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Der Kapitalismus – ein Auslaufmodell?

Hinweis: Ich habe diesen Text bereits im November 2019 geschrieben, ihn dann aber nicht veröffentlicht, weil ich dachte, dass das für viele vielleicht zu versponnen klingt. Aufgrund der Corona-Krise und der noch nicht absehbaren Folgen möchte ich ihn Euch aber nicht vorenthalten. Los geht’s…

Doch doch, der Titel ist ernstgemeint. Das soll keine linke Propaganda sein, sondern eine Einladung zum Philosphieren. Es gibt nämlich einige Entwicklungen, die mir zu denken gegeben haben und das möchte ich teilen und vielleicht sogar diskutieren. Die naheliegende Frage „Und was soll danach kommen?“ möchte ich erst mal platt mit „etwas Anderes – und nicht notwendigerweise Besseres“ zur Seite schieben. Der Text wird auch so schon recht lang.

Bloß, weil sich zur Zeit niemand das Ende des Kapitalismus vorstellen kann, heißt das nicht, dass es nicht passiert.

Der Blick zum Anfang

Jahrhundertelang kannte man nur das System des Feudalismus. Niemand konnte sich damals vorstellen, dass dieser scheinbar „gottgegebene“ Zustand jemals ändern würde. Und dennoch ist es passiert. Es war ein langer, schleichender Prozess, weshalb er den Menschen lange nicht auffiel. Grundlagen der kommenden neuen Ordnung wurden eingeführt, ohne die bestehende Ordnung zunächst in Frage zu stellen. Es waren neue Erfindungen wie das Bankwesen, Buchhaltung, und nicht zuletzt die Einführung von Papiergeld, dass nur noch indirekt durch Macht und Ruf des ausgebenden Staates gedeckt war. Das Münzgeld war selbst der Wert. Das Papiergeld war nur ein Versprechen. Es funktioniert nur, wenn es für alle glaubwürdig ist.

Diese Erfindungen wurden gemacht, um den zunehmenden Welthandel einfacher zu machen. Sie waren so abstrakt, dass sie lange nicht normalen Volk oder den Herrschenden verstanden wurden. An den holländischen Börsen wurden Warentermingeschäfte erfunden. Es wurden also Waren verkauft, die man noch nicht hatte, damit man Schiffe und Mannschaften finanzieren konnte, die diese Waren erst in fernen Ländern besorgen sollten. Wenn der Handel erfolgreich war hat man sehr gut verdient. Wenn aber Ladung oder sogar das ganze Schiff verloren waren, war man schnell pleite oder sogar Bankrott. Um das finanzielle Risiko zu minimieren wurden Versicherungen erfunden.

Die Grundlagen des Kapitalismus waren gelegt. Der Welthandel nahm Fahrt auf, aber zum endgültigen Durchbruch hat erst die Industrialisierung geführt. Die neuen Verfahren in Bergbau, Maschinenfabriken und insbesondere der Bau der Eisenbahn waren so teuer, dass selbst ein Konglomerat mehrerer reicher Kaufleute die Kosten nicht mehr finanzieren konnte. Also hat man Aktiengesellschaften gegründet um das notwendige Kapital an den Börsen einzusammeln.

Der Rest ist Geschichte: Die Industrialisierung fegte wie ein Tsunami über die Länder und Gesellschaften. Alles wurde auf auf den Kopf gestellt. Landwirtschaft und Handwerk verloren massiv an Bedeutung. Landflucht, massive Verstädterung, Leben nach der Uhr, Massenproduktion, Mechanisierung. Traditionelle Lebensweisen und Werte wurden hinweggefegt, Ton, Takt und Richtung gaben die Herren an der Schnittstelle des Geldes an. Der ehemals mächtige Adel wurde nur noch so lange toleriert, solange er der Verwertungslogik nicht im Weg stand.

Die Lehre aus dem Wechsel von Feudalismus zu Kapitalismus

Der Feudalismus war eben anders als gedacht nicht gottgegeben. Er war statisch und konnte die massiv geänderten Anforderungen durch explosives Wachstum nicht befriedigen. Daher wurde er zunächst unterwandert und dann von dem neuen dynamischen System abgelöst.

Das alte Werkzeug Feudalismus wurde durch das passende neue Werkzeug Kapitalismus abgelöst.

Gründe für einen Systemwechsel

Stehen wir nun wieder vor einem Wechsel wie Ende des 18. Jahrhunderts?

Ich glaube ja. Aber nicht, aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, wie es viele Linke meinen. Der Kapitalismus hat trotz aller Probleme mit seinem extremen Wachstum dazu geführt, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts so viele Menschen, wie noch nie zuvor in relativem Wohlstand leben. Der Kapitalismus ist ein sehr effizientes Werkzeug um Wachstum zu generieren.

Und genau deshalb ist er jetzt nicht mehr das richtige Werkzeug. Das drängendste Problem ist nicht mehr die Frage, wie Wachstum zu generieren ist, sondern wie unsere Umwelt vor dem totalen Kollaps zu bewahren ist.

Bereits als Jugendlicher in den 80er Jahren fiel mir der Widerspruch zwischen unserem umweltzerstörenden Lebensstil auf, den wir ändern müssten und dem Zwang zum Wirtschaftswachtum, der uns zu immer mehr Konsum führte. Damals hatten wir eine stagnierende Wirtschaft und sehr hohe Zuwächse bei den Arbeitslosenzahlen. Bei weniger als zwei Prozent Wachstum stiegen die Arbeitslosenzahlen weiter an.

Damals habe ich mir gedacht: Wenn 0% Wachstum nicht Stillstand, sondern Schrumpfen bedeutet gibt es nur zwei Möglichkeiten:

  • Entweder wir berechnen das Wirtschaftswachstum falsch, oder
  • Das System ist langfristig zum Scheitern verurteilt. Ein unendliches Wachstum auf einer endlichen Welt ist nicht möglich.

Jetzt 35 Jahre später bin ich mir vollkommen sicher, dass die zweite Option stimmt. Und ich denke, dass wir nicht nur bereits im Klimawandel stecken, sondern ebenso bereits im Systemwandel vom Kapitalismus zu etwas anderem – was auch immer das sein wird. Die Anzeichen sind bereits da.

Anzeichen für einen Systemwechsel

Da unser derzeitiges System auf dem Wachstumszwang beruht, wird alles dafür getan, dieses Wachstum zu generieren. Bereits in den 70er und 80er Jahren kam der Kapitalismus an seine Grenzen. In Europa und den USA stagnierte die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit stieg massiv an. Der Begriff „Die Grenzen des Wachstums“ war in aller Munde. Bereits hier hätte ein Umlenken einsetzen können, aber es passierten zwei Dinge, die für weiteres Wachstum sorgten und den Kapitalismus weitere 30 Jahre am Laufen hielten: Der Zusammenbruch des Kommunismus und der Aufstieg der Schwellenländer sorgte mit den Mitteln der Globalisierung sowohl für riesige neue Märkte und Nachfrage, als auch für neue, billige Produzenten.

Zwar haben diese weiteren 30 Jahre dafür gesorgt, dass sich sehr viele Menschen aus absoluter Armut befreien konnten, aber der Natur hat dieses zusätzliche Wirtschaftswachstum vermutlich den Rest gegeben. Zumal die Fortschritte im Wohlstand durch extrem starkes Bevölkerungswachstum wieder zunichte gemacht wurden.

Nun steht die globale Wirtschaft wiederum an einem Punkt, an dem weiteres Wachstum nicht möglich ist. Einerseits, weil nur noch Afrika als verbliebener Wachstumskandidat in Frage kommt und wichtiger – weil die Umwelt weiteres wirtschaftliches Wachstum mit dem sofortigen Zusammenbruch des globalen Ökosystems quittieren würde.

