit ein paar dahingenuschelten, düsteren Weisheiten von Iggy Pop.

Gefällt mit ausgesprochen gut und ich habe darum auch gleich Karten für das Konzert in Berlin Ende März gekauft.

Falls ich Euch auch etwas neugierig gemacht habe: Wie Youtube funktioniert, wisst Ihr ja. ;-)

Viel Spass!

London, Oktober 2022

Ich habe im Oktober ein paar Tage in London verbracht. Der Anlass war der Geburtstag von einem Freund. Wir haben viel zusammen unternommen, die Woche war vollgepackt mit interessanten Dingen. Ich versuche mich an einer möglichst kurzen Zusammenfassung:

Corona

Kurz gesagt: Interessiert keinen mehr. Keiner fragt nach dem Impfpass, Flugzeug, Züge, U-Bahn, Busse, Museen – alles rappelvoll und fast niemand trägt eine Maske.

Wetter

Das Wetter war sonnig – jedenfalls wenn es nicht geregnet hat. Während es in Berlin fast überhaupt nicht mehr regnet, wurde London seinem Ruf gerecht. Meine Klamotten haben sich immer irgendwie klamm angefühlt.

Blick vom Parliament Hill über die City – ausnahmsweise ohne Regen

Ankunft am LCY

London hat sage und schreibe fünf Flughäfen – und von Berlin aus kann man jeden davon anfliegen. Ich hatte mich diesmal für den London City Airport (LCY) entschieden. Goldrichtig, wie sich herausgestellt hat.

Zuerst hat man einen spektakulären Anflug über die City extrem dicht an der Spitze vom 309m hohen Shard vorbei, knapp über die Hochhäuser der Docklands und dann in steilem Sinkflug, um auf der sehr kurzen Landebahn (1500m) quasi eine Vollbremsung hinzulegen. Ich habe gelesen, dass für LCY nur wenige Flugzeugtypen zugelassen sind und die Piloten eine Spezialausbildung benötigen.

Links Themse mit Tower Bridge. Bildmitte: Spitze des Shard in ca. 200m Abstand

Außerdem ist das der schnellste Flughafen, auf dem ich jemals war. Von dem Augenblick in dem das Flugzeug auf der Standposition hielt ging es ratzfatz. Zu Fuß die 20m zum winzigen Terminal, schnell durch die Passkontrolle und die Koffer liegen auch fast sofort auf dem Gepäckband. Insgesamt 10min! Direkt vor der Tür hält die DLR mit der man schnell und bequem in die City kommt. Schneller geht es nicht mal mit einem Privatjet.

Verkehr im Allgemeinen

Abgesehen von Flugzeugen – wie ist denn jetzt der Verkehr?
London hat seit Jahren eine City Maut, die nach Emissionsklasse gestaffelt und wirklich superteuer ist und ständig verschärft und ausgeweitet wird. Und ich muss sagen: Das Konzept funktioniert… einfach gar nicht!

Anstatt mit normalen Autos ist die Stadt jetzt vollgequetscht mit superteuren Autos, die mit Schrittgeschwindigkeit rumschleichen. Aber wer in dieser Stadt Auto fährt, hat ohnehin entweder einen wirklich wichtigen Grund – oder ist total bescheuert. Verkehr in London ist Tube, Eisenbahn oder Bus. Die fahren überall und ständig. Außer bei der Eisenbahn nach Bletchley habe ich nie auf einen Fahrplan schauen müssen. Und bezahlen ist extrem einfach. Entweder mit der Oyster Card oder gleich mit der Kreditkarte quasi im Vorbeigehen. Das ist eigentlich der Witz am ÖPNV in London. Einfach nutzen ohne große nachdenken oder organisieren zu müssen.

Und Fahrräder?
„This is London, not Amsterdam. Deal with it!“

Ich wollte ursprünglich mit dem Rad einmal quer durch die City fahren. Angeblich wurde ja so viel für Radfahrer verbessert – und wo könnte man stilechter ein Brompton fahren, als in London? Also habe ich mir im Vorfeld die Brompton Bike Hire App auf das Handy geladen.

Automatische Ausleihstation für Klappfahrräder

Aber aus dem Plan wurde nichts. Abgesehen vom Wetter – der Verkehr ist die Hölle. Alles ist eng, jede Strasse dicht. Radspuren gab es nur auf wenigen Straßen in der City.

Fahrräder sind dort etwas für Selbstmordkandidaten oder Kuriere. Wobei das ungefähr dasselbe ist. Kuriere fahren entweder 125er Motorroller oder selbstgebaute E-Bikes mit 2-3 Akkus die ziemlich sicher völlig illegal sind – aber genauso schnell wie die Roller. Und die Art E-Bikes, wie sie in Deutschland seit Jahren Verkaufsschlager sind, habe ich dort überhaupt nicht gesehen. Ach so – und ausnahmslos NIEMAND fährt nachts mit Licht.

Museen

Wir haben drei Museen besucht, die sich hervorragend ergänzt haben: Das Royal Airforce Museum Hendon, das National Museum of Computing in Bletchley Park und das Science Museum in South Kensington.

Militärisches Fluggerät im RAF-Museum

Militär ist sicherlich nicht jedermanns Sache, aber sowohl historisch als auch technisch sind die Exponate durchgehend sehr interessant. Im RAF Museum auf einem ehemaligen Flugfeld im Norden von London sind sagenhafte 100 Flugzeuge aus jeder Epoche in tadellosem Zustand zu sehen. Von den Anfängen, über ersten und zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Immerhin hängt in Hangar 6 sogar ein aktueller Eurofighter. Im Hangar 3-5 kann man drei der wichtigsten WWII Bomber der Aliierten sehen: Die Avro Lancaster war auf der Seite mit dem Zitat von Hermann Göring versehen, dass kein feindliches Flugzeug über Deutschland fliegen werde – und daneben Markierungen für 137 Einsätze dieses Flugzeuges, die ihn Lügen straften.

Daneben stand noch eine amerikanische Boeing B17 und eine B-24 Liberator. Und die Dinger sind erheblich größer, als ich gedacht hätte. Die größte ausgestellte Maschine war die Vulcan aus den 50er und 60er Jahren. Deutsche High Tech Waffen aus dem 2. Weltkrieg gab es natürlich auch und ich war zum ersten Mal im Inneren eines Flugbootes.

Begehbares Short Sunderland Flugboot von 1938
Britischer Avro Lancaster Bomber aus dem 2. Weltkrieg mit Zitat von Hermann Göring an der linken Seite

Rechentechnik in Bletchley Park

Bletchley Park liegt ca. 70km nordwestlich von London und war im zweiten Weltkrieg die Basis der britischen Kryptoanalyse. Hier wurde der Nachrichtenverkehr des Deutschen Militärs entschlüsselt. Zu Beginn wurden vor allem die Codes der Enigma geknackt und später auch die der wesentlich besseren Lorenz SZ42. Im Museum werden die dafür gebauten Maschinen nicht nur ausgestellt, sondern auch erklärt und vorgeführt. Angefangen mit der sogenannten „Turing Bombe“ (blöder Name) über Colossus (einer der ersten Computer neben der deutschen Zuse Z3 und dem amerikanischen ENIAC ) besteht die Ausstellung aus weiteren historisch interessanten Maschinen: Darunter EDSAC und WITCH (Harwell Dekatron) aus den 50er Jahren bis zu ICL Großcomputern aus den 80er Jahren. Und das tolle ist: fast alle Maschinen liefen.

Vorführung und Erklärung der Turing Bombe, mit der Enigma Funksprüche entschlüsselt wurden
Erläuterung und Vorführung des Colossus Computers
Harwell Dekatron (WITCH) – rechnete deutlich sicht- und hörbar vor sich hin

So fantastisch die Ausstellung für Computerinteressierte ist, so ernüchternd ist die bauliche Anlage. Im Großen und Ganzen sieht Bletchley Park aus, wie eine große Ansammlung von Schweineställen, die vor ein Herrenhaus gesetzt wurden. Und genau so war das aufgrund der extremen Geheimhaltung im Krieg wohl auch gedacht. Ich wurde vor dem Museum von einem anderen Besucher gefragt, ob ich wüsste wo der Eingang sei. Wir standen fast genau davor.

Weltzentrum der Kryptoanalyse – oder Schweineställe?

Alles im Science Museum

Das Science Museum hatte ich schon einmal als Kind zusammen mit meiner Mutter besucht und es hat mich damals sehr beeindruckt. 42 Jahre später war ich wieder beeindruckt. Es ist größer geworden, die Exponate sind zum Teil andere und ich kann das Gesehene sehr viel besser einordnen, weil ich mittlerweile natürlich sehr viel mehr Kenntnisse über die Wissenschafts- und Technikgeschichte habe. Das Museum beinhaltet alle möglichen Technikbereiche: Energie, Druck, Weberei, Werkzeugherstellung, Luft- und Raumfahrt, Medizin, Uhren, Chemie, Mobilität, Mathematik und Rechentechnik… ein Parforceritt durch die Geschichte der Industrialisierung.

Science Museum – einmal Quer durch Wissenschafts- und Technikgeschichte

Gleich am Eingang stehen riesige, beeindruckende Dampfmaschinen – darunter eine Boulton und Watt von 1788 (!). Und die Erläuterungen sind es wert, gelesen zu werden. Wem ist heutzutage schon klar, daß einer der Auslöser der Industrialisierung eine Energiekrise war? England hatte nämlich kein Holz mehr zum Heizen und musste deshalb mühsam Kohle aus dem Boden kratzen. Zur Entwässerung der Gruben wurden die Dampfmaschinen erfunden und damit startete das Industriezeitalter.

Die für mich wichtigsten Exponate hatten aber natürlich wieder mit der Computerhistorie zu tun.

Unter anderem wurde der von Alan Turing entworfene Pilot ACE Computer gezeigt, der anstatt mit RAM mit Quecksilber Verzögerungsspeicher arbeitet. Einen funktionsgleichen Nachbau davon habe ich neulich auf dem Vintage Computing Festival in Berlin gesehen – inklusive Ultraschall Verzögerungsspeicher.

Auch historische Supercomputer waren zu sehen. Das Museum stellte nicht nur eine Cray 1 (1976) aus, sondern ich konnte auch zum ersten Mal eine Control Data 6600 (1964) sehen. Beide entwickelt von Seymour Cray und beide zu ihrer Zeit die schnellsten verfügbaren Computer.

