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Mit dem Motorrad auf den Spuren der Vergangenheit

Mitte Dezember 2021. Draußen ist es kalt und ungemütlich und Corona nervt schon wieder so richtig.

Was hilft?

Zum Beispiel Kerzen auf den Tisch, in eine Decke kuscheln und bei Kaffee und Lebkuchen an etwas schönes zurückdenken. An meine erste kleine, aber feine Motorradreise, die ich im Sommer gemacht habe.
Nichts großes, sondern ein verlängertes Wochenende in Niedersachsen. Ich habe eine gute Freundin besucht und bin mit ihr zusammen einen Tag durch das Leinetal kreuz und quer gefahren. Und ich habe nach sehr langer Zeit liebe Verwandschaft wiedergetroffen.

Weshalb das Leinetal?

Weil es dort im Harzvorland schön ist.

Und weil nicht so fürchterlich weit weg ist.

Und weil ich die Landschaft früher, als ich dort als Teenager gewohnt hatte, nicht gewürdigt habe.

Und weil ich als Kind häufig auf den Bauernhöfen meiner Verwandten war und gerne daran zurückdenke.

Und weil es dort kleine, wenig befahrene kurvige Straßen gibt, die mit dem Motorrad Spaß machen.

Und weil eine gute Freundin von mir noch immer dort wohnt und auch Motorrad fährt und die Idee einer gemeinsamen Tour toll fand.

Landschaft bei Elze

Vorbereitung

Ich fahre ja noch nicht so lange Motorrad und habe noch nie eine längere Tour gemacht. Also haben mich einige Dinge beschäftigt bevor es losging: Wie viel Gepäck kann ich eigentlich mitnehmen (nicht viel) und wie befestige ich das sicher an der Maschine? Welche Klamotten sind für so etwas richtig? Wie stecke ich das Fahren körperlich weg und wird mir so etwas überhaupt Spaß machen?

Zum Gepäck:
Ich habe mich für zwei Teile von SW Motech entschieden. Das Rearbag wird auf den Soziussitz gelegt und mit vier Riemen an Soziusfußrasten und Kennzeichenhalter festgezurrt. Der Tankrucksack wird sehr einfach und schnell an einem Kunststoffring am Tankstutzen befestigt. Wenn man bei einer Rast, seine Wertsachen nicht unbeaufsichtigt lassen will, kann man ihn problemlos mitnehmen. Ohne Gepäck bleibt nur der relativ dezente Ring auf dem Tank zurück und nichts stört die Optik.

Für ein verlängertes Wochenende reicht der Stauraum knapp aus. Auf das vollgepackte Bike würdevoll aufzusteigen war aber schon eine kleine Herausforderung… ;-)

Zwischenstop in Laatzen bei Hannover

Zur Kleidung:
Das Wochenende war als wechselhaft vorausgesagt, mit Temperaturen zwischen 15 und 28 Grad, Regen und Sonne. Etwas überspitzt gesagt also irgendwie alles außer Tropenhitze und Schneetrieben. Mach da mal was draus.
Ich habe mich für eine wasserabweisende Textilkombi entschieden in der Hoffnung, dass es nicht zu heiß wird. Das hat sich als richtig herausgestellt, auch wenn es hier oder da mal recht warm war, wenn ich nicht gefahren bin. Um den Regen bin ich stets herumgekommen.

Zum Thema Kondition:
Motorrad zu fahren ist körperlich anstrengender, als Auto zu fahren. Ich bin ehrlich gesagt körperlich nicht gerade richtig fit und hatte schon etwas Bedenken, aber alles ging gut. Ja der Hintern brummt schon nach 100km und auf der Autobahn drückt bei 130km/h den Helm ordentlich auf die Stirn. Dann fährt man eben etwas langsamer und macht eine Pause mehr. Während des Fahrens habe ich nicht bemerkt, aber am Sonntag war ich doch froh nach zwei Tagen im Sattel einfach nur etwas abzuhängen, bevor ich mich am Montag auf den Rückweg gemacht habe.
Meine Freundin fährt in der Regel auch nur kürzere Strecken und war nach einem Tag auf ihrem Chopper auch recht geplättet.

Zum Thema Spass:
Ja, war geil!

Genau die richtige Dosis für den Anfang. Und mal abgesehen von dem eher langweiligen Autobahnanteil bei An- und Abreise war die eigentliche Tour am Samstag toll.

