Konzert Viagra Boys
Am Abend des achten Mai spielten die Viagra Boys in der Columbiahalle in Berlin. Es war das einzige Konzert auf ihrer “infinite anxiety tour” in Deutschland und es war restlos ausverkauft.

Ich hatte schon seit längerem darauf gehofft, die Band aus Stockholm mal live zu sehen. Dieser heftige Genremix aus Punk, Metal mit Spuren von Jazz, gepaart mit krassen Texten und der selbstironische Performance ließ mich auf ein sehr unterhaltsames Konzert hoffen. Und das war es auch.
Kurz zusammengefasst
Mit der Entscheidung, lieber meine Doc Martens zu tragen, lag ich goldrichtig. Der Laden war packevoll, die Band gab Vollgas. Alle tanzten Pogo und ständig wurden Leute beim Crowdsurfing über die Zuschauermenge getragen. Ich roch links nach Bier, weil eine Bierdusche nach der anderen kam und rechts roch ich nach der Hautcreme einer fremden Frau, was passieren kann, wenn man ein halbes Konzert lang unfreiwillig aneinander klebt…
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass es echt voll und eng war? Zwischendurch musste ich meine Freundin aus der Menge rausziehen, weil sie völlig eingeklemmt war.
Okay, klingt irgendwie nach einem gelungenen Punkkonzert.
Erfreulicherweise überhaupt nicht Punk war die Pünktlichkeit der Veranstaltung. Um genau 20:00 fing die Vorgruppe an, spielte genau eine halbe Stunde. Nach weiteren 30 Minuten startete der Hauptact und dauerte eineinhalb Stunden.

Volldampf ab Acht!
Die Stimmung war vom ersten Song an exzellent. Und damit meine ich die Vorband, deren Namen ich leider nicht mitbekommen habe, nur dass sie ebenfalls aus Stockholm kamen. Sie haben kräftig eingeheizt, der schwarze Sänger tobte bald mit freiem Oberkörper über die Bühne und bot einen erfreulichen Anblick für die Damen und vermutlich auch für einige Herren. Das Publikum tobte mit. Bereits nach zwei Songs bildete sich eine Pogo-Area vor der Bühne. Super Auftakt!
Und so ging es nach der erfreulich kurzen Umbaupause weiter. Die Viagra Boys starteten mit “Man made of meat” und das Publikum sang sofort mit und es ging schnell so richtig zur Sache. Überall Pogo und Crowdsurfing, Bierbecher flogen herum. Einer traf Sänger Sebastian Murphy am Kopf. Der machte seinem Ruf alle Ehre, indem er sich höflich dafür bedankte “I really appreciate that”.

Überhaupt – Haltung. Das unterhaltsame an der Band ist ja die völlige Abwesenheit jeglichen Schamgefühls bei gleichzeitig doppelbödiger Themensetzung der Texte. Schon rein optisch sind die Jungs Hingucker – wenn auch in zweifelhafter Art und Weise. Sowohl Sänger Sebastian Murphy (wie immer mit Porno-Sonnenbrille), als auch Bassist Henrik Höckert zeigten mit nacktem Oberkörper, wieviel Tattoos sich auf einem durch ordentlichen Biergenuss gezeichneten Körper unterbringen lassen. Als Kontrast dazu trug der schlanke Saxofonist extrem knappe 70er Jahre Turnhosen im Hot-Pants Stil.
Das vollkommen proletenhaftes Auftreten, kontastiert aber mit Texten die gesellschaftskritische Reflexion zeigt. Die Musik selbst zeigt sich ähnlich widersprüchlich. Einerseits Punk und Partysound mit heftig pumpenden Bässen und verzerrten Gitarren, aber auch interessante Akzente mit Syntesizer, Saxofon, Querflöte und Congas.
Murphy zeigte, dass er sich über Ort und Zeit des Auftritts Gedanken gemacht hat, indem er zwischdurch sagte, dass der Tag ein sehr besonderer für Deutschland und ganz Europa sei – der 80. Jahrestag der Kapitulation des 3. Reichs.

Und dann wieder dieses Augenzwinkern, indem man nach einem Song mit dem (etwas irreführenden) Titel “Sports” das Konzert mit “Research Chemicals” – einem viertelstündigen akustischen Drogentrip – beendet um sich dann in bester Theaterbühnenmanier vor dem Publikum zu verbeugen und unter den Klängen von Joe Cockers “up where we belong” von der Bühne zu gehen.
Ja, war gut. :-D