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Apples iPad: alt, langweilig, überflüssig, böse und wahrscheinlich erfolgreich

Diese Woche liess „His Steveness“ die Katze aus dem Sack: Das iPad wurde vorgestellt. Die Medien überschlugen sich vor Begeisterung und die Technikjünger waren enttäuscht. Ich zähle mich dann doch eher zur letzteren Fraktion. Nachdem sich der Trubel ein wenig gesetzt hat, verfestigt sich bei mir die Meinung, daß das iPad, alt, langweilig, überflüssig und böse ist, aber wahrscheinlich richtig erfolgreich wird. Nachdem ich die Gründe im Einzelnen erläutert habe, werde ich aber auch noch kurz die Gegenposition anreissen:

Die Idee ist alt
Tablet-PCs gibt es schon seit Jahren. Vor ungefähr 10 Jahren hatten wir bei der Agentur, für die ich damals tätig war bereits einen Tablet-Prototypen, den ein Energiekonzern vermarkten wollte. Die Idee war dieselbe: Internet für Couch-Potatoes. Seitdem hat es gefühlte 1000 weitere erfolglose Versuche gegeben, diese Gerätegattung zu etablieren.

Das iPad ist langweilig
Es bietet keine Überraschungen, keine innovative Displaytechnik und generell eigentlich nichts, was Technikfans irgendwie hinter dem Ofen vorlocken könnte. Ich kann damit nichts tun, was ich mit einem Netbook oder schlankem Notebook nicht auch tun könnte. Im Gegenteil – es kann viel weniger, als die Technik, die wir schon haben.

Das iPad ist überflüssig
Ich habe einen Desktoprechner, einen großen Laptop, ein Netbook, ein Smartphone für das Internet unterwegs und ein richtiges Handy zum Telefonieren. Mit so ’nem kastrierten Couch-Möchtegern-PC kann ich nix anfangen. Über richtig guten ’nen E-Bookreader würde ich ggf. noch nachdenken, aber das iPad taugt genau dafür nicht. Es ist zu schwer, hat ein aktives Display, das auch noch spiegelt und ist mit 700g einfach zu schwer.

Das iPad ist böse
Die Begeisterung der Medienindustrie ist verständlich. Die Konzerne wollen unbedingt, daß das iPad ein Erfolg wird, weil es ein verschlossenes System ist. Der eigentliche Sinn des Gerätes ist es nämlich, die Menschen, die die Vorzüge des freien Informationsaustauschs kennengelernt haben, wieder zu reinen Konsumenten zurückzuentwickeln. Die ganze Contentindustrie hält Computer, Internet und überhaupt die Idee des freien Informationsflusses für einen schlimmen Betriebsunfall, den man schnellstmöglich rückgängig machen muss, weil ihnen dadurch sowohl Einnahmen in gigantischem Ausmaß als auch Einfluss auf die öffentliche Meinung verlorengegangen ist. Apple ist mit dem iPad ein wichtiger Meilenstein zur Rückeroberung der Kontrolle durch die Industrie. Wir sollen wieder schön schlucken, was uns von Konzernen vorgesetzt wird und dazu noch den ganzen Sch… bezahlen. Für Leute, denen Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie hohe Güter sind, die Vermarktungsstrategien und Kontrollmechanismen kennen, und die das Aufkommen des Internets als eine Befreiung von vielerlei Zwängen und Erweiterung der eigenen Möglichkeiten empfanden, ist dieses Gerät einfach nur eine Bedrohung und zu 100% der falsche Weg.

Weshalb das iPad wahrscheinlich trotzdem erfolgreich werden wird, bringt Andreas Göldi in seinem Artikel „Warum Apple in einer anderen Liga spielt“ auf den Punkt; Das Ding ist einfach nicht für UNS, sondern für den REST gemacht. Das war übrigens auch schon die Werbeaussage von Apple, als der Mac vor über 25 Jahren eingeführt wurde. Es gibt so einen schönen doppeldeutigen amerikanischen Ausdruck dafür: „It’s a no-brainer“ – Ein Kinderspiel. Eben etwas für Leute, die ihr Gehirn nicht benutzen.

Das große Aber. Abseits meiner elitären Sichtweise
Das oben geschriebene ist natürlich die elitäre Sichtweise eines Typen, der sich seit über 25 Jahren aktiv mit Computern auseinandersetzt, keine ernsthaften Probleme mit der Konfiguration seines DSL-Routers hat. Jemand der Internetsoftware entwickelt und ausserdem auch noch Grundwissen in Marketing, Jura, Betriebswirtschaft und Statistik hat. Aus dieser Warte heraus ist das obige Argumentation natürlich schlüssig.

Bloss – so ist der Durchschnittsbürger nicht. Er hat andere Bedürfnisse und Sichtweisen. Im Prinzip möchte niemand Computer benutzen. Man macht es, weil die Dinger irgendwie recht nützlich sind, aber eigentlich sind alle total von den Kisten genervt, die teuer und kompliziert sind und um die man sich laufend kümmern muss. Jemand der Nachrichten im Fernsehen für echte Information hält, wird sich der Einschränkungen und Zwänge dieser neuen ‚Walled Garden‘ Geräte wahrscheinlich gar nicht bewusst. Er wird sich stattdessen darüber freuen, daß er sich nicht mehr mit so überflüssigen Sachen wie Systemaktualisierung, neuen Treibern, Antivirensoftware und ähnlichem Mist rumschlagen muss. Wer auch bisher nur ein bischen Webmail, Google und Ebay benutzt hat, für den sind diese Teile tatsächlich eine willkommene Vereinfachung.