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Venedig

Ich hatte Sehnsucht nach Sonne und Kultur – da liegt eine Reise nach Italien auf der Hand. Meine Wahl fiel auf Venedig. Irgendwie scheint jeder außer mir schon einmal dort gewesen zu sein und das wollte ich ändern. Ich war neugierig auf die Geschichte, Kultur, Architektur und den Städtebau. Andererseits hatte ich Bedenken wegen der Touristenmassen, Angst vor Nepp und stinkenden Kanälen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Wenn ich Folgenden von Venedig rede, meine ich den für Touristen interessanten historischen Teil in der Lagune (Stadtteile San Marco, San Polo, Cannaregio, Dorsoduro, Castello und Giudecca) und nicht die Industriestadt auf dem Festland mit der Petrochemie.

Ich hatte Glück und der kaum eineinhalb Stunden dauernde Flug verlief ruhig und wolkenfrei. Das ermöglichte mir tolle Blicke auf München, Innsbruck und die Alpen, sowie auf die Lagune und Venedig im Landeanflug. Auf dem Flughafen habe ich sofort ein 72 Stunden Ticket von ACTV mit Flughafentransfer gekauft (€ 46,-) und los ging es mit der Buslinie 5 über die 3,6 Km lange Brücke zum Piazzale Roma in der Lagune. Und dann steht man im Gewusel am Canal Grande und versucht herauszubekommen, wo denn nun Vaporetto (Quasi der Wasserbus) Line 1 anlegt.

Erster Eindruck: Blick vom Piazzale Roma auf den Canal Grande

Erster Eindruck: Blick vom Piazzale Roma auf den Canal Grande

Nur wenige Minuten später kommt das Boot und es geht los…

…ungefähr 200m weit. Dann gibt es die nächste Haltestelle auf der anderen Kanalseite. Und so geht es im Zickzack ungefähr 20 Minuten weiter, bis wir unter der Rialtobrücke durchfahren und ich am nächsten Anleger aussteige. Dann noch etwa 200m durch eine schmale Gasse zum Hotel und eingecheckt. Bis dahin wurde ich bereits mit den verschiedensten Eindrücken überflutet:

  • Mein Gott, das sieht ja wirklich alles genauso aus, wie im Film!
  • Die Kanäle riechen überhaupt nicht unangenehm.
  • 28 Grad Lufttemperatur, stechende Sonne und überall Wasser – das macht das Klima etwas anstrengend.
  • Herrjeh, ist das ein Gewusel auf dem Wasser!
  • Au weia! Ist das ein Gedränge in den Gassen!
Canal Grande von Dorsoduro aus gesehen

Canal Grande von Dorsoduro aus gesehen

Später fiel mir noch auf

  • Das Hotel ist gut, sehr sauber und es gibt zu meiner freudigen Überraschung ein anständiges Frühstück.
  • Die Zikaden in den Bäumen sind ganz schön laut.
  • Die Gondeln sind zwar unfassbar kitschig (und teuer). Aber es ist schon elegant, wie sie lautlos durch das Wasser gleiten.
Gondoliere in grandi quantità

Gondoliere in grandi quantità

Vom Gepäck befreit führt mich mein erster Weg direkt zum Markusplatz. Das sind nur 200m halbwegs geradeaus und das Hauptziel der meisten Besucher. Der Weg ist aber nicht nur kurz, sondern auch extrem schmal. An der breitesten Stelle vielleicht 2,5m und an der schmalsten kaum 1,5m. Trotzdem ist es einer der beiden Hauptwege zwischen Rialtobrücke und Markusplatz. Dementsprechend drängen die Menschen hier durch.

Wahnsinn!

Markusplatz am Abend

Markusplatz am Abend

Den Markusplatz hat vermutlich jeder schon einmal auf Bildern gesehen: Die langen Arkaden, Der große Campanile, die Basilika mit ihren unglaublichen Marmorverzierungen und natürlich der Dogenpalast. Obwohl der Platz mit 180m x 80m ziemlich groß (für venezianische Verhältnisse geradezu riesig) ist, erdrückt einen doch die schiere Masse an Touristen. Also schnell die üblichen Beweisbilder gemacht und weiter geht es (Ich bin abends noch einmal wiedergekommen – immer noch viele Menschen, aber man hat endlich etwas mehr Platz).

