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Superbooth 2025

Vor drei Jahren habe ich bereits über “Die wahrscheinlich lässigste Musikmesse der Welt” berichtet. Und auch in diesem Jahr traf sich in der Wuhlheide in Berlin vom 8. bis zu, 10. Mai das Who-is-who der elektronischen Musikszene zur Superbooth. Diese Mischung aus Messe, Festival, Szenetreff und Zeltlager im Wald ist international einzigartig. Es sind sowohl die großen, bekannten Marken (Moog, Korg, Yamaha) vertreten, aber auch viele kleinere und unabhängige Einmann-Firmen.

Seebühne am FEZ – Entspannen beim Soundset

Cooles Ambiente, coole Besucher

Das Wetter spielte auch in diesem Jahr mit: sonnig, trocken, nicht zu warm und nicht zu kalt – nicht ganz unwichtig, wenn die Hälfte der Veranstaltung draußen und in Zelten stattfindet.
Das entspannte Ambiente trägt dazu bei, dass hier alle auf Augenhöhe miteinander agieren. Man ist gemeinsam an cooler Musik und spannend klingenden Dingen interessiert. Und so kann man auch bekanntere Leute mal eben in der Schlange vor dem Espresso Stand in eine kleine Fachsimpelei verstricken.

Festivalfeeling in der Zeltstadt

Oder man lässt sich in einem Zelt irgendein obskures Gadget, wie den Taschentracker M8 (s.u.) vorführen, während direkt daneben jemand um ein gemeinsames Foto gebeten wurde. In meinem Fall war das Lisa Bella Donna, eine US Amerikanische Komponistin, die für ihre Werke an Modularsythesizern bekannt ist. Ich sollte sie etwas später nochmals eher aus Versehen auf dem Stand von Moog sehen, als ich den neuen, kleinen Moog Messenger ausprobiert habe. Dort gab sie ein kleines aber sehr feines viertelstündiges Set zum Besten. Wunderbar!

Soundset von Lisa Bella Donna am Stand von Moog

Auch sonst sind mir viele – zumindest in der Szene – bekannte Gesichter aufgefallen. Natürlich Herr Schneider von Schneidersladen, der die Superbooth organisert hat, Dieter Döpfer, der mit der Erfindung des Eurorackformates die Renaissance analoger Modularsysnthesizer eingeleitet hat, diverse Blogger, wie BoBeats, True Cuckoo, Nick Batt von Sonicstate und Anthony Marinelli. Der hat als Studiomusiker bereits am Thriller Album von Michael Jackson mitgearbeitet. Er saß saß locker mit einem Getränk auf einer Bierbank unter ‘nem Baum und unterhielt sich mit mit zwei Kumpels – genauso wie irgendein Dude aus Kreuzberg. Witzigerweise ist das bereits der zweite Musiker, den ich aus der Nähe gesehen habe, der mit Michael Jackson gearbeitet hat. Vor Jahren saß ich in der SAE in Kreuzberg bei einem kleinen Workshop zu Modularsynthesizern und habe erst im Nachhinein erfahren, wer dieser nette, ältere Herr namens Michael Boddicker eigentlich ist. Schön zu sehen, dass das alles ganz normale, freundliche Menschen sind.

Messefeeling in der Turnhalle

Cooles Spielzeug

Genug Namedropping – was für Spielzeug fand ich denn interessant? OMG – viel zuviel, als dass ich hier alles aufzählen könnte. Ich nehme einfach mal drei je Produkte aus den beiden Kategorien Tracker und Komplettsynthesizer.

Tracker und Grooveboxen

Tracker und Grooveboxen sind kompakte Geräte, mit denen man “Tracks zusammenbauen” kann. Also eher kleine Studios im Taschenformat, als “richtige” Instrumente, die man in zusammen mit anderen spielt. Manche lassen sich sogar unterwegs nutzen und können so als elektronisches Notizbuch für Songideen dienen. Von den kompakten Maßen soll man sich nicht täuschen lassen: Klangmäßig haben die es mächtig drauf.

