tiny little gizmos

Entwicklungsstadien von Virtual Communities

Ich bin kein Freund von geschlossenen Communitysystemen. StudiVZ hat mich von Anfang an abgeschreckt. Das Vorbild Facebook nervt mich aber mindestens genauso. Ich habe auch damals mit dem Cycosmos wenig anfangen können. Mich stören vor allem zwei Dinge:

  • Die explizite und implizite Profilierung der Nutzer, die Grundlage des Geschäftsmodells ist.
  • Leute, die überwiegend innerhalb dieser Walled Gardens kommunizieren sind kaum noch zu erreichen, wenn man nicht selber Mitglied ist.

Als ich darübe ein wenig nachdachte, fiel mir auf, daß wir mittlerweile auf der 4. Evolutionsstufe der Virtual Communities angelangt sind – und daß es sicherlich eine weitere Entwicklung geben wird. Von daher habe ich Hoffnung, daß doch noch alles gut wird. ;-)
Die Frage ist nun, wie die nächste Evolutionsstufe aussehen kann. Im Fokus meiner Betrachtung stehen hier übrigens ’normale‘ private Nutzer und nicht Organisationen, die über viele Ressourcen verfügen. Daher ist das Internet in dieser Betrachtung auch erst ab Mitte der 90er Jahre von Interesse.

Stufe 0: Direkter Informationsaustausch (seit Ende der 70er Jahre)

Besitzer der ersten Heimcomputer wollten einen schnellen und einfachen Austausch von Informationen und Daten zwischen Computern an räumlich entfernten Orten. Sie nutzten dazu die Datenfernübertragung per Modem über das Telefonnetz.
Positiv:
Effizienter Austausch zwischen zwei Systemen.
Negativ:
Da per Telefon immer nur eine 1:1 Verbindung zustande kommen kann, wird es schwierig, wenn sich mehrere Menschen austauschen wollen. Es ist einfach nicht praktikabel, alle Kommunikationspartner nacheinander zu verbinden.

Stufe 1: Geschlossene Gruppen (80er Jahre)

Um diesen Nachteil auszugleichen, entstanden geschlossene Systeme mit einem zentralen Hub. Die möglichen Kommunikationswege werden dadurch erheblich vereinfacht. Jeder Kommunikationspartner stellt nur noch eine Verbindung zu dem Zentralsystem her, die er im Anschluss an den Datenaustausch wieder abbricht. Die Verteilung der Information unter den verschiedenen Teilnehmern übernimmt das Zentralsystem. Es gab viele unterschiedliche Arten dieser Systeme; staatliche (BTX, Minitel, Prestel), kommerzielle (Compuserve, AOL) und enorm viele private Mailboxen.
Positiv:
Eine einfache Kommunikation zwischen allen Teilnehmern, die an dem Zentralsystem angemeldet sind
Negativ:
Es war keine Kommunikation zwischen den Teilnehmern unterschiedlicher Systeme möglich. Ein BTX-Nutzer konnte z.B. keine Nachricht an einen Nutzer von Compuserve oder einer privaten Mailbox schicken.

Stufe 2: Vernetzte Gruppen (ca. 1985-1995)

Um den automatisch Austausch von Informationen unter den verschiedenen Mailboxen zu ermöglichen, wurden spezielle Protokolle und Vorgehensweisen entwickelt. Das größte und bekannteste so entstandene Netzwerk war das sogenannte FidoNet das in seinen besten Zeiten aus über 35.000 Mailboxen auf der ganzen Welt bestand.
Positiv:
Kommunikation über Länder- und Systemgrenzen hinweg war nunmehr relativ einfach möglich.
Negativ:
Es gab nur eine beschränkte Anzahl von Diensten, man arbeitete im Prinzip noch immer die meiste Zeit offline und die komplette Kommunikation verlief ausschließlich textbasiert.

Stufe 3: Internet – die völlige Offenheit (seit ca. 1995)

Mit der prinzipiellen Verfügbarkeit des Internet verlor das Fidonet schnell an Bedeutung. An die Stelle der überschaubaren Mailbox trat nun ein recht anonymer Zugangsprovider. Im Internet hat jeder Zugriff auf alle frei verfügbaren Ressourcen.
Positiv:
Sofortiger Zugriff auf alle verfügbaren Dienste. Grafische Benutzeroberflächen, wie das WWW, Multimediainhalte usw.
Negativ:
Kein Stallgeruch mehr. Viele Mailboxuser fühlten sich im fast grenzenlosen Cyberspace etwas verloren. Es kann auch von Nachteil sein, für jeden erreichbar zu sein (Spam).

Stufe 4: Geschlossene Communities im offenen Internet (seit ca. 2002)

Geschlossene Communities gab es zwar schon seit Mitte der 90er Jahre, aber einen richtigen Boom gab es erst nach 2002 mit Myspace und Facebook und Businesscommunities wie Xing und LinkedIn.
Positiv:
Man findet schneller gleichgesinnte oder interessante Leute.
Negativ:
Es sind wieder geschlossene Systeme, die keinen echten Austausch mit Usern in anderen Communities ermöglichen.

Der nächste Schritt: Offene Communities (ab 2009?)

Der nächste logische Schritt besteht m.E. eigentlich in einer Vernetzung kleiner und mittlerer Communities. Das wird den Investoren von Myspace, Facebook, StudiVZ und anderen zwar nicht schmecken, aber ich gehe davon aus, daß diese Entwicklung kommt – mit oder ohne sie. Die ersten Anzeichen, wie OpenID und OAuth existieren ja bereits. Im Gegensatz zum völlig offenen Internet wird hier allerdings die Frage der Zugriffsrechte zentral werden. Welchen Teil meiner Daten zeige ich nur meinen Freunden, welchen Teil speziellen Gruppen und was ist öffentlich? Die Kontrolle darüber muß auf jeden Fall in den Händen der Nutzer liegen.
Positiv:
Man bleibt so im Regelfall „unter sich“, ist aber trotzdem global erreichbar. Man behält die Kontrolle über die eigene Erreichbarkeit.
Negativ:
Tja?

Fragen…

Sollte dazu möglicherweise die Idee der Mailbox als „Heimatsystem“ eine Renaissance erleben? Die eigene „Kuschelecke“ im kalten Netz? Sollte man dazu Standardsoftware schaffen, damit jeder einfach ein solches System für seine kleine Interessengruppe gründen kann? So eine Art „WordPress“ für Communities?