Externes Anzeichen: Es kein weiteres Wachstum möglich.

Ähnlich wie zum Ende des Feudalismus gibt es aber nicht nur den externen Treiber, sondern auch längerfristige Veränderungen im System, die bereits vorhanden sind, aber ihre disruptive Kraft noch nicht ausgespielt haben:

Viele wichtige Systeminterne Anzeichen

Entmaterialisierung von Wirtschaftsleistung

Bereits in den 50er und 60er Jahren verlagerte sich die Wertschöpfung von der Schwer- auf die Leichtindustrie. Die hergestellten Waren wurden kleiner, leichter und hochwertiger. Dafür steigt die Komplexität in Entwicklung, Produktion und Logistik. Mit zunehmender Marktsättigung werden vor- und nachgelagerte Prozesse (Marktforschung, Entwicklung, Marketing, Finanzierung) immer wichtiger. Ein immer größerer Anteil der Wirtschaft besteht aus eigentlich unwichtigen Tätigkeiten. Ein immer größerer Anteil des Kapitalvermögens besteht aus Luftbuchungen, wie dem sogenannten „geistigen Eigentum“. Firmen, die nichts herstellen und keinerlei echtes Anlagevermögen besitzen werden an der Börse höher gehandelt, als etablierte Industriekonzerne. Die eigentliche Produktion von Dingen – also die eigentliche Wertschöpfung – hat einen immer kleineren Anteil an der Gesamtwirtschaft. Das ist der Grund, weshalb diese vermeintlich unwichtigeren und unangenehmen Tätigkeiten in die vormals dritte Welt ausgelagert wurde.

Zunehmende Nullrenditen

Seit den frühen 2000er Jahren sind am Kapitalmarkt kaum noch nennenswerte Renditen zu erwirtschaften. Es steckt zu viel Geld im Wirtschaftskreislauf, das nicht mehr sinnvoll für „echte Dinge“ angelegt werden kann. Der Zins fällt auf 0 oder sogar darunter. Es scheint sich jedoch nicht um eine vorübergehende Marktkorrektur zu handeln, sondern um den neuen Normalzustand. Kapital weiß nicht mehr wohin, was zu Immobilienblasen führt oder zu verzweifelten Versuchen über Startups ständig neuen Unsinn erfinden und in den Markt drücken zu können. Immer neue „Blasen“ entstehen in immer kürzeren Abständen.

Anteil der Arbeitseinkommen sinkt

Nicht nur die physische Produktion ist auf dem Rückzug, sondern die Arbeit an sich. Ein immer geringerer Anteil der Volkseinkommens wird durch eigene Arbeitskraft erbracht. Wer seinen Lebensunterhalt mit sinnvoller Arbeit erwirtschaften muss, gehört zu den Verlierern.

Die Abschaffung von Geld

Bereits der Übergang von Münzgeld zu Papier- und Buchgeld zu Beginn des Kapitalismus hat die Frage aufgeworfen, ob Papierschnipsel überhaupt Geld sein könnten, da sie selbst ja keinerlei echten materiellen Wert hatten. Für den Wert der Paiperschnipsel „haftet“ die Zentralbank. Das funktioniert, so lange alle an das Versprechen glauben. Falls nicht, gibt es inoffizielle Zweitwährungen oder gleich einen Währungscrash.

Nun steht die weltweite Abschaffung von Bargeld an. Das neue „Geld“ steht nur noch in den Computersystemen der Banken. Es ist der direkten Kontrolle des Eigentümers entzogen und somit kein richtiges Geld mehr. Weder Käufer noch Kunde haben das Geld in der Hand. Das Geld hat die Bank und gewährt dem Kontoinhaber „Credits“. Der Zugang kann dem Kontoinhaber erschwert oder verwehrt werden. Transaktionen stehen latent unter Genehmigungsvorbehalt. Wer das nicht glaubt, aknn gerne mal versuchen so etwas alltägliches wie eine neues Auto von seinem Bankkonto zu bezahlen.
Anonyme Transaktionen sind nicht mehr möglich. Eine Enteignung oder ein Einfrieren von Guthaben, z.B. durch Behörden ist jederzeit möglich.

Totalüberwachung

Etablierung alternativer Systeme zur Ressourcenkontrolle

Im gegenwärtigen System bekommt in der Regel derjenige Kontrolle über materielle Ressourcen, der über das nötige Kapital verfügt. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft andere Mechanismen etabliert werden. Man wird dann zwar noch bezahlen müssen, aber bekommt ggf. nicht mehr die gewünschte Menge oder wird anderweitig sanktioniert. Erste Anzeichen: Die zunehmende Totalkontrolle der Bürger, aber auch handelbare, aber zugeteilte Verschmutzungszertifikate für die Industrie. Falls sich dieser Mechanismus etabliert, ist er leicht auf alle nicht vermehrbaren Ressourcen wie Grund und Boden anwendbar.

Eine frühe Sonderform der Kontrolle über Ressourcen stellte die Ein-Kind-Ehe in China dar. Ein Kind war erwünscht, weitere Kinder wurden staatlich sanktioniert. China ist ohnehin der (oft zweifelhafte) Vorreiter bei der Einführung neuer Kontroll und Sanktionssysteme. Es war auch das erste Land, das ein offizielles, staatliches Social Scoring eingeführt hat, das bei unerwünschtem Verhalten zu eingeschränktem Zugriff auf Ressourcen führt. Interessant daran ist, dass es ein System für die Bürger und ein ähnliches System für Firmen gibt.

Einzeln betrachtet mögen diese Anzeichen nicht viel bedeuten, aber in Kombination haben sie in meinen Augen das Potential, das Rückgrat des Kapitalismus zu brechen.

Nur führt das leider eben nicht zwangsläufig zu einer besseren oder gerechteren Welt. Eher im Gegenteil. Denn eines ist im Feudalismus, im Kapitalismus und im Post-Kapitalismus gleich: Die Macht hat derjenige, der die Ressourcen kontrolliert.

Nachtrag: Den Artikel wollte ich seit zwei Jahren schreiben und habe es im November 2019 getan. Damals hätten mir die meisten Leser vermutlich den Vogel gezeigt.
In der Corona Krise wurde aber den Bürgern schlagartig klar, wie schnell die scheinbar sicheren Bürgerrechte ausgehebelt werden können. Wie schnell die scheinbar robuste und starke Wirtschaft zusammenbrechen kann. Es wurde klar, wer überhaupt die wirklich wichtige Arbeit macht, die das Land am Laufen hält.
Und deshalb blühen jetzt die Utopien für eine grüne und gerechte Welt, die mir einfach zu zuckersüß klingen, als dass ich sie glauben kann.
Daher war es mir wichtig diese Gedanken doch noch zu veröffentlichen.

Unterhaltung zwischen Wissenschaft und Wahnsinn

Vor einiger Zeit habe ich mir ein sehr unterhaltsames Buch gekauft:
„how to – Wie man’s hinkriegt“ von Randall Munroe, dem Cartoonisten von xkcd. Genau wie in seinen Cartoons wandelt er in dem Buch gekonnt unterhaltsam zwischen Wissenschaft und Wahnsinn.

Munroe ist Mathematiker, Physiker und hat als Robotik Ingenieur für die NASA gearbeitet. Sein Humor besteht hauptsächlich darin, scheinbar banale Alltagsfragen als Ausgangspunkt für völlig abseitige wissenschaftliche Erklärungen zu nutzen. Das Ganze wird von simplen Strichmännchen Zeichnungen illustriert. Genau so funktioniert auch das Buch.

