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Politische Überreaktion

Ich habe mich selbst so lange ich politisch denke – also ungefähr seit ich 10 Jahre alt war – immer gemäßigt links eingeordnet. Der stumpfe reaktionäre Mainstream der 70er Jahre war mir unerträglich und verhasst. Dieses bigotte Auftreten der alten Leute, die die Moralkeule vor sich hertrugen war und ist mir immer noch zutiefst zuwider.

Der Mainstream hat sich seitdem ganz gewaltig nach links verschoben. Müsste mir also doch eigentlich gut gefallen. Tut es aber nicht. Ich habe mit “Links” mittlerweile genau so ein Problem wie mit “Rechts” (falls diese Einteilung heute überhaupt noch Sinn macht).

Klar, man sagt ja, dass man mit zunehmendem Alter konservativer wird. Ein bisschen ist da was dran. Aber darum geht es mir gar nicht. Die großen Themen, die von den jungen Leuten angesprochen werden sehe ich als genauso wichtig an: Umweltschutz, Gleichberechtigung, Widerstand gegen Rechtsextremismus, usw.
Das sind ja alles Themen, die mir auch in meiner Jugend schon wichtig waren. Damit habe ich überhaupt kein Problem.

Womit ich aber ein ganz erhebliches Problem habe, ist die Art der (nicht-)Kommunikation. Diese häufige moralinsaure Besserwisserei, die ich damals von den alten Säcken kannte und die nun ausgerechnet ihre Enkel wiederaufleben lassen. Dieses bei jedem Thema meilenweit über das Ziel hinausschießen. Mein Problem dabei ist, dass man Leute vergrätzt und vor den Kopf stößt, die eigentlich in die selbe Richtung denken und völlig unnötig Gräben aufreißt.

Klar, wenn man ein Anliegen hat, muss man laut trommeln. Und wenn man die Bräsigkeit vieler älterer Leute sieht, die einfach überhaupt nichts ändern wollen – das kann einen schon zur Weißglut bringen. Ich möchte trotzdem mal drei Beispiele bringen, was ich mit “meilenweit über das Ziel” meine:

Gleichberechtigung?
Neulich gab es einen Artikel (Zeit, Spiegel, Tagesspiegel – ich weiß nicht mehr wo) in dem Stand, dass es viele Männer nicht ertragen, wenn ihre Frauen gleich viel oder mehr verdienen.

Ja, o.k, kann sein. Gibt es bestimmt. Da möchte ich nicht widersprechen.

Was aber nicht einmal als Andeutung vorkam war die Frage, wie viele Frauen es nicht ertragen, wenn ihr Mann dauerhaft weniger verdient als sie selbst. Das ist nämlich ebenfalls ein erhebliches Problem, wie ich aus meiner eigenen Umgebung weiß. Und das trifft insbesondere auf BesserverdienerInnen zu, bei denen es eigentlich nicht so drauf ankommt. Die Richterin, die es nicht erträgt, dass ihr Mann “bloß” Teamleiter einer IT Abteilung ist, die Chefärztin, der es auf Dauer nicht reicht, dass ihr Kerl “nur” normaler Rechtsanwalt ist. Eigentlich war Geld kein Problem, und trotzdem hatten diese Frauen das Gefühl dass sie “einen Verlierer mit durchfüttern”. Eigentlich sind alle Frauen, die ich kenne, die sehr viel Wert auf ihre Karriere legen, letzten Endes auf eigenen Wunsch Single.

Warum lese ich von so etwas nicht einmal einen Halbsatz?

Verkehrswende
Die Verkehrswende ist absolut überfällig. Das sage ich als Besitzer von zwei benzingetriebenen Fahrzeugen, ehemaligem Vielflieger und jahrelangem Fernpendler. Ich habe die Hypermobilität in den letzten Jahren für mich selbst einigermaßen erfolgreich eindämmen können. Zudem verstehe ich als ehemaliger Stadtplaner auch ein bisschen was von der Materie.

Wir Planer wussten auch schon vor 30 Jahren, was man hätte tun müssen – aber es wurde weniger als nichts getan. Es wurde sogar alles noch schlimmer gemacht: Nebenstecken abgebaut, Shoppingcenter, Möbelhäuser und Baumärkte an die Autobahn gesetzt, Wohngebiete ohne ÖPNV Anschluss gebaut, Flexibilisierung der Arbeit, Dumpingpreise für Flugreisen…

Das muss aufhören. Schnell. Das Problem ist, dass jetzt nur darüber geredet wird, die Städte für Autos zu schließen. Das geht m.E. völlig am Problem vorbei und könnte am Ende sogar kontraproduktiv sein. Es geht nicht nur um Autos, sondern um den stetig steigenden Verkehr als ganzes. Ich schreibe dazu demnächst noch einen eigenen Artikel.
Der Verkehr ist nur das Symptom für andere Sachzwänge. Nur ein Detail: Wie wäre es z.B. damit dem Jobcenter klar zu machen, dass tägliches Pendeln über 100km pro Strecke eben nicht zumutbar ist, sondern einfach nur asozial. Wie wäre es, mit einer Stadtplanung, die von vornherein lange Wege vermeidet? Wie wäre es mit aktiver Wohnungs- und Standortpolitik?

Antifaschismus
Heute habe ich das erste mal jemanden aus meiner Facebook Kontaktliste gekickt. Ein Kontakt (Bereich Musik), den ich schon länger hatte, aber nie wirklich persönlich kennengelernt habe. Was war passiert?

Es gibt in Berlin einen Club mit dem etwas bräsigen Namen “Beate Uwe”. Diese Person stellte den Club plötzlich unter Faschismusverdacht, weil zwei NSU Terroristen diese Vornamen haben.

Ähm, ja, wie vermutlich noch eine Millionen anderer Deutscher.

Nun ist mein Ex-FB Kontakt nicht aus Deutschland. Daher nahm ich an, dass sie das Wortspiel mit “Beate Uhse” nicht verstanden hat. Das ist halt so ein kulturelles Ding, das man vermutlich nur versteht, wenn man hier ausgewachsen ist. Also nahm mir die Freiheit, sie freundlich(!) darauf hinzuweisen, dass man als Deutscher vermutlich eher diese Assoziation, anstatt an Terroristen zu denken. Die Reaktion darauf war sinngemäß:
“Das mit den Terroristen sei doch offensichtlich. Sie sei nicht an irgend so einem deutschen Pornostar(!!!) interessiert. Ob ich mit einbilde, für alle Deutschen zu sprechen – and by the way who do you think you are, Daddy?”

WTF???

Auf meine immer noch höfliche Nachfrage, weshalb sie so aggressiv reagiere, hat sie nicht geantwortet. Dafür haben andere Leute geschrieben, dass das ein sehr entspannter Multi-Kulti-Club ist. Sie wurde wohl auch von dem Club direkt angeschrieben. Etwas pikant ist, dass sie selber DJ ist.

Man kann ja mal etwas falsch verstehen. Passiert. Aber dann sollte man wenigstens den Arsch in der Hose haben zu sagen “Sorry, ich habe da wohl etwas überreagiert” anstatt andere Leute aggressiv anzupampen.

Berlin besteht gefühlt zu 50% aus solchen Soziopathen. Ich habe auf solche Leute einfach keinen Bock mehr.

Neues Musikalbum

Einige von Euch wissen, dass ich hin und wieder einen kleinen Track bastele. Die meisten davon bleiben als unfertige Fragmente, Soundschnipsel, Rhytmus und Akkordübungen auf der Festplatte meines Musikrechners.

Aber wenn ich so ca. 10 Stücke soweit habe, dass man sie anderen Menschen vorspielen kann, ohne damit gegen die Genfer Menschenrechtskonvention zu verstoßen, mache ich daraus MP3, bringe sie in eine sinnvolle Reihenfolge, bastele ein Cover dazu und nenne das “Album” – so wie früher.

Jetzt ist es wieder so weit. 11 Stücke sind fertig und mein neues “Album” heißt ‘next’. Viele Stücke haben keine klassische Songstruktur, sondern sind eher Soundtrack zu einem imaginären Film.

