tiny little gizmos

Web Engineering Unconference 2023

Vom 22. bis zum 24. September fand die Web Engeneering Unconference in Palma de Mallorca statt. Bereits im letzten Jahr bin ich zu dieser Veranstaltung gereist, hatte damals eine ordentliche Portion Skepsis im Gepäck und wurde sehr positiv überrascht (siehe: „Web Engineering Unconference 2022„). Soviel vorneweg: Auch in diesem Jahr hat sich die Teilnahme für mich gelohnt.

Die Bucht von Palma de Mallorca

Natürlich ist Mallorca stets eine Reise wert aber das Besondere der WEUC liegt nicht nur am Ort, sondern vor allem an der Art der Veranstaltung. Die Teilnehmerzahl ist auf 100 begrenzt. Teilweise kennt man sich schon seit Jahren, es sind aber auch viele neue Gesichter dabei gewesen. Jeder kann ein Thema mitbringen und vorstellen. Daher weiss man im Vorfeld auch nicht, was für Vorträge oder Diskussionsrunden zu erwarten sind. In diesem Jahr hatte ich auch einen Vortrag vorbereitet, den ich erfolgreich gehalten habe – dazu weiter unten mehr.

Gemeinsames „Einschwingen“ am Vorabend in einer Bar in der City

Da der Teilnehmerkreis mittlerweile sehr international ist, galt das Motto „english only, please!“ – und zwar nicht nur für die Vorträge, sondern auch, beim gemeinsamen Essen und Trinken, damit jeder in interessante Gespräche einsteigen kann. Denn davon gab es reichlich.

Socializing

Diese Art Veranstaltung hat immer mehrere Ebenen:
Zunächst natürlich die formelle Ebene des Informationsaustauschs in Vorträgen und Diskussionen während des offiziellen Programms.

Raucherpause zwischen den Vorträgen

Und dann gibt es die informelle Ebene: Gespräche zwischen den Pausen, sowie beim gemeinsamen Essen und Trinken. Das ist dann irgendwas zwischen vertiefenden fachlichen Gesprächen, Kontaktpflege und auch purem Spass. Einige Teilnehmer sind zum Beispiel zwischendurch kurz in den Hotelpool gesprungen, bevor die Veranstaltung weiterging.

Gemeinsames Abendessen zum Ausklang des ersten Tages

Ein gemeinsames Abendessen, um den ersten Veranstaltungstag ausklingen zu lassen, gehört dazu. Und die Frage „Are we going to the Shamrock afterwards?“ ist schon fast ein Running Gag. Diese irische Kneipe mit Livemusik ist nicht weit entfernt und dafür berüchtigt, dass man super bis in die Morgenstunden feiern kann. Da kommt man schnell in die Zwickmühle zwischen Geselligkeit und dem Ruf der Vernunft. Man muss ja am nächsten Morgen einigermaßen fit sein.
Ich bin ja schließlich nicht mehr 20. Oder 30. Oder 40… (oh jeh…)

Irgendwann dann doch – Shamrock Irish Pub

Technische Themen

An zwei Tagen, in drei parallenen Tracks und 11 Timeslots gab es insgesamt 32 Vorträge und Diskussionen. Aus Platzgründen kann ich hier nur einige nennen:

Zu Beginn des ersten Tages: Sammlung der Themenvorschläge

Alexander M. Turek zeigte in seinem Vortrag „How much database abstraction do i need?“ die verschiedenen Ebenen von Datenbankabstraktion und wofür sie am besten einsetzbar sind, am Beispiel von Doctrine.

Ludovic Toison (NFQ Asia) sprach in „From DevOutch to DevOps“ darüber, wie man durch vereinfachtes GIT-Branching in Verbindung mit Feature Toggles von relativ langsamen Release Zyklen zu Continuous Deployment kommt.

Dennis Heidtmann (ScaleCommerce) präsentierte in „Smoxy – a new shortcut for better TTFB“ einen neuen Smart Proxy, der Load-Balancer, Page-Cache und Imageserver mit einer einfachen, übersichtlichen Nutzeroberfläche verbindet. Somit kann man einen Shop oder eine Symfony basierte Webapplikation sehr einfach erheblich beschleunigen – auch ohne Admin.

Es gab noch viele weitere interessante Themen (Sicherheit in Kubernetes Clustern, Data-Pipelines, was man aus Core-Dump aus gecrashten PHP Prozessen lernen kann etc.), die ich hier gar nicht ausführlich behandeln kann.

Das Top-Thema war natürlich Künstliche Intelligenz. Dazu gab es unter anderem eine Präsentation von Bertrand Lee (BrightRaven.ai) und mehrere Diskussionsrunden im Rahmen der Veranstaltung und in den informellen Treffen am Rande.