Control Data Supercomputer von 1964

Mindestens genau so beeindruckend waren die historischen Rechenmaschinen. Ich wusste zwar, dass es vor den Computern bereits mechanische Rechenmaschinen gab, die die vier Grundrechenarten beherrschten, aber die Menge von Spezialrechenmaschinen hat mich doch verblüfft. Es gab z.B. Maschinen zur Berechnung von Stahlbeton, für Gezeitenverlauf an der Küste oder für die statistische Berechnung durchschnittlicher Lebenserwartung, die bereits im 19. Jahrhundert von Versicherungen genutzt wurden.

Zwei Glanzstücke sind die optisch beeindruckende Difference Engine Nr. 2 und ein Versuchsmodell der Analytical Engine von Charles Babbage.

Die aus 4000 Teilen bestehende und 5 Tonnen schwere Difference Engine Nr. 2 beeindruckt mit ihren Maßen von ungefähr 2,5m Höhe und 3,5m Länge. Der Entwurf aus den 1840er Jahren wurde seinerzeit nicht gebaut. Daher ist das ausgestellte Exemplar, owohl es erst 1989-1991 gebaut wurde streng genommen kein Nachbau, sondern das Original. Umso verblüffender, dass die Maschine tatsächlich funktioniert wie beabsichtigt.

Viel kleiner und optisch weniger beeindruckend das Versuchsmodell der Analytical Engine, das Babbage selbst gebaut hat. Dafür ist die Maschine wesentlich interessanter, weil sie nicht nur zur Berechnung vorher bestimmter mathematischer Probleme gedacht war, sondern frei programmierbar gewesen wäre. Wäre sie fertig gestellt worden, wäre es der erste richtige Computer gewesen. Und genau diese Grenzüberschreitung von reiner Berechnung zur komplexen Symbolbearbeitung war Ada Lovelace klar, als sie das erste Programm für diese noch nicht existierende Maschine schrieb und darauf hinwies, dass sie sich auch für nicht-mathematische Aufgaben eignet.

Charles Babbages Versuchsmodell der Analytical Engine von 1834-1871


British Library

Mein Freund hat einen Bibliotheksausweis – und zwar einen von der British Library. Er ist dort regelmäßig, um medizinische Fachliteratur zu studieren. Als ich ihn fragte, ob ich ihn dorthin begleiten kann, meinte er „ja, aber nicht überall hin. Es gibt geschlossene Bereiche, die nur für bestimmte Besucher zugänglich sind“. Okay, das ist fair. Los geht es…

Innenhof der British Library. Im Hintergrund der Bahnhof St. Pancras

Die British Library umfasst einen kompletten Straßenblock neben dem ikonischen Bahnhof St. Pancras. Als Nationalbibliothek hat sie natürlich einen unglaublichen Bestand an historisch wertvollen Büchern und Schriften. Daher hat man zu den meisten Werken nur mit Spezialausweisen oder Genehmigungen Zutritt. Damit hatte ich natürlich gerechnet. Ich wollte nur kurz die Aura dieses Koloss des Wissens und der Kultur auf mich wirken lassen.

Womit ich aber niemals gerechnet habe, ist, dass ich in einer Ausstellung einige dieser Schmuckstücke im Original sehen konnte. Gleich zu Beginn eine Doppelseite mit Notizen und Zeichnungen von Leonardo da Vinci mit Betrachtungen zur Statik (ca. 1517-18). Ich wäre fast vor Ehrfurcht in die Knie gegangen.

Leonardo da Vinci – Betrachtungen zur Statik (ca. 1517-18)

Und in dieser Güte ging es weiter: Original Noten von Georg Friedrich Händel (Atalanta, 1736), Wolfgang Amadeus Mozart (Streichquartett D-Dur, KV 575 „Preußisches Quartett“ Nr. 1, 1789), Franz Schubert („An die Musik“, D 547, ca. 1827). Das handschriftliche Original „Doctor Faustus“ von Christopher Marlowe von 1631.

Und natürlich gab es auch viele religiöse Schriften. Sehr interessant fand ich eine bebilderte Bibel aus Padua – quasi ein Comic aus dem Jahr 1400! Weiterhin ein reich verziertes altes Testament auf Deutsch und eine Original Gutenberg Bibel von 1455 (mit dem Vermerk, dass noch ein weiteres Exemplar im Bestand ist), „die fünf Bücher Moses“ in Hebräisch (1469), ein unfassbar aufwändig geschmückter und vergoldeter Koran aus dem 10. Jahrhundert und daneben ein sehr schlichter Koran in Kufi, der von der Schriftgrafik extrem modern aussieht, aber aus dem 9. Jahrhundert stammt. Aber nicht nur die drei abrahamitischen Religionen sind vertreten. Aus Indien stammt ein handschriftliches Buch mit den „heiligen Gedichten von Zarathustra“ aus dem Jahr 1661.

Und das Original der Magna Carta von 1225 mit Siegel wurde auch ausgestellt. Sie ist die Grundlage des britischen Verfassungsrechts. Und kurz für Kleinkrämer: Ja – die erste Version der Magna Carta stammt aus dem Jahr 1215, aber diese ist die finale und letztlich gültige Version.

Dass ich völlig unerwartet solche kulturellen Kostbarkeiten sehen konnte, hat mich wirklich sehr glücklich gemacht.

Unterkunft und Verpflegung

Ich habe bei meinem Freund in West Hampstead übernachtet. Sein Mini-Apartment ist leider nicht zum Kochen geeignet, also gab es entweder Stulle oder wir sind essen gegangen. Wenn man arabisches oder indisch/pakistanisches Essen mag, ist man in London genau richtig. Riesige Auswahl, extrem lecker und vergleichsweise bezahlbar. „Bezahlbar“ ist allerdings alles andere als selbstverständlich. Wir hatten auch einmal für zwei Portionen Cheeseburger mit Pommes und Cola £37,- (ca. €42,-) ausgegeben. Puh…

Ansonsten bekommt man an jeder zweiten Ecke leckere Sandwiches und hervorragenden Kaffee. Und für die Abendunterhaltung haben wir uns einen richtig netten Pub ausgesucht, in dem eine Bardame wie eine junge Ausgabe von Helena Bonham Carter aussah (die interessanterweise ganz in der Nähe geboren und aufgewachsen ist). Am Wochenende gab es dort sogar gute Livemusik für umsonst. So hat sich das – zugegeben leckere – Bier für £6,- (ca. €7,-) wieder etwas relativiert.

The Black Lion Pub – Kilburn High Road

Brexit und Economy

Man liest ja häufig in den deutschen Zeitschriften, wie schlecht es den Briten nach dem Brexit geht und das alles knapp sei. Nun ja – draußen in Bletchley sah die Hauptstraße so aus, wie bei unseren Kleinstädten: viel Leerstand, Nagelstudios und Ramschketten. In London habe ich davon aber absolut nichts gemerkt. Es wird irre viel gebaut, Leerstand habe ich fast gar nicht gesehen, Kaufhäuser sind nicht pleite, sondern voller Kunden, und die Regale waren alle gut gefüllt.

Alles ganz im Gegensatz zu Deutschland, wenn ich mir die Spitze mal erlauben darf.

Und wenn wir schon mal dabei sind…


Shopping

Ich bin zwar nicht dafür nach London geflogen – aber ich habe mir in der Oxford Street bei Marks & Spence zwei schöne Oberteile gekauft. Im Prinzip Zeug, das ich auch in Deutschland bekomme – aber nur fast. Material und Farbe sind im Detail dann doch noch etwas schicker.

Selfridges, Oxford Street

Ansonsten haben wir uns Covent Garden angesehen und dem dortigen Brompton Flagship Store besucht. Tiptop renovierte Gegend. Fast schon ein bisschen zuviel des Guten, aber für ein, zwei Stunden gut zum Abhängen und Essen.

Am Camden Market haben wir ebenfalls einen kurzen Zwischenstop eingelegt, aber es war derart voll, dass wir doch den nächsten Bus nach Fortune Green genommen haben.

Covent Garden nach dem Regen

Sonstiges

Mein Freund wollte mit der Seilbahn über die Themse fahren. Also sind wir morgens, als das Wetter nicht allzu garstig war mit der Tube nach North Greenwich gefahren, habe uns zunächst den Millenium Dome angesehen. Das Ding ist im Kern ein riesiges Veranstaltungszentrum, das von einer kreisrunden Shopping Mall umringt wird.

Erster Eindruck: Mann ist das riesig ! 365 Meter Durchmesser, 52 Meter Höhe.

Zweiter Eindruck: Das Ding ist ja wirklich ein Zelt! Das verdammt nochmal größte Zelt, das ich je gesehen habe.

Die Fahrt in der Seilbahn wird normal mit der Oyster Card bezahlt – und sie ist nichts für Leute mit Höhenangst!

Davon abgesehen ist die Ecke tot. Wir sind also mit der Seilbahn rüber auf das Nordufer, um von einem uninteressanten und fehldimensionierten Stadtentwicklungsgebiet in ein anderes zu fahren. Nichts wie weg und auf nach Whitechapel…

Blick aus der Seilbahn auf Themse, Millenium Dome und Canary Wharf

Fazit

Eine schöne Woche mit einem meiner ältesten Freunde. Wir hatten tolle Unterhaltungen, viel Spass, gutes Essen und haben massenhaft interessante Dinge gesehen. London kommt mir langsam vertrauter vor. Ich bekomme ein Gefühl für die Stadt.

Und vor allem merke ich, dass sich bei vielen Themen bei mir so langsam der Kreis schließt:

Ich habe den Nachbau von Zuse Z3 in Berlin und den Nachbau von Colossus in London in Aktion gesehen. Ich habe in Kalifornien auf einem Flugzeugträger eine Gemini-Raumkapsel gesehen, die tatsächlich im All war. Im Science Museum wurden eine Sojus und eine Apollo Raumkapsel gezeigt. Ich habe ein Original von Leonardo da Vinci gesehen und 1000 Jahre alte Bücher.

Das sind alles Dinge, von denen ich als Jugendlicher nicht zu träumen gewagt habe.

Vintage Computing Festival Berlin 2022

Nachdem das Vintage Computing Festival Berlin im letzten Jahr nach der Corona Zwangspause noch etwas verhalten ausfiel, war dieses Jahr die Beteiligung wieder zahlreicher und das Programm recht spannend. Selbst ich als „Veteran“ (siehe meine Berichte von 2014, 2015, 2016, 2017 und 2019 ) habe noch viel neues gelernt. Das gilt sowohl für die Ausstellungen, als auch für die Vorträge, die dank dem Chaos Computer Club unter https://media.ccc.de/c/vcfb22 abrufbar sind.