Verwendete Technik

Die Stücke habe ich mit Bitwig Studio 2 und 3, sowie mit Reason 10 komponiert und arrangiert. Dabei sind u.a. klassische Instrumente, wie ARP2600, Buchla Easel, DX7, Matrix12, und CMI Fairlight V als “virtuelle Nachbauten” aus der V Collection von Arturia zum Einsatz gekommen. Von Arturia stammt auch das Masterkeyboard Keylab 88, mit dem ich die Stücke eingespielt habe. Die Wandlung zu MP3 Dateien habe ich mit Audacity vorgenommen und die MP3 Tags mit Picard von MusicBrainz bearbeitet.

Coverfoto

Das Foto habe ich im Sommer auf der Dachterrasse des ehemaligen Debis Hochhauses im Potsdamer Platz Areal aufgenommen.

Hinweis zum Urheberrecht

Wie für meine komplette Homepage gilt auch für meine Musik die Creative Commons Lizenz cc-by-nc-nd. Das bedeutet, dass die Musik privat gehört und kopiert werden darf, solange der Copyright Inhaber korrekt und vollständig genannt wird. Eine Bearbeitung und kommerzielle Nutzung ist nicht gestattet.

Vintage Computing Festival Berlin 2019

Am 12. und 13. Oktober fand in Berlin das Vintage Computing Festival mit Ausstellungen, Vorträgen, Gamesroom und Bastelworkshops für kleine und große Kinder, so wie die Kurztagung “Computer Space – 50 Jahre Hardware, Software und Wetware im Weltraum” statt.

Aus dem großen und interessanten Programm, möchte ich hier eine kleine Auswahl vorstellen.

Schwerpunkt mechanische Rechenmaschinen

Jürgen Weigert zeigte seinen Nachbau der 1623 von Wilhelm Schickard entworfenen Rechenmaschine, die bereits die vier Grundrechenarten unterstützt. Der Nachbau ist besteht ausschließlich aus Teilen, die per Lasercutter aus Birkensperrholz hergestellt wurden.

Schickard Rechenmaschine
Detailansicht Rechenwerk

Prof. Dr.-Ing. Christian-M. Hamann gab in seinem Vortrag “Von Brunsviga zu Curta – Geschichte und Technik mechanischer Rechenmaschinen” einen schönen geschichtlichen Überblick und zeigte mit ansteckender Begeisterung interessante Details bei der Bedienung unterschiedlicher mitgebrachter Exponate. Er betreibt unter http://public.beuth-hochschule.de/hamann/calc/index.html eine umfangreiche Website mit Informationen zu mechanischen Rechnern und weiteren mechanischen Werkzeugen, wie u.a. Planimeter, Pantographen, Schreibmaschinen und Uhren.

Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal herzlich für das sehr anregende Gespräch bedanken, dass wir am Sonntag Mittag zu Themen wie Universitäten, Rechnern, Hacking, Kalifornien und dem Leben im Allgemeinen geführt haben. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Thales Tischrechner
2 Bit Addierwerk aus der Zuse Z1

Schwerpunkt Computer aus Deutschland

Es wurden einige aus heutiger Sicht eher obskure Datenerfassungsgeräte von Walther und Triumph Adler ausgestellt, die wie modifizierte Schreibmaschinen aussahen.
Zudem war einer von nur noch sehr wenigen erhaltenen Rechnern der deutschen Firma Gepard zu sehen, die in den 80er Jahren vergeblich versucht haben, mit günstigen, rechenstarken Workstations auf dem Markt Fuß zu fassen.

Anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung von Robotron wurden viele Geräte des ehemaligen DDR Kombinates gezeigt.

Verschiedene Robotron Rechner, Terminals und Plotter

Weitere interessante Exponate

Ebenfalls viel Raum wurde Geräten von Apple, Next und Sun gegeben, die zwar nicht von deutschen Firmen stammten, für deren Gestaltung aber die aus dem Schwarzwald stammende Firma Frog Design von Hartmut Esslinger verantwortlich zeichnete.

Rechner, die Frog Design gestaltet hat

Stark vertreten war auch wieder die Fraktion, die Rechner von Digital Equipment zeigte, wenn auch diesmal ohne die imposanten Racks.
Neben einer PDP 8/m war auch die endlich wieder lauffähige PDP-11/34A zu sehen, die vom Hackerspace AFRA zum Signallabor der Humboldt Uni umgezogen ist. Zudem gab es ein ganzes Netzwerk von verschiedenen, kompakte VAX Tischsystemen zu sehen.

Netzwerk verschiedener DEC VAX Rechner

Es gab so viele interessante Exponate, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann (Portables, Homecomputer, Computer aus Dänemark,…), aber zwei Exponate sind für mich noch erwähnenwert:
Als Jugendlicher hat mich neben Tron, der Film War Games stark beeinflusst, in dem sich der jugendliche Computernerd David (Matthew Broderick) mit seinem Computer und Modem aus versehen in einen Militärcomputer einwählt und beinahe den dritten Weltkrieg auslöst.

Auf dem VCFB war sowohl das Equipment zu sehen, mit dem die Weltgrafik in der NORAD Zentrale erzeugt wurde, als auch der Rechner, den David in dem Film benutzt hat: Ein IMSAI 8080. Und neben dem IMSAI stand noch ein MITS Altair 8800b aus dem Jahr 1976.

Original Equipment für den Film War Games
IMSAI 8080 und Altair 8800b

Wie bereits in den vergangenen Jahren fand das Vintage Computing Festival Berlin wieder in den Räumen des Deutschen Technikmuseums statt. Die Veranstaltung wurde zusammen mit der Humboldt-Universität und dem Berliner Hackerspace AFRA organisiert. Die Aufzeichnung der Vorträge wurde vom VOC des Chaos Computer Clubs durchgeführt.

Die Videos sind unter https://media.ccc.de/c/vcfb19 zu sehen.

Distinguished Gentlemens Ride Berlin 2019

Am Sonntag nach der enorm großen “Fridays for Future” Demonstration sollten die Berliner freiwillig auf das Autofahren verzichten. Über 400 Menschen sind dem Aufruf gefolgt und fuhren stattdessen mit dem Motorrad durch die Stadt. Und zwar nicht aus Protest, sondern zu einem guten Zweck.

Worum ging es?

Der Distinguished Gentlemens Ride (kurz DGR) findet in über 700 Städten weltweit am letzten Septemberwochenende statt. Für Berlin musste die Veranstaltung um eine Woche vorverlegt werden, da die Stadt am 29.September bereits durch den Marathon vollständig blockiert wird.

Es handelt sich um eine Benefizveranstaltung zur Unterstützung von Projekten, die der Männergesundheit dienen. Das ist z.B. Forschung im Bereich Prostatakrebs, oder Projekte der Suizidprävention. Also ernste Themen, um die sich Männer gerne herumdrücken, bis es zu spät ist.

Um die Männer (und ihre Frauen) für diese ernsten Themen zu aktivieren, wurde eine Veranstaltung ins Leben gerufen, die einfach Spaß macht. Eine gemeinsamer Ride-Out mit klassischen oder umgebauten Motorrädern im “Gentleman-Outfit”. Anstatt Lederkombi sind ausnahmsweise Tweed-Sakkos, weiße Hemden und Weste und ähnliches angesagt. Der Style Guide zeigt Outfits zwischen englischem Landadel und dem smarten Donald Draper aus der Serie Mad Men.

Im letzten Jahr habe ich den Distinguished Gentlemens Ride in Berlin ganz knapp verpasst. Ich war quasi “um die Ecke” aber wusste von der tollen Veranstaltung nichts. Da ich weder das passende Motorrad noch die passende Garderobe habe, wollte ich mich in diesem Jahr wenigstens an den Straßenrand stellen und die Prozession von mehreren hundert Motorrädern und gestylten Fahrern ansehen. Daraus wurde wieder nichts – ich bin nämlich “aus Versehen” mitgefahren. Und das kam so:

Der Startpunkt wurde nur registrierten Teilnehmern mitgeteilt. Es sollte ein “zentraler bekannter Ort” sein. Also habe ich überlegt, dass der Ort groß genug für vierhundert angemeldete Motorräder sein und zudem auch Stil haben muss. So viele Möglichkeiten gibt es nicht. Der Alexanderplatz ist groß genug, sieht aber wie eine Müllhalde aus, im Lustgarten bekommt man die Motorräder nicht untergestellt, der Bebelplatz auf dem die Nazis 1933 die Bücherverbrennung durchführten – das wäre schlechter Stil.

