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Kolektif 2023 Fahrradmesse

Nach drei Jahren Corona hatte ich mich darauf gefreut, endlich wieder die Berliner Motorradtage besuchen zu können. Daraus wurde leider nichts, weil diese Messe auch 2023 abgesagt wurde. Schade.

Dafür gibt es in diesem Jahr gleich zwei Fahrradmessen: Vom 24. bis 26. März die Kolektif in Weissensee und am 6. und 7. Mai die Velo Berlin in Tempelhof. Ich kannte bisher keine der beiden Messen und habe mir daher vorgenommen, beide zu besuchen und zu vergleichen. Nach allem, was ich bisher gelesen hatte, schien die Velo ein eher breiteres Publikum anzusprechen und die Kolektif ein etwas nerdigeres Publikum.

Schauen wir mal, ob ich mit meinem Vorurteil recht habe.

An diesem Wochenende habe ich die Kollektif besucht. Der Veranstaltungsort ist das Motorwerk Berlin, eine ehemalige Fabrikhalle im Industriegebiet Weissensee. Von der Größe recht überschaubar, aber mit dem richtigem Flair, für eine kleine, aber feine Veranstaltung. Ich bin natürlich (wie die meisten Besucher) standesgemäß mit dem Fahrrad hingefahren und habe es geschafft, trotz des sehr wechselhaften Wetters trocken zu bleiben.

Kollektif im Motorwerk: Klein, fein und wuselig

Die Fahrradhersteller

Die wirklichen Branchengrößen waren hier nicht zu finden. Weder Komponentenhersteller wie Shimano, Sram oder Bosch, noch große Fahrradhersteller, wie Trek, Giant, Specialized oder Cannondale. Das hatte ich allerdings auch nicht erwartet und es wäre auch gar kein Platz gewesen. Wer darauf aus ist, sollte die Eurobike in Frankfurt besuchen – eine der drei weltweiten Leitmessen im Fahrradbereich.

Keine Großserie: Cervélo Profi Rennräder


Als große unter den kleinen Herstellern waren Brompton, Rose sowie Riese und Müller mit eigenen Ständen vertreten. Daneben waren enorm viele Kleinserienhersteller anwesend, die ich nicht alle auflisten kann. Mir sind die drei Berliner Firmen Schindelhauer, 8Bar und Basic aufgefallen. Schindelhauer stellt in Kreuzberg wunderschöne, schnittige Stadträder her. Ebenfalls in Kreuzberg sitzt 8Bar Bikes, die Gravel- und Urbanbikes auf spezielle Kundenwünsche hin anpassen. Noch einen Schritt weiter geht Basic Bikes aus Berlin Schöneberg: Hier bekommt man Carbonrahmen, die man sich selbst zum Wunschrad komplettieren kann.

Trends: Entweder sehr sportlich oder sehr schön oder beides

Passend zum Publikum (siehe unten) waren die meisten Räder auch recht sportlich. Von flotten Urban Bikes über Gravelbikes in allen Geschmacksrichtungen bis zu den Profi Rennrädern von Cervélo.
Eine Sache, die mir auffiel: Es waren viele Anbieter mit Titanrahmen vor Ort.

Im Trend: Gravelbike mit Titanrahmen – hier von Böttcher

Quasi der Gegentrend sind filigrane Rahmen aus Stahl, die im normalen Handel mittlerweile fast völlig von Aluminiumrahmen verdrängt wurden. Eine interessante Kombination hatte Böttcher aus Schleswig Holstein dabei: Ein Gravelbike mit Stahlrahmen, Carbongabel und Komponenten von Campagnolo. Mal etwas anderes als immer nur Shimano und Sram.

Stahlrahmen waren auch für ausgesprochen filigrane, klassische Räder angesagt, wie bei Temple Bikes aus Bristol.