In der Ausstellung fand ich z.B. ein Gerät, das ich noch nie live gesehen hatte: Den BBC Micro Master. Schon der normale Acorn BBC Microcomputer von 1981 war seinerzeit in Deutschland kaum zu finden, aber in Großbritannien ist fast jeder damit in der Schule in Kontakt gekommen. Den normalen BBC Micro Model B hatte ich zwar schon ein paar mal gesehen, aber nun stand auch die größere „Lehrerversion“ daneben. Sie zeichnet sich durch größere Tastatur, Modulports und mehr Speicher aus und sie konnte bereits damals mit den Rechnern der Schüler vernetzt werden.

BBC Micros: Master und Model B

Ein weiteres historisches Gerät aus dem Jahr 1982 konnte ich ebenfalls live sehen: Den Grid Compass. Das war der erste Notebook, der seinerzeit sogar im Space Shuttle zum Einsatz kam. Er war zwar bereits mit einem Intel 8086 Prozessor ausgestattet, hatte aber ein eigenes proprietäres Betriebssystem und war mit seinem 320×240 Pixel Elektrolumiszenz-Display und dem 340KB Magnetblasenspeicher technisch durchaus ungewöhnlich.

GRID Compass von 1982

Eine in mehrfacher Hinsicht größere Lücke in meinem Computerwissen sind die Deutschen Computerhersteller der 60er bis 80er Jahre. Sicherlich – daß Siemens Großrechner hergestellt hat und es eine sehr erfolgreiche Firma mit dem Namen Nixdorf gab, war mit bekannt – aber „Computer Technik Müller“ (CTM)?

Das klingt wie der kleine PC Schrauber aus der nächsten Seitenstraße. Doch weit gefehlt. Die Firma war zeitweise nach Umsatz der zweitgrößte Computeranbieter in Deutschland nach Nixdorf und noch deutlich vor IBM oder Digital Equipment!

CTM 70 von 1974
Sieht aus wie ein PC – ist aber keiner. CTM 9016 aus den 80ern

Es gab damals für 15-20 Jahre eine gar nicht mal so kleine Nische im Computerbereich, die von deutschen Computerherstellern gut bedient wurde: Die sogenannte mittlere Datentechnik machte Datenverarbeitung auch für mittelständische Unternehmen bezahlbar, für die die großen Computer unerschwinglich waren. Typische Aufgaben waren Lohn- und Finanzbuchhaltung und Fakturierung. Die Systeme wurden meist als Komplettlösung verkauft. Erst in den 80er Jahren wurde diese Nische durch die standardisierten und immer günstigeren und leistungsfähigeren Personalcomputer besetzt, was zum Ende der Nixdorf/CTM-Ära und in der Konsequenz zum Ende der Computerentwicklung in Deutschland führte.

Ein kleines aber feines Projekt stellte Jürgen Müller vor. Er hat sich mit der Automatic Computing Engine befasst, die Alan Turing in den 1940er Jahren konzipiert hat. Daraus hat er ein sowohl technisch interessantes, als auch optisch schönes Funktionsmodell – den Tiny ACE – gebaut, das kleinere Programme ablaufen lassen kann.

Tiny ACE – mit Ultraschallspeicher, „Lochkartenleser“ und Telefonwählscheibe zum Debugging(!)

Aus heutiger Sicht besonders bemerkenswert ist das Konzept, den Arbeitsspeicher als Ultraschall Verzögerungsleitungen zu bauen. Im Original waren das 1,5m lange Röhren, die mit Quecksilber gefüllt waren. Daraus ergab sich, dass bei der Programmierung nicht direkt auf Speicheradressen zugegriffen werden kann, sondern stattdessen mittels korrektem Timing darauf gewarten werden muss, bis der entsprechende „Speicherplatz“ anliegt. Das macht die Programmierung sehr ungewöhnlich und kompliziert.

Das wirklich verblüffende an dem Tiny ACE ist nun, dass neben konventionellen 74xx Logikbausteinen tatsächlich drei Ultraschall-Umlaufspeicher verwendet werden. Sie basieren auf kleinen Glasplättchen und wurden früher in Fernseher zur Erzeugung des PAL Signals verwendet.

Sonstige Ausstellungsstücke

Es gab so viele interessante Ausstellungsstücke, dass ich hier nur kurz eine unvollständige Auflistung wiedergeben kann. Angefangen beim Game-Room in dem man historische Computer und Telespiele ausprobieren konnte, über diverse Heimcomputer, einen halben Raum voller Apple vom Apple III über Lisa bis zu Macs aus allen Generationen – und sogar die iPods sind mittlerweile bereits retro. Weiterhin gab es eine Original PDP-8 mitsamt Terminal und Telex zu sehen, auf der OS8 lief, zwei Rechner von Telefunken und AEG, die früher bei der Bundeswehr eingesetzt wurden. Ich habe mir an einem VT101 Terminal (ca. 1980) über einen in der TU Berlin selbstentwickelten Computer eine E-Mail geschickt. Ein Projekt ermöglicht es mittels Signalumsetzer alte Modems über das Internet kommunizieren zu lassen und somit Mailbox Systeme stilecht zu betreiben, was mangels analogem Telefonnetz ansonsten nicht mehr möglich ist. Und es gab noch viel mehr, das ich hier nicht mehr erwähnen kann.

Computer der Bundeswehr
Analoge Telefone und DFÜ über Internet

Kurztagung Hard Bit Rock – Computer und Musik

Neben den Ausstellungen und Vorträgen gab es auch in diesem Jahr wieder eine Kurztagung. Dieses Mal ging es um das weite Feld „Computer und Musik“. Diese Kombination ist heutzutage natürlich alles andere als ungewöhnlich. Die meisten Musikproduktionen werden heute zumindest im Computer abgemischt und gemastert und volldigitale Produktionen sind im Zeitalter von Digital Audio Workstations und Plugins normal. Solch ein digitales Studio habe ich auch zu Hause. Dennoch waren die Vorträge und Darbeitungen interessant und zum Teil auch verblüffend.

Zu Beginn gab Rainer Siebert einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der digitalen Klagsynthese und überraschte mich mit vielen Details, wie damit, dass PCM (Pulse Code Modulation) bereits 1921 als optomechnisches Verfahren erfunden wurde und das erste 5 Bit Sampling schon 1937 durchgeführt wurde, noch bevor es überhaupt einsatzfähige Digitalrechner gab. Die thematische Tour de force endete mit dem Durchbruch der Digitalsysthesizer der Großserienhersteller Yamaha, Casio und Roland in den 80er Jahren.

Vorführungen Computer und Musik – verblüffend analog

Zwei der praktischen Vorführungen fand ich aufgrund der extrem originellen Setups bemerkenswert. Beide Male kamen Computer bei der Klagerezugung zum Einsatz – aber völlig anders als bei heute üblichen digitalisierten Studios.

Am ersten Tag führte Hainbach im Medientheater vor, wie man mit einem Sinusgenerator, einer analogen Bandmaschine, einem Casiotone und einem HP87 Computer aus dem Jahr 1982 interessante Soundloops erzeugen kann. Was das Setup wirklich speziell macht: Bis auf den kleinen Casiotone war keines dieser Geräte für musikalische Anwendungen vorgesehen. Es handelt sich vielmehr um alte, früher sündhaft teure analoge messtechnische Geräte.

Die Bandmaschine wurde für die analogen Messdatenaufzeichnung z.B. von Schwingungsversuchen im Flugzeugbau verwendet. Daher hat sie im Gegesatz zu normalen Tonbandmaschinen einige Besonderheiten: Einen extrem starken Antriebsmotor um präzise Bandgeschwindigkeit sicherzustellen, keinen Löschkopf, damit wichtige Daten nicht versehentlich gelöscht werden, und die Möglichkeit in verschiedenen Geschwindigkeiten vor- und rückwärts zu laufen. Und sie hat ein Interface über das Steuersignale übertragen werden können.

Hainbach in Aktion mit Sinusgenerator, Messwertrekorder und Laborcomputer

Der Computer ist wiederum kein PC, sondern ein Spezialrechner zur Steuerung von Laborgeräten – in diesem Fall der Bandmaschine. In der Vorführung sorgte ein kleines Basicprogramm dafür, dass das Band mit verschiedenen Geschwindigkeiten zunächst vorwärts, dann rückwärts zum Ausgangspunkt läuft und das ganze stetig wiederholt. Währenddessen wird mit dem Sinusgenerator ein Signal erzeugt und dieses manuell in der Frequenz geändert. Durch die Überlagerung der verschiedenen Frequenzen und der Rhythmik der ständig veränderten Bandlaufs entstanden interessante Klangschleifen.

Als im zweiten Durchlauf anstelle des Sinusgenerators der kleine Casio als Signalquelle verwendet wurde, steigerte das für mich die inhaltliche Qualität nochmals deutlich. Die Veranstaltung ist auf Hainbachs Youtube Kanal zu sehen – inklusive erklärender Zwischenszenen: Endgame Tape Music Techniques: HP’s Computer Controlled Reel-To-Reel.

Am zweiten Tag setzte Andrea Taeggi weitere Akzente, indem er für seine Vorführung keinen Digitalcomputer, sondern einen Analogcomputer von Telefunken aus den 60er Jahren zur Signalerzeugung nutzte. Auch hier basierten die Klänge auf Sinuswellen, die sich gegenseitig beeinflussten und damit sowohl den Klang, als auch die Rythmik ständig änderten.

Das ist nicht völlig ungefährlich, weil der Analogrechner auch mit Frequenzen jenseits des Hörspektrums arbeiten kann. Bei einigen Klängen bebte das Signallabor und ich machte mir Sorgen, ob die Lautsprecher diese Belastung überleben. Spannend fand ich hier, dass auch jenseits der zu erwartenden Sinusbässe recht interessante Klangfarben entstanden, wie z.B. ein Anblasgeräusch. Da ganze Krachen, Stampfen, Klingeln lies mich an einen Tanztheater denken.

Andrea Taeggi performt am Telefunken Analogcomputer

Nach der Livevorführung spielte Taeggi noch einige komplexere Aufnahmen ab, die er mit Hitachi Analogcomputern in den Willem Twee Studios von Hans Kulk aufgenommen hatte.