Wir sind überwiegend über kleine, wenig befahrene Nebenstraßen durch Dörfer und Kleinstädte gefahren. Schön gemütlich durch die grüne Landschaft gebummelt (meist zwischen 60 und 80 km/h), vorbei an Feldern, Wälder auf den Hügeln im Blick. Und im Gegensatz zu Brandenburg gibt es dort sogar schöne Kurven. Und auch das eine oder andere architektonische Highlight: Die Fagus Werke in Alfeld und die Eisenbahn Hochbrücke bei Greene lagen auf dem Weg, in Einbeck haben wir im historischen Stadtkern zwischen den Fachwerkbauten Eis gegessen.

Markt in der Einbecker Altstadt

Emotional – Ein Trip in die Vergangenheit und liebe Menschen

Die jüngste Tochter meiner Freundin ist Anfang 20 und hat uns abends gefragt, weshalb „Leute in einem bestimmten Alter dazu neigen, einen Sentimental Journey zu machen“. Als Antwort bekam sie von ihrer Mutter „weil irgendwann immer mehr Menschen, die einem etwas bedeuten sterben. Und dann möchte man diejenigen, die noch leben noch einmal sehen, weil man merkt wie wichtig sie einem sind.“

BÄM – auf den Punkt!

Blick zurück in die 70er Jahre: Ich war als Kind häufig auf den Bauernhöfen meiner Verwandten. Das Land und die Felder und die Tiere waren das völlige Kontrastprogramm zu meinem Leben in der Innenstadt von Hannover. Ich habe dort gespielt und abends geholfen, die Kühe von der Weide zurück in den Stall zu holen. Ich habe gesehen (und gerochen), wie man Schweine (ordentlich) hält. Ich habe gelernt, wie Silage gemacht wird, was eine Egge ist und habe mit dem Traktor Heu gewendet.

Es ist mir so wichtig, die Dinge erlebt zu haben. Gerade wenn man später durch die Welt gejettet ist um an Millionenschweren IT Projekte zu arbeiten, hilft es einem, halbwegs geerdet zu bleiben.

Ich wollte mir die Orte meiner Jugend noch einmal ansehen. Aber dann dachte ich mir, dass ich nicht einfach dort hin fahren kann, ohne dass dort jemand Bescheid weiß. Wie sieht das aus, wenn plötzlich zwei Motorradfahrer ankommen, vor dem Hof halten und dann vielleicht sogar fotografieren?

Landstraße bei Eboldshausen.
Ich habe ein Foto von genau dieser Stelle aus dem Frühjahr 1968, auf dem mich mein Vater als Baby bei einem Spaziergang getragen hat.

Also habe ich meiner Patentante einen Brief geschrieben und uns angekündigt. So richtig mit Füller auf Papier! Das hat mich etwas Mut gekostet. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass wir sehr(!) lange keinen Kontakt mehr hatten. Aber meine Bedenken waren unbegründet. Die Freude war groß und mir wurde gesagt „Biker sind uns immer willkommen“. Es stellte sich nämlich heraus, dass meine Patentante und ihr Mann beide begeisterte Motorradfahrer waren und aus gesundheitlichen Gründen damit aufhören mussten.

Wir wurden also mit offenen Armen empfangen und hatten einen sehr schönen Nachmittag, mit grillen, klönen und ich habe mich gefragt, weshalb ich mich nicht schon viel früher gemeldet habe. Aber besser spät, als nie.

Und was ist mit der Umwelt?

Die Frage nach der Klimabilanz darf heute natürlich nicht fehlen. Am Besten wäre es natürlich, wenn man gar keinen Urlaub machen würde. Also für die Umwelt. Für mich aber nicht. Diese kleine Reise war mir 1000 mal wichtiger, als alle blöden Businesstrips der letzten 10 Jahre zusammen. Und mit dem Motorrad ist es sogar halbwegs harmlos. Klar – ich habe Benzin verbraucht – aber relativ wenig. Nicht nur im Vergleich zu einem Flug ans Mittelmeer, sondern auch im Vergleich zum Auto. Mit meinem Auto hätte ich auf der Tour ungefähr 70 Liter benötigt. Das Motorrad kam mit knapp 40 Liter aus. Wäre ich weniger Autobahn gefahren, hätte es auch nochmals deutlich weniger sein können. Das merke ich mir für das nächste Mal, zumal Autobahn auf zwei Rädern keinen Spaß macht. Die Ökobilanz dieses Kurzurlaubs halte ich also für vertretbar, zumal ja auch die Eisenbahn noch längst nicht Klimaneutral fährt und mit ihr hätte ich die Fahrt so gar nicht machen können.