Als Beispiel sei Kapitel 7 genannt: „Wie man’s hinkriegt, einen Umzug zu stemmen.“ Das Kapitel beginnt recht harmlos mit Überlegungen zur Menge von Umzugskisten und wie sie am Besten zu transportieren sind. Von Seite zu Seite werden die Überlegungen aber immer abstruser. Schnell ist man an dem Punkt, keine Kisten zu packen, sondern gleich das ganze Haus mitzunehmen. Ein durchschnittliches (US Amerikanisches) Haus schätzt er möbliert auf ca. 70t Gesamtgewicht. LKW Transport wird schnell verworfen. Besser wäre es, das Gebäude durch die Luft zu transportieren. Hubschrauber sind zu schwach und Flugzeuge zu klein dafür. Aber man könnte die Triebwerke einer Boeing 787 direkt an das Haus montieren (Ahh-ja…).
Die Triebwerke liefern 30t Schub und wiegen 5,8t. Für den Transport eines kleinen Hauses genügt das. Nach einer kleinen Abhandlung über die Funktionsweise moderner Flugzeugtriebwerke wird noch der Frage nachgegangen, wie lange das Haus fliegen könnte. Die Zeit wird begrenzt durch den Kerosinverbrauch und die Frage, wie viel Kerosin man mitnehmen kann, ohne das maximale Startgewicht zu überschreiten. Die maximale Flugzeit des Hauses beträgt weniger als 1,5 h.

DAS wollte man doch schon immer mal für den nächsten Umzug wissen, oder? ;-)

Atombomben als Flaschenöffner

Noch etwas abseitiger ist Kapitel 2 „Wie man’s hinkriegt, eine Poolparty zu schmeißen“, in der es darum geht, wie man einen Pool im Garten bauen und mit Wasser befüllen kann. Der Gipfel des gekonnten Blödsinns ist mit dem Vorschlag erreicht, den Pool mittels Mineralwasserflaschen zu füllen. Natürlich braucht man sehr viele (ca. 150.000) und eine Methode, die Flaschen möglichst schnell zu öffnen und zu entleeren. Mit einem Schwerthieb könnte man ca. 24 Flaschen gleichzeitig öffnen (angeblich gibt es dazu Videos auf Youtube). Für mich einer der Höhepunkte des Buches ist der folgende Abschnitt, den ich einfach mal zitiere:

„Bevor wir das Thema Waffen hinter uns lassen und zu einer praktikableren Lösung übergehen, sollten wir noch für einen Moment die größte und unpraktischste Option in Erwägung ziehen – das Flaschenöffnen mithilfe von Nuklearwaffen.
Das ist ein ganz und gar lächerlicher Vorschlag, und so verwundert es nicht, dass er im Kalten Krieg von der US Regierung untersucht worden ist. Anfang 1955 kaufte eine Regierungsbehörde […] Bier, Limonade und Selterswasser in lokalen Geschäften ein und testete dann Nuklearwaffen an ihnen. […]
Mit dem Test wollte man herausfinden, wie gut die Behältnisse überlebten und ob der Inhalt kontaminiert war.“

Ihr seht, wie in etwa der Humor von Munroe funktioniert. Schön sind auch die Abschnitte, in denen er Fachleute in Bestimmten Disziplinen um Rat fragt. Wozu er die Tennisspielerin Serena Williams gefragt hat lasse ich mal als Cliffhanger offen.

Schön ist Kapitel 5 „Wie man’s hinkriegt, eine Notlandung zu meistern“, in dem er viele Fragen nach auf den ersten Blick wirklich absurden Szenarien an den Testpiloten und Astronauten Oberst Chris Hadfield stellt. Zitat:

„Eigentlich hatte ich mehr oder weniger erwartet, dass er nach der zweiten oder dritten Frage auflegen würde, doch zu meiner Überraschung beantwortete er alle Fragen, ohne dass ich irgend ein Zögern ausmachen konnte. (Im Nachhinein denke ich, dass mein Plan, einen Astronauten zu verwirren, indem man ihm mit Extremsituationen kommt, wohlmöglich unausgereift war.)“

Mehr wird nicht gespoilert. Wer bis hier vergnügt mitgelesen hat, für den ist dieses Buch eine echte Empfehlung.

Homeoffice endlich entmystifiziert

Was in den letzten Jahren (oder Jahrzehnten?) von vielen Angestellten dringend gewünscht aber von den meisten Firmen ignoriert oder sogar blockiert wurde, ging plötzlich ganz schnell, als Corona akut wurde: Homeoffice.

Immer mehr Büroangestellte wünschten sich die Möglichkeit zu Homeoffice. Aber selbst Firmen, in denen das eigentlich recht einfach umsetzbar gewesen wäre, sperrten sich häufig dagegen. Die Gründe zur ausgeprägten Präsenzkultur sind vor allem unflexible Organisation und Misstrauen gegenüber den Angestellten.

Das hat auf beiden Seiten zu einer gewissen Mystifizierung geführt:
Viele Firmen sahen in Homeoffice eher eine dunkle Bedrohung.
Vielen Angestellten erschien darin eine Verheißung zu höherer Lebensqualität.

Beide Extreme haben bei mir nur Stirnrunzeln hervorgerufen, weil ich bereits seit 2006 Erfahrung mit Homeoffice habe. Diese Erfahrungen haben jetzt in Deutschland hunderttausende Angestellte und deren Firmen im Expresstempo nachgeholt. Gut so, dann das entmystifiziert das Thema endlich.

Stufe 1 der Entmystifizierung: Homeoffice ist bedrohlich / befreiend

Alle Beteiligten haben viel gelernt. Die Firmen haben gelernt:

  • Homeoffice ist möglich und schnell einsetzbar.
  • Die Organisation kann (und muss) durch Homeoffice effizienter werden.
  • Videokonferenzen sind besser als Telefonkonferenzen und können Präsenzmeetings häufig ersetzen.
  • Angestellten erledigen die Arbeit auch dann, wenn nicht alle 10min der Chef zur Tür reinkommt.
  • Zur Zeit wird sehr viel Miete für ungenutzte Bürofläche gezahlt, obwohl die Arbeit weiterhin erledigt wird.

Die Angestellten haben gelernt:

  • Für Homeoffice braucht man verlässliches Internet und einen geeigneten Arbeitsplatz. Der Laptop auf dem Küchentisch genügt nicht.
  • Homeoffice und gleichzeitig Kinder betreuen, ist sehr anstrengend.
  • Mal einige Tage zu Hause zu sein ist nett. Immer zu Hause zu arbeiten nervt aber.
  • Auf die Dauer fehlen einem die Sozialkontakte zu den Kollegen (jedenfalls, wenn man ein nettes Team hat)

Stufe 2 der Entmystifizierung: Homeoffice ist gut für die Umwelt – oder?

Zeit für Stufe 2 der Entmystifizierung: Viele Befürworter propagieren, dass durch Homeoffice unnötige Pendelei entfällt und es deshalb aus Umweltschutzgründen positiv ist.

Das stimmt natürlich zunächst – zumindest in einer Phase, in der Homeoffice noch etwas neu und ungewohnt für die Angestellten ist. Ob das langfristig auch noch zutrifft, ist aber nicht so klar.
Ich möchte meine Skepsis begründen. Zunächst der Blick zurück.