Teenage Engineering OP-XY

Die schwedische Firma Teenage Engineering war im Außenbereich mit einem Campingbus und einem Partyzelt vertreten, unter dem auf einem Klapptisch diverse Geräte zum Ausprobieren lagen. Darunter war auch der OP-XY, der ein bischen an den Casio VL-1 Taschenrechner erinnert, den 1981 Trio bei ihrem Hit “Da da da” verwendet haben. Nur dass der OP-XY super klingt, extrem solide gebaut und mit ca. €2.300,- schweineteuer ist.

Polyend Tracker +

Deutlich günstiger (ca. €800,-), aber größer und ohne eingebauten Akku nicht mehr wirklich portabel nutzbar ist der Polyend Tracker +. Er hat ein weniger “musikalisches” Bedienkonzept, als der OP-XY: Es ist ein Tracker – ein Konzept, mit dem auf den frühen Heimcomputern wie C64 oder Amiga mit sehr begrenztem Speicher lange Musikstücke komponiert wurden. Diese sind eine Kette von Pattern mit Abspielinformationen (Spur, Tonhöhe- und Länge, verwendeter Klang usw.). Die Benutzeroberfläche ist quasi ein direkter Blick in die Speicherzellen des Gerätes. Das klingt zunächst weder intuitiv, noch sehr musikalisch, ist aber sehr mächtig, wenn man den Dreh erst mal raus hat.

Dirtywave M8

Das selbe Prinzip nutzt auch der M8 von Dirtywave (ca. €600,-). Hier aber mit extrem reduzierter Benutzeroberfläche, und eingebautem Akku. Das Produkt, das über mehrere Jahre aus einem DIY Bastelprojekt weiterentwickelt wurde, besticht durch sehr solide Hardware. Das perfekte musikalische “Notizbuch”, wenn man unterwegs ist. Die Lernkurve ist aber recht steil.

Weitere ähnliche Geräte, die ich leider nicht ausprobiert habe sind Ableton Move (ca. €450,-) und der BENTO von 1010music (ca. €1.100,-) . Diese Geräte sind mir leider erst im Nachgang aufgefallen.

Komplettsynthesizer
Kommen wir nun zu “richtigen” instrumenten – den Komplettsynthesizern. Damit meine ich Instrumente, die nicht erst zusammengesteckt werden müssen und mit Klaviatur spielbar sind.

Als neues, günstiges Einsteigermodell besticht der monophone Moog Messenger mit dem fetten Sound, für den die Firma seit Jahrzehnten bekannt ist. Die Verarbeitungsqualität mit dem Metallgehäuse und den Moog-typischen Reglern ist gut. Bei einem Preis von gerade mal €850,- kann man nicht ganz, die seidenweiche Bedienung der größeren Moog erwarten, aber In dieser Preisklasse spielt der Messenger ganz vorne mit.

Moog Messenger

Eine andere, legendäre Synthesizerschmiede ist Oberheim. Der TEO-5 wurde zwar bereits letztes Jahr vorgestellt, aber ich habe ihn erst jetzt in die Finger bekommen. Das kompakte und leichte Gerät ist mit €1.600,- für einen Oberheim sehr günstig. Dafür bekommt man ein kompaktes und leichtes Gerät mit 3 1/2 Oktaven Klaviatur, jede Menge Knöpfe und Drehregler. Man muss auf solche Dinge, wie Holzpaneele und extrem hochwertige Regler verzichten, aber das bedeutet nicht, dass das hier eine billige Kiste wäre. Sieht gut aus, fühlt sich gut an und der Klang ist absolute Sahne – sowohl qualitativ, als auch vielseitig. Und das allerwichtigste: Ich finde ihn sehr zugänglich. Ich hatte einfach mal ein paar Presets genommen und dann daran ein bisschen rumgeschraubt. Irgendjemand nahm einfach mal den zweiten Köpfhörer und hat mir bei meinen Klangimprovisationen zugehört. Wir waren beide sehr angetan.