Also fuhr ich auf gut Glück mal zum Gendarmenmarkt und lag damit goldrichtig. Nur dezent neben der Szenerie zu parken hat nicht gelappt, weil mich gleich die Einweiser auf den Platz in Reihe zwei dirigiert haben.

Nun gut. Also bin ich zur Orga und habe gesagt, dass ich gar nicht mitfahren kann, weil ich nicht registriert bin und mein Outfit auch nicht regelkonform ist (Retro Lederjacke über weißem T-Shirt, dunkelblaue enge Kevlar Jeans und Motorradstiefel in “Ziviloptik”). Die Dame musterte mich von oben bis unten und sagte dann in strengem Ton: “Okay, es geht gerade so. Das nächste Mal dann mit Anmeldung und Hemd. Du fährst mit.”

Das war kein Angebot, sondern ein Feststellung. Jo – okay Chefin!

BSA, Baujahr 1925

BSA, Baujahr 1925

Royal Enfield

Royal Enfield

Da allerfeinstes Motorradwetter war (trocken, Sonne, leichter Wind, 24 Grad), konnte ich mir schlimmeres vorstellen. Dann fahre ich also mit. Vorher gab es noch ein einstündiges Programm zu den Gesundheitsthemen, Verhaltensregeln für das Fahren in Kolonne, einen Sonderapplaus für die Motorradstaffel der Berliner Polizei, die die Straßen für uns freimachen würde und ein Gruppenfoto auf den Stufen des Konzerthauses.

Ansprache

Ansprache

Danach wurde Aufstellung hinter dem führenden Polizeifahrzeug genommen. Wenn 400 Motorräder angelassen werden – zumal viele sehr alte und relativ laute – dann zittert die Luft. Dieses dumpfe Grollen lässt einen nicht kalt und viele Touristen blieben an der Strecke neugierig stehen, zückten ihre Smartphones zum fotografieren und filmen und fragten sich, was diese Truppe denn wohl darstellt. Da wir aber offensichtlich keine Rocker, sondern ein braver, lustig gekleideter Haufen waren, waren die Reaktionen fast ausschließlich wohlwollend. Freundliche Gesichter und fröhliches Winken war die Regel.

Gewerbehof im Prenzlauer Berg

Gewerbehof im Prenzlauer Berg

Es ist schon nett, wenn einem die Polizei den Weg freimacht und man sich um keine Verkehrsregel kümmern muss. Ich bin heute gefühlt über hundert rote Ampeln gefahren und einmal sogar falsch herum durch eine Einbahnstraße. Die Strecke war verschlungen. Einige markante Wegpunkte waren “unter den Linden”, Potsdamer Platz, Großer Stern im Tiergarten, Str. des 17. Juni, Schloss Charlottenburg, Westend, Kantstr, Kurfürstendamm, Landwehrkanal, Friedrichstr. und Torstr. Nach über einer Stunde Fahrt waren wir am Ziel: Dem Club Roadrunners Paradise in einem Gewerbehof im Prenzlauer Berg.

Roadrunners Paradise

Roadrunners Paradise

Also fast bei mir um die Ecke. Dort gab es dann ein gemeinsames Ausklingen bei Streetfood, Getränken und später auch Livemusik. Ein wirklich schöner Sonntag – und im nächsten Jahr habe ich passende Kleidung.

Versprochen!

In der alten Heimat

Ende August war ich für ein verlängertes Wochenende in der alten Heimat. Anlass war die Geburtstagsfeier einer Freundin aus Jugendzeiten. Die Gelegenheit habe ich zu einem kleinen Rundreise genutzt. Am Donnerstag bin ich zunächst nach Hannover zu meiner Schwester gefahren und abends gleich zu einer Firmenfeier mitgenommen worden. Begründung: “Das sind alles Nerds – da passt Du rein.” So war es dann auch. Ein netter Abend unter ziemlich vielen Leuten (nicht nur) vom Chaos Computer Club.

Hannover Vahrenwald

Hannover Vahrenwald

Das Ganze war genau in der Gegend, in der ich geboren wurde und bis zu meinem 11. Lebensjahr gelebt habe: In Vahrenwald/List. Sehr zentral, viele Altbauten, viele Läden, kleinere Gewerbegebiete. Ich freute mich schon, von der Dachterrasse der Party zu meiner alten Grundschule herübersehen zu können – aber die wurde im letzten Jahr abgerissen und das Gelände wird gerade neu bebaut. Es ist schon etwas verwunderlich, wenn man durch die Gegend seiner Kindheit läuft und die eigene Schule nicht mehr existiert, aber auf der anderen Seite der Kiosk an der Ecke immer noch der selbe ist, wie vor über 40 Jahren.

Baustelle statt Grundschule

Baustelle statt Grundschule

Kiosk seit über 40 Jahren

Kiosk seit über 40 Jahren

Den Freitag habe ich genutzt um südlich von Hannover eine kleine Motorradtour durch den Deister und das Leinetal zu machen. Immer schön abseits der Bundesstraßen kreuz und quer über die Dörfer, und an der Marienburg vorbei. Das Wetter war ideal: 27 Grad, sonnig mit leichten Wolken und es herrschte wenig Verkehr. dabei habe ich gemerkt, dass die Gegend landschaftlich recht schön ist. Immer wieder gab es Ausblicke, die mich verblüfften, weil ich sie in meiner Jugend nicht wahrgenommen oder als selbstverständlich genommen hatte. Für die Tour hatte ich mir eine Yamaha MT07 ausgeliehen. Ein Nakedbike mit 76 PS, also genau dieselbe Fahrzeugkategorie, wie meine Suzuki SV650. Handlich, einfach, flott und sparsam. Macht einfach Spaß.

Marienburg

Marienburg

Mit der Yamaha MT07 im Deister

Mit der Yamaha MT07 im Deister

Am Samstag und Sonntag war ich in Elze, wo ich zwischen meinem 14. und 19. Lebensjahr gelebt hatte. Ich übernachtete im Elternhaus meiner Freunde von damals. Die Geburtstagsfeier fand in einem schön renovierten alten Kino in Gronau (Leine) statt. Mein Aufenthalt war familiär und vertraut, ein kleines bisschen melancholisch, aber sehr schön.

Ausblick

Ausblick

Montag ging es dann zurück nach Berlin. Ein wirklich schönes Wochenende mit vielen Menschen, die mir etwas bedeuten.

Leipzig

Am Wochenende war ich zu einer Feier von einem Freund nach Leipzig eingeladen. Die Feier am Abend war schön und ich konnte mit am Samstag und Sonntag ein bisschen von der Stadt ansehen. Und was soll ich sagen – sie gefällt mir!

Man sagt, Leipzig sei das neue Berlin. Wobei “man” hauptsächlich Immobilienmakler und amerikanische Touristen sind. Das darf man also eher als Drohung verstehen.

Trotzdem ist ein wenig was dran. Die Stadt ist großzügig mit dem Platz, noch (?) nicht überlaufen. Der Verkehr ist erträglich, an vielen Stellen gibt es noch verblüffend große Brachflächen. Einige Straßenbahnen sind noch aus den 60ern und laut. Es gibt einen lebendige, alternative Szene und schöne Cafés. Es gibt alte Industrieareale, die für Kunst und Kultur genutzt werden und liebevoll restaurierte Gründerzeitbauten.

Alte Baumwollspinnerei - ein Kunstmekka

Alte Baumwollspinnerei – ein Kunstmekka

Lindenau - schöne Wohngebäude und Cafés

Lindenau – schöne Wohngebäude und Cafés

Aber es ist natürlich nicht Berlin – und das meine ich positiv. Die Innenstadt ist super schick herausgeputzt, der Bahnhof ist eine Wucht und überhaupt hat man ein gutes Händchen dafür, pompöse Altbauten aus den wirtschaftlichen Glanzzeiten der Messe-, Handels- und Bankenstadt piekfein zu sanieren, daneben die Architektur der aus DDR-Zeiten ebenfalls wieder auf Hochglanz bringen und Neubauten deutlich sichtbar aber geschmackvoll zu integrieren. Ganz im Gegensatz zu Berlin, wo eine Bande abgehalfterter Stadtplaner aus dem Westen, fast den kompletten Bezirk Mitte verhunzt haben.