Unter Stadtplanern gab es bereits Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre – also lange bevor das Internet für die Allgemeinheit zugänglich war – eine Diskussion darüber, wie der damals noch neue Einsatz von Computern und deren beginnende Vernetzung die Ansprüche an Raumnutzung, Verkehr und Energie verändern würde. Dabei wurden die heute sichtbaren Hauptfelder bereits richtig erkannt:

  • Onlinebanking ersetzt Bankfilialen
  • E-Commerce ersetzt Läden
  • Stark verändertes Kommunikationsverhalten durch neue Dienste wie Email und Videokonferenzen
  • Akten, Schriftverkehr und Transaktionen werden elektronisch verarbeitet und gespeichert. Ohne Papier sind sie nicht mehr ortsgebunden
  • Dadurch auch immer mehr Telearbeit

Aus damaliger Sicht erschien es logisch, dass die bevorstehende Welle der Entmaterialisierung die räumlichen Strukturen auflösen würde. Die überfüllten und teuren Innenstädte werden überflüssig und die Menschen ziehen sich in kleinere, überschaubare und naturnahe Orte zurück, zahlen weniger für das Wohnen. Städte werden aufgrund der abnehmenden Attraktivität und Funktion tendenziell leerer und gibt weniger Grund für Verkehr.

Die Menschen und der Rebound-Effekt

30 Jahre später wissen wir, dass genau das Gegenteil geschehen ist. Der Run auf die Metropolen hat erst recht eingesetzt. Die Zentralisierung und Verdichtung hat ständig zugenommen. Weite Landstriche haben so viel Abwanderung, dass dort die Grundversorgung nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Der Verkehr ist explodiert.

Die damals vollkommen logisch erscheinenden Prognosen erwiesen sich also als völlig falsch. Daher meine Skepsis.

Meine Prognose

Nun, da die Angst bei vielen Firmen vor dieser „neuen“ (Neu wie Neuland) Arbeitsweise schwindet und die Einsparpotentiale sichtbar werden, wird die Telearbeit vermutlich stark zunehmen – evtl. auch gegen den Willen der Mitarbeiter.

In meinem Bekanntenkreis habe ich nun folgende Erfahrung gemacht: Diejenigen, die bereits seit längerem ständig remote arbeiten, haben erkannt, dass das nicht unbedingt zu Hause in Berlin oder Bielefeld sein muss. Wenn man schon woanders sein kann, warum dann nicht auf Gran Canaria, am Schwarzen Meer oder in Thailand?

Das klingt zwar verlockend, führt aber zu einem CO2 intensiven Reiseverhalten. Und das gilt nicht nur für Solo Freelancer.

Ich habe 2010 das erste Mal eine Firma besucht, die in ihrem Office in San Francisco fast keine Angestellten mehr hatte: Automattic – die Firma hinter WordPress. Die Mitarbeiter, Entwickler, Grafiker und sonstige Angestellen lebten rund um den Globus verstreut. Matt Mullenweg erklärte, dass er die besten Leute bekommen will und die möchten nun mal nicht alle im Silicon Valley leben. Um den Mitarbeitern dennoch ein Gemeinschaftsgefühl zu ermöglichen, gibt es regelmäßig Events in allen Erdteilen, auf denen sie sich treffen.

Zwar sparen sich die Mitarbeiter so den normalen Arbeitsweg, benötigen zunächst weniger Energie und erzeugen weniger Emissionen. Durch die Teilnahme an den Events werden diese Effekte jedoch überkompensiert.

Ein langfristig positiver Umwelteffekt tritt also möglicherweise auch nicht auf.

Sogenannter „Qualitätsjournalismus“ im Tagesspiegel

Von jemandem, der sich Journalist nennt, erwarte ich ein paar Dinge. Am wichtigsten sind mir, dass er/sie zwischen Bericht und Kommentar unterscheiden kann. Ein Bericht hat möglichst neutral die Situation zu beschreiben und die Einordnung und Wertung kommt dann bitte in den Kommentar. So hat man das ja auch schon in der Schule gelernt (hoffe ich). Zudem erwarte ich zumindest etwas Gespür für Sprache.

Stattdessen bekommt immer häufiger nur noch platte Meinungen, schlecht recherchierte Inhalte, sprachliche Schlampereien und irreführende Überschriften. Am „liebsten“ sind mit die Belehrungen darüber, was man nicht mehr sagen und schreiben darf. Eine Zeitlang war auf Zeit alle paar Tage ein neuer Artikel zu lesen, dessen Titel mit „Hort endlich auf …“ begann. In der Regel konnte man das Geschreibsel unter „mimimi…“ zusammenfassen.

Es hängt mir so zum Hals raus.

Das Problem dabei ist, dass dieser minderwertige Mist nicht mehr nur im lokalen Käseblatt steht, sondern in Publikationen, die ich früher mal als seriös angesehen habe (Spiegel, Zeit,…). Ich werde mich jetzt mal in lockerer Folge über solche Machwerke berichten.

Aktueller „Qualitätsjournalismus“ vom Tagesspiegel:

Dort schreibt Stefan Jacobs, wie seiner Meinung nach Polizeimeldungen
Autounfälle verharmlosen. Dabei stört er sich an gebräuchlichen Standardformulierungen wie „… konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen“.

Für Jacobs ist diese Formulierung verharmlosend. In den genannten Beispielen wurden Fußgänger angefahren. Das ist zweifellos tragisch, aber was bitte ist an der Formulierung falsch?

Der Fahrer konnte nicht mehr bremsen. Ist doch logisch. Hätte er es noch gekonnt, wäre kein Unfall passiert. Neutraler kann man den Sachverhalt doch nicht darstellen. Wohlgemerkt – es geht hier um Polizeiberichte!

Weiter stört er sich daran, dass bei einem anderen Unfall der Fahrer bei
der Ausfahrt einen Fußgänger angefahren hat, dass der Fußgänger „übersehen“ wurde.

Wieder die Frage: Was ist falsch an dem Wort? Ich möchte doch schwer hoffen, dass der Fußgänger nicht angefahren wurde, obwohl er wahrgenommen wurde.

Jacobs versteigt sich hier zu der Formulierung „Übersehen“ meint eigentlich „missachten“.

Spätestens hier zeigt er, dass er entweder kein Sprachgefühl, mangelhaftes Verständnis für Inhalte oder schlicht eine Agenda hat. Darauf komme ich gleich zurück.

Was er schreibt ist inhaltlich natürlich Quatsch. Zwischen Übersehen und missachten liegen Welten.
Wenn man etwas übersieht, hat man es nicht gesehen oder wahrgenommen (dazwischen liegt auch nochmal eine deutliche Unterscheidung).
Wenn man hingegen etwas missachtet, hat man es gesehen und wahrgenommen, aber z.B. die Situation falsch verstanden (Klassisch: Vorfahrtsschild nicht gesehen.

Offensichtlich hat er dazu den Polizeisprecher Cablitz gesprochen, der ihm die Formulierungen erklärt hat. Sie müssen so neutral wie möglich beschreiben, was passiert ist und dürfen auf keinen Fall bereits die mögliche Schuldfrage behandeln. Wer schon mal in einen Unfall verwickelt war, weiß auch weshalb: Die Schuldfrage wird im Anschluss juristisch geklärt.

Die Polizei macht das also genau richtig!

Das hat Jacobs entweder nicht verstanden, oder er will es nicht gelten lassen. Etwas herablassend gibt er zu, dass die „Darstellung der Polizei kein böser Wille“ sei, „sondern die gedankenlose Dokumentation der Perspektive, die Polizeibeamten mit Berufserfahrung aus dem Streifenwagen die vertrauteste ist.“

Harter Tobak. Das muss man erst mal setzen lassen.

Daraus, dass die Beamten völlig korrekt um eine größtmögliche Neutralität bemüht sind genau das Gegenteil zu machen, ist schon ein ziemlicher Stunt und in meinen Augen mindestens unseriös.

Das führt mich zurück zu der Frage, was für diesen Artikel ursächlich ist.