Oberheim TEO-5

In einer deutlich höheren Preisklasse (€3.700,-) spielt der Arturia Polybrute 12. Wie der Moog und der Oberheim nutzt auch der Arturia Analogschaltkreise zur Klangerzeugung. Das Metallgehäuse mit Holzpaneelen ist absolut top verarbeitet. Ein echter Brocken – sowohl was Gewicht (23kg), als auch die Klänge angeht. Auch hier sind Klänge von kristallklar bis ultra-fett möglich. Das Besondere sind hier die ausgefeilten Möglichkeiten, die Klänge während des Spielens zu beeinflussen. Die 5 Oktaven Tastatur hat polyphonen Aftertouch. Zu den üblichen Pitch-Bend und Modulationsrädern kommen ein Sensorfeld auf der Holzleiste über den Tasten und die X/Y/Z Sensorfläche links von den Tasten dazu. Über das Matrixfeld kann man einstellen, welche Spielhilfe welchen Klangparameter steuern soll.
Somit ist ein unheimlich nuanciertes Spiel mit Soundmorphing möglich.

Arturia Polybrute 12

Diese Geräte zeigen eine unglaubliche Spannbreite. Man kann nicht einfach sagen “Je teurer, desto besser”, sondern je nach Vorlieben und Einsatzzweck kann auch das günstigste Gerät das beste sein. Gut klingen tun alle. Ich habe mich im Nachgang gefragt, welches Instrumente ich am liebsten mitgenommen hätte. Bei den Gadgets wäre es der M8 Tracker und bei den Instrumenten der Oberheim TEO-5.

Tatsächlich habe ich aber nichts gekauft, weil ich mit meinem kleinen digitalen “Studio” gerade sehr zufrieden bin. Dennoch war der Besuch der Superbooth mal wieder ein Fest.

Musikinstrumentenmuseum Berlin

Am letzten Sonntag gab mir der Internationale Museumstag den Anlass nach interessanten Museen in Berlin zu schauen. Ich stieß auf das Musikintrumentenmuseum, das an diesem Tag für 12:00 eine Einführung in Modularsynthesizer angekündigt hatte. Zwar kenne ich das Prinzip der analogen Klangsynthese und habe auch selber ein kleines Modularsystem, aber die Vorführung sollte von einem Mitarbeiter von Schneidersladen durchgeführt werden. Die organisieren auch die jährliche Musikmesse “Superbooth“, auf der ich mich die Woche zuvor bereits gut unterhalten habe (Bericht folgt noch).

Die Sammlung des Musikinstrumentenmuseums Berlin

Das Museum befindet sich neben der Philharmonie in Tiergarten und ist im Wesentlichen ein einziger, sehr großer Raum im Staatlichen Instituts für Musikforschung. Die Sammlung umfasst Instrumente vom 16. bis zum 21. Jahrhundert und ist breit gefächert, obwohl es sich überwiegend um europäische Instrumente handelt. Es gibt diverse Holz- und Blechblasinstrumente, Saiteninstrumente zum Zupfen und Streichen, Tasteninstrumente vom Nähkastenklavier über Cembalo, Spinett, Piano und Konzertflügel, sowie Orgeln in allen möglichen Größen und Einsatzzwecken. Das Museum hat ebenfalls einige sehr interessante elektronische Musikinstrumente.

Ich empfand es als eine kleine Herausforderung, dem Drang zu widerstehen, zumindest die Tasteninstrumente kurz auszuprobieren. Wann steht man schon mal vor einem erstklassig erhaltenen und spielbereiten Cembalo, das Königin Sophie-Charlotte von Preußen gehört hat?