Leipziger Hauptbahnhof - Halle

Leipziger Hauptbahnhof – Halle

Leipziger Hauptbahnhof - Dachkonstruktion

Leipziger Hauptbahnhof – Dachkonstruktion

Hätte der Palast der Republik in Leipzig gestanden, wäre er vermutlich als geschichtlich bedeutendes Bauwerk hervorragend saniert worden. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass in Leipzig die großen Freiflächen in der Innenstadt permanent mit irgendwelchen peinlichen Rummelbuden vollgestellt werden, wie es mit dem Alexanderplatz passiert. Das hat etwas von Würde und positivem Selbstbewusstsein. Gefällt mir außerordentlich gut!

Augustplatz mit Gewandhaus und Universität

Augustplatz mit Gewandhaus und Universität

Mädlerpassage

Mädlerpassage

Der Augustplatz zwischen Oper, Gewandhaus und Universität ist jedenfalls überhaupt nicht vollgerümpelt, sondern zeigt seine Bauhistorie aus jeder Epoche blitzblank und selbstbewusst. Ganz anders, aber ebenfalls extrem ansprechend sind die vielen Passagen in den Handelshäusern, die mit interessanten und schicken Läden aufwarten.

Nicolaikirchhof

Nicolaikirchhof

Specks Hof

Specks Hof

 

Venedig 2019

Mein diesjähriger Hauptbeitrag zur globalen Klimaerwärmung ist ein Besuch in Venedig. Wie bereits vor zwei Jahren war der Anlass der Besuch der Biennale. Und wie 2017 teile ich meinen Reisebericht in zwei Artikel: Diesen zur Stadt und einen zur Kunst (58. Biennale in Venedig).

Anreise

Der Flug mit Easyjet ab Berlin Tegel war pünktlich, ruhig, wolkenlos und bot perfekte Sicht auf München, Innsbruck, die Alpen und die Lagune von Venedig. Auch in diesem Jahr bin ich wieder im Hotel “Antica Locanda al Gambero” im Stadtteil San Marco abgestiegen, das auf halbem Weg zwischen Rialtobrücke und Markusplatz liegt. Es hat kleine, schnucklige Zimmer und ein gutes Frühstücksbüfet, was einen guten Start in einen anregenden und anstrengenden Tag garantiert.

Venedig im Anflug

Venedig im Anflug

Wetter

Das Wetter war wolkenlos und sehr warm. Das Thermometer zeigte zwar “nur” 34 Grad und nicht 38 Grad wie zur gleichen Zeit in Berlin, aber die Luftfeuchtigkeit war sehr hoch. Da die Stadt im flachen Wasser steht, das bereits 29 Grad warm war, sank die Temperatur auch nachts nicht unter 27 Grad. Ich hatte das Gefühl, dass Venedig in einem großen, flachen Kochtopf steht und langsam gegart wurde. Mein Kreislauf war daher am Limit. Immerhin ist Südeuropa mit seinen schmalen, schattigen Gassen und dem großzügigen Einsatz von Klimaanlagen natürlich viel besser auf solch ein Wetter vorbereitet als Deutschland. Ich habe mich hauptsächlich von Schatten zu Schatten bewegt und wenn es zu arg wurde, habe ich irgendwelche klimatisierten Räume betreten.

Sehenswertes

Bereits bei meinem ersten Besuch 2017 habe ich recht viel von Venedig gesehen. Daher konnte ich die typischen Klischees Canal Grande, Rialtobrücke, Markusplatz, Dogenpalast usw. dieses mal kurz abhandeln. Man kommt da halt zwangsläufig vorbei. Aber auch bei meinem zweiten Besuch habe ich viele spannende Eindrücke von der Stadt gewinnen können.

Schade, dass ich auch dieses mal nicht den Markusdom von innen angesehen habe. Man muss sich gleich früh Morgens anstellen, um überhaupt eine Chance zu haben, aber bereits da war es so voll und heiß, dass ich davon Abstand genommen habe. Vielleicht kann man das im Frühling oder Herbst machen, aber nicht im Juni.

Kitschiges Klischee, aber echt

Kitschiges Klischee, aber echt

Die Tage waren überwiegend der Kunst gewidmet. Abends, wenn die Sonne nicht mehr so gebrannt hat und die Stadt langsam etwas ruhiger wurde, habe ich mir Ecken und Winkel jenseits der Hauptattraktionen angesehen um die Lagunenstadt besser verstehen zu können. Bei meinem ersten Besuch hatte ich den Eindruck, dass in den Gassen fast ausnahmslos Touristen unterwegs und nur noch am äußersten Rand einige wenige Venezianer wohnen. Dieses mal habe ich jedoch auch in zentralen Bereichen von San Marco und Dorsoduro einige verstecktere Winkel und Gassen durchstreift, in die sich zwar auch noch Touristen verirren, die aber tatsächlich von richtigen Menschen bewohnt werden. Dann sieht man auch mal an einem Handwerksbetrieb oder einen kleinen Tante-Emma-Laden. Einmal kam mir ein energisch diskutierendes junges italienisches Pärchen entgegen, und das Mädchen sagt, dass es nun wirklich nach Hause zur Mutter muss. Echtes Leben!

Original Banksy Graffitti gefunden

Original Banksy Graffitti gefunden

In meinem Venedig Artikel von 2017 schrieb ich von Gassen, die kaum 1,5m breit sind. Tatsächlich geht es aber noch enger. Den Rekord dürft eine Gasse halten, die ich in Dorsoduro auf dem Weg zwischen der Haltestelle San Toma und dem Campo San Pantalon auf der Suche nach dem Graffitti von Banksy durchschritten habe. Sie maß kaum 80 cm(!) und ich habe sie erst gesehen, als ich genau davor stand. Dazu kommen noch etliche Wege, die durch Unterführungen oder Arkaden verlaufen und häufig den Eindruck vermitteln, das es dort privat ist. Nebenbei habe ich die Gasse gefunden (Calle Malipiero), in der laut einer Gedenktafel Giacomo Casanova geboren sein soll.

Hier steht das Geburtshaus von Casanova

Hier steht das Geburtshaus von Casanova

Erholung

Da die Tage so anstrengend waren, habe ich bei meinen Streifzügen nicht nur auf Erbauung, sondern auch auf Erholung geachtet. Mal habe in einer versteckten Unterführung zu einem Anleger am Canal Grande Stühle gefunden und spontan eine 5min Pause eingelegt um den Verkehr der vorbeifahrenden Boote zu beobachten. Mal habe ich den Sonnenuntergang und den Blick zur Friedhofsinsel San Michele am Fondamente Nove genossen und einen ausklingenden Nachmittag habe ich am Strand des Lido gechillt und einfach nur eine Stunde auf die Adria geschaut. Dort lief die ganze Zeit klassischer Italo-Pop (“Felicita”, “Serenata”, “Ti amo”, “Volare”, “Sarà perché ti amo” usw.), der mit tagelang in den Gehörgängen klebte.

Nun ja, wo wäre das passender als hier?

Spontane 5 min Pause

Spontane 5 min Pause

Abendstimmung mit Friedhof

Abendstimmung mit Friedhof

Blick auf die Adria

Blick auf die Adria

Mein unerwartetes Highlight

Einige Ausstellungen die mir angesehen habe, waren über die Stadt verteilt und in großen Häusern oder Palazzi untergebracht. Zunächst war ich im Gebäude der Ugo and Olga Levi Foundation um dort die Länderbeiträge von Bulgarien und Portugal zu sehen. Das Haus war nicht nur groß, sondern auch sehr gut saniert und bot einen tollen Ausblick auf den Canal Grande und die Ponte dell’Accademia.