Die Vorführungen von Hainbach und Andrea Taeggi fand ich sowohl klanglich spannend, als auch dahingehend, den Ansatz „Computer und Musik“ völlig anders zu denken.

Hainbach nutzte den Digitalcomputer nicht zur eigentlichen Erzeugung oder Berechnung des Audiosignals, sondern um indirekt über analog-/machnischen Umweg die Frequenzen des Signals zu beeinflussen.

Taeggi liess das Audiosignal zwar von einem Computer „berechnen“, aber eben nicht von einem heutzutage üblichen Digitalcomputer, sondern von einem alten Analogcomputer, mit dem in den 60er Jahren Diffentialgleichungen gelöst wurden.

Fazit

Schön, dass auch in diesem Jahr wieder das Vintage Computing Festival durchgeführt werden konnte. Obwohl die Vorzeichen nicht so gut waren (Rückkehr aus dem Deutschen Technikmuseum in die Humboldt Universität, Corona Nachwehen, zwei wichtige Menschen aus der Organisation sind nicht mehr in Berlin, …) waren sowohl die Exponate, als auch die Vorträge und Vorführungen sehr interessant. Zudem habe ich Bekannte wiedergetroffen und nett gefachsimpelt.

Biennale Arte 2022, Venedig

In diesem Jahr findet die 59. Biennale Arte di Venezia statt, nachdem sie letztes Jahr aufgrund von Covid verschoben wurde. Das nahm ich zum Anlass, dieser einzigartigen Stadt wieder einen mehrtägigen Besuch abzustatten.

Anreise

Mein erster Flug nach zweieinhalb Jahren war gleichzeitig mein erster vom BER. Fazit hierzu:
Es geht, aber geil ist anders.

Ich brauche länger dorthin, aber immerhin muss ich nur ein Mal umsteigen. Es ist zwar mehr Platz als in Tegel – aber so richtig viel auch wieder nicht, wenn der Reisebetrieb wieder auf Hochtouren läuft. Wieso baut man Terminals immer noch so, dass sofort der Durchgang verstopft, sobald zum Boarding aufgerufen wird?

Der Stil des BER ist irgendwie uninspiriert; Airport-Standardbaukasten 1995. O.K, Geschenkt.

Wirklich stören mich die scheinbaren Kleinigkeiten: Zu wenige und zu kleine Toiletten, der unfassbar öde Logistikhalllen-Charakter des Seitenflügels und wenn man schon gefühlt 5km laufen muss – weshalb funktionieren die Laufbänder dort eigentlich fast zwei Jahre nach der Eröffnung immer noch nicht?

Immerhin: Hin- und Rückflug waren ruhig und pünktlich trotz der Warnstreiks bei Easyjet.

Und damit komme ich zum schönen Teil – Venedig. Ich habe wieder dasselbe kleine Hotel in San Marco gebucht, in dem ich bereits 2017 und 2019 untergekommen war. Es liegt mitten im Getümmel, einer ca. 2m breiten Gasse genau zwischen Rialtobrücke und Markusplatz.

Canal Grande mit etwas weniger Verkehr als in den vergangenen Jahren


Venedig voll / leer

Zwischenzeitlich soll es in Venedig ja bezaubernd ruhig gewesen sein. Leider war davon nicht mehr allzuviel zu spüren. Wäre ich zum ersten Mal dort gewesen, hätte ich die Stadt vermutlich als „voll“ bezeichnen. Aber man merkte schon, dass Besucher aus Russland und USA fehlten. Präsent waren hauptsächlich Westeuropäer, Asiaten und – man glaubt es kaum – Touristen aus Italien selbst. Und vor allem waren keine Kreuzfahrtschiffe dort. Alles in Allem also sehr gut gefüllt, aber noch erträglich. Vor allem am Abend und abseits der Hotspots war es doch spürbar ruhiger als die letzten beiden Male.

Servicezeiten

Nicht ganz so gut: Es gab weniger Touristen, aber dafür auch etwas reduzierten Service. Die Biennale öffnete erst ab 11:00 statt um 10:00, was wirklich etwas spät ist, weil sich so große Mengen vor dem Eingang sammeln, die dann gleichzeitig das Gelände fluten. Im Arsenale ist das problematisch, weil die erste Hälfte der Ausstellung in der 360m langen, schlauchartigen alten Seilerei stattfindet. In den Giardini verläuft sich die Menge hingegen besser. Die Eintrittskarte zu € 25,- gilt für Arsenale und Giardini – und man kann das auf beliebige Tage aufteilen.

Lange Warterschlange um Viertel vor Elf

La Biennale

Der Titel der Biennale 2022 lautet „The Milk of dreams„.
Okay, was immer das bedeuten soll. Habe ich mich nicht drum gekümmert. Nicht zuviel denken – am besten direkt rein ins Getümmel.

Ein thematischer Schwerpunkt der Ausstellung sind Frauen.

Hmm, findet Ihr auch, dass dieser Satz irgendwie etwas seltsam klingt?.
Genau so seltsam kam für mich ein Teil der Ausstellung rüber. Wenn etwas Holzschnittartig als „Frauenthema“ präsentiert wird (die üblichen Arbeiten mit Textilien, Fruchtbarkeitsthemen etc.), dann hat das zwar sozial seine Berechtigung, aber es interessiert mich als Kunst nicht. Und mal ehrlich – sind Bilder, in denen die Gebärmutter ins Zentrum gestellt wird, nicht genau blöde, wie phallische Werke von Männern?

Wenn hingegen Thema und/oder Werk interessant sind, ist mir das biologische oder gefühlte Geschlecht des Urhebers eigentlich völlig schnuppe. Und da gab es etliche Künstlerinnen, die spannende Sachen gemacht haben. Zum Beispiel Vera Molnár, Marina Apollonio, Ulla Wiggen oder Louise Nevelson.

Bei der Aufzählung wird bereits deutlich, dass auch wieder viele Werke retrospektiv gewürdigt wurden. Es gab auch einen Bereich mit Werken aus den 1920er Jahren zum Thema Mensch/Roboter/Cyborg. Was mich thematisch gleich zu den zeitgenössischen, verstörenden Robotertorsi der südkoreanischen Künstlerin Jeong Geumhyung führt. Das fand ich interessant, weil sie Fragen des (Trans-)Humanismus aus der Zukunft im Jetzt stellt. „Was tun diese Maschinenmenschen dort eigentlich?“

Robotertorsi von Jeong Geumhyung

Überhaupt Korea: Der koreanischen Pavillon in den Giardini ist auch in diesem Jahr ein guter Anlaufpunkt, wenn einen Themen an der Schnittmenge Gesellschaft/ Technik/ Bionik und ähnliches interessiert. Höhepunkt ist hier das Objekt Chroma V von Yunchul Kim, das im Pavillon hängt und bei mir sofort die Assoziation zu einer verknoteten Seeschlange hervorrief. Dieser Eindruck verstärkte sich nach ein paar Minuten massiv, als die Figur anfing „zu atmen“. Hunderte von Stellmotoren verbiegen in einer Wellenbewegung die schillernden bunten „Hautschuppen“ aus mit Polymerflüssigkeit gefüllten Kunststoffolien. Für mich einer der Höhepunkte der Biennale.

Chroma V von Yunchul Kim im Pavillon von Südkorea

Zwischen Höhepunkt und Tiefpunkt liegen zwanzig Meter.

Gleich links neben Südkoreanischen Pavillon befindet sich dagegen für mich einer der absoluten Tiefpunkte:

Der Deutsche Pavillon.

Ich gebe ja zu, daß das monumentale Gebäude über dessen Eingang zudem noch „Germania“ steht, provoziert und zu Assoziationen mit Faschismus einlädt. Und ja – natürlich ist diese Zeit nicht nur für Deutschland, sondern mindestens für ganz Europa, ein derartig traumatischer Einschnitt, dass man ihn niemals relativieren, verdrängen oder vergessen darf.

Ärgernis erster Güte – der deutsche Beitrag

Wenn man aber aus diesem Themenkreis gedanklich gar nicht mehr ausbrechen kann (Thema quasi jeder Biennale seit der Wiedervereinigung), wenn man immer nur nach hinten, aber nicht mehr nach links, rechts, oben, unten oder gar nach vorne gucken kann, um sich wichtigen Fragen der Gegenwart und Zukunft zu stellen, so wird es irgendwann pathologisch (Intrusive Trauma Symptomatik). Man muss sich dem Trauma stellen, aber man muss es auch irgendwann überwinden.

Und das stieß nicht nur mir bitter auf. Laut Süddeutscher Zeitung gab es internationale Kritik „dass die deutsche Kunst den Blick nicht hebt, dass man an der NS-Geschichte klebe wie an einem Unique Selling Point.“

Ups – die monströse Vergangenheit als deutsches „Verkaufsargument“?
Böse, böse! Aber vielleicht sogar zutreffend?

Im italienischen Pavillon wird das Verschwinden der Industrie in Norditalien thematisiert


Aber nicht nur das Thema selbst, sondern auch der Umgang nervt kollossal. Maria Eichhorn ließ den Pavillon leer und riss einen Teil davon ab. Es heißt, am liebsten hätte sie das ganze Gebäude verschwinden und irgendwo anders hinstellen lassen, was aber nicht erlaubt wurde.

Beitrag aus Malta: flüssiges Metall tropft von der Decke in Wasserbecken

Ich finde daß, dieser Umgang mit Dingen, die einem extrem unangenehm sind, leider sehr symptomatisch für die Gegenwart ist. Man macht einerseits ein großes Bohei um bestimmte unangenehme Themen und versucht sie gleichzeitig mit Tabus in Verhalten und Kommunikation „in den Griff zu bekommen“ (siehe „N-Wort“, „Z-Wort“ etc.).
Am Ende hat man etwas kaputt gemacht aber gar keinen Inhalt mehr.

Für mich ist das Ganze ein Paradebeispiel, wie man Dinge BITTE NICHT MEHR anzugehen hat.
Das ist wie das deutsche Abo auf den letzten Platz des Eurovision Song Contest…

Zumal ich gesehen habe, dass Heinz Mack 1970 in genau demselben Gebäude einen sehr gute, modernen Beitrag gezeigt hat, obwohl (oder weil) er ja ja sehr viel direkter von dem Horror des dritten Reiches und dem zweiten Weltkrieg betroffen war, als Frau Eichhorn.