Im letzten Jahr gab es noch eine Vorführung der Bild-KIs Dall-E und Midjourney für die staunenden Teilnehmer. In diesem Jahr hatten die meisten bereits selbst mit KI herumprobiert. Die Frage war nicht mehr, ob die Technik genutzt werden wird, sondern nur noch darum wann und wofür sie bereits einsatzfähig ist. Relative Einigkeit herrschte in der Ansicht, dass wir Entwickler schon bald sehr viel anders arbeiten werden. Und der Zeithorizont ist sicher nicht 10 Jahre und vermutlich auch nicht mal 5, sondern eher noch kürzer.

Damit gehen interessante Fragen einher: Der Umgang mit „geistigem Eigentum“ (das schreibe ich bewusst in Anführungszeichen, weil ich das Konzept schon immer für dumm gehalten habe), natürlich die soziale Frage, denn frei nach Karl-Marx hat derjenige die Macht, der über die Produktionsmittel verfügt. Und während der Entwickler bisher der Produzent (von Code) ist, wird er im neuen Modell nur noch Nutzer von Wissen sein, das andere bereitstellen. Er wird also vom Produzenten zum Kunden degradiert. Weil das bereits viele verstanden haben, ist in der KI momentan enorm viel Bewegung im Open-Source Bereich, weil die Entwickler ihren Vorteil nicht einfach kampflos den Konzernen übergeben wollen.

Nicht-technische Themen

Für eine Entwicklerkonferenz gab es auch in diesem Jahr wieder viele nicht technische Beiträge.

Maria Adler (Yet another Agency) gab Anregungen, wie man besser und zufriedenstellender mit der weit verbreiteten Ticketsoftware Jira arbeiten kann.

Tobias Schlitt (commercetools) gab Beispiele, wie man Zusammenarbeit und Teamgeist fördern kann, wenn es keine Büro mehr gibt und nur noch remote gearbeitet wird. Denn das tun im e-commerce Bereich mittlerweile ziemlich viele Firmen.

Claudia Bender sprach über „Social Engineering, Cyber Security and Cyber Thread Intelligence“. Das Thema hat mich brennend interessiert, lag aber leider parallel zu einem anderen sehr interessantem Track.

Bei der Vorstellung der Themenvorschläge am ersten Tag sagten nämlich zwei Teilnehmer (die ich hier öffentlich nicht explizit nenne), dass sie gerne über Mental-Health-Probleme sprechen würden, falls das jemanden interessiert. Und darauf hoben sich fast von allen Teilnehmern die Hände. Am Ende wurden es sogar zwei Diskussionsrunden an Tag eins und zwei. Mein Eindruck ist, dass unter ITlern Probleme mit Depressionen und ähnlichem noch deutlich häufiger vorkommen als im Bevölkerungsdurchschnitt. Wir sind aber wohl jetzt an einem Punkt, an dem die Menschen zu verstehen beginnen, dass es sich um ernsthafte Krankheiten handelt, die man nicht einfach langfristig verstecken oder ignorieren kann.

Mein Vortrag

Wie eingangs erwähnt, hatte ich In diesem Jahr auch einen Vortrag vorbereitet. Zu Jahresbeginn fragte ich meinen Arbeitgeber, ob ich etwas zu unseren Erfahrungen der letzten Jahre erzählen darf/soll. Ich bekam grünes Licht und keine Vorgaben.

Herausgekommen ist ein Vortrag mit dem Titel „How to modernise a 12 years old web application – and the whole company“. Im Kern ging es darum, dass man ein für die Firma essentielles Softwareprodukt nicht modernisieren kann, ohne die Organisation drumherum und die Arbeitsweisen neu zu strukturieren.

Zu Beginn ist mir ein peinlicher technischer Fehler passiert, der für 5min Verspätung gesorgt hat und zudem habe ich noch nie einen öffentlichen Vortrag in englisch gehalten. Daher war ich ziemlich nervös. Mir wurde aber hinterher versichert, dass davon nichts zu spüren war und ich souverän rüberkam. Ich möchte mich hier nochmal ganz herzlich bei Alexander M. Turek für seine spontane technische Hilfe danken.

Endlich eine Stunde am Strand – nach dem Ende der Veranstaltung

Nach meinem Vortrag und dem Ende der Unconference hat die Zeit noch gereicht, um mit Freunden eine gute Stunde das Strandleben zu genießen, bevor wir später in einem hervorragenden Tapas-Restaurant in der Altstadt ein gemeinsames Abendessen zum Abschied genossen.

Abschiedsessen im La Taperia

An alle, die ich hier nicht explizit erwähnt habe:
Ich habe jedes einzene Gespräch genossen und mich während der ganzen vier Tage keine Minute gelangweilt. Es gab unheimlich viele, gute Anregungen. Und selbst wenn ich Themen bereits kannte, konnte ich mich doch bestätigt fühlen, dass wir diese Dinge bei uns in der Firma bereits erfolgreich einsetzen.