Blick auf die Ponte dell'Accademia

Blick auf die Ponte dell’Accademia

Auf dem Foto hinter der Brücke schon zu erahnen ist der Palazzo Contarini Polignac in dem eine Ausstellung mit Werken von Günther Förg gezeigt wurde. Nichts gegen Förg, aber gegen das absolut umwerfende Gebäude hat sein Werk m.E. überhaupt keine Chance. Der Palazzo aus dem 15. Jahrhundert ist nämlich fast im Originalzustand erhalten. Die Möbel im 1.OG stammen aus dem 16. und die im 2.OG aus dem 17. Jahrhundert. Es gibt hinter dem Haus einen für venezianische Verhältnisse sehr großzügigen Garten. Der Grundriss ist mit seiner Unterteilung in linken und rechten Flügel, sowie Mittelhalle typisch für ein venezianisches Handelshaus dieser Zeit.

Ich hatte mich in den Tagen zuvor an die beengten Platzverhältnisse und entsprechende Proportionen in der Stadt gewöhnt und stand plötzlich in der Haupthalle im Piano Nobile (1.OG). Mindestens 6m breit, 5m hoch und satte 22m lang. Sie geht von der Fassade am Canal Grande bis zur Rückwand am Garten. Beide Seiten sind in voller Breite und Höhe mit Fensterflügeln versehen, zum Canal mit Balkon. Dazu die Möblierung aus dem 16. Jahrhundert. Extrem beeindruckend! Leider durfte man dort nirgends fotografieren, weil das Haus in Privatbesitz ist und sogar noch bewohnt wird. Daher muss leider die Beschreibung ein Foto der Fassade genügen.

Palazzo Contarini Polignac

Palazzo Contarini Polignac

Ereignisse, die nicht stattfinden

Eines Abends fühlte ich mich etwas an Thomas Manns “Der Tod in Venedig” erinnert. Der Protagonist Gustav von Aschenbach besucht Venedig und bemerkt im Verlauf der Handlung, dass etwas in der Stadt nicht stimmt. Seine Versuche Auskunft zu erhalten, weshalb die Zisternen mit Kalk behandelt werden und immer mehr Gäste abreisen, werden nur ausweichend beantwortet, nichts steht in den Zeitungen. So erfährt er nicht, dass in der Stadt die Cholera ausgebrochen ist.

Daran musste ich denken, als ich bei einem abendlichen Spaziergang an der Promenade Riva Cà di Dio ein ziemlich großes Feuer bemerkt habe. Der Himmel färbte sich orange und nach ein paar Minuten sah man sogar die Flammen über die Dächer lodern. Aus der Perspektive war schwer auszumachen, wo das Feuer wütete. Meine Versuche herauszufinden, wo es genau gebrannt hatte blieben alle erfolglos. Der Portier im Hotel hat zwar recherchiert, aber nichts gefunden und selbst am nächsten Tag stand nichts in den italienischen Nachrichtenportalen.

Der Brand

Der Brand

Overtourism

Den Artikel habe ich mit einem selbstkritischen Satz begonnen und ich möchte ihn ähnlich beenden. Die Reise war anstrengend und schön, aber Venedig wird von Besuchermassen überrannt. Die Stadt hat noch ca. 60.000 Einwohner, aber über 30 Millionen Besucher jährlich.

So weit, so bekannt. Ich war nun so unklug, auch noch genau zur Hauptreisezeit zu buchen. Daher habe ich nicht nur die Höchsttemperatur, sondern auch noch den höchsten “Füllstand” mit Touristen abbekommen. Als ich am Dienstag ankam, war die Stadt schon sehr voll, aber sie wurde gefühlt von Tag zu Tag voller. Und das Gefühl wurde bei meiner Abreise bestätigt. Auf dem Anflugbild ist kein Kreuzfahrschiff im Hafen zu sehen. Bei meiner Abreise lagen dort 7(!) von den unerwünschten Riesen, gegen die die Stadtbewohner protestieren. So dürften zusätzlich zu der normalen Masse nochmal ca. 10.000 Tagestouristen von den Schiffen dazukommen.

Auch wenn ich selber zu den Touristen gehöre und Venedig ohne Touristen vermutlich nicht mehr existieren würde – so geht das einfach nicht mehr weiter. Wir müssen alle einfach viel häufiger zu Hause bleiben.

58. Biennale in Venedig

Die Biennale in Venedig ist die Hochleistungsschau des internationalen Kunstbetriebes. Im Jahr 2019 ist es bereits die 58. Veranstaltung seit 1895. Dieser Event ist so groß, dass fast die ganze Stadt dem Thema Kunst gewidmet ist. An und in den Vaporetti (die Wasserbusse) sieht man keine Werbung für Zahnpasta oder Mobilfunkanbieter, sondern für die Biennale oder weitere Kunstausstellungen. Etliche Palazzi werben mit weiteren privaten Kunstevents und selbst in einigen Kirchen finden Kunstausstellungen statt. Ich habe mit die von Sean Scully in der San Giorgio Maggiore-Kirche und von Lore Bert in der Kirche San Samuele angesehen.

Man wird schier erschlagen von der Menge der Ausstellungen und Veranstaltungen, die zusätzlich zum normalen Venedig Kulturbetrieb mit Museen, Konzerten und Theateraufführungen laufen.

Die Biennale selbst besteht aus den folgenden Teilen:

  • Die überwiegend themenbezogenen Ausstellung auf einem Teil des Arsenale, dem ehemaligen Stützpunkt der Venezianischen Flotte.
  • Den traditionellen 28 Länderpavillons in den Giardini.
  • Teilnehmende Länder, die keinen eigenen Pavillon im Park oder Raum im Arsenale haben, mieten Räumlichkeiten, die über die ganze Lagunenstadt verteilt sind.

 

Giardini Eingang

Giardini Eingang

Ich war 5 Tage in der Stadt und daher kann und will ich hier nicht 1:1 wiedergeben, was ich gesehen habe, sondern was ich für besonders erwähnenswert halte. Leider kann ich aufgrund des Urheberrechts auch keine Werke direkt zeigen. Ich bitte um Verständnis.

 

Länderspezifische Themen

Viele Länderbeiträge beschäftigen sich naheliegenderweise mit den speziellen Problemen, die in dem jeweiligen Teilnehmerland wichtig sind. Beispiel Irak:

Seit den 80er Jahren befindet sich das Land ständig in bewaffneten Auseinandersetzungen: Der Iran/Irak-Krieg, der Golfkrieg 1 und 2, der Kampf gegen die Kurden im Norden und zuletzt gegen den IS. Dementsprechend ist der Krieg das Thema des Irakischen Beitrages, der im Erdgeschoss eines versteckt liegenden Palazzo.

Der Beitrag von Peru wiederum kommt mit seinen in naivem Stil bemalte Fliesen vordergründig volksnah, aber bei genauerer Betrachtung wird klar, das hier die kolonialistische Sicht auf das “exotische” und seine Ausbeutung thematisiert wird. Besonders deutlich wird das bei einem Bild, das tanzende Indiofrauen zeigt – vor einem Bordell.

Von den einzelnen länderspezifischen Themen abgesehen, meine ich drei Schwerpunkte  erkannt zu haben, die ich etwas näher beleuchten möchte:

  • Armut / Flucht
  • Identität / Globalisierung
  • Technik und Gesellschaft

Schwerpunkt Armut und Flucht

Mein erster Tag begann, wie auch schon mein letzter Besuch 2017 in der 360m langen Seilerei von 1443. Die ersten Beiträge beschäftigen sich gleich mit dem Thema Armut und Flucht. Mein Blick fiel jedoch zunächst gar nicht auf die Werke, sondern auf die ca. 6m hohen Holzverschalungen, hinter denen die Wände und Säulen des Gebäudes verdeckt waren. Mein erster Gedanke war: “Wie kann man nur diesen genialen geschichtsträchtigen Ort so verschandeln?” und gleich danach kam mir die Frage in den Sinn, wie viele Hütten und Häuser man mit den Holzplatten und Balken hätte bauen können. Erst danach habe ich die Kunstwerke und das Thema bemerkt und urplötzlich wurde ich sauer.

