Ein paar Tage in der alten Heimat
In den letzten Jahren (2020, 2022, 2023, 2024) bin ich Ende Oktober nach London gereist um dort den Geburtstag von einem guten Kumpel zu feiern. In diesem Jahr ist er mir etwas entgegen gekommen. Genauer gesagt hat er seine Mutter besucht und wir haben uns dort in Elze getroffen. Ich habe dort Teile meiner Teenager Zeit verbracht, bis ich zum Studium nach Berlin gezogen bin.
Elze und Schloss Marienburg
Wie ich bei einem Spaziergang bemerken konnte hat sich dort in den letzten 35 Jahren leider wenig zum Besseren gewendet. Zwar wurde der Nord/Süd Verkehr der Bundesstraße 3 auf die Ortsumgehung verlagert, aber der Ort teilt das übliche Elend der Kleinstädte: Die ganzen Läden in der Hauptstraße sind entweder geschlossen oder mit den üblichen Schrottläden belegt. In den 80ern gab es wenigstens noch viele sinnvolle kleine Geschäfte, so dass man nicht für jede Schraube nach Hildesheim oder Hannover fahren musste. Dafür gibt es nun ein weiteres großes Neubaugebiet mit Einfamilienhäusern. Ich konnte damals aus meinem Jugendzimmer noch hinunter ins Leinetal und auf die Marienburg gucken. Das ginge jetzt nicht mehr. Aber wir haben eine kurze Phase Sonnenschein dazu genutzt einmal kurz rüber zu fahren.

Zu mehr als ein paar Fotos hat es aber auch nicht gereicht, weil das Schloss Marienburg – die ehemalige Sommerresidenz der Könige von Hannover – zur Zeit wegen umfangreicher Renovierungsarbeiten geschlossen ist.

Da ich mehrere Tage in der Gegend war, sind wir ein bisschen herumgefahren. Beinahe so wie in alten Zeiten – allerdings etwas zielgerichteter. (Typischer Dialog damals: „Mir ist langweilig. Was machen wir jetzt?“ „Lass uns mal ins Auto steigen.“ „Wohin?“ „Egal – fahr los“).
Alfeld und die Fagus Werke
Damals gab es für uns nur einen Grund ins 20km südlich liegende Alfeld (an den Sieben Bergen) zu fahren: Die Discothek „Easy“. Die gibt es unter dem Namen „Sound“ tatsächlich immer noch, aber diesmal hat uns die gleich daneben liegende Fabrik wesentlich mehr interessiert: Das Fagus Werk ist in der UNESCO Welterbe Liste eingetragen, worauf man im Ort sehr Stolz ist. Der Grund dafür, ist dass die Schuhleisten Fabrik 1910 bis 1915 von Walter Gropius nach modernsten Gestaltungsgesichtspunkten entworfen wurde und richtungsweisend für sein späteres Schaffen am Bauhaus ist.
Ich war verblüfft zu erfahren, dass dort tatsächlich noch immer Schuhleisten hergestellt werden.


Hildesheim – echte und nachgebaute Geschichte
Mein Quartier hatte ich in einem Hotel in der Hildesheimer Innenstadt bezogen. Von dort sind alle wichtigen Orte der Stadt in 15min Fußmarsch zu erreichen. Zum Beispiel der Mariendom, der zusammen mit der Michaeliskirche ebenfalls UNESCO Welterbe Status haben. Der Dom im Stil einer Basilika, wurde ab dem 872 im romanischen und gotischen Stil gebaut. Er ist eine der ältesten Bischofskirchen in Deutschland.

Für einen katholischen Sakralbau ist der Dom sowohl in den Ausmaßen als auch in der Gestaltung bemerkenswert bescheiden und schlicht. Letzteres liegt am Wiederaufbau nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs, aber ich finde, das tut der Atmosphäre gut. Meine Seele berührt die betonte Schlichtheit des Kirchenschiffs bedeutend mehr, als völlig überladene Barockkirchen.