A propos Krieg…

Der russische Pavillion war aus naheliegenden Gründen geschlossen und wurde bewacht, um Anschläge zu verhindern. Der Ukrainische Beitrag befand sich mitten auf dem Gelände zwischen Buchladen, Café und Bühne. Er bestand im Prinzip aus versengten Holzpfeilern, die mit gedruckten Nachrichten beklebt waren.

Um mitzubekommen, dass gerade mitten in Europa ein Krieg tobt, musste man also schon ziemlich genau hinsehen. Das scheint irgendwie kaum jemanden wirklich zu interessieren. Auch wenn man berücksichtigt, dass der Krieg zeitlich erst kurz vor der Eröffnung der Biennale begann – irgendwie ein echt schwaches Bild!

Interessantes außerhalb der Ausstellungsgelände

Die Ausstellungen im Arsenale und in den Giardini hinterliessen also eher einen gemischten Eindruck bei mir. Kommen wir zu Tag 3:

Wie schon 2019 (siehe Artikel „Venedig 2019“ ) fand ich sehr spannende Beiträge außerhalb der Biennale in interessanten Gebäuden. Und für mich als abgebrochener Stadtplaner und architekturinteressierter Mensch, gibt dieser Einblick in die architektonische Vergangenheit dieser Stadt so viel zusätzliche Freude.

Heinz Mack hatte ich ja eben bereits in meiner Kritik zum deutschen Beitrag genannt. Passenderweise fand in den Räumen des Museo Archeologico Nazionale di Venezia direkt in den neuen Prokuratien am Markusplatz eine Mack-Retrospektive statt. Die Kunst ist sehr gut, aber die Räumlichkeiten sind umwerfend und dann stehen dort ja auch noch die normalen Ausstellungsstücke, wie die originale Fra Mauro Weltkarte von 1459, die bereits sehr genaue Angaben zu Orten in Europa, Afrika und Asien zeigt. Teilweise wusste ich gar nicht, wohin ich zuerst sehen sollte: Zur unglaublichen Decke, zur modernen Kunst oder zu den historischen Artefakten.

Lichtstelen von Heinz Mack (Deutscher Biennale Beitrag 1970)
Die Kunst! Der Raum!! Die Decke!!!
Original Fra Mauro Weltkarte von 1459 (Norden ist hier unten)

In meinem Artikel „Venedig 2019“ hatte ich den Besuch des Palazzo Contarini Polignac aus dem 15. Jahrhundert als unerwartetes Highlight bezeichnet, weil das Gebäude teilweise im Originalzustand ist. In diesem Jahr war es sogar noch besser, weil sich die gezeigte Kunst diesmal besser gegen das fantastische Gebäude behaupten konnte. Die unglaublich detaillierten Papierskulpturen von Chun Kwang Young (schon wieder Korea) sind teilweise raumfüllend.
Und diesmal durfte ich sogar fotografieren!

Riesige Papierskulptur im Arbeitszimmer mit Mezzanin
Zwei Papierskulpturen (man beacht die „Tür“ zum Nebenzimmer!)

Genau auf der gegenüberliegenden Seite des Canal Grande befindet sich der Palazzo Cavalli-Franchetti, in dem der portugiesische Beitrag gezeigt wurde. Leider hatte ich nicht die Muße, mir drei Videos über Vampire im Weltall anzusehen, aber das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert erschlägt einen mit seiner Pracht schon im Treppenhaus.

Treppenhaus des Palazzo Cavalli-Franchetti

Weiter nördlich, ebenfalls am Canal Grande hatte ich die Gelegenheit eine Ausstellung von Stanley Whitney im Palazzo Tiepolo aus dem 16. Jahrhundert anzusehen.

Stanley Whitney im Palazzo Tiepolo
Nebenzimmer im Palazzo Tiepolo
Der Raum. Dieser Ausblick!

Mein Fazit

Venedig ist immer eine Reise wert. Es ist anstrengend, wuselig und spannend, lehrreich und intensiv.

Auch bei meinem dritten Besuch habe ich wieder viele interessante Dinge gesehen, die für mich neu waren. Und ich bin mir sicher, dass ich der Stadt und ihrer faszinierenden Geschichte auch bei einem vierten oder fünften Besuch noch für mich unbekannte Facetten abgewinnen kann.

Die wahrscheinlich lässigste Musikmesse der Welt

Vom 12. bis 14. Mai 2022 fand in Berlin die Superbooth statt – eine Messe rund um elektronische Musik mit dem Schwerpunkt Modularsythesizer. Elektronische Musik und Berlin passt perfekt zusammen. Von Tangerine Dream bis Techno – der Sound von Berlin ist elektronisch, also passt hier auch gut eine entsprechende Messe hin.

Ich habe die Superbooth zum ersten Mal besucht. Jede Erwartung, die man an eine Musikmesse haben kann, wurde dort auf den Kopf gestellt. Das vermeintliche Nischenthema „analoge Modularsythesizer“ klingt irgendwie sehr technisch und trocken. Und Messen machen in der Regel auch keinen Spaß. Meist große Hallen mit viel Gedränge und schlechter Luft, geschäftiges Abklappern von potentiellen Geschäftspartnern, langweilige Stände, Prospekte sammeln, Verkaufsgespräche, Visitenkarten austauschen und so weiter. Am Ende zählt, wie viel Kontakte und Abschlüsse man gemacht hat.

Superbooth 2022 Plakat

Die Superbooth entpuppte sich als genau das Gegenteil: Ein total entspanntes Happening von Leuten, die elektronische Musik und die Instrumente lieben. Nebenbei wurde sicherlich auch das eine oder andere Geschäft angebahnt, aber das Ganze hat sich mehr nach Festival oder nerdigem Hackercamp (siehe Chaos Communication Camp 2015) angefühlt, als nach Verkaufsmesse. Und das ist auch die Absicht des Veranstalters.

Die Anti-Messe

Die Geschichte fängt vor 20 Jahren mit einem Gemeinschaftsstand auf der großen Frankfurter Musikmesse statt, auf dem sich mehrere Kleinsthersteller zusammengetan haben (daher der Name „Superbooth“). Analoge Modularsysnthesizer waren damals völliges Nischenthema und daher monetarisch für so eine Riesenveranstaltung eher uninteressant. Im Laufe der Jahre wuchs wohl die Unzufriedenheit mit der Frankfurter Musikmesse und 2015 entschied sich Andreas Schneider, aus dem Gemeinschaftsstand eine eigene Veranstaltung zu machen. Und dort sollte so einiges anders werden.

Der besondere Ort

Das fängt schon mit der Wahl des Veranstaltungsortes an. Keine Messehalle, keine angesagte Location in einem trendigen Szenebezirk in der Innenstadt, sondern das FEZ in der Wuhlheide. Für Nicht-Berliner: Die Wuhlheide ist ein städtisches Waldgebiet, das in Oberschöneweide zwischen den Stadtteilen Karlshorst und Köpenick liegt. Darin befindet sich neben einer Freilichtbühne und einer Parkeisenbahn (ehemals Pioniereisenbahn) das Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ – ehemals Pionierpalast „Ernst Thälmann“). Man fährt also aus der Stadt heraus und läuft dann erst mal einen knappen Kilometer durch den Wald, bis man am FEZ ankommt. Das fühlt sich schon mal sehr anders an, als zu einem Messegelände zu fahren und hat bereits Einfluss auf die Stimmung.

Von der S-Bahn zur Messe erst einmal 800m durch den Wald

FEZ Foyer und zwei Stockwerke mit Ausstellerräumen

Das FEZ ist ein recht großes Gebäude aus den späten 70er Jahren. Und hier fühlt sich alles auch noch einigermaßen konventionell an: Foyer, Auditorium für Vorträge und viele Räume für Aussteller. Hier ist aber nur ein Teil unterbracht. Ein anderer Teil der Aussteller ist in Hütten oder Zelten untergebracht, die auf dem Gelände verstreut liegen. Es gibt also keine Messestände im engeren Sinn. Das Ganze wird ergänzt um Bühnen für Auftritte an einem kleinen See oder in einem Zirkuszelt.

Ausstellerzelte, locker im Wald verstreut

Der Umgang mit Menschen

In diesem Jahr schnitt Andreas Schneider auch noch den letzten Zopf konventioneller Messen ab: Den Fachbesuchertag.

Auf großen Messen ist es üblich, Pressevertretern und einigen ausgewählten Personen bereits vor der offiziellen Eröffnung Zutritt zu geben. Schneider wischte das weg mit dem Argument: „Jeder, der zu dieser Veranstaltung kommt, ist Fachbesucher“ und machte keinen Unterschied zwischen Presse, Händler, Musiker oder auch „nur“ Musikinteressierten.

Das Ergebnis ist ein bunter Haufen Menschen, der sich einfach für dasselbe interessiert. Man bewegt sich sich in einer entspannten Umgebung, läuft mal hier und mal dort hin und tauscht sich mit Gleichgesinnten aus.

Und das wirkt! Man kommt sehr locker mit wirklich jedem ins Gespräch. Keine Person wird erst mal darauf abgecheckt, wie wichtig sie vermeintlich ist. Alle sind auf Augenhöhe. Jeder ist neugierig und jeder erzählt auch gerne was sie/er macht. Man wird nicht schräg angesehen, wenn man sich als Neuling in dem Bereich outet, sondern es wird erklärt und Mut zugesprochen („Be patient. We’ve all been there. Start small and practice. The more you do, the more you understand. The more you understand, the better you will know, what you really need.“).

Die Großen

Falls das jetzt eher nach Jahreshauptversammlung der Kaninchenzüchtervereins Wuhletal anhört – lasst Euch nicht täuschen.

Das Publikum ist genau so international, wie die Aussteller und es lassen sich auch bekannte Personen blicken. Im letzten Jahr mischte sich z.B. Jean Michel Jarre unter die Besucher und ich habe ein Podiumsgespräch mit Dave Smith, Markus Ryle und Tom Oberheim anlässlich der Vorstellung des neuen Oberheim OB-X8 gehört. Die drei haben etliche der besten Analogsynthesizer der 70er und 80er Jahre entwickelt und sind absolute Koryphäen! Tom Oberheim war leider nur per Video zugeschaltet. Schade, aber verständlich. Er ist immerhin mitten in seine 80er Jahren. Immerhin sind die anderen beiden extra aus den USA gekommen um das neue Instrument zu präsentieren, das sicher eines der Highlights der Messe war.