Nachdem ich mir einen ersten Überblick über die historischen Instrumente verschafft hatte, fing die Demonstration des Modularsynthesizers an. Nachdem die Grundlagen der additiven Klangsynthese (Oszillator, Filter, Hüllkurben,…) demonstriert waren, wurde deutlich, dass ein Modularsynthesizer weit über die üblichen Vorstellungen darüber, was ein Musikinstrument ist hinausgeht. Man kann Tasten zum Spielen verwenden, aber es gibt auch ganz andere Eingabemöglichkeiten – Kontaktflächen, Gitarren, ja sogar Hirnströme oder elektrische Impulse beim Pflanzenwachstum. Oder das Instrument spielt sich selbst, in der Vorführung z.B mit einem Stepsequenzer. Ich empfand die knappe Stunde als kurzweiligen Crashkurs.

Einführung in Modularsynthesizer

Eigentlich wollte ich nun gehen, aber es begann eine Führung durch die Ausstellung, der ich mich anschloss. Dabei wurden einige typische Instrumente geschichtlich und funktional erläutert und auch kurz demonstriert. Darunter waren Trompete, Klarinette, Regal (eine Art Hausorgel), Geige (je eine normale und eine Taschengeige), Cembalo, Klavier und Hammondorgel. Den krönenden Abschluss boten Vorführungen der Kirchenorgel, die drei Geschosse hoch ist und ganz zum Schluss mehrere Filmmusikstücke auf der “Mighty Wurlitzer” – einer Theater- und Kinoorgel aus dem Jahr 1929. Die letzten beiden Instrumente wetteiferten dabei um den Titel des lautesten Instrumentes – ich würde sagen unentschieden.

Kirchenorgel im MIM

Die Wurlitzer ist insofern besonders, dass bereits der Spieltisch mit vier Manualen bombastisch aussieht, aber das eigentliche Instrument in den drei darüber liegenden, mit Schallklappen versehenen Räumen(!) untergebracht ist. In die Räume kann man von hinten auch durch Fenster hineinsehen. Darin sind nicht nur Orgelpfeifen, sondern auch Röhrenglocken, Marimba, Schlaginstrumente und Einrichtungen für diverse Klangeffekte untergebracht. Sehr interessant!

Spieltisch der “Mighty Wurlitzer”
Gesamtansicht der “Mighty Wurlitzer”. Drei Räume hinter braunen Schallklappen

Und selbst in der Abteilung für elektronische Instrumente sind einige charakterische Exponate vorhanden, darunter ein Mellotron, ein EMS Synthesizer, ein Emulator II und das seinerzeit irrsinnig teure Synclavier II (ca. $250.000 in 1984). Vom Melotron gab es eine elektronische Emulation, die man ausprobieren konnte, ebenso wie ein Theremin. Das Highlight für mich, war aber das Mixturtrautonium, auf dem Oskar Sala die Geräusche für Alfred Hitchcocks “Die Vögel” eingespielt hat. Auch dieses Instrument wurde kurz vorgeführt.

Mixturtrautonium von Oskar Sala
NED Synclavier II

Der Besuch war sehr interessant und unterhaltsam. Ich dachte, dass mein Besuch eineinhalb oder zwei Stunden dauern würde. Stattdessen war ich über vier Stunden dort. Für Musikinteressierte ist das Museum sehr empfehlenswert – insbesondere, wenn man einer Führung oder Vorführung beiwohnen kann.

Konzert Viagra Boys

Am Abend des achten Mai spielten die Viagra Boys in der Columbiahalle in Berlin. Es war das einzige Konzert auf ihrer “infinite anxiety tour” in Deutschland und es war restlos ausverkauft.

In freudiger Erwartung vor der Columbiahalle

Ich hatte schon seit längerem darauf gehofft, die Band aus Stockholm mal live zu sehen. Dieser heftige Genremix aus Punk, Metal mit Spuren von Jazz, gepaart mit krassen Texten und der selbstironische Performance ließ mich auf ein sehr unterhaltsames Konzert hoffen. Und das war es auch.