Mangelndes Sprachgefühl, inhaltliches Nichtverstehen oder fehlende Einsicht in die juristischen Gründe für die Formulierungen können spätestens nach dem Gespräch mit der Polizei nicht der Grund sein, weshalb dieser Artikel geschrieben wurde.

Nein, der Herr hat eine Agenda.

Er schreibt ständig zu den tödlichen Unfällen in Berlin.
Ja, es sind zu viele.
Ja, es müsste mehr gemacht werden.
Aber ich erwarte Sachlichkeit und keine Stimmungsmache. Stattdessen lese ich Überschriften wie:
„Über 80 Prozent kommen ungestraft davon – Warum Fahrerflucht in Berlin nur selten angeklagt wird „, “ Tod einer Radfahrerin in Berlin – Willkür und Symbolik statt echter Konsequenzen „, “ Abbiegender Lkw überfährt Radfahrerin – Wut und Trauer bei Mahnwache in Kreuzberg “ und “ Weihnachten ohne Constantin – Eine Mutter trauert um ihren Sohn, der vom Lkw überrollt wurde“.

Und die Artikel sind genauso, wie es die Überschriften nahelegen – emotional und parteiisch. Es wird eine „Autos und LKW raus aus der Stadt“ gefordert.

Ich finde es ehrlich gesagt widerlich, wie Tod und Leiden hier für eine politische Agenda missbraucht werden. Propaganda ist hier fehl am Platz. Niemand möchte einen anderen Menschen totfahren. Dass es hier dennoch ständig passiert hat Gründe. Die muss man nüchtern untersuchen und dann abstellen.

Kleiner Denkhinweis: Fast alle in letzter Zeit gestorbenen Radfahrer sind durch Rechtsabbieger überfahren worden. Wenn man sich die neuralgischen Kreuzungen ansieht versteht man auch schnell wie es dazu kommt: Rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge fahren links von geradeausfahrenden Radfahrern. Das ist immer eine gefährliche Situation. Es gibt zwei Lösungsmöglichkeiten, die je nach örtlicher Gegebenheit helfen können: Verschwenken der Fahrbahnen, damit die Rechtsabbieger rechts vom geradeaus fahrenden Verkehr zum Stehen kommen oder zeitlich getrennte Grünphasen für Abbieger.

Und es werden auch immer mehr Kreuzungen entsprechend umgebaut. Ja, das könnte gerne noch schneller gehen, aber es mitnichten so, dass hier nichts passieren würde. Ich würde übrigens gerne mal einen Artikel darüber lesen, an welchen Stellen die Umbauten bereits Erfolge gebracht haben.

Tempo 130? Ja macht doch endlich…

Ehrlich gesagt verstehe ich diese blöde Diskussion um Tempolimits auf Autobahnen nicht. Macht die Richtgeschwindigkeit von 130 Km/h zur Höchstgeschwindigkeit und gut ist.

Mit 130 kommt man auf einen guten Schnitt, das Auto verbraucht nicht soviel und der Verkehr fließt viel entspannter. Und es ist trotzdem nicht so schnarchlahm wie damals die unsäglichen 100 durch die DDR, wo man ständig gegen das Einschlafen kämpfen musste.

Ich habe zur Zeit ein ziemlich schnelles Auto. Einer der Gründe für den Kauf war, dass ich den Stress leid war, den man mit weniger stark motorisierten Fahrzeugen auf der Autobahn hat: Zu schnell für die rechte Spur und zu langsam für die Linke. Wenn 130 eingeführt wird, kann man endlich wieder abrüsten und entspannt vernünftige Autos fahren, wie z.B. den Toyota Hybrid oder ein Elektroauto. Das senkt dann den Verbrauch auch abseits der Autobahn.

Das ist kein modisches Gequatsche. Diese Meinung hatte ich schon lange bevor irgendjemand etwas von Tesla gehört hat und die deutschen Automanager noch schwafelten, dass sie auch in 35 Jahren noch Autos mit Benzin- und Dieselmotoren verkaufen würden. In einem Artikel vom 12 März 2007 schrieb ich in diesem Blog:

„Ich würde gerne auch in 25 Jahren noch Auto fahren können. Das wird aber vermutlich nur gehen, wenn die Autos bis dahin anders geworden sind. Ich meine WIRKLICH ANDERS!
Es geht hier nicht um 20% weniger Benzinverbrauch und Euro 9 Abgasnorm. Das ist alles Kokolores. Ich rede von Autos, die (in welcher Form auch immer) völlig mit regenerativen Energien angetrieben werden.“

Ich hab damals auch schon Probleme vorhergesagt, in die die deutsche Automobilindustrie durch ihre tranige Selbstzufriedenheit jetzt hinein schlittert.

„Wo sind die umweltschonenden Antriebe für das Jahr 2010/2011? […]
Die Zeit wird knapp. Sowas schüttelt man sich nicht aus dem Ärmel und der Markt ändert sich rasch. […]
Ich könnte mir z.B. gut vorstellen, 2011 einen Elektro-Roadster von Samsung zu fahren…“

Artikel „Passt bloss auf…“ vom 7. September 2007

Gut, ich habe mich um 10 Jahre vertan und Samsung baut keine Autos, sondern „nur“ die Akkuzellen dafür, aber dass so ein Umbruch kommen würde war absolut absehbar.

P.S.: Tempolimit ja bitte. Aber nicht so einen Schmarrn einführen, wie „intelligente situationsabhängige Tempolimits“. Die Dinger sind die Pest, weil man die Anzeigen nie nachvollziehen kann.

Ich hatte auf der A2 schon mehrfach Beinahe-Auffahrunfälle, weil jemand kurz vor einem Blitzer eine völlig unnötige Vollbremsung aus 140 Km/h gemacht hat. Man konnte förmlich die Denkblase über dem Auto sehen: „Ähhh, was stand da vorne auf dem letzten Schild???“

130 überall und jederzeit – dann weiß man stets Bescheid.

36C3 – mein Fazit

Der 36C3 ist zu Ende. Ich bin wieder in Berlin. Und zwar schon etwas länger, denn ich bin zwei Tage früher abgereist. Ausschlaggebend waren dafür zwei Gründe: gesundheitliche Beeinträchtigungen und politisches Unwohlsein meinerseits.

Ich gehe nun schon seit fast 20 Jahren hin- und wieder auf Veranstaltungen des CCC und meistens war ich begeistert oder zumindest positiv angeregt. Diesmal ging mir das politische Grundrauschen ganz gehörig auf den Senkel. Ich habe bemerkt, dass ich mit dem Eindruck nicht alleine bin und ich befürchte, dass der Club damit so langsam ein echtes Problem bekommt. Und das wäre fatal, weil ich ihn für eine wichtige Institution in Deutschland halte.

Immer noch wichtig und klasse

Aber bevor ich zu meiner Kritik komme, möchte ich sagen, dass ich die Veranstaltung eigentlich immer noch wichtig und klasse finde.

Wichtig, weil immer wieder Dinge für die breite Öffentlichkeit aufgedeckt werden, die andere gerne unter den Teppich kehren würden. In diesem Jahr zum Beispiel die Probleme mit der elektronischen Patientenakte oder die letzten Verschlimmbesserungen im elektronischen Zahlungsverkehr.

Wichtig für die Leute, die schon ein bisschen was von der Technik verstehen und sich für die neuesten Erkenntnisse zu Sicherheitsproblemen in Hardware, Software und Dienstleistungen interessieren.

Wichtig auch, weil man dort ganz entspannt mit Szenegrößen in Kontakt kommen kann.

Klasse, weil die ganze Veranstaltung im Prinzip ein einziges großes, entspanntes Happening ist. Mit bunten Lichtern, tonnenweise Nerd-Humor, schrägen Basteleien und Loungemusik.