OB-X8, Dave Smith, Tom Oberheim (Video) und Marcus Ryle (v.l.n.r.)

Viele schöne, kleine Juwelen

Es waren viele der größeren, bekannten Hersteller vertreten: Korg, Yamaha, Moog, Sequential, Novation, Nord, Rhodes usw.
Was die Superbooth aber so besonders macht, ist die unglaubliche Menge kleiner und kleinster Hersteller von Klangmodulen. Deren Exponate zeichnen sich meist durch Originalität, Verspieltheit und Detailliebe aus. Man merkt, dass das nicht einfach hart kalkulierte Industrieprodukte sind, sondern Kleinserien in die viel Liebe und Herzblut geflossen sind. Oftmals sind die Anbieter selbst Musiker, die einfach das entwickelt haben, was sie selbst haben wollten und nirgends kaufen konnten.

Aus der riesigen Menge, stelle ich mal exemplarisch drei Module für Eurorack Synthesizer vor, die ich sehr interessant fand.

Der liebevolle 80er Jahre Look bei XOR stimmt auf das Produkt ein
NerdSeq – wie ein Soundtracker auf den alten Heimcomputern der 80er und 90er.

Spannend fand ich den NerdSEQ von XOR-Electronics. Ein Mehrspur-Sequencer, der nach dem Prinzip der Soundtracker funktioniert, mit denen in den 80er und 90er Jahren Musikstücke auf Heimcomputern erstellt wurden. Um den Nerdfaktor zu erhöhen, kann man das Gerät per Joypad bedienen und eine Ausgabe per Videosignal an einen Röhrenmonitor(!) ist auch möglich.

LPZW zeigte ein Drummodul, das wie ein TR606 von Roland klingt

Bei LPZW.Modules fand ich den 6m0d6, ein Modul, das im Prinzip eine Roland TR-606 Drummachine ist. Der Sound ist knackig und die Vorführung zeigte, wie sich durch ein simples LFO Signal, lebendigere Hi-Hats oder Toms erzeugen lassen.

Der Arbhar von Instruo – ein kompakter Granularsynthesizer

Instruo aus Glasgow hatten zwei Racks dabei, die optisch zu den schönsten der gesamten Messe gehört haben. Die Kombination aus dunklem Holz, mattschwarzen Oberflächen und goldener Beschriftung hatte besten Steampunk-Appeal. Und die Demonstration des Granularsynthesizers arbhar zeigte, dass sich mächtige Soundmöglichkeiten und einfache Bedienung nicht ausschließen müssen.

Bei den kleinen Anbietern habe ich stets gefragt, woher sie sind. Mein Eindruck ist, dass „Eurorack“ nicht nur ein technischer Standard ist, denn die meisten kamen aus Osteuropa, Spanien, United Kingdom oder Deutschland. Asiatische Anbieter habe ich in diesem Segment gar nicht gesehen und Amerikaner waren auch rar. Ich habe zum Beispiel Intellijel aus Kanada vermisst, die wirklich erstklassige Module und Racks herstellen. Aber egal, mit wem man sprach: jeder, wirklich JEDER hat Schwierigkeiten, die benötigten elektronischen Bauteile in genügender Stückzahl zu bekommen.

Und sonst?

Tonnenweise Zeug, Zubehör, Cases, Software. Wenn ich von Modularsynthesizer rede, sind hier meist die kleinen Eurorack-Module gemeint. Es gab aber auch immerhin zwei Anbieter, die Module im größeren Moog-Format anboten und im Bungalowdorf war auch noch Buchla zu finden.

Selten: Module im Moog Format 5HE mit 6,5mm Klinkenstecker


Ich hatte noch gute Gespräche bei Bitwig, deren Workstation Software der Kern meines kleinen Heimstudios ist und gleich daneben stand noch der Colani-Truck, den Arturia zur Präsentation ihrer Produkte nutzte. Als ich erzählte, wie zufrieden ich mit meinem Keylab-88 Masterkeyboard und den tollen Software Synthesizern der V-Lab Collection bin, habe ich gleich ein T-Shirt dafür bekommen. Ungewöhnlich für Merchandising: Die Textilie hat eine sehr gute Qualität – und der Firmenname fehlt (!). Es gibt nur einen Mini-Aufdruck „_The sound explorers“.

Insider – Merchandising. Okay, warum nicht?

Zeltstadt mit dem Truck von Arturia

Livemusik

Zur Messe gehörte auch ein Programm von Live Performances. Leider traten viele Acts, die mich interessiert hätten bereits an den Vortagen auf, wie z.B. Julia Bondar. Aber das hält einen ja nicht davon ab, mal hier oder dort reinzuhören.

Schneider TM live im Zirkuszelt
Publikum vor der Strandbühne
Livemusik im Bungalowdorf

Manches war akustisch etwas anstrengend, aber im Großen und Ganzen, konnte man meist gut zu den Acts entspannt abhängen und z.B. mit einem Bierchen in der Hand den Sonnenuntergang genießen.

Fazit

Tja, mein Fazit steht ja schon in der Überschrift: „die wahrscheinlich lässigste Musikmesse der Welt“ :-D
Hat mir sehr gut gefallen und ich werde auch nächstes Jahr gerne wiederkommen. Ich überlege, dann evtl. sogar zwei Tage einzuplanen, denn ich habe so einige Dinge nicht mehr geschafft. Den neuen Oberheim hätte ich gerne ausprobiert, Moog habe ich aus Zeitgründen nicht geschafft und bei Rhodes hätte ich auch gerne das neue E-Piano ausprobiert.

Im Nachgang fiel mir auch auf, dass so ungefähr alle Fachmagazine und Blogs anwesend waren und berichtet haben. Dabei fand ich ganz interessant, dass jeder irgendwie einen eigenen Schwerpunkt hatte und andere Dinge berichtete, als die anderen Publikationen. Aber es waren sich alle einig, dass die Superbooth entspannt, familiär und einfach toll war. In seiner Nische ist diese Veranstaltung mittlerweile eine der großen und renommierten.

Das Interview zu meinem neuen Album

Die Eine oder der Andere weiß, dass ich hin und wieder an etwas Musik bastele. Immer wenn ich einen Schwung Songs fertig habe, erkläre ich das zu einem „Album“, gebe dem Ganzen Namen und Cover und veröffentliche es hier auf meinem Blog. Und weil es jetzt wieder so weit ist, gebe ich mir selbst augenzwinkernd auch gleich noch ein „Interview“ dazu.

Viel Spass beim Lesen und Anhören.


Hallo Dirk, Wir sitzen hier heute zusammen, um über Dein neues virtuelles Album „Der Schritt zurück“ zu sprechen. Es ist das mittlerweile 7. Album von Dir seit 2009.

Es ist für mich tatsächlich ein sehr besonderes Album, darum freue ich mich, dass wir heute darüber sprechen. Ich bin ja kein ausgebildeter Musiker, sondern Softwareentwickler. Und bei diesem Album habe ich in mehrfacher Hinsicht echten Fortschritt erzielt.

„Der Schritt zurück“ Frontcover

Worin siehst Du die Weiterentwicklung?

Nun, zunächst sicherlich handwerklich. Als ich um 2005 meine ersten Songs aufgenommen habe, fehlte mir noch fast jedes Wissen im musikalischen Bereich. Ich habe weder Akkorde, noch Rythmik, Songstruktur, Arrangement oder Sounddesign verstanden. Es war alles trial and error.

Meine Songs waren damals zu 90% Schrott und 10% bestenfalls originelle Klangskizzen. Über die Jahre wurde das langsam besser und ab 2009 habe ich diese Klangfragmente gesammelt. Die ersten beiden Alben „Raw Fragments“ und „Furthermore“ zähle ich zu dieser Phase.

Du meintest Fortschritt in mehrfacher Hinsicht. Was ist Dir noch wichtig?

Normalerweise benötige ich mindestens 12 Monate um genügend brauchbare Songs zusammenzutragen. Diesmal war ich durchgehend inspiriert und habe die 11 Songs in nur knapp vier Monaten geschrieben und aufgenommen.

Neu für mich ist, dass ein gemeinsames Konzept hinter allen 11 Songs steht. Ich habe deshalb zielgrichtet gearbeitet und es gab auch weniger Ausschuss als sonst.

Welches Konzept hattest Du im Kopf und wie kamst Du darauf?

Eigentlich sind es sogar zwei Konzepte: Ein inhaltliches und ein technisches.

Vielleicht magst Du erst etwas zum technischen Konzept sagen?

Gerne. Das war auch tatsächlich der Ausgangspunkt. Mich faszinieren die Sythesizer der 80er Jahre. In diesem Jahrzehnt ist musikalisch und soundtechnisch so unfassbar viel passiert. Und es ist natürlich die Musik meiner Teenager Zeit die mich emotional berührt.

Diese mittlerweile klassischen Synthesizer haben jeweils einen eigenen, speziellen Charakter und sind daher bei Sammlern und Musikern immer noch heiss begehrt. Das bedeutet irre teure Gebrauchtpreise – falls man überhaupt jemanden findet, der ein Gerät verkauft.

Wobei – teuer waren sie damals ja auch. Ich hatte damals um 1985 einen Roland Jupiter 8 in einem Laden in Hannover gesehen, aber durfte ihn nicht anfassen, weil er sagenhafte 15.000 DM kostete. Die weniger teueren Geräte, wie den legendären Yamaha DX-7 durfte man für eine halbe Stunde ausprobieren, wenn man keinen „echten“ Kunden nervte.

Zum Vergelich: Für 15.000 DM hat man damals einen neuen Mittelklassewagen bekommen. Und dann gab es ja noch die absoluten High-End-Geräte wie Fairlight und Synclavier die mit 100.000 DM – 250.000 DM so viel kosteten, wie Einfamilienhäuser.

Und heute, nach 40 Jahren Computerrevolution besitze ich fast alle dieser Traumgeräte. Natürlich nicht im Original, sondern als Softwareemulation auf meinem Mac.

Auf Youtube habe einige Musiker eine sogenannte „One Sythesizer Challenge“ gemacht. Es geht dabei darum, einen kompletten Song ausschließlich mit einem einzigen klassischen oder sehr spziell klingenden Synthezizer aufzunehmen. Kein weiteres Instrument ist erlaubt. Die Herausforderung liegt natürlich in der klanglichen Beschränkung. Da ich die meisten meiner Traumgeräte mittlerweise besitze – wenn auch nur als Software – habe ich mir gedacht:

„Klingt lustig. Das probiere ich auch“.