Holzwände in der Seilerei

Holzwände in der Seilerei

So richtig sauer, weil das Thema Armut und Flucht hier schon wieder so plakativ in Szene gesetzt wurde. Ich wurde nicht etwas sauer, weil ich des Themas überdrüssig bin, sondern weil ich es an diesem Ort für vollkommen deplatziert halte. Wie ich eingangs erwähnt habe, ist die Biennale alt, international und riesengroß. Es wird ein enormer logistischer, materieller und monetärer Aufwand betrieben, um Kulturinteressierte hierher zu locken und zu ergötzen. Und die Horden des internationalen Bildungsbürgertums kommen. Zur Biennale 2017 sollen immerhin 500.000 Besucher angereist sein. Die meisten werden von irgendwo auf der Welt mit dem Flugzeug gekommen sein und jeder hat für ein paar Tage soviel Geld ausgegeben, dass man eine Familie in den ärmsten Teilen der Welt davon locker ein Jahr hätte ernähren können. Mir ist das durchaus bewusst und mir ist auch klar, dass ich zu dem Mob dazugehöre, auch wenn ich nur mit dem Billigflieger und nicht mit einer 70m Yacht samt Hubschrauberlandeplatz angereist bin, wie es einige tatsächlich tun.

70m Yacht mit Hubschrauber

70m Yacht mit Hubschrauber

Und in diesem Kontext auf das Elend zu zeigen, finde ich obszön und falsch. Weder wird sich für irgendeine der gezeigten Personen direkt etwas verbessern, noch wird einer der Gäste dadurch eine neue Erkenntnis mit nach Hause nehmen und aktiv werden. Das ist nur Gaffen, hat etwas von Menschenzoo und trägt absolut nichts zur Verbesserung der Lage bei. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit war es, ein gesunkenes (und später geborgenes) Fischerboot auszustellen, auf dem 700 Flüchtlinge gestorben sind.

 

Schwerpunkt Identität / Globalisierung

Erheblich wichtiger finde ich, dass sich sehr viele Beiträge mit dem Thema der kulturellen Identität auseinandersetzen. Wichtiger deshalb, weil dieses Thema der globalen Elite nicht präsent zu sein scheint, obwohl es erhebliche soziale Sprengkraft hat und ganz verschiedene Kulturkreise beschäftigt. Und hier können die Besucher etwas geistige Anregung mitnehmen und überlegen, was das für die Gesellschaft in ihrem eigenen Land bedeutet. Man konnte in vielen Beiträgen das Ringen um die eigene kulturelle Identität feststellen. In sehr unterschiedlichen Ländern gibt es offensichtlich das Gefühl, dass etwas wichtiges verloren geht.

Peru thematisiert Unterdrückung und Ausverkauf der eigenen Kultur durch koloniale Unterdrückung.

Kanada zeigt die Probleme der Inuit, die Schwierigkeiten haben, ihren traditionellen Lebensstil in Zeiten globaler Erwärmung und zunehmenden Ressourcenabbaus nördlich des Polarkreises beizubehalten.

Korea zeigt, wie ein Krieg, die Teilung des Landes und der anschließende Wirtschaftsboom, die eigenen Wurzeln verblassen lässt.

Die südafrikanische Künstlerin Zanele Muholi wies mit ihren beeindruckenden Selbstportraits offensiv auf eine schwarze Kultur hin, die im saturierten Mitteleuropa eher nicht bekannt ist.

Zu viele deutsche Besucher?

Zu viele deutsche Besucher?

Schwerpunkt Technik und Gesellschaft

Aserbaidschan zeigte die Ausstellung “Virtual Reality” in einem Palazzo in San Marco. Der Name kam mir etwas cheesy vor – so 1995 – aber die gezeigten Werke waren durchaus gut. Thematisch ging es um den Dauerstrom globaler Information, die auf das Individuum einprasseln, die Verbindung “von Kopf zu Kopf” durch soziale Medien und die Verbindung zwischen Historie und Hightech durch algorithmische Erzeugung traditioneller Muster.

Im 20. Jahrhundert war die Frage, wie die Sichtweise der Menschen auf die Welt durch die Medien verändert wird. Die Frage des 21. Jahrhunderts wird werden, wie die Maschinen die Welt wahrnehmen.

Diesem Thema widmete sich zum Beispiel Hito Steyerl mit einer raumfüllenden Installation aus verschiedenen Videoprojektionen, Gerüsten und Stegen. Die Stehe waren eine Anspielung auf die Hochwasser, die Venedig häufig in der Winterzeit überfluten, während die Videoprojektionen zeigten, wie eine KI Bilderkennung versucht, die Besonderheiten von Venedig zu “verstehen”.

Interessant auch der Beitrag von China. Die Chinesen präsentierten 2017 noch eine seltsam pseudo-folkloristisch anmutende Ansammlung in der Halle am Ende des Arsenale, wurden in diesem Jahr aber der Erwartung, die man an eine High-Tech Nation hat gerecht. Beim Durchwandern der Halle stand man plötzlich vor einer Videoprojektion, die die Halle selber zeigte. Man sah sich und die anderen Besucher wie im Spiegel. Jedoch wurde jede Person von einem Computer als Person identifiziert, auf dem Bild markiert und automatisch kategorisiert. Wenn man sich selbst gegenübersteht, mit einem grünen, roten oder blauen Kasten markiert sieht, der sich mitbewegt und an dem Labels hängen, die versuchen, einen als Person einzuschätzen, läuft es einem doch etwas kalt den Rücken herunter. Auch und gerade wenn man selbst ein bisschen was von der verwendeten Technik versteht.

Seit Jahren ein Klassiker

Seit Jahren ein Klassiker

Das Werk ist „Can’t Help Myself“ der beiden chinesischen Künstler Sun Yuan und Peng Yu im Zentralen Pavillon empfand ich als verblüffend anrührend. Es handelt sich dabei um einen Industrieroboter in einem ca. 10x10m großen Terrarium, der ständig versucht, mittels eines großen Spachtels eine Flüssigkeit zusammenzuhalten, die den Eindruck von Blut erweckt. Dabei machte er mal kleine, langsame Bewegungen um kurz darauf groß auszuholen und sich schnell herumzudrehen, wobei das “Blut” an die Wände und die Fensterscheiben spritzte. Ich fühlte mich an ein großes, wildes und verletztes Tier erinnert, das eingesperrt und angegafft wird. Wie Steppentiere in einem Zoogehege dazu neigen, verzeifelt und manisch wiederholte Zwangsbewegungen zu machen.

Mein Favorit der Biennale ist aber die Datenvisualisierung “data-verse 1” von Ryoji Ikeda. Auf einer 10m breiten Leinwand lief eine ca. 10 Minuten lange, extrem hochauflösende abstrakte Videoprojektion. In verschiedenen Szenen wurden jeweils riesige Mengen unterschiedliche Daten oder Messwerte anzeigt und durchscannt. Von allen Videos, die ich auf der Biennale gesehen habe, ist dies das einzige, das ich vollständig angehen habe. Sogar zweimal, weil ich erst im zweiten Durchlauf verstanden habe, das hier eine abstrakte und extrem ästhetische Reise von der Entstehung der Galaxis, der Planeten, des Lebens, des Menschen, der Gesellschaft bis zur Entwicklung von Megastädten gezeigt wurde.

Das Ganze basiert auf riesigen Datenbeständen die u.a. von CERN, NASA und dem Human Genome Project veröffentlicht wurden.

Ich war wirklich, sehr beeindruckt!

Brütende Hitze im Arsenale

Brütende Hitze im Arsenale

Mein Fazit

Vier Tage haben nicht ausgereicht um alle Biennale Beiträge zu sehen. Man ist auch irgendwann nicht mehr aufnahmefähig. Die Spannbreite der gezeigten Arbeiten ist riesig und natürlich findet man nicht alles interessant, manches sogar regelrecht schlecht, aber es sind auch diesmal wieder viele gute und auf einige ganz herausragende Werke dabei. Venedig hat sich auch dieses Mal wieder gelohnt.

 

Himmelfahrt zu MotoMonster in Groß Dölln

Staub, Lärm, Abgase, Geruch von Öl, Gummi und Benzin. Toll!

