Distinguished Gentlemens Ride Berlin 2019
Am Sonntag nach der enorm großen “Fridays for Future” Demonstration sollten die Berliner freiwillig auf das Autofahren verzichten. Über 400 Menschen sind dem Aufruf gefolgt und fuhren stattdessen mit dem Motorrad durch die Stadt. Und zwar nicht aus Protest, sondern zu einem guten Zweck.
Worum ging es?
Der Distinguished Gentlemens Ride (kurz DGR) findet in über 700 Städten weltweit am letzten Septemberwochenende statt. Für Berlin musste die Veranstaltung um eine Woche vorverlegt werden, da die Stadt am 29.September bereits durch den Marathon vollständig blockiert wird.
Es handelt sich um eine Benefizveranstaltung zur Unterstützung von Projekten, die der Männergesundheit dienen. Das ist z.B. Forschung im Bereich Prostatakrebs, oder Projekte der Suizidprävention. Also ernste Themen, um die sich Männer gerne herumdrücken, bis es zu spät ist.
Um die Männer (und ihre Frauen) für diese ernsten Themen zu aktivieren, wurde eine Veranstaltung ins Leben gerufen, die einfach Spaß macht. Eine gemeinsamer Ride-Out mit klassischen oder umgebauten Motorrädern im “Gentleman-Outfit”. Anstatt Lederkombi sind ausnahmsweise Tweed-Sakkos, weiße Hemden und Weste und ähnliches angesagt. Der Style Guide zeigt Outfits zwischen englischem Landadel und dem smarten Donald Draper aus der Serie Mad Men.
Im letzten Jahr habe ich den Distinguished Gentlemens Ride in Berlin ganz knapp verpasst. Ich war quasi “um die Ecke” aber wusste von der tollen Veranstaltung nichts. Da ich weder das passende Motorrad noch die passende Garderobe habe, wollte ich mich in diesem Jahr wenigstens an den Straßenrand stellen und die Prozession von mehreren hundert Motorrädern und gestylten Fahrern ansehen. Daraus wurde wieder nichts – ich bin nämlich “aus Versehen” mitgefahren. Und das kam so:
Der Startpunkt wurde nur registrierten Teilnehmern mitgeteilt. Es sollte ein “zentraler bekannter Ort” sein. Also habe ich überlegt, dass der Ort groß genug für vierhundert angemeldete Motorräder sein und zudem auch Stil haben muss. So viele Möglichkeiten gibt es nicht. Der Alexanderplatz ist groß genug, sieht aber wie eine Müllhalde aus, im Lustgarten bekommt man die Motorräder nicht untergestellt, der Bebelplatz auf dem die Nazis 1933 die Bücherverbrennung durchführten – das wäre schlechter Stil.
Also fuhr ich auf gut Glück mal zum Gendarmenmarkt und lag damit goldrichtig. Nur dezent neben der Szenerie zu parken hat nicht gelappt, weil mich gleich die Einweiser auf den Platz in Reihe zwei dirigiert haben.
Nun gut. Also bin ich zur Orga und habe gesagt, dass ich gar nicht mitfahren kann, weil ich nicht registriert bin und mein Outfit auch nicht regelkonform ist (Retro Lederjacke über weißem T-Shirt, dunkelblaue enge Kevlar Jeans und Motorradstiefel in “Ziviloptik”). Die Dame musterte mich von oben bis unten und sagte dann in strengem Ton: “Okay, es geht gerade so. Das nächste Mal dann mit Anmeldung und Hemd. Du fährst mit.”
Das war kein Angebot, sondern ein Feststellung. Jo – okay Chefin!
Da allerfeinstes Motorradwetter war (trocken, Sonne, leichter Wind, 24 Grad), konnte ich mir schlimmeres vorstellen. Dann fahre ich also mit. Vorher gab es noch ein einstündiges Programm zu den Gesundheitsthemen, Verhaltensregeln für das Fahren in Kolonne, einen Sonderapplaus für die Motorradstaffel der Berliner Polizei, die die Straßen für uns freimachen würde und ein Gruppenfoto auf den Stufen des Konzerthauses.
Danach wurde Aufstellung hinter dem führenden Polizeifahrzeug genommen. Wenn 400 Motorräder angelassen werden – zumal viele sehr alte und relativ laute – dann zittert die Luft. Dieses dumpfe Grollen lässt einen nicht kalt und viele Touristen blieben an der Strecke neugierig stehen, zückten ihre Smartphones zum fotografieren und filmen und fragten sich, was diese Truppe denn wohl darstellt. Da wir aber offensichtlich keine Rocker, sondern ein braver, lustig gekleideter Haufen waren, waren die Reaktionen fast ausschließlich wohlwollend. Freundliche Gesichter und fröhliches Winken war die Regel.
Es ist schon nett, wenn einem die Polizei den Weg freimacht und man sich um keine Verkehrsregel kümmern muss. Ich bin heute gefühlt über hundert rote Ampeln gefahren und einmal sogar falsch herum durch eine Einbahnstraße. Die Strecke war verschlungen. Einige markante Wegpunkte waren “unter den Linden”, Potsdamer Platz, Großer Stern im Tiergarten, Str. des 17. Juni, Schloss Charlottenburg, Westend, Kantstr, Kurfürstendamm, Landwehrkanal, Friedrichstr. und Torstr. Nach über einer Stunde Fahrt waren wir am Ziel: Dem Club Roadrunners Paradise in einem Gewerbehof im Prenzlauer Berg.
Also fast bei mir um die Ecke. Dort gab es dann ein gemeinsames Ausklingen bei Streetfood, Getränken und später auch Livemusik. Ein wirklich schöner Sonntag – und im nächsten Jahr habe ich passende Kleidung.
Versprochen!