Klassische Formen bei Temple: Stahlramen, Felgenbremsen, Ledersattel von Brooks

Die gehobene und sehr gehobene Preisklasse war also gut vertreten, aber es gab auch attraktive, bezahlbare Räder. Ich selbst lege zwar Wert auf eine gute Schaltung, aber Singlespeed Freunden lege ich einen Blick auf die wirklich sehr schönen und günstigen Räder des britischen Herstellers Quella ans Herz. Die Preise beginnen bei €500,-

Schicke, bezahlbare Singlespeed Räder von Quella

Unter all den schönen Rädern fiel mir eines ganz besonders auf, das nahe des Eingangs auf einem Sockel stand. Ein Gravelbike mit einem wunderschönen, gemufften und gelöteten Stahlrahmen. Ich hatte einen interessanten Schnack mit dem Erbauer. Er war von Ostrad, einem Fahrradhändler, der bereits seit den frühen 90er in Prenzlauer Berg sitzt. Ich bin in den letzten 30 Jahren wahrscheinlich 100 mal dort vorbei gegangen, habe aber erst vor kurzem erfahren, dass sie Rahmenbauseminare anbieten, bei denen man sich unter Anleitung sein eigenen Fahrradrahmen zusammenlötet. Sehr spannend!

In meinen Augen der schönste Stahlrahmen der Messe – von Ostrad


Nicht im Fokus

Eher (bis auf Ausnahmen) nicht zu sehen gewesen: E-Bikes, Federgabeln, klassische Tourenräder oder betont bequeme Fahrräder.

Insofern habe ich meine Zweifel, ob Riese und Müller, die sich auf hochwertige, sehr robuste aber eben auch sehr schwere E-Bikes spezialisiert haben, hier auf ihre Kosten gekommen sind. Ich denke, dass einfach nicht das richtige Publikum anwesend war. Vielleicht haben ihre Lastenräder bei der Einen oder dem Anderen Interesse geweckt.
Wobei der Bereich Lastenrad trotz des Booms auch eher dünn bestückt war. Immerhin gab es im Aussenbereich zur Belustigung ein Lastenradrennen.

Zubehör

Natürlich gab es nicht nur Fahrräder, sondern auch viel Zeug drumherum, wie Bekleidung, Sonnenbrillen, Taschen, Klemmschutzbleche, Handyhalterungen und etliches mehr. Zwei Sattelhersteller waren anwesend. Brooks leider nicht, aber dafür Posedla Joyseat, die individuell angepasste Sättel herstellen – nach Gesäßmessung per 3D Druck.

Reflective Berlin zeigte Sticker, die man an Kleidung, Taschen, Helme und Fahrräder kleben kann, die im Dunkel hoch reflektiv sind. Und das wurde auch vorgeführt. Es ist schon beeindruckend, wenn ein schwarzes Fahrrad angestrahlt wird und der Rahmen plötzlich leuchtend weiß strahlt.

Das Publikum

Um die Messe zu verstehen, muss man sich vor allem das Publikum ansehen. Es war schon sehr Berliner Innenring. Für diejenigen, die sich in Berlin nicht so auskennen und nicht verstehen, was ich damit meine: Eher jung bis mittelalt, fühlt sich irgendwie alternativ, hat aber trotdem Geld in der Tasche und zeigt das auch. Eher sportlich unterwegs, als E-Bike. Ich wäre im Gegensatz zu einigen anderen Besuchern jedenfalls nicht auf die Idee gekommen, mit Rennrad oder Gravelbike anzureisen um dann auf der Veranstaltung mit Klickpedal-Schuhen rumzuhumpeln.

Fazit

Meine Einschätzung hat sich bestätigt: Die Kolektif ist eine schöne, kleine Veranstaltung für Radnerds, die im Gegensatz zur Normalbevölkerung nicht gleich mit Herzflimmern umfallen, wenn man Preise von über €5000,- für ein Fahrrad (ohne e-) genannt bekommt. So ein bisschen Mainstream-Alternativ und alles außer Großserie.

Mal sehen, ob das auf der Velo Berlin anders ist.