Kurz zusammengefasst

Mit der Entscheidung, lieber meine Doc Martens zu tragen, lag ich goldrichtig. Der Laden war packevoll, die Band gab Vollgas. Alle tanzten Pogo und ständig wurden Leute beim Crowdsurfing über die Zuschauermenge getragen. Ich roch links nach Bier, weil eine Bierdusche nach der anderen kam und rechts roch ich nach der Hautcreme einer fremden Frau, was passieren kann, wenn man ein halbes Konzert lang unfreiwillig aneinander klebt…
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass es echt voll und eng war? Zwischendurch musste ich meine Freundin aus der Menge rausziehen, weil sie völlig eingeklemmt war.

Okay, klingt irgendwie nach einem gelungenen Punkkonzert.

Erfreulicherweise überhaupt nicht Punk war die Pünktlichkeit der Veranstaltung. Um genau 20:00 fing die Vorgruppe an, spielte genau eine halbe Stunde. Nach weiteren 30 Minuten startete der Hauptact und dauerte eineinhalb Stunden.

Columbiahalle – vor dem Konzert noch leer, ordentlich und sauber

Volldampf ab Acht!

Die Stimmung war vom ersten Song an exzellent. Und damit meine ich die Vorband, deren Namen ich leider nicht mitbekommen habe, nur dass sie ebenfalls aus Stockholm kamen. Sie haben kräftig eingeheizt, der schwarze Sänger tobte bald mit freiem Oberkörper über die Bühne und bot einen erfreulichen Anblick für die Damen und vermutlich auch für einige Herren. Das Publikum tobte mit. Bereits nach zwei Songs bildete sich eine Pogo-Area vor der Bühne. Super Auftakt!

Und so ging es nach der erfreulich kurzen Umbaupause weiter. Die Viagra Boys starteten mit “Man made of meat” und das Publikum sang sofort mit und es ging schnell so richtig zur Sache. Überall Pogo und Crowdsurfing, Bierbecher flogen herum. Einer traf Sänger Sebastian Murphy am Kopf. Der machte seinem Ruf alle Ehre, indem er sich höflich dafür bedankte “I really appreciate that”.

Viagra Boys – ordentlich was auf die Ohren

Überhaupt – Haltung. Das unterhaltsame an der Band ist ja die völlige Abwesenheit jeglichen Schamgefühls bei gleichzeitig doppelbödiger Themensetzung der Texte. Schon rein optisch sind die Jungs Hingucker – wenn auch in zweifelhafter Art und Weise. Sowohl Sänger Sebastian Murphy (wie immer mit Porno-Sonnenbrille), als auch Bassist Henrik Höckert zeigten mit nacktem Oberkörper, wieviel Tattoos sich auf einem durch ordentlichen Biergenuss gezeichneten Körper unterbringen lassen. Als Kontrast dazu trug der schlanke Saxofonist extrem knappe 70er Jahre Turnhosen im Hot-Pants Stil.

Das vollkommen proletenhaftes Auftreten, kontastiert aber mit Texten die gesellschaftskritische Reflexion zeigt. Die Musik selbst zeigt sich ähnlich widersprüchlich. Einerseits Punk und Partysound mit heftig pumpenden Bässen und verzerrten Gitarren, aber auch interessante Akzente mit Syntesizer, Saxofon, Querflöte und Congas.

Murphy zeigte, dass er sich über Ort und Zeit des Auftritts Gedanken gemacht hat, indem er zwischdurch sagte, dass der Tag ein sehr besonderer für Deutschland und ganz Europa sei – der 80. Jahrestag der Kapitulation des 3. Reichs.

Stilvoller Abgang nach akustischem Drogentrip

Und dann wieder dieses Augenzwinkern, indem man nach einem Song mit dem (etwas irreführenden) Titel “Sports” das Konzert mit “Research Chemicals” – einem viertelstündigen akustischen Drogentrip – beendet um sich dann in bester Theaterbühnenmanier vor dem Publikum zu verbeugen und unter den Klängen von Joe Cockers “up where we belong” von der Bühne zu gehen.

Ja, war gut. :-D

Dänemark – auf die Spitze getrieben

Die Woche vor Ostern habe ich mal wieder im hohen Norden verbracht. Diesmal jedoch noch höher als üblich – ich bin bis nach Skagen in Dänemark gefahren. Sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg habe ich jeweils in der Nähe von Flensburg und nochmal im Dänischen Aalborg übernachtet.