Gleich der erste Versuch mit einem vergleichsweise unscheinbaren und günstigen Casio CZ-101 fand ich derart
überzeugend, dass ich nach und nach mit fast allen meiner Software Syntheziser Songs produziert habe.

Gab es dabei Problem oder Überraschungen?

Probleme nicht, aber Überraschungen durchaus. Die erste war, dass der einfache und günstige Casio super zum Songwriting taugt. Dagegen bin ich mit einem Gerät, von dem ich mir recht viel versprochen hatte – dem komplexen und seinerzeit recht teuren Oberheim Matrix 12 nicht gut zurecht gekommen. Es hat mich nicht genügend inspiriert. Ganz allgemein heben mich die Geräte häufig auch nicht in die stilistische Richtung gezogen, die naheliegend ist. Der Yamaha DX-7 ist berühmt für seine Glocken, Glass, E-Piano Sounds, wie sie in 100 Schnulzen und Baladen verwendet wurde, z.B. bei Whitney Houstens „The greatest love of all“. Mich hat das Herumspielen mit den Presets aber zu dem extrem düsteren Stück „Zwischen Elend und Sorge“ inspiriert. Das war unerwartet.

Welche Instrumente hast Du letztlich genutzt?

Insgesamt 10 Instrument in 11 Songs. Der MiniMoog war so großartig, dass er gleich in zwei Songs verwendet wird.
Casio CZ-101 und Yamaha DX-7 hatte ich bereits genannt, der ARP 2600, Roland Juno 60, Oberheim OB-Xa, Emulator II, NED Synclavier und Fairlight CMI. Und es hat sich ein Software Synth eingeschlichen, den es niemals als Hardware
gegeben hat:

Der FM-4 aus Bitwig Studio. Das ist auch die Audio Workstation, die ich zur Produktion verwendet habe. Die anderen Softwareinstrumente sind von Arturia.

Welches inhaltliche Konzept hast Du umsetzt?

Es stellte sich schnell heraus, dass sich die einzelnen Songs vom Klangcharakter sehr gut ergänzen. Ich hatte ursprünglich erwartet, klangliche Solitäre zu schaffen, da die verwendeten Instrumente doch recht unterschiedlich klingen. Stattdessen gab es plötzlich eine gemeinsame Linie. Was lag näher, als daraus auch eine inhaltlich Linie zu machen?

Beim Mastern und finalisieren der Musikdateien fühlte ich mich wie auf einem mentalen Road Trip. Reines Kopfkino.
Der Protagonist startet in einem Ibiza-Style Club bei lauschiger Cocktail-am-Pool-bei-Sonnenuntergang, aber irgendwas irritiert ihn. Er erkennt, dass ihn das Clubleben nicht erfüllt und macht sich auf den Weg zurück nach Deutschland. Aus der Jet-Set Umgebung verschlägt es ihn in die Berge. Er erreicht abgelegene Gegenden, in denen er keinen Party-Glitzer, sondern Armut findet, was ihn sehr unangenehm berührt.
Als er jedoch nachts durch den Wald geht fühlt er die Magie von Elementargeistern und verliert sich zunächst.
Zurück im Dorf bedankt er sich bei dem Bewohner, der ihn auf den Pfad geführt hat. Der Trip ist zu Ende.

Im allgemeinen, gebe ich meinen Songs englische Titel. Man könnte meinen, dass das bei instrumentaltiteln eigentlich egal ist, aber hier hat es einfach nicht gepasst. Ich hatte ein romantisierte Mitteleuropäische Gebirgslandschaft, wie den Harz vor Augen und das funktioniert einfach nicht auf englisch.

Mystische Begegnung : Waldsee im Nebel

Ist das Thema nicht ein bischen kitschig und platt?

Ja, sicher. Aber kein „Plüsch-um-den-Telefonhörer-Kitsch“. Dass wir alle den mentalen Kontakt zur Natur verloren haben, ist eine Binsenweisheit, die uns die Jugendlichen ja richtigerweise seit einiger Zeit ordentlich um die Ohren hauen. Leider haben aber auch die, die die Kritik am lautesten und heftigsten formulieren diesen Kontakt ebenfalls nicht. Können sie ja nicht, da sie ebenfalls Teil des Systems sind. Aber diese Diskussion sprengt den Rahmen dieses Interviews bei weitem, fürchte ich.

Sicher. Also zurück zu Deiner Musik. Ab wann und wo wird Deine Musik verfügbar sein?

Man kann sie ab sofort auf meiner Homepage unter https://www.ollmetzer.com/?page_id=4404 streamen.

Meine Musik steht unter der Creative Commons Lizenz cc-by-nc-nd. Das bedeutet, dass die Musik privat gehört und kopiert werden darf, solange der Copyright Inhaber korrekt und vollständig genannt wird. Eine Bearbeitung und kommerzielle Nutzung ist nicht gestattet.

Abschliessende Frage: Hast Du schon weitere musikalische Projekte?

Ich habe bereits einige interessante Songfragmente vorbereitet, die auch wieder inhaltlich untereinander Bezug haben, aber das ist ein Prozess, den ich vielleicht nicht beende, weil er aus politischem Ärger heraus entstanden ist. Und das trägt möglicherweise nicht langfristig.

Vielleicht ist es interessanter, dass ich mir gerade einen Modularsynthesizer zugelegt habe. Echte Hardware nach den ganzen Softwareemulationen.

Ich finde das Konzept super spannend. Ich liebe einfach diese technische Haptik, hundert Schalter und Drehregler, blinkende LED, ein Wald aus Kabeln. Aber es ist natürlich auch enorm herausfordernd, weil es kein fertiges Instrument ist.

Du musst Dir zu Beginn ein technisches Konzept überlegen, wie Dein Sound entstehen soll und baust Dir Das Instrument dazu durch die Verkabelung erst zusammen. Es ist wahnsinnig herausfordernd, aus den Maschinen etwas besseres, als schrillen, pulsierenden Lärm herauszuholen. Mal schauen, was der Sommer so bringt.

Ich danke Dir für das Gespräch.

Ich habe zu danken. Es war mir ein Vergnügen.

Musikworkstation – Upgrade auf Apple M1

Mein kleines digitale „Musikstudio“ basierte bis zum letzten Wochenende auf einem 2014er Mac Mini. Darauf liefen im Wesentlichen die DAWs Bitwig 4 und Reason 11 und etliche virtuelle Instrumente von Arturia. Als Audiointerface nutze ich das Scarlett 212 von Focusrite und als Keyboard das KeyLab 88 von Arturia, das eine wunderbare, gewichtete Klaviatur hat. Beide sind per USB an den Mac angeschlossen. Das ist ein sehr zweckmäßiges Setup, mit dem ich wunderbar arbeiten kann. Lediglich die Startzeit der Software hat den Spaß gedämpft. Vom Hochfahren des Rechners, bis ein Song mit mehreren virtuellen Instrumenten geöffnet war konnten locker 5 Minuten vergehen.

Ich hätte den Mac mit einer SSD nachrüsten können, habe mich aber dazu entschieden, gleich auf einen Mac Mini M1 mit 16GB RAM und 512GB SSD aufzurüsten. Damit habe ich ein paar Monate gewartet, weil es immer etwas wackelig ist, wenn Apple die Prozessorarchitektur wechselt (seit 1984 immerhin zum dritten Mal). Ältere Software läuft dann zwar meist dank der Rosetta Emulation weiter, aber Audiosoftware ist aufgrund des Timings gerne mal etwas zickig und so habe ich lieber ein, zwei Updates abgewartet.

Mac Mini M1 am Start

TL;DR – das Update ist geglückt

Einen neuen Rechner einzurichten dauert normalerweise sehr lange: Software neu installieren, Daten rüberkopieren, Einstellungen manuell nachziehen und irgendwas Wichtiges übersieht man immer. Aber Apple hat mir das Wochenende mit einer genialen Software gerettet: Dem Migrationsassistent.

Dieser kopiert alle Programme, Daten und Einstellungen in einem Rutsch auf den neuen Rechner. Das läuft nach dem Start automatisch und hat in meinem Fall knapp zwei Stunden gedauert. Funktioniert tadellos.

Schlichte Oberfläche – geniale Funktion: Der Migrationsassitent

Bitwig und Reason starteten sofort, das Audiointerface wurde sofort erkannt. Dennoch lief aber nicht alles auf Anhieb. Für die Softwareinstrumente von Arturia musste die Rosetta Emulation nachinstalliert werden. Die VST-Bridge, mit der die externen Instrumente in Bitwig geladen werden startete zunächst nicht, weil sie nicht von Apple signiert ist. Die Berechtigung muss man manuell einstellen, was aufreizend umständlich war (Dateiberechtigungen innerhalb eines Archivs ändern – echt jetzt?).

Das größte Problem war jedoch, dass das Keyboard nicht funktioniert hat, obwohl es korrekt erkannt wurde.

Riesiger Schreck und Verbindungsprobleme

Das führte auch zu einem wirklichen Schreckmoment. Da ich zunächst keine Lösung für das Problem mit dem Keyboard fand, habe ich mich zu einem Firmware Update des Keylab 88 entschlossen. Und das misslang! Das Update fror bei 11% ein und danach war das € 700,- Keybord gebrickt und ließ nicht nicht mehr starten und zurücksetzen.

WAHHHHH!!!

Nachdem ich dreimal laut fluchend durch das Zimmer gesprungen bin, habe ich mich langsam(!!!) wieder beruhigt habe, beschloss ich, das Firmware Update nochmal von meinem alten Mac Mini zu versuchen.
Und siehe da: es funktionierte!

Ende gut – alles funktioniert

Im Nachhinein glaube ich, dass es gar nicht am Rechner selbst gelegen hat, sondern daran, dass ich das Keyboard zusammen mit der Tastatur über einen USB Hub am gleichen USB-A Anschluss hängen hatte und das Timingprobleme verursacht hat. Der M1 hat nämlich nur noch zwei statt vier USB-A Buchsen und ich brauchte drei für Keyboard, Audiointerface und Tastatur. Jetzt hängt das Audiointerface an einem der beiden USB-C Ports und alles läuft wunderbar und sehr zügig.