Ich lasse mich durch Gassen über Brücken und Plätze in Richtung Accademia treiben. Schnell merke ich: Man kann die Kamera in eine beliebige Richtung halten und abdrücken – das Fotomotiv ist immer malerisch bis zum geht nicht mehr. Das werde ich in den nächsten vier Tagen auch extrem häufig machen. Tatsächlich habe ich 860 Aufnahmen gemacht und nur ganz wenige sind Ausschuss.

Campo San Moisè

Campo San Moisè

Calle Dose da Ponte

Calle Dose da Ponte

Canal Grande von der Ponte dell' Accademia

Canal Grande von der Ponte dell‘ Accademia

Das frühe Aufstehen, die Anreise, das unglaubliche Gewusel in den Gassen und nicht zuletzt der Temperatursprung um 10 Grad fordern schnell ihren Tribut. Meine Kondition lässt zu wünschen übrig und ich beschließe, dass ich ich Venedig nicht gleich am ersten Tag komplett erkunden muss. Am Anleger Accademia nehme ich ohne großen Vorsatz das nächste Vaporetto. Es ist wieder die Nummer 1. Da ich gerade ganz bequem sitze, fahre ich bis zur Endhaltestelle Lido mit. Der Lido ist eine 12Km lange, schmale Insel, die die Lagune von der Adria trennt. Hier ist die Bebauung völlig anders. Der Hauptort hat sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem mondänen Badeort entwickelt. Hier geht es luftiger und ruhiger zu und ich bleibe bis zum frühen Abend am Strand sitzen, um auf die Adria zu gucken und mich auszuruhen.

Tag zwei fängt mit einem guten Frühstück an (holla!) und danach geht es gleich zum Arsenale um die Biennale anzusehen (davon berichte ich getrennt im Artikel „Venedig – Kunstbiennale 2017„). Nachdem ich Nachmittags das Ausstellungsgelände verlassen habe bin ich wiederum ziemlich geschafft und kann eine etwas längere Bootsfahrt gebrauchen. Ich beschließe, den Anleger an der kleinen Insel St. Pietro di Castello zu nehmen und lande in einer verschlafenen Ecke von Venedig. Keine Sehenswürdigkeiten, keine Touristen, dafür einige Einheimische. Schau an – das gibt es auch noch. Wie beruhigend!

Einfache Wohnhäuser in Castello

Einfache Wohnhäuser in Castello

Die Fahrt ging an der Nordseite Venedigs entlang. So konnte ich einen Blick auf die Friedhofsinsel San Michele werfen, mich davon überzeugen, dass es in dieser historischen Stadt ein sehr modernes Krankenhaus mit Hubschrauberlandeplatz und Notaufnahme (natürlich per Boot) gibt. Der Blick auf die Häuser des Stadtteils Cannaregio zeigt, dass auch dort „richtige Menschen“ leben. Gut zu wissen, dass es sich trotz der Touristenmassen doch noch um eine richtige Stadt handelt.

Fondamenta Cannaregio

Fondamenta Cannaregio

Am Anleger Tre Archi steige ich aus und laufe in glühender Sonne den Fondamenta Cannaregio hinunter. Mein Ziel ist das jüdische Viertel. Hätte ich nicht vor einiger Zeit einen längeren Bericht über die Historie des Ghetto gesehen, wäre ich vermutlich achtlos vorbeigegangen. Beim ersten Laden an dessen Türrahmen mir ein kleiner, zylinderförmiger, schief angebrachter Behälter auffiel, bog ich in den nächsten torartigen Durchgang links ab.

Und schon war ich mittendrin im Calle Ghetto Vecchio zwischen koscheren Lebensmittelläden und Synagogen, die man nur erkennt, wenn man weiß wo sie sind.

Campo del Ghetto Nuovo

Campo del Ghetto Nuovo

Zudem befindet sich hier einer der schönsten Plätze Venedigs: Der Campo del Ghetto Nuovo. Er ist groß und lebendig. Kaum Touristen, dafür viele einheimische und spielende Kinder. Leider scheint es auch nötig zu sein, hier ein Häuschen hinzustellen, in dem mehrere bewaffnete Polizisten die friedliche Szene bewachen. Das ist bei uns in Berlin an Stellen, die für das jüdische Leben wichtig sind ja auch nicht anders. Aber irgendwie empfinde ich es als Schande, dass so etwas heutzutage in Europa nötig ist.

Abends bin ich dann noch etwas am Rialto und in San Marco umher gelaufen und habe bei einem leckeren Eis die Szenerie genossen.