Flensburg, Glücksburg, Angeln

In der Flensburger Gegend bin ich seit langem mehrmals im Jahr. Mir gefällt dort in Angeln sowohl der trubelige Sommer, wenn sich viele Touristen am Strand drängen, als auch die ruhigeren Jahreszeiten.

Schloss Glücksburg

Da ich dieses Mal nur auf der Durchreise war, hatte ich nach einer günstigen Unterkunft gesucht. Das bedeutet auf dem Dorf etwas weiter weg vom Wasser. Und das war ein Glücksgriff: Ich hatte für einen schmalen Taler eine großzügige Zweizimmerwohnung in einem Dachgeschoss direkt am Ortsrand mit tollem Ausblick über die leicht hügelige Landschaft.

Zimmer mit Aussicht

Nachdem ich mich im letzten Jahr von Glücksburg aus zum ersten Mal ganz kurz nach Dänemark getraut hatte (“Mit dem E-Auto in den Urlaub – Oh mein Gott!!!“) und es dort nett fand, wollte ich in diesem Jahr weiter und habe es so im wörtlichen Sinn bis auf die Spitze getrieben (‘skaghi‘ bedeutet im altdänischen ‘Landspitze’).

Mit wenigen Abstechern nach Links und Rechts bin ich über 1.900 km gefahren. Das ist deutlich mehr, als ich geschätzt hatte. Dänemark (ohne Grönland) ist zwar nicht besonders groß, aber wenn man das Land komplett von Süd nach Nord durchfährt, zieht es sich doch.

Aalborg

Aus diesem Grund habe ich in Aalborg, der nördlichsten Großstadt Dänemarks Quartier bezogen. Die Hafenstadt am Limfjord mit 120.000 Einwohnern hat eine gute Mischung aus Industrie, Dienstleistung, Universität und kulturellen Einrichtungen. Die Innenstadt wirkt lebendig und hat verhältnismäßig wenig Leerstand. In der Altstadt finden sich einige sehr malerische kleine Gassen und Häuser. Die Atmosphäre ist entspannt und angenehm.

Skagen

Nach einer Übernachtung fuhr ich weiter nordwärts nach Hjørring um dort das Auto nachzuladen. Ein paar Kilometer weiter, kurz vor der Hafenstadt Hirtshals an der Nordsee endete die Autobahn und es ging nach Osten über die Landstrasse weiter bis zur Ostküste bei Aalbæk. Von hier aus nun immer hinter den Dünen parallel zum Ostseestrand weiter nordwärts bis Skagen und schließlich zum Parkplatz Grenen am Leuchtturm von Skagen.

Interessant, wie deutlich sich Landschaft und Flora nördlich von Aalbæk ändern. Die ganze Halbinsel zwischen Nord- und Ostsee ist auf 20km Länge und bis zu 5,5km Breite im Prinzip eine einzige riesige Dünenlandschaft. Auf Satellitenbildern sieht man sehr gut die Struktur der Ablagerungen, die in tausenden von Jahren diese Halbinsel gebildet haben.

1,5 km durch die Dünen vorbei an Bunkern

Vom Parkplatz aus sind es noch ca. 1,5km bis zur Landspitze, die man entweder durch die Dünen oder am Ostseestrand entlang laufen kann. Wer Probleme mit dem Laufen hat, der kann auch mit einem Shuttle (Anhänger mit Sitzplätzen, der von einem riesigen Trecker gezogen wird) fahren.

Viele Menschen an der Landspitze
Blick südwärts. Links Kattegatt (Ostsee) und rechts Skagerrak (Nordsee)

Das Besondere an diesem Ort erschliesst sich tatsächlich erst so richtig, wenn man an der Spitze angekommen ist. Der Instinkt sagt einem sofort, dass das hier nicht irgendeine beliebige Landspitze ist. Hier treffen Nordsee (Skagerrak) und Ostsee (Kattegat) aufeinander. Das sieht man an der unterschiedlichen Färbung des Nordsee und der Ostsee und vor allem daran, dass sich hier die Wellen sowohl von links, als auch von rechts kommend kreuzen.