„Berliner Ecke“ mit CCC Berlin, C-Base und X-Hain

Auch die Retro-Ecke war zu meiner Freude gut bestückt. Zwei schrankgroße DEC PDP-8 Rechner aus den frühen 70ern waren zu sehen – mit TELEX– und Videoterminals. Es wurde Datenübertragung per Modem über analoge Telefonvermittlungsanlagen gezeigt. Unter anderem war ein Mailboxsystem in Betrieb.

Nicht zuletzt gab es mehrere BTX Terminals aus den 80er Jahren zu bestaunen, die im Betrieb waren. Per Reverse Engineering und mittels noch vorhandener Originaldaten konnte der Betrieb gezeigt werden, obwohl der BTX Service bereits 2007 eingestellt wurde. Es gab Originalinhalte von 1984 zu sehen, darunter den BTX-Hack mit dem der CCC vor 35 Jahren bekannt wurde.

Eines von mehreren BTX Terminals, die in Betrieb waren.
Links: Hardcopy auf Thermopapier
BTX in Aktion mit Originaldaten von 1984

Nicht so klasse

So weit so schön. Aber das Übermaß an politischer „Rotlichtbestrahlung“, wie es früher im Osten hieß ging mir gehörig auf den Zeiger. Zumal der Club hier so langsam den Fokus verliert.

Früher ging es um technische Fragen und darum welche Bedeutung die Technik für die Gesellschaft hat. Dabei war der CCC schon immer politisch links, aber staatstragend. Also Einsatz für den Erhalt von Bürgerrechten etc. Es ist kein Zufall, dass der Club bereits mehrfach vom Bundesverfassungericht als Gutachter angefragt wurde und das auch mit Bravour gemeistert hat.

Heute thematisiert man globale Menschenrechte / Feminismus / Seenotrettung, Rettung der Welt, you name it…
Wichtige Themen – Wer sich entsprechend engagieren möchte, kann und soll das ja tun, aber in meinen Augen ist der CCC absolut der falsche Rahmen dafür. Damit verliert der Club seinen Fokus, verhebt sich inhaltlich auch und zumindest die beiden Vorträge, die ich gehört habe (einen zu Feminismus, einen zur Seenotrettung) fand ich einseitig und unausgegoren.

Na gut, es muss einem ja nicht alles gefallen.
Aber als ich ein großes Transparent der Antifa in der Haupthalle gesehen habe und einige kleinere Aufrufe, Straftaten zu begehen (weil man sich moralisch im Recht fühlt) ist bei mit die Klappe gefallen. So etwas geht einfach gar nicht!

Ich habe in den frühen 90er Jahren ehrenamtlich in einem Berliner Jugendclub mitgearbeitet, der in bestimmten Kreisen als „Zeckenburg“ bezeichnet wurde. Wir hatten damals regelmäßig Angriffe von Rechtsradikalen. Als dann die Antifa ankam, um uns ihre „Hilfe“ anzubieten, haben wir dankend aber sehr bestimmt abgelehnt. Diese Haltung hat sich im Laufe der Zeit als goldrichtig herausgestellt.

Auch wenn mir nicht alles gefällt – mit „links“ kann ich umgehen. Genauso mit „konservativ“, obwohl mir dort erst recht nicht alles gefällt.
Was ich aber niemals tolerieren werde sind Radikale – weder links, noch rechts, noch religiös, noch sonst was.

Der CCC bekommt da meines Erachtens gerade ein Problem, an dem er dringend arbeiten muss, falls er nicht das in 35 Jahren hart erarbeitete Renommee, sowohl in der Öffentlichkeit, als auch in der Fachwelt verlieren will. Oder er macht konsequenterweise das, was Apple seinerzeit vorgemacht hat: Er streicht das Wort „Computer“.

Dann würde nur noch der Chaos Club übrigbleiben.

36C3 in Leipzig

Jahresende 2019: Ich bin beim 36C3, dem 36. Jahreskongress des Chaos Computer Clubs. Der letzte Congress, den ich besucht habe war der 33C3, der noch im Hamburger Congress Centrum stattfand. In diesem Jahr bin ich das erst Mal in Leipzig dabei.

Der Ort ist anders, die Stadt ist anders und das Gefühl auch. Das beginnt bereits bei der Anreise. Das CCH steht mitten in Hamburg am Dammtor. In Leipzig ist der Kongress auf dem Messegelände am Stadtrand. Die meisten Besucher kamen morgens mit der knüppeldicke vollen Strassenbahn an, die Gott sei dank im 5min Takt fährt. Die Benutzung ist für Kongressteilnehmer frei. Dennoch ist der erste Eindruck ziemlich ähnlich zu einem normalen Messebesuch. Die Logistik um die heranströmenden Massen am Eingang abzufertigen war übrigens ganz hervorragend!

Die Massen strömen zum Messegelände

Im Hamburger Congress Centrum waren die Assemblies, Kuschelecken und Special Interest Stände labyrintisch auf den vielen verschachtelten Ebenen des Gebäudes verteilt. In Leipzig werden die Messehallen genutzt und daher findet fast alles auf einer Ebene statt.
Vorteil: Es ist mehr Platz.
Nachteil: Zu viele Leute fahren mit Kickboards zwischen den Menschenmengen durch. Das nervt.

Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Die Organistation ist extrem professionell und das Programm mal wieder hochkarätig.

Gleich der erste Vortrag den ich gesehen habe, beschäftigte sich mit der unerwartet schwierigen Aufgabe, eine Hardware herzustellen, die nachweisbar ohne Backdoors ist.

Der Vortragende ist eine Koryphäe auf dem Gebite: Andrew „Bunnie“ Huang zeigte tiefe Einblicke in die Supply Chain, Hardware Produktion, und bekannte Angriffe, mit denen unerwünschte Hardware in Produkte eingeschleust und versteckt werden kann. Er zeigte auch den teilweise extrem hohen Aufwand, der betrieben werden muss, um diese Manipulationen zu finden. Jedes hergestellte Boards zu röntgen reicht jedenfalls nicht aus.

Die Vortragsfolie zeigt die verschiedenen möglichen Angriffspunkte bei der Hardwareproduktion (Wiedergabe des Slides mit mündlicher Genehmigung)

Damit der Vortrag nicht zu theoretisch ist, zeigte „Bunnie“, wie mit den vorgetstellten Prinzipien ein mobile Messenger entwickelt wurde und noch wird, der nachweislich ohne Backdoors funktioniert. Detail zu dem Projekt können sind hier zu finden: https://betrusted.io/. Das Gerät sieht in etwas wie ein 20 Jahre alter Blackberry aus – aber das hat seinen Sinn.

Für jeden Hardwareteil erklärte er, weshalb es so ist wie es ist. Es hat also einen tieferen Sinn, dass ein S/W anstelle eines Farbdisplays verwendet wird, und eine physikalische anstelle einer Soaftwaretastatur verbaut ist. Der Inhalt seines Vortrages steht auf seinem Blog im Artikel „Can We Build Trustable Hardware?“ unter https://www.bunniestudios.com/blog/?p=5706 .

Um es zusammenzufassen: Neben der Kontrolle der Komponenten, der Toolchain ist die Frage, wie jeder einzelne Schritt, jede Komponente und letztendlich jedes einzelne Gerät verifiziert werden kann. Das geht am Besten durch gezielte Reduktion der Komplexität.

Mein Fazit: Vereinfachung und Reduktion aus Sicherheitsgründen

Danach habe ich „The Ultimate Acorn Archimedes Talk“ gesehen, in dem die Entwicklung des ersten RISC Homecomputers durch die britische Firma Acorn in den 80er Jahren beschrieben wurde. Es ging technisch ans Eingamchte: Die Besonderheiten der verschiedenen Hardwareversionen, des Betriebssystems und wieso die Design-Entscheidungen so und nicht anders getroffen wurden.

Am Ende war es eine Effizienzfrage. Wie bekommt man für möglichst wenig Entwicklungsaufwand und Produktionskosten die meiste Leistung. Die Antwort liegt in klarem, möglichst einfachem Design.

Mein Fazit: Vereinfachung und Reduktion aus Performance und Budgetgründen

Was damals gemacht wurde ist für uns heute übrigens hochrelevant, weil die Prozessoren, die heutzutage unsere Smartphones antreiben auf der damals entwickelten RISC Platform basieren. Aus dem Computerhersteller Acorn wurde der Prozessorhersteller ARM.

Beim Schlendern durch die Hallen fand ich ein laufendes Prototyp Board des Commander X16 – einem neuen 8 Bit Computer, den David Murray – bekannt durch seinen Youtube Kanal „The 8-Bit Guy“ initiiert hat. Davor saß Michael Steil, der auf früheren Kongressen mit seinen Vorträgen „The ultimate C64 Talk“ und „The ultimate Gameboy Talk“ tiefe Einblicke in die Besonderheiten der beiden Hardwareplattformen vermittelt hat. Er unterstützt Murray bei der Entwicklung (https://www.pagetable.com/?p=1373) und hat mir im Laufe des Gesprächs nahegelegt, den X-16 Emulator auszuprobieren, da bereits einige Leute Software für den neuen Computer schreiben, obwohl dieser noch gar nicht zu Ende entwickelt ist.

Commander X16 – Prototypboard

Mein Fazit: Vereinfachung und Reduktion aus – hmm – Spass. Und aus Freude, etwas schönes und sinnvolles zu erschaffen.

Daneben stand übrigens auch noch ein MEGA65 – der Nachbau eines Computers, den Commodore in den 80er Jahren als Nachfolger des Commodore64 vorgesehn, aber nie zu Ende entwickelt hatte. Vom Commodore 65 existieren nur einige wenige Vorserien-Prototypen.

MEGA 65 – Nachbau des Commodore 65

Und das ist ja auch der faszinierende Spirit des Kongresses. Dass hier Leute zusammenkommen, die massenweise interessanten Kram machen und Spass haben. Der Kongress ist nicht nur Kongress, sondern auch treffen von Bastlern und nicht zuletzt auch so eine Art Festival, was besonders am Abend deutlich wird. Überall steht cooles Zeug rum, alles blinkt, manches macht Töne und es gibt wie jedes Jahr einen Club, von dem sich so manche Kommerzdisko mehr als nur eine Scheibe abschneiden kann.

Hier sind noch ein paar optische Eindrücke:

„Cloud“ Animation. Per Videobeamer auf Eierkartons
Ein trojanisches Einhorn? Jedenfalls wechselt es laufend die Farbe
Selbst die Mainhall wird nachts zum Lichtspektakel

Politische Überreaktion

Ich habe mich selbst so lange ich politisch denke – also ungefähr seit ich 10 Jahre alt war – immer gemäßigt links eingeordnet. Der stumpfe reaktionäre Mainstream der 70er Jahre war mir unerträglich und verhasst. Dieses bigotte Auftreten der alten Leute, die die Moralkeule vor sich hertrugen war und ist mir immer noch zutiefst zuwider.

Der Mainstream hat sich seitdem ganz gewaltig nach links verschoben. Müsste mir also doch eigentlich gut gefallen. Tut es aber nicht. Ich habe mit „Links“ mittlerweile genau so ein Problem wie mit „Rechts“ (falls diese Einteilung heute überhaupt noch Sinn macht).

Klar, man sagt ja, dass man mit zunehmendem Alter konservativer wird. Ein bisschen ist da was dran. Aber darum geht es mir gar nicht. Die großen Themen, die von den jungen Leuten angesprochen werden sehe ich als genauso wichtig an: Umweltschutz, Gleichberechtigung, Widerstand gegen Rechtsextremismus, usw.
Das sind ja alles Themen, die mir auch in meiner Jugend schon wichtig waren. Damit habe ich überhaupt kein Problem.

Womit ich aber ein ganz erhebliches Problem habe, ist die Art der (nicht-)Kommunikation. Diese häufige moralinsaure Besserwisserei, die ich damals von den alten Säcken kannte und die nun ausgerechnet ihre Enkel wiederaufleben lassen. Dieses bei jedem Thema meilenweit über das Ziel hinausschießen. Mein Problem dabei ist, dass man Leute vergrätzt und vor den Kopf stößt, die eigentlich in die selbe Richtung denken und völlig unnötig Gräben aufreißt.

Klar, wenn man ein Anliegen hat, muss man laut trommeln. Und wenn man die Bräsigkeit vieler älterer Leute sieht, die einfach überhaupt nichts ändern wollen – das kann einen schon zur Weißglut bringen. Ich möchte trotzdem mal drei Beispiele bringen, was ich mit „meilenweit über das Ziel“ meine:

Gleichberechtigung?
Neulich gab es einen Artikel (Zeit, Spiegel, Tagesspiegel – ich weiß nicht mehr wo) in dem Stand, dass es viele Männer nicht ertragen, wenn ihre Frauen gleich viel oder mehr verdienen.

Ja, o.k, kann sein. Gibt es bestimmt. Da möchte ich nicht widersprechen.

Was aber nicht einmal als Andeutung vorkam war die Frage, wie viele Frauen es nicht ertragen, wenn ihr Mann dauerhaft weniger verdient als sie selbst. Das ist nämlich ebenfalls ein erhebliches Problem, wie ich aus meiner eigenen Umgebung weiß. Und das trifft insbesondere auf BesserverdienerInnen zu, bei denen es eigentlich nicht so drauf ankommt. Die Richterin, die es nicht erträgt, dass ihr Mann „bloß“ Teamleiter einer IT Abteilung ist, die Chefärztin, der es auf Dauer nicht reicht, dass ihr Kerl „nur“ normaler Rechtsanwalt ist. Eigentlich war Geld kein Problem, und trotzdem hatten diese Frauen das Gefühl dass sie „einen Verlierer mit durchfüttern“. Eigentlich sind alle Frauen, die ich kenne, die sehr viel Wert auf ihre Karriere legen, letzten Endes auf eigenen Wunsch Single.

Warum lese ich von so etwas nicht einmal einen Halbsatz?

Verkehrswende
Die Verkehrswende ist absolut überfällig. Das sage ich als Besitzer von zwei benzingetriebenen Fahrzeugen, ehemaligem Vielflieger und jahrelangem Fernpendler. Ich habe die Hypermobilität in den letzten Jahren für mich selbst einigermaßen erfolgreich eindämmen können. Zudem verstehe ich als ehemaliger Stadtplaner auch ein bisschen was von der Materie.

Wir Planer wussten auch schon vor 30 Jahren, was man hätte tun müssen – aber es wurde weniger als nichts getan. Es wurde sogar alles noch schlimmer gemacht: Nebenstecken abgebaut, Shoppingcenter, Möbelhäuser und Baumärkte an die Autobahn gesetzt, Wohngebiete ohne ÖPNV Anschluss gebaut, Flexibilisierung der Arbeit, Dumpingpreise für Flugreisen…

Das muss aufhören. Schnell. Das Problem ist, dass jetzt nur darüber geredet wird, die Städte für Autos zu schließen. Das geht m.E. völlig am Problem vorbei und könnte am Ende sogar kontraproduktiv sein. Es geht nicht nur um Autos, sondern um den stetig steigenden Verkehr als ganzes. Ich schreibe dazu demnächst noch einen eigenen Artikel.
Der Verkehr ist nur das Symptom für andere Sachzwänge. Nur ein Detail: Wie wäre es z.B. damit dem Jobcenter klar zu machen, dass tägliches Pendeln über 100km pro Strecke eben nicht zumutbar ist, sondern einfach nur asozial. Wie wäre es, mit einer Stadtplanung, die von vornherein lange Wege vermeidet? Wie wäre es mit aktiver Wohnungs- und Standortpolitik?

Antifaschismus
Heute habe ich das erste mal jemanden aus meiner Facebook Kontaktliste gekickt. Ein Kontakt (Bereich Musik), den ich schon länger hatte, aber nie wirklich persönlich kennengelernt habe. Was war passiert?

Es gibt in Berlin einen Club mit dem etwas bräsigen Namen „Beate Uwe“. Diese Person stellte den Club plötzlich unter Faschismusverdacht, weil zwei NSU Terroristen diese Vornamen haben.

Ähm, ja, wie vermutlich noch eine Millionen anderer Deutscher.

Nun ist mein Ex-FB Kontakt nicht aus Deutschland. Daher nahm ich an, dass sie das Wortspiel mit „Beate Uhse“ nicht verstanden hat. Das ist halt so ein kulturelles Ding, das man vermutlich nur versteht, wenn man hier ausgewachsen ist. Also nahm mir die Freiheit, sie freundlich(!) darauf hinzuweisen, dass man als Deutscher vermutlich eher diese Assoziation, anstatt an Terroristen zu denken. Die Reaktion darauf war sinngemäß:
„Das mit den Terroristen sei doch offensichtlich. Sie sei nicht an irgend so einem deutschen Pornostar(!!!) interessiert. Ob ich mit einbilde, für alle Deutschen zu sprechen – and by the way who do you think you are, Daddy?“

WTF???

Auf meine immer noch höfliche Nachfrage, weshalb sie so aggressiv reagiere, hat sie nicht geantwortet. Dafür haben andere Leute geschrieben, dass das ein sehr entspannter Multi-Kulti-Club ist. Sie wurde wohl auch von dem Club direkt angeschrieben. Etwas pikant ist, dass sie selber DJ ist.

Man kann ja mal etwas falsch verstehen. Passiert. Aber dann sollte man wenigstens den Arsch in der Hose haben zu sagen „Sorry, ich habe da wohl etwas überreagiert“ anstatt andere Leute aggressiv anzupampen.

Berlin besteht gefühlt zu 50% aus solchen Soziopathen. Ich habe auf solche Leute einfach keinen Bock mehr.

…und wo kommst Du wirklich her?

Für einen medialen Aufreger der letzten Woche hat Dieter Bohlen gesorgt (OMG, dass dieser Name jemals in meinem Blog auftauchen würde, hätte ich nie gedacht).

Was war passiert?

In irgendeiner dieser dümmlichen Fernsehshows hat Bohlen ein fünfjähriges Mädchen gefragt, wo es denn herkommt. Das Mädchen hat geantwortet „aus Herne“. Das hat ihm aber als Antwort nicht ausgereicht, da das Mädchen offensichtlich nicht „biodeutsch“ aussah. Er hat immer weiter nachgebohrt und das Mädchen hat gar nicht verstanden, was der Mann von ihr eigentlich wollte.

Interessant daran finde ich, dass hier zwei Menschen völlig aneinander vorbei geredet haben. Das Mädchen hatte natürlich vollkommen korrekt geantwortet – es kam aus Herne. Was beide aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht verstanden haben, ist dass er eigentlich etwas anderes wissen wollte, als er gefragt hat, nämlich „welche ethnische Herkunft hat Deine Familie“. Bohlen scheint diese Abstammungsfrage sehr wichtig zu sein und er hat nicht verstanden, dass er die falsche Frage gestellt hat. Dem Mädchen ist ihre ethnische Abstammung völlig egal – möglicherweise hätte sie die Frage nicht mal beantworten können, wenn Bohlen sie korrekt gestellt hätte und sie kannte dieses „um die Ecke fragen“ noch nicht.

Das peinliche daran ist, dass Bohlen einfach nicht die Kurve gekriegt hat. Andrerseits – Bohlen ist von Anbeginn seiner Karriere für mich der Inbegriff des Peinlichen. Also was soll’s?

Was geht mich Dieter Bohlen an?

Blöd an sowas ist aber, dass man auch im echten Leben leicht falsch verstanden werden kann, wenn man wirklich wissen will, woher jemand kommt. Mir ist neulich das Folgende passiert:

Ich war auf einer Geburtstagsfeier eingeladen. Die Anwesenden waren zu 2/3 „biodeutsch“. Ein vielleicht nicht ganz unwichtiges Detail ist, dass es sich durchweg um gut ausgebildete und in der Welt herumgekommene Menschen handelte. Das wurde spätestens nach der Debatte um die Stadt, in der man am liebsten arbeiten würde klar. Denn hier ging es nicht um Berlin, Hamburg oder München, sondern um Berlin, Zürich, London, Rom, San Francisco oder Tokyo.

In dieser Umgebung kam ich mit einer charmanten jungen Dame ins Gespräch. Sie sah asiatisch aus, aber ihr astreines, fehlerfreies Deutsch und das ganze Verhalten machte eindeutig klar, dass sie in Deutschland aufgewachsen war. Irgendwann griffen wir noch einmal die Städtefrage auf. Ich habe gesagt, dass ich in Hannover aufgewachsen bin und mir mit Berlin am Anfang sehr schwer getan habe. Sie meinte, über Berlin kann sie noch nicht so viel sagen. Sie komme nicht von hier, sondern sei erst seit ein paar Monaten in der Stadt.

Und dann habe ich einfach gefragt: „Und wo kommst Du her?“

Das hatte ich kaum ausgesprochen und dachte mir „Ach Du Scheisse – hoffentlich versteht sie das jetzt nicht falsch“. Diese Frage zielte nämlich NICHT auf ihre ethnische Abstammung. Das hätte ich in der Situation einfach jeden gefragt.

Zu meiner Erleichterung hat sie einfach geantwortet „Aus Bielefeld“.

Ich dachte dann nur „Danke, Du hast mich genau richtig verstanden“. Auf die üblichen flachen Bielefeld-Witze habe ich selbstverständlich verzichtet.

1000. Jubiläum!

Zum Abschluss des ersten warmen und schönen Wochenende des Jahres möchte ich ein (für mich) bemerkenswertes Jubiläum verkünden:

Dies ist der 1000. Artikel in meinem Blog.
(Wie Kermit sagen würde: „Applaus, Applaus, Applaus!“)

Als ich mit dem Bloggen angefangen hatte, dachte ich, dass ich das drei oder vier Monate lang machen würde. Mein Plan war, begleitend zu meiner Diplomarbeit immer mal wieder den aktuellen Zwischenstand öffentlich zu verkünden (siehe meinen ersten Eintrag „Jetzt geht’s loooos… vom 16. Juli 2006″. Der Subtitel des Blogs ist „tiny little gizmos“, weil mein Diplomthema seinerzeit „Mobile Virtual Communities“ waren. Ich vermutete, mich daher viel mit mobilen Endgeräten auseinandersetzen zu müssen. Das war noch vor der Einführung des ersten iPhone und Facebook war in Europa noch kein Thema.

Mein Plan ging nicht auf.

In die Diplomarbeit habe ich soviel Zeit und Energie investiert, dass kaum etwas davon für den Blog übrigblieb. Andererseits habe ich anschließend Gefallen daran gefunden, mich immer mal wieder über das eine oder andere Thema, das mich gerade beschäftigte, zu schreiben.

Für eine Weile wird das sicher auch noch so bleiben.

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