Der Domhof mit dem Kreuzgang, der Annenkapelle, dem Annenfriedhof und dem tausendjährigen Rosenstock übt auf mich überzeugten Atheisten auch eine eigene spirituelle Faszination aus. Ein sehr schöner, ruhiger und angenehmer Ort. Leider konnte ich dieses Mal keinen der dort lebenden Uhus sehen.

Die „gute Stube“ von Hildesheim ist der Marktplatz mit dem berühmten Knochenhaueramtshaus, dem Bäckeramtshaus und weiteren schönen Fachwerkgebäuden. Der einzige Wehmutstropfen ist, dass fast alle dieser Gebäude aus dem 1980er Jahren stammen. Sie sind Rekonstruktionen von Gebäuden, die hier früher standen. Lediglich das Rathaus an der Ostseite ist noch der Originalbau. Ich habe mit so einem Umgang mit Geschichte so meine Probleme, aber die wenigsten Besucher wird das stören, so lange das ganze schnuckelig aussieht – und das tut es. Und im Bäckeramtshaus gibt es die beste Pizza von Hildesheim.

Auch wenn sie wie hier gelungen sind – ich selbst mag solche Rekonstruktionen eigentlich nicht. Für mich sind die Nachbauten eigentlich Fälschungen, weil sie einen wichtigen Teil der Geschichte – hier die Zerstörung der Stadt in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges – einfach ausradieren. Zumal die Stadt das eigentlich nicht nötig hat. Sie hat nämlich noch ein paar originale mittelalterliche Straßenzüge rund um den Kehrwiederturm aus dem Jahr 1456.

Geschichtlich wichtig – also nicht für Hildesheim, aber für mich selbst – war die Tanzschule Bodscheller am Bahnhof. Die gibt es immer noch. Das Gebäude ist ein richtiger architektonischer Missgriff der 70er, aber in den Sälen im 1.OG habe ich damals lateinamerikanische Tänze gelernt – mit Bällen und mehreren Fortgeschrittenenkursen. Eine Lektion für das Leben war, dass es nicht darauf ankommt das hübscheste Mädchen im Arm zu haben, sondern das, mit dem man am besten harmoniert.
Was wohl aus meiner Tanzpartnerin von früher geworden ist…?

Bad Salzdetfurth
Eine Freundin hat vor kurzem ihre neue Praxis in Bad Salzdetfurth eröffnet. Ein Grund dorthin zu fahren und die Räume anzusehen. Alles großzügig, schick und modern. Ich wünsche Ihr von ganzem Herzen viel Erfolg.
Nach der Besichtigung haben wir einen Rundgang durch das Städtchen gemacht. Wie Elze ist es auch hier – nun sagen wir mal ruhig. Sehr ruhig!

Aber dennoch wirkt die alte Hauptstraße nicht ganz so verlassen. Es gibt noch ein paar kleine Geschäfte und Restaurants in den schnuckeligen Fachwerkhäusern. Vermutlich hilft hier der Kurbetrieb des Moor und Solebades etwas. Im Kurpark stehen immerhin gleich zwei Gradierwerke, die auf die Geschichte der Salzgewinnung im Ortes hinweisen.


Abschiede
Bevor es zurück nach Berlin ging, hieß es Abschied nehmen. Von meinen Freunden, von neuen Bekannten, von der alten Heimat – und auch von Menschen, die nicht mehr unter uns sind. Wir haben den Friedhof St. Magdalenen in Hildesheim besucht, auf dem der Vater von meinem Kumpel beigesetzt worden ist.
Und einen etwas längeren Abstecher nach Bredenback am Deister habe ich auch unternommen um im dortigen Ruheforst den Baum an dem meine Mutter beigesetzt ist, zu besuchen. Gar nicht mal so einfach, einen Baum im Wald wiederzufinden.


Damit liegen ein paar sehr schöne, teils melancholische, teils auch sehr lustige Tage hinter mir. Und natürlich musste ich mir auch wieder eine leckere Stracke mitnehmen.