Doch dieser Ort hat auch eine weitere Besonderheit. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Westküste Schwedens und bis zur Südküste Norwegens. Durch diese Meerenge quetscht sich der ganze Schiffsverkehr zwischen Nord- und Ostsee. Bei einem Rundblick habe ich mehr als 20 große Frachter, Containerschiffe und Tanker gezählt, die wie an einer Kette aufgefädelt durch diese Meerenge fuhren. Aufgrund der Lage, ist diese Meerenge und die Halbinsel natürlich auch von hohem militärischen Interesse, wovon die in den Dünen stehenden Bunkeranlagen aus dem 2. Weltkrieg Zeugnis ablegen. Und auch an dem schönen, ruhigen, sonnigen Tag flogen einige Hubschrauber und Kampfjets Patrouille.

Erwähnenswert

Dass die meisten Dänen gut englisch sprechen, war mir bekannt. Aber bemerkenswert viele Dänen sprechen zudem Deutsch – und zwar gut. Das hatte ich nicht erwartet. Respekt!

Das liegt vermutlich auch daran, dass selbst abseits der Hauptreisezeit die Deutschen die größte Gruppe Ausländer sind. Zumindest fühlt es sich so an und auf Parkplätzen sieht es auch so aus. Deutsch ist also gut fürs Geschäft.

Ohnehin hatte ich das Gefühl, dass die Wirtschaft in Dänemark besser läuft, als in Deutschland. Viel Gewerbe und Industrie, wenig Leerstand, die Infrastruktur ist intakt, kaum kaputte Leute auf der Strasse.

Was zudem definitiv besser läuft, als in Deutschland ist die Energiewende. Erneuerbare sind hier Standard, viele Gemeinden sind rechnerisch Energieautark oder sogar Positiv und der Strom ist günstig. Keine Ahnung, wieviel Haushaltsstrom kostet, aber an der Ladesäule habe ich ziemlich genau halb soviel gezahlt, wie in Deutschland. Kein Wunder, dass auch der Anteil Elektrofahrzeuge deutlich höher ist. Auf einem dänischen Parkplatz einen Tesla zu suchen ist ungefähr genauso herausfordernd, wie in einer Wolfsburger Tiefagarage einen schwarzen Golf TDI wiederzufinden.
A propos VW: Auch die eletrischen ID Modelle sind häufig zu sehen, genauso wie Polestar und elektrische Volvos. Arm sind die Dänen offensichtlich eher nicht.

Der hohe Anteil Elektrofahrzeuge erklärt auch die enorm großen Ladeparks. Während bei uns zwischen 4 und 12 Ladesäulen Standard sind, ist in Dänemark meist zwischen 24 und 60(!) Ladesäulen angesagt. Und die sind auch gut ausgelastet.

Mein Fazit

Ich weiss gar nicht, weshalb ich dieses nette, kleine Land so lange ignoriert habe. Es war ein kurzer Urlaub, aber es hat mir sehr gefallen und sogar das Wetter hat mitgespielt. Ich komme gerne wieder.

(Wieder) fotografieren lernen

Das Jahr 2025 ist erst ein paar Tage alt, aber ich habe mich gleich daran gemacht, meinen Vorsatz für das neue Jahr umzusetzen. Ja, tatsächlich den einen Vorsatz:

Wieder fotografieren zu lernen.

Das kam so:
Zwischen den Festen war es sonnig und frostig und ich wollte ein paar schöne Bilder in den ehemaligen Rieselfeldern in der Nähe von Buch aufnehmen. Ich sah schon Bilder von Galloways, Wisenten und Koniks in der Sonne vor Rauhreif vor mir. Also habe ich mir meine gute Kamera (siehe unten) geschnappt und los ging es.