Ende gut – alles läuft einwandfrei

Feines, frisches Vinyl

Liegt es an meinem Brexit-Blues? Ich habe mir gerade drei aktuelle Schallplatten von britischen Musikern bestellt. Einerseits, weil ich die Musik mag und außerdem, weil ich finde, dass bei genau diesen Künstlern Vinyl das richtige Format ist: The Who – Who (2019), Paul Mc Cartney – 3 (2021) und Sleaford Mods – Spare Ribs (2021).

Frisches britisches Vinyl für den Plattenspieler

The Who – Who

Als ich vor einem Jahr -kurz vor Corona- meinen Freund in London besucht habe, fiel mir eine Konzertankündigung für The Who auf und dass die beiden verbliebenen Recken Pete Townshend und Roger Daltrey eine neue(!) Platte herausgebracht haben. Tatsächlich ist das erst das zwölfte Album seit 1964.

Origineller Albumtitel – „Who“

Das Album klingt – tja – nach the Who. Rockig. Die Instumentierung ist klassisch – hauptsächlich Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier. Pete Townshend kann immer noch Rocksongs schreiben und Roger Daltrey kann sie trotz seiner 75 Jahre noch immer singen. Für mich ragt zwar kein Song besonders raus – was aber gut ist, weil es auch keine Ausreißer nach unten gibt. Man kann das Album sehr gut als Album hören. Ganz so, wie man das früher gemacht hat. Das ganze hört sich nicht nach Alterswerk an. Gut so. Solide Arbeit.

Paul Mc Cartney – III

Anfang diesen Jahres las ich, dass sich Paul Mc Cartney 2020 etwas gelangweilt hat, weil seine Tournee aufgrund von Corona abgesagt wurde. Also ist er in sein Studio gegangen um etwas an Songs zu arbeiten, die halbfertig rumlagen und am Ende hat er sich gesagt: „Huch – das ist ja eigentlich ein komplettes Album“.

Paul Mc Cartney – III

Lustige Geschichte, zumal man den Songs nicht anhört, dass sie aus Langeweile entstanden sind. Mc Cartney kann auch mit fast 80 immer noch gute Popsongs schreiben. Er hat auch alles selbst eingespielt und natürlich auch gesungen. Hier und da ist die Stimme etwas (aber nur etwas) brüchig. Das passt aber ganz gut zu dem Album, dass etwas rauh daherkommt. Nicht bis ins allerletzte durchproduziert. Für seine Verhältnisse also „Heimstudio“ ;-).

Sehr Charmant. Auch ein Album, dass ich gerne komplett durchhöre.

Sleaford Mods – Spare Ribs

Das neue Album der Sleaford Mods wird ja gerade überall besprochen.
Der Track Mork ’n Mindy läuft im Radio in Heavy Rotation und da er mir gut gefiel, habe ich mir das Album geholt.

Sleaford Mods – Spare Ribs

Das schöne an Vinyl Schallplatten ist, dass die großen Cover viel Platz für richtige kleine Kunstwerke haben. Die Chance wurde hier genutzt. Die Gestaltung ist zwar grafisch sehr schlicht, aber durch die Aussparungen, den Innendruck und das Innencover aber dennoch verspielt. Je nachdem, ob oder wie herum man das Innencover einsteckt, sieht man entweder einen Jason oder Andrew oder einen Hinweis auf knallrot.
Zudem ist so genug Platz für die Texte, was bei dem schnodderigen Mid-England Slang wirklich hilfreich ist.

Plattencover mit Aussparungen und interessantem Innencover

Und wie isses?

Gut. Gefällt mir richtig.

Zunächst mal ist es der bandtypische typische Elektropunk:
Über den basslastigen Loops von Andrew Fearn meckert und lästert Jason Williamson in breitestem Nottigham Slang über den Brexit, den allgemeinen Zustand des Landes, die Politik und die stumpfen Mitbürger. Die Richtung wird bereits in den ersten 30 Sekunden des Albums gesetzt:

And we’re all so Tory tired / And beaten by minds so small„.

Was mich aber sehr gefreut hat ist, dass sich die beiden auch musikalisch in kleinen, aber deutlich spürbaren Schritten weiterentwickelt haben.
Im ganzen Album sind nette Details verstreut. Offensichtlich sind die sehr passend ausgesuchten weiblichen Stimmen. Billy Nomates setzt auf „Mork ‚ Mindy“ tolle Akzente und Amy Taylor auf „Nudge It“. Die beiden scheinen ein Ansporn gewesen zu sein, denn Jasons typisches Gemeckere wird in „Glimpses“ sogar zu fast zu so etwas wie Gesang.

Wenn man wie ich schon etwas älter ist, kommt einem Thematik und Stimmung des Albums seltsam vertraut vor. Alles erinnert irgendwie an die 70er und 80er Jahre, als es um das Vereinigte Königreich schon einmal richtig mies stand: Wirtschaftlicher Zusammenbruch und darauf folgend der Neokonservativismus der Thatcher Jahre.

Die damalige depressive gesellschaftliche Stimmung wurde von vielen Bands zu verblüffend guter und kraftvoller Musik verarbeitet.

Und genau darauf lassen sich viele musikalischen Anspielungen finden. Die Loops klingen weniger elektronisch als früher, weil nun häufiger Bassgitarren gesamplet wurden. „Nudge It“ wird von einer Akkordfolge der Kinks getragen, „Glimpses“ erinnert an die frühen, punkigen Adam and the Ants, die Bassläufe von „Fishcackes“ lassen an Joy Division denken und die Sounds in „Top Room“ sind klar Kraftwerk (Zwar aus Deutschland, aber damals stilbildend für viele britische Bands).


Unterhaltung zwischen Wissenschaft und Wahnsinn

Vor einiger Zeit habe ich mir ein sehr unterhaltsames Buch gekauft:
„how to – Wie man’s hinkriegt“ von Randall Munroe, dem Cartoonisten von xkcd. Genau wie in seinen Cartoons wandelt er in dem Buch gekonnt unterhaltsam zwischen Wissenschaft und Wahnsinn.

Munroe ist Mathematiker, Physiker und hat als Robotik Ingenieur für die NASA gearbeitet. Sein Humor besteht hauptsächlich darin, scheinbar banale Alltagsfragen als Ausgangspunkt für völlig abseitige wissenschaftliche Erklärungen zu nutzen. Das Ganze wird von simplen Strichmännchen Zeichnungen illustriert. Genau so funktioniert auch das Buch.

Als Beispiel sei Kapitel 7 genannt: „Wie man’s hinkriegt, einen Umzug zu stemmen.“ Das Kapitel beginnt recht harmlos mit Überlegungen zur Menge von Umzugskisten und wie sie am Besten zu transportieren sind. Von Seite zu Seite werden die Überlegungen aber immer abstruser. Schnell ist man an dem Punkt, keine Kisten zu packen, sondern gleich das ganze Haus mitzunehmen. Ein durchschnittliches (US Amerikanisches) Haus schätzt er möbliert auf ca. 70t Gesamtgewicht. LKW Transport wird schnell verworfen. Besser wäre es, das Gebäude durch die Luft zu transportieren. Hubschrauber sind zu schwach und Flugzeuge zu klein dafür. Aber man könnte die Triebwerke einer Boeing 787 direkt an das Haus montieren (Ahh-ja…).
Die Triebwerke liefern 30t Schub und wiegen 5,8t. Für den Transport eines kleinen Hauses genügt das. Nach einer kleinen Abhandlung über die Funktionsweise moderner Flugzeugtriebwerke wird noch der Frage nachgegangen, wie lange das Haus fliegen könnte. Die Zeit wird begrenzt durch den Kerosinverbrauch und die Frage, wie viel Kerosin man mitnehmen kann, ohne das maximale Startgewicht zu überschreiten. Die maximale Flugzeit des Hauses beträgt weniger als 1,5 h.

DAS wollte man doch schon immer mal für den nächsten Umzug wissen, oder? ;-)

Atombomben als Flaschenöffner

Noch etwas abseitiger ist Kapitel 2 „Wie man’s hinkriegt, eine Poolparty zu schmeißen“, in der es darum geht, wie man einen Pool im Garten bauen und mit Wasser befüllen kann. Der Gipfel des gekonnten Blödsinns ist mit dem Vorschlag erreicht, den Pool mittels Mineralwasserflaschen zu füllen. Natürlich braucht man sehr viele (ca. 150.000) und eine Methode, die Flaschen möglichst schnell zu öffnen und zu entleeren. Mit einem Schwerthieb könnte man ca. 24 Flaschen gleichzeitig öffnen (angeblich gibt es dazu Videos auf Youtube). Für mich einer der Höhepunkte des Buches ist der folgende Abschnitt, den ich einfach mal zitiere:

„Bevor wir das Thema Waffen hinter uns lassen und zu einer praktikableren Lösung übergehen, sollten wir noch für einen Moment die größte und unpraktischste Option in Erwägung ziehen – das Flaschenöffnen mithilfe von Nuklearwaffen.
Das ist ein ganz und gar lächerlicher Vorschlag, und so verwundert es nicht, dass er im Kalten Krieg von der US Regierung untersucht worden ist. Anfang 1955 kaufte eine Regierungsbehörde […] Bier, Limonade und Selterswasser in lokalen Geschäften ein und testete dann Nuklearwaffen an ihnen. […]
Mit dem Test wollte man herausfinden, wie gut die Behältnisse überlebten und ob der Inhalt kontaminiert war.“

Ihr seht, wie in etwa der Humor von Munroe funktioniert. Schön sind auch die Abschnitte, in denen er Fachleute in Bestimmten Disziplinen um Rat fragt. Wozu er die Tennisspielerin Serena Williams gefragt hat lasse ich mal als Cliffhanger offen.

Schön ist Kapitel 5 „Wie man’s hinkriegt, eine Notlandung zu meistern“, in dem er viele Fragen nach auf den ersten Blick wirklich absurden Szenarien an den Testpiloten und Astronauten Oberst Chris Hadfield stellt. Zitat:

„Eigentlich hatte ich mehr oder weniger erwartet, dass er nach der zweiten oder dritten Frage auflegen würde, doch zu meiner Überraschung beantwortete er alle Fragen, ohne dass ich irgend ein Zögern ausmachen konnte. (Im Nachhinein denke ich, dass mein Plan, einen Astronauten zu verwirren, indem man ihm mit Extremsituationen kommt, wohlmöglich unausgereift war.)“

Mehr wird nicht gespoilert. Wer bis hier vergnügt mitgelesen hat, für den ist dieses Buch eine echte Empfehlung.

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