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Ein Buch zur digitalen Frühantike und ihrer ersten Hochkultur

Vor ein paar Wochen bin ich 50 geworden und habe ein Buch geschenkt bekommen: „The friendly orange glow“ von Brian Dear mit dem Untertitel „The untold story of the PLATO System and the dawn of cyberculture“. Es thematisiert PLATO – ein Computersystem von früher. Nach Maßstäben der Computerhistorie sogar von noch früher. Quasi von der digitalen Frühantike.

The friendly orange glow

The friendly orange glow

Was hatte es mit dem PLATO System auf sich?

Dazu kurz ein Rückblick auf meine Jugend.

Für mich fing die Digitalisierung der Gesellschaft ungefähr 1980 an. Damals hatte in der Bevölkerung fast niemand etwas mit Computern zu tun gehabt und plötzlich gab es überall Homecomputer und kurze Zeit später Personal Computer zu kaufen. Ich habe mich Hals über Kopf in das Thema gestürzt, bin um 1990 das erste Mal Online gegangen und habe noch vor dem Internet in den Mailboxen (oder BBS) Foren, Chats, E-Mail und Online Spiele kennengelernt. Damit habe ich mich lange zu den Online Pionieren gezählt.

Damit lag ich allerdings ganz schön falsch!

Zunächst fand ich heraus, dass das erste BBS bereits 1978 von Ward Christensen entwickelt und in Betrieb genommen wurde. Etwas später habe ich gelernt, dass das Internet nicht etwas mit dem World Wide Web 1991 begann, sondern seine Wurzeln bis in die 1960er Jahre zurückreichen und dass der erste Computer mit grafischer Benutzeroberfläche nicht etwas die Apple Lisa von 1983 war, sondern der XEROX Alto von 1973.

Und dann bin ich über ein Bild von gestolpert, auf dem ein Terminal mit orangefarbenem Gas-Plasma Touch Display zu sehen war, auf dem eine einfache Art 3D Shooter zu sehen war. Und darunter stand „PLATO IV Terminal (ca. 1975)“.

Wie bitte? 1975?

Zu dem Zeitpunkt liefen viele Computer noch mit Lochkarten und wurden über Fernschreiber oder Textterminals bedient, und dann so etwas? Um das zu verdeutlichen: Hier ist ein Bild vom PLATO V Terminal, das sich nicht sehr vom VI unterscheidet:

PLATO V Terminal

PLATO V Terminal By Mtnman79 [1] [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

PLATO war ein Computersystem, das in den 60er Jahren an der Univerity of Illinois für die Lehre konzipiert war und tatsächlich bis Ende der 80er Jahre für Onlinekurse genutzt wurde. Es lief auf den seinerzeit schnellsten Computern der Welt und ging stets an die Grenzen des damals technisch machbaren.

Über das Buch

Das Buch beschäftigt sich aber nicht so sehr mit der Technik, sondern mit den Menschen dahinter. Es stellt und beantwortet die folgenden Fragen:

Was hat sie zur Entwicklung dieses brillianten Meilensteins der Computergeschichte motiviert und wie sind sie vorgegangen?

Wieso wollte man computerunterstützte Lehre fördern, zu einer Zeit als selbst Taschenrechner noch Science Fiction waren?

Wie konnte es geschehen, dass minderjährige Hacker die millionenteure Technik nutzen konnten, um Multiuser-Onlinespiele zu programmieren und zu spielen?

Wieso hat niemand erkannt, dass auf diesem System die Zukunft der Online Zusammenarbeit mit Chats, Mails und Foren entwickelt wurde?

Was führte nach dem technischen Höhenflug zu dem unrühmlichen Niedergang ab Mitte der 80er Jahre?

Ich habe das Buch mit Vergnügen gelesen und mir dabei Zeit gelassen. Ich habe viel gelernt – insbesondere, dass es auch schon vor über 40 Jahren „Digital Natives“ gab, die sich die digitalen Werkzeuge angeeignet und abseits vom eigentlichen Einsatzzweck eigene Nutzungen und Umgangsformen entwickelt haben.

Absolut lesenswert!