Das Wetter machte mir gleich den ersten Strich durch die Rechnung. Als ich ankam, war die Sonne verschwunden, der Himmel dunkelgrau und der Rauhreif taute gerade weg. Mit den Tieren hatte ich mehr Glück. Ich habe eine kleine Herde flauschiger Koniks gesehen und kam auch recht nah heran. Zwei dieser niedlichen Pferdchen haben auch schön Modell gestanden und mich lieb angeguckt. Und bei den Wisenten gab es sogar Nachwuchs, der im Stroh neben der Krippe lag. Was für ein Glück!

Leider stellte ich zu Hause fest, dass ich die meisten Bilder komplett verhunzt hatte. Motiv und Blickwinkel waren meist noch gut, aber die Belichtung so mies, dass ich auch mit digitaler Nachbearbeitung nichts mehr retten konnte. Gerade um die Bilder mit den kleinen Wisenten war es wirklich schade.

Ich habe keine ernsthaften Ambitionen als Amateurfotograf, aber immerhin war ich damals in der Schule in der Foto AG und hatte meine S/W Fotos selbst in der Dunkelkammer belichtet. Mein Opa hatte mir sogar eine Praktika TL1000 Spiegelreflexkamera mit ein paar Objektiven geschenkt. In den folgenden Jahrzehnten hatte ich mir auch hin- und wieder mal ein aktuelles Modell zugelegt. Darunter waren Canon EOS 1000F (analog Spiegelreflex) , Nikon F90 (analog Spiegelreflex) oder Nikon D40 (digitale Spiegelreflex) und seit ein paar Jahren eine Olympus OM-D E-M10II (digitale MFT Systemkamera). Alles nicht ganz High-End, aber wenn man damit schlechte Bilder macht, ist das Problem hinter dem Sucher.

Also – wie konnte das passieren?

Ich habe in den letzten Jahren einfach nur noch mit dem Smartphone fotografiert geknipst. Ist ja auch praktischer, als eine sperrige Fotoausrüstung. Das Ding hat man halt immer dabei und es ist schnell. Einfach Bildausschnitt wählen, draufhalten abdrücken und fertig.

War da sonst noch was?
Brennweite? Ist fix. ISO, Blende, Belichtungszeit? Egal! Das Foto wird sowieso automatisch schöngerechnet.

Und so hatte ich den ganzen Kram über die Jahre vergessen. Ärgerlich!
Also habe ich mir vorgenommen, die Theorie wieder aufs Neue zu lernen und auch gleich mal angefangen. Zum Beispiel mit Objekten (hier ein kleines Kunstobjekt von Petra Tödter).

ISO 200, 42mm, f/5,6, 1/10 Sekunde
ISO 200, 42mm, f/10,0, 1/3 Sekunde

ISO 200, 42mm, f/20,0, 1 Sekunde

Was habe ich hierbei (wieder) gelernt:

  • Der Fokus auf das nahe Objekt (ca. 1/3 Abstand zum Objekt und 2/3 zum Hintergrund)
  • Offene Blende und kurze Belichtung zum Freistellen mit unscharfem Hintergrund
  • Geschlossene Blende und lange Belichtung für Tiefenschärfe.

Auf dem Spaziergang durch den Park fiel mir auf, dass die Haselnussbäume bereits Samen bilden. Nach mehreren Versuchen gelang mir dieses Bild:

ISO 400, 42mm, f/5,6, 1/100 Sekunde

Das Freistellen mit Brennweite und Blende gelang gut. Die Belichtungsmessung habe ich auf mittenbetonte Integralmesseung verstellt und da der Autokus konsequent die Baumrinde spannender fand, habe ich ihn ausgeschaltet und manuell scharfgestellt.

Auch nicht ganz ohne – Nachtaufnahmen. Die ersten beiden Bilder habe ich mit einem Zoomobjektiv (Panasonic Lumix 14-42mm 1:3,5-5,6) geschossen und das letzte mit einer lichtstärkeren Festbrