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Web Engineering Unconference 2025

Am letzten Wochenende im September war ich, wie schon in den letzten Jahren (2024, 2023, 2022), für ein langes Wochenende bei der Web Engineering Unconference in Palma de Mallorca.

Im Gegensatz zu einer normalen Konferenz gibt es kein im Vorfeld festgelegtes Programm. Jeder der Teilnehmer kann ein eigenes Thema mitbringen und vorstellen. Ich hatte etwas halbherzig ein Thema vorbereitet, aber als am Vorabend der Reise mein Laptop gestreikt hat, habe ich das als Zeichen gesehen und bin ohne Computer gereist.

Nachdem ich am Freitag Nachmittag im Hotel eingecheckt hatte, holte ich erst einmal den Spaziergang nach, den ich in den letzten Jahren nicht geschafft hatte. Zwei Blocks hinter dem Hotel beginnt der Parc des Castell de Belver (“Burg des schönen Blicks”) und der Name hat seine Berechtigung. Nachdem ich den bewaldeten Berg über holperige Pfade hoch spaziert war, bot sich von der Burg ein traumhafter Blick über die Bucht von Palma.

Über den Dächern von Palma

Beim abendlichen Eröffnungsumtrunk wurde klar, dass sich deutlich weniger als die maximal möglichen 100 Teilnehmer angemeldet haben. Man merkt, dass die fetten Zeiten vorbei sind. Auf der einen Seite machen sehr stark gestiegene Preise für Flug und Hotel die Teilnahme mittlerweile wirklich teuer. Da hilft das günstige Veranstaltungsticket auch nicht mehr so richtig. Der Hauptgrund ist jedoch, dass auch in der IT mittlerweile die Rezession angekommen ist. Die Umsätze sind geschrumpft, Projekte wurden eingestellt. Leute entlassen. Dass eine Agentur drei oder vier Leute schickt kommt nicht mehr vor und auch das Sponsoring kam wohl erst auf die letzte Minute zustande.

Einreichung der Themen am Samstag Morgen

Aber wie einer der Organisatoren gesagt hat: Es kommt nicht darauf an, wie viele Leute kommen, sondern ob es einen guten und interessanten Austausch gibt und man neue Ideen und Sichtweisen mitnimmt. Bei den Sessions, die ich besucht habe, hat das gut geklappt.

Die Themen an Tag 1

“Is our Industrie bleeding out? How do you feel”
JP startete eine Diskussion um die Herausforderungen und Veränderungen insbesondere im Agenturgeschäft, das nicht nur unter dem konjunkturellen Einbruch leidet, sondern auch unter dauerhaften veränderten Rahmenbedingungen: Geänderte Geschäftsmodelle, der Trend weg von individuellen Shops hin zu Plattformen und Hyperscalern, die Veränderungen durch AI und etlichem mehr.

Software architecture in 2028
Stefan Priebsch moderierte eine Diskussion darüber, was Softwarerachitektur ausmacht. Dabei wurden sowohl unterschiedliche Aspekte wie Struktur von Code und Daten, als auch viele weiche Faktoren, wie Zuständigkeiten (ownership) genannt.

Palantir, Spotify, Oracle… where do you draw the line? – ethics in development
Julia Dorandt moderierte das große Thema Technik und Ethik. Wo sieht man sich selbst, wie weit ist man bereit mitzugehen, auch wenn einem die Richtung nicht passt. Wo sind rote Linien, die man nicht überschreiten will? Verlässt man eine Firma, wenn einem das politische Engagement der Führungsebene nicht passt? Wenn man feststellt, dass das Produkt doch mehr Nebenwirkungen hat, als Gedacht? Wie verändert sich diese Sichtweise , wenn man wirtschaftlich unter Druck steht oder sich die politische Weltlage ändert? War ein Auftrag von Rheinmetall vor dem Ukrainekrieg Jahren problematischer als heute oder ist es vielleicht andersherum?

AI tools, models, experience exchange
Tobias Schlitt zeigte anhand zweier Beispiele, wie er zur Zeit AI nutzt. Zunächst beauftragte er ChatGPT damit, mit Hilfe der Deep Research Funktion Informationen zur WEUC zu sammeln, zusammenzufassen und zu strukturieren. Das dauert eine Weile, aber es kam ein gute Dossier dabei heraus, in dem die Kernaussagen mit Quellenangaben belegt wurden. Danach erzeugte er mit Hilfe von Claude.AI eine kleine rudimentäre Webanwendung, mit der Themen einer Veranstaltung organisiert werden können.

Tobias demonstriert Vibe Coding mit Claude AI

Do we need a TPO?
Judith Andreesen, Evgenij und Olli stellten die Frage, ob man in Projekten einen Technischen Product Owner benötigt. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Einführung einer solchen Position meist auf andere ungelöste organisatorische Probleme zurückzuführen ist, die man zuerst lösen sollte.

Kein schlechte Mischung für den ersten Tag: Einmal Technik, die demonstriert wurde, einmal Technik auf abstraktem Level, einmal Management, einmal Ethik und einmal Business.

Die Themen an Tag 2

Auch am zweiten Tag ging es interessant weiter. Es kamen einige Themenvorschläge hinzu, die sich aus den Gesprächen am Vorabend ergeben haben.

Architectural roleplay (live action)
Stefan Priebsch moderierte ein Rollenspiel, bei dem wir interaktiv die Anforderungen an eine Transaktionssystem herausarbeiten sollten. Das Thema war scheinbar einfach und übersichtlich:
“Gäste, die ein Restaurant besuchen”.

Wie zu erwarten, war das Ganze dann doch komplizierter, je mehr man ins Detail ging.
Beispiel: Der Kellner nimmt die Bestellung auf. Dazu hat er vorher den Gästen die Menükarte gegeben. “Woher kommt die Karte und das war darauf steht?
Offensichtlich gibt es hier einen Subprozess, der eine gewisse Komplexität aufweist. Das wurde notiert und dann weitergemacht. So etwas passiert noch ein paar Mal.

Interessant wurde es, da einige Mitspieler etwas zum Scherzen aufgelegt waren. Da fiel “spontan” die “Champagnerflasche” vom Tisch, woraufhin eine Person aus dem Orga Team, die eigentlich nur kurz in den Raum kam um Fotos zu machen, zu seiner Verblüffung mit dem Worten begrüßt wurde “Wir müssen jetzt sauber machen – Du bist der Lappen”. Er nahm es mit Humor und spielte gleich mit.
Wir haben bei der Session viel gelacht und einiges an neuen Methoden gelernt.

Open Telemetry
Rainer Schuppe beschäftigt sich schon seit langem mit dem Thema “Observability” – also der technischen Überwachung von komplexen Systemen. Er gab uns eine Einführung in die Hintergründe, Geschichte und Konzepte von Open Telemetry und zeigte, wie man diese Tools nutzen kann.

B2B – How to sell B2B – Companies to sell online?
Da ich früher im eCommerce Bereich mehrere B2B Kunden betreut hatte, war ich neugierig, was sich in den letzten 10 Jahren getan hat. Spoiler: Weniger, als ich erwartet hatte.
Einen besonderen Dreh bekam die Diskussion dadurch, dass sie am Pool stattfand. Einige wollten die Diskussion sogar im Pool führen aber das haben wir dann doch gelassen.

Die Session spontan nach draußen an den Pool verlegt

Das letzte Thema “Vibe coding of an application using FrankenPHP, CouchDB and HTMX” ist ein hervorragendes Beispiel, wie auf einer Uncoference spontan ein neues Thema kreiert werden kann. Es gab bereits Themenvorschläge, zu FrankenPHP, CouchDB und HTMX, die aber nicht genügend Stimmen bekamen.

Also hat ein Teilnehmer all das genommen, zusammengerührt und eine spontane Vibe Coding Session mit Hilfe von AI daraus gemacht. Am Ende kam tatsächlich ein Prototyp einer kleinen Web Applikation dabei heraus. Auch hier wurde viel gelacht, weil die Anforderungen absichtlich sowohl inhaltlich, als auch technisch ziemlicher Kokolores waren und die Interaktion mit der KI ziemlich lustig ausfiel.

Ergebnis der Vibe Coding Session: Eine kleine Kontaktverwaltung

Interessant war die sehr unterschiedliche Rezeption: Die meisten Anwesenden waren wie ich Entwickler. Wir hatten unseren Spaß durch die Reaktionen und Fehler der KI und haben das alles nur halb-ernst genommen.

Ein Anwesender war aber Produkt Manager und der war ganz aus dem Häuschen, dass nach 40min. tatsächlich ein benutzbarer Prototyp vorhanden war. Wir haben ihn dann etwas eingebremst, indem wir darauf hinwiesen, dass der Code weder sauber, noch sicher, noch langfristig wartbar war.

Davor, dazwischen und danach

Wie immer bei dieser Art Veranstaltung ist das offizielle Programm aber nur ein Teil. Ebenfalls sehr wichtig sind die spontanen Gespräche am Rand, während des gemeinsamen Essens und Trinkens. Zudem sind an zwei Abenden auch einige Bekannte aus der eCommerce Szene zum Schnack dazugestoßen die gerade auch auf Mallorca waren. Dieser “Off-Track” Austausch ist sozusagen das Salz in der Suppe. Sehr wichtig und sehr schön.

Das Wochenende habe ich mit einer kleinen Truppe in einer Tapas-Bar in der Altstadt von Palma gemütlich ausklingen lassen. Wirklich gemütlich – denn die Abende sind zwar immer noch nicht völlig abstinent, aber weitaus weniger verheerend als früher. Wir werden halt alle älter…

Gute kleine Tapas Bar in der Altstadt

Neben all den schönen Dingen, die jede der bisherigen Veranstaltungen auszeichnete, gab es aber auch wieder einen weniger schönen Punkt: “Können wir die WEUC auch im nächsten Jahr nochmal durchführen?” Die Herausforderungen bei Orga, Sponsoring, Wahl des Ortes und der Zeit werden durch die schwierige wirtschaftliche Lage nicht einfacher. Wir werden sehen.

Ich hoffe darauf, dass es 2026 auch noch einmal klappt.