Canal Grande von der Rialto Brücke aus gesehen

Canal Grande von der Rialto Brücke aus gesehen

Nächtlicher Blick auf San Giorgio Maggiore

Nächtlicher Blick auf San Giorgio Maggiore

Am nächsten Tag habe ich mich wiederum zur Biennale begeben (diesmal in den Giardini) und am Nachmittag den Stadtteil St. Elena angesehen. Keine expliziten Sehenswürdigkeiten, dafür wieder normale Einwohner, breitere Strassen und sogar ein Park. Dort hinten kann man es aushalten.

Wohnstrasse für richtige Menschen

Wohnstrasse für richtige Menschen

Am letzten Tag bin im Stadtteil Dorsoduro, südlich der Accademia gewesen. Noch recht touristisch – unter anderem ist dort die Peggy Guggenheim Collection und diverse andere Palazzi mit Kunst, aber es ist nicht ganz so überlaufen wie San Marco. Hier bin ich den (das, die?) Fondamente Zattere al Ponto Lungo entlagflaniert. Der Blick schweifte über das Wasser in Richtung des Stadtteils Guidecca. Dort hinüber kommt man wirklich nur noch mit dem Boot, weil es keine Brücke über die breite Fahrrinne zum Hafen von Venedig gibt.

Zurück zum Flughafen ging es dann direkt mit dem Boot über die Lagune. Sobald das Boot von Alilaguna aus den Kanälen der Stadt heraus und in der offenen Lagune war, hieß es Vollgas. Ein bisschen Wellen muss man da schon vertragen. Aber ehrlich – wie geil ist des denn, mit dem Boot direkt in den Flughafen zu fahren?

Bootsanleger am Flughafen

Bootsanleger am Flughafen

Leider war mein Besuch damit bereits wieder beendet. Der Rückflug war ordentlich verspätet und ich bekam auf Facebook den Rat, ein Boot mitzubringen, weil in Berlin gerade die Strassen wegen Dauerregen überschwemmt sind.

Ich sehe es lieber so: Einige Dinge, die mich interessieren, habe ich noch nicht gesehen und somit einen Grund noch einmal wiederzukommen. Zum Abschluss noch ein paar Gedanken, die ich während des Besuchs hatte:

 

Größe und Entfernungen

Größe, Entfernung und Zeit nimmt man in Venedig einfach komplett anders wahr, als in normalen Städten. Die Lagunenstadt misst ca. 4,5 Km in Ost/West und 2,7 Km in Nord/Süd Richtung. Aber die Gassen sind selbst für südeuropäische Verhältnisse unfassbar eng und verwinkelt. Gassen von kaum 1,5m Breite sind nicht ungewöhnlich. Zudem sind zwar überall Kanäle aber längst nicht überall Brücken, wo man sie braucht. Das führt zu Situationen, in denen man für eine Entfernung von ein paar Hundert Metern Luftline lieber in das Vaporetto steigt, anstatt sich durch das enge und mit Touristen überfüllte Labyrinth zu drücken.

Tourismus – Fluch und Segen

Tatsächlich wird die Stadt von der Menge der Touristen schier erdrückt: Es sollen ca. 30 Millionen pro Jahr sein. In einer Stadt, die nur ca. 60.000 Einwohner hat. Im Gegensatz zu Rom, das ebenfalls von etlichen Millionen Besuchern jährlich heimgesucht wird, hat Venedig (in der Lagune) kaum noch andere wirtschaftliche Funktion, außer dem Tourismus.

Andererseits wäre diese historisch bedeutende Stadt ohne die Besucher vermutlich schon weitgehend zerfallen und verlassen. Das Leben dort ist erheblich anstrengender und teurer als auf dem Festland. Das fängt mit der Ver- und Entsorgung an und endet beim aufwändigen Erhalt der historischen Bausubstanz noch lange nicht. Es gibt nur sehr wenige Läden für den normalen Einkauf. Jede Lieferung muss zunächst auf ein Boot umgeladen werden, dann eventuell noch mal auf den Handkarren und durch die Gassen und über die Brücken mit ihren Stufen geschoben werden. Egal ob es das Päckchen von Amazon ist, die Lieferung für den Supermarkt oder die Müllabfuhr. Das dauert, und ist aufwändige und schwere Handarbeit.

Lieferboot von DHL

Lieferboot von DHL