Himmelfahrt 2019 war ich bei MotoMonster in Groß Dölln. Ein Freund aus Hannover ist mit einer Schar Gleichgesinnter zu der Veranstaltung gekommen um dort zwei Tage lang mit seinem Motorrad über die Rennstrecke fahren zu können. Ein guter Anlass für einen Motorrad Tagesausflug um ihn zu treffen und mir das ganze einmal anzusehen. Ich war vorher noch nie bei irgendeiner Art Motorsportveranstaltung. In meiner Jugend habe ich mal Formel 1 Rennen im Fernsehen gesehen, aber das ist lange her und Live dabei ist doch deutlich anders.

Die Veranstaltung

Es ist keine Rennserie, wie z.B. die IDM (Internationale Deutsche Motorradmeisterschaft). Hier sind normale Motorradfahrer am Start, die gerne mal legal und mit fachkundiger Unterstützung richtig schnell fahren möchten. Es sind keine Profis dabei, niemand wird richtig gesponsort.

Die Veranstaltung geht über mehrere Tage. Meist wird “frei” gefahren, d.h. mit Zeitmessung per Transponder am Motorrad, aber ohne Start und Zieleinlauf, wie man es von den großen Rennserien kennt. Die Fahrer werden ihren Fähigkeiten entsprechend in vier Gruppen eingeteilt. Die Anfängergruppe fährt mit Instruktoren, die die richtige Linie, Schalt- und Anbremspunkte zeigen. In der besten Gruppe sind Fahrer unterwegs, die von den Fähigkeiten schon recht nahe an den Profifahren dran sind.

Die Art der Maschinen ist nicht reglementiert. In derselben Gruppe fahren hochdrehende, kreischende Drei- und Vierzylinder mit 600-750ccm genauso wie großvolumige, bollernde V2; mit Vollverkleidung oder ohne. Jeder wie er mag.

Aber nicht nur das unterscheidet die Veranstaltung von einem normalen Motorradrennen. Normal ist, dass es einen kleine Gruppe von Aktiven gib (Fahrer, Teams, Orga) und eine größere Menge Zuschauer. Hier nicht. Jeder der dort ist, macht auch irgendwie mit.

Eine Motorsportveranstaltung ohne Zuschauer!

Der Ort

Der Ort unterschiedet sich auch deutlich von einer normalen Rennstrecke. Es gibt keine Tribüne. Die Strecke – mit Ausnahme der Start/Ziel Geraden – kann man als Zuschauer auch überhaupt nicht richtig einsehen. Abgesehen von der eigentlichen Rennstrecke findet alles auf einer riesigen Betonfläche statt. Es gibt auch keine Infrastruktur – von Toiletten, Duschen und Stromversorgung mal abgesehen. Nicht mal ein Stand mit Würstchen oder Kaffee und das Bistro auf dem Gelände hatte geschlossen.

Hangar statt Tribüne

Hangar statt Tribüne

Alle Anwesenden sind mit Campingwagen, Transportern u.ä. gut vorbereitet und komplette ausgerüstet. Von Werkzeug über Benzin bis zum Proviant wurde alles mitgebracht. Das muss auch so sein, weil es im näheren und weiteren Umfeld außer Wald nichts gibt. Wirklich gar nichts! Ihr könnt ja mal die Karte ansehen und langsam raus zoomen.

Fahrerlager Überblick

Fahrerlager Überblick

Zeit, ein paar Worte über diesen recht speziellen Ort zu verlieren. Er liegt, wie auch meine letzten beiden Ausflugsziele (Stechlinsee und Friedrichswalde), ca. 70km nördlich von Berlin in Brandenburg. Die Landschaft ist dort extrem dünn besiedelt und hat riesige Waldflächen. Um zum Driving Center zu kommen, fährt man fast 20min. durch den Wald ohne an einem größeren Ort vorbei zu kommen. Wie ich im Artikel “Ostern am Stechlinsee” beschrieben habe ist diese Abgeschiedenheit sehr schön und ruhig, aber sie wurde auch gerne genutzt, um irgendwelche unangenehmen Schweinereien in der Landschaft zu verstecken. Am Stechlinsee war das ein Atomkraftwerk, in Fürstenberg ein KZ und in Groß Dölln war es der größte sowjetische Militärflugplatz der DDR. Hier war ein mit Atomwaffen ausgestattetes Jagdbombergeschwader stationiert.

Vorfeld mit Hangars am Waldrand

Vorfeld mit Hangars am Waldrand

Die russischen Streitkräfte sind im Jahr 1994 abgezogen. Das riesige Areal wird heute zum größten Teil als Solarkraftwerk genutzt, Siemens betreibt dort eine Teststrecke für elektrische Lastwagen und “rechts oben in der Ecke” ist das Driving Center, das hauptsächlich für Fahrtrainings genutzt wird.

Die Stimmung

Die Temperatur war sehr angenehm um 20 Grad, es war sonnig und staubtrocken (mal wieder die höchste Waldbrandwarnstufe). Da abgesehen von der eigentlichen Rennstrecke, die komplette Veranstaltung auf der riesigen Betonfläche des ehemaligen Vorfeldes stattfand, war ich über jedes bisschen Schatten froh. Die Jungs und Mädels (ja, es fuhren auch einige Frauen mit) waren super ausgerüstet und so konnte ich im Fahrerlager unter den Zeltdächern mit abhängen.

Das ist überhaupt der Charme für mich gewesen: der ständige Wechsel zwischen Entspannung, Konzentration und Adrenalin. Die Grundstimmung hat ein bisschen was von Campingplatz: Zunächst gemeinsames ruhiges rumhängen zwischen Transportern in Zelten auf Campingstühlen. Irgendwann steht jemand aus der Gruppe auf und bereitet sich und seine Maschine für den nächsten Lauf vor. Heizdecken auf den Rennslicks sorgen für den nötigen Grip, der Motor wird gestartet und grummelt vor sich hin, damit Öl und Wasser auf Betriebstemperatur kommen, die Schutzkleidung wird angelegt und dann geht es los.

Vorbereitung zum nächsten Lauf

Vorbereitung zum nächsten Lauf

Man stellt sich an die Betonmauer und schaut zu, wie die Fahrer um die Kurve auf die Zielgerade fahren und hoch beschleunigen. Bei der technischen Abnahme wird zwar auch eine Geräuschmessung vorgenommen, aber das ändert wenig daran, dass renntaugliche Motorräder bei voller Beschleunigung einfach extrem laut sind. Jetzt kommt doch etwas Rennfeeling auf – trotz des freien Fahrens.

Eingang zur Zielgeraden

Eingang zur Zielgeraden

Ein Lauf dauert zwischen 15 und 20 Minuten und danach kommen die Fahrer zurück in die Boxengasse, hieven ihre Maschinen wieder auf die Montageständer, analysieren den Lauf und lassen sich dann zur Erholung wieder in die Campingstühle sinken.

Blick in die Boxengasse

Blick in die Boxengasse

Fazit

Der Tag war interessant und spannend. Er hätte sogar ganz hervorragend sein können, wenn ihn nicht zwei Dinge getrübt hätten:

Ich hatte mich eigentlich darauf gefreut, hier meine Schwester zu treffen, die ursprünglich dabei sein wollte. Leider hatte sie ein paar Tage vorher eine Operation und war für die lange Anreise noch nicht genügend genesen. Sehr schade.

Rettungshubschrauber hebt ab

Rettungshubschrauber hebt ab

Den zweiten richtigen Dämpfer gab es gegen Mittag, als einer aus der Truppe auf der Strecke gestürzt ist und mit mehreren Knochenbrüchen per Helikopter in das Unfallkrankenhaus nach Eberswalde (Immerhin 27km Luftlinie) geflogen werden musste. Trotz guter Vorbereitung und Material (sehr viele fahren mit Airbag-Weste) bleibt Rennsport natürlich eine nicht ungefährlich Sache. Die Risiken sind den Teilnehmern voll bewusst. Mein Freund hat seinen nächsten Lauf daraufhin abgesagt, weil er “mental nicht ganz bei der Sache” gewesen wäre.

Motorradgottesdienst Friedrichswalde 2019

Am 12. Mai 2019 fand der 24. Motorradgottesdienst in Friedrichswalde statt und ich war dort. Das mag verblüffen, weil ich alter Heide ja nicht an Gott glaube und vor ziemlich genau 30 Jahren aus der Kirche ausgetreten bin. Aber man hat mich mit Schokolade der Aussicht auf eine Probefahrt mit der neuen Suzuki Katana dorthin gelockt.

Und das Fazit schon mal vorneweg – es war eine tolle Veranstaltung.

Zum ersten Mal habe ich genau ein Jahr zuvor davon gehört, als ich mich bei einem Ausflug in Joachimsthal über hunderte von Motorrädern gewundert habe, die durch den Ort fuhren. Da wurde mir gesagt, dass das jedes Jahr so sei, weil im Nachbarort ein Motorradgottesdienst abgehalten wird. Der Pfarrer sei da sehr engagiert.

Vor der Dorfkirche

Vor der Dorfkirche

Die Gegend

Für die Nicht-Berliner: Friedrichswalde und Joachimsthal liegen ca. 70Km nördlich von Berlin im Biospärenreservat Schorfheide / Chorin. Das ist eine schöne, recht dünn besiedelte Landschaft mit viel Wald und einigen Seen. Berlin ist für Motorradfahrer nicht so spannend, weil die Stadt groß, der Verkehr dicht ist und die Straßen schnurgerade sind. Hier oben gibt es eine schöne Landschaft mit viel Wald, einigen Seen und ein paar Straßen, die sogar Kurven haben. Die Gegend wird also am Wochenende gerne von Berlinern auf zwei Rädern besucht – mit und ohne Motor.

Das Rahmenprogramm

Bereits an den beiden Tagen vor dem Motorradgottesdienst gibt es Gesangs- und Tanzveranstaltungen. Der Höhepunkt ist dann der Sonntag, an dem mindestens tausend Biker in die 750 Seelen-Gemeinde “einfallen”. Es gibt ein Rahmenprogramm mit Livemusik, Motorradtestfahrten von Suzuki (wozu ich eingeladen worden bin) und nach dem Gottesdienst eine gemeinsame Ausfahrt von hunderten Bikern.

Sammeln zur Ausfahrt

Sammeln zur Ausfahrt

Bei einer derartigen Menge von Maschinen ist fast alles vertreten: Cruiser, Tourer, Brot-und-Butter Maschinen, Dukes, Sportler. Ein- bis Sechszylinder, Zwei- und Viertakter und auch so manches historische Schätzchen. Auf dem Weg ins Dorf fuhr ich hinter einem Pärchen auf einer top restaurierten Jawa.

Hintereinander: EMW, BMW und DKW

Hintereinander: EMW, BMW und DKW

Die Suzuki Katana

Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, möchte ich noch kurz von meiner Probefahrt berichten.

Als Jugendlicher hatte ich mich bereits für Motorräder interessiert und war 1981 total begeistert von dem extremen Design der Suzuki Katana. Andere Hersteller bauten Motorräder, die alle einigermaßen praktisch und ähnlich waren, aber dieses Gefährt schien direkt aus dem Weltall zu kommen (Star Wars?). Das polarisierte. Man konnte die Maschine nur extrem hässlich oder extrem genial finden. Ich gehörte zu den letzteren.

Die Gerüchte über eine neue Katana habe ich in den letzten Jahren interessiert verfolgt. Es gab sehr viel Möglichkeiten, stilistisch etwas falsch zu machen. Das normale Motorraddesign hat sich in den letzten 40 Jahren so radikalisiert – wie sollte da das Erbe glaubwürdig in die Gegenwart gerettet werden ohne beliebig zu wirken?

In meinen Augen hat es Suzuki geschafft, die Essenz des Originals bei dem neuen Motorrad zu treffen. Nun war ich gespannt, wie es sich fährt. Ich hatte zunächst Bedenken, weil die Maschine doppelt so viel Zylinder und doppelt so viel Leistung, wie meine SV650 hat. Der 1000ccm Vierzylinder leistet ziemlich heftige 150PS.

Katana Black - das Motorrad von Darth Vader?

Katana Black – das Motorrad von Darth Vader?

Die geführte, halbstündige Tour kann selbstverständlich nur einen ersten Eindruck vermitteln. Man sitzt ziemlich aufrecht – gar nicht mal so viel anders, als auf der SV, aber es ist deutlich zu spüren, dass man es hier mit einem ganz anderen Kaliber zu tun hat. Der Vierzylinder ist breiter und der nicht allzu laute, aber etwas heisere Klang im Leerlauf lässt einen schon das Inferno erahnen, dass einen erwartet, wenn man mal richtig aufdreht. Aber von aufdrehen konnte keine Rede sein. Ich fuhr das Modell in klassischem Silber mit jungfräulichen 300km auf dem Tacho. Die Drehzahl blieb also meist unter 4000 U/min. Der Motor ist ein Sahneschnittchen. zieht sanft, aber kräftig von unten heraus und hat dabei einen wirklich schönen Klang ohne laut zu werden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für ein Feuerwerk abgeht, wenn man den hochdreht. Das Fahrwerk strahlt ruhe aus. Die Katana lässt sich nicht ganz so leicht einlenken, wie die SV, aber die Tour ging zum Teil recht flott um die Ecken und die Maschine liegt ruhig und stabil in der Kurve.

Wirklich nett!

Der Gottesdienst

Wie erwartet, passten bei weitem nicht alle angereisten in die kleine Dorfkirche. Ich habe noch einen Stehplatz auf dem Balkon (oder Empore oder wie sagt man dazu?) in der dritten Reihe erwischt. Der Gottesdienst selbst war erfrischend originell und kurzweilig. Anstelle von Orgelmusik gab es eine Rockband, die Soundtechnisch etwas in Richtung AC/DC ging – aber natürlich mit religiösen Texten und einen Chor, der u.a. Gospel sang (“Down to the river to pray”). Pfarrer Schwieger stand in Ledekutte vor der Gemeinde. Seine Ansprache handelte natürlich von Themen, die Motorradfahrer interessieren, aber die Botschaft war, wie sich jeder um Ausgleich und Toleranz bemühen kann und soll. Die eigenen Schwächen ließ er dabei nicht unter den Tisch fallen (“Es kann sein, dass meine Auspuffanlage auch etwas zu laut ist, aber fahre ich eben ruhig durch die Orte”).

Gottesdienst mit Rockmusik

Gottesdienst mit Rockmusik

An diesem Tag wurde mir wieder deutlich, dass es bei der ganzen Kirchen-Geschichte nicht ausschließlich um den Glauben an Gott geht (damit kann ich nichts anfangen), sondern auch um das kulturelle und soziale Miteinander. Und genau bei diesen beiden Punkten hat die Gesellschaft zunehmend arge Probleme. Ich komme da schon ins Grübeln. Und genau das ist es ja, was so eine Ansprache bezweckt.

 

Mein Fazit

Es war ein schöner Ausflug, eine tolle Veranstaltung und ein interessanter Gottesdienst. In einer Zeit, in der sich Leute über jeden Kram aufregen, Streckensperrungen für Motorräder und sogar komplette Innenstadtsperrungen in der Diskussion sind, fand ich es sehr erfrischend, wie die Bewohner von Friedrichswalde und den umliegenden Orten mit der Veranstaltung umgehen.

Immerhin führt die enorme Menge an Motorrädern nicht nur zu kurzfristigen Sperrungen für den Durchgangsverkehr, sondern auch zu einem gewissen Lärmpegel. Da aber die absolute Mehrheit der Biker (also eigentlich alle) ruhig und zivilisiert fuhren und niemand durch lautes, hochtouriges Fahren, Wheelies oder ähnliches Rumgeprolle gestört hat, nahmen es die Bewohner als willkommene Abwechselung in der sonst extrem ruhigen Gegend.

Die Jugendlichen mischten sich in das Getümmel, im Dorf haben es sich viele vor ihren Häusern mit Gartenstühlen, Grill oder Kaffeegedeck gemütlich gemacht um dem Treiben zuzusehen. Auf dem Rückweg standen in den nächsten Orten Familien am Wegesrand und die Kinder haben den Motorradfahrern zugewunken.

Ich hoffe, dass diese sympathische Haltung nicht an den nächsten Wochenenden durch lautstarke Möchtegern-Valentino-Rossis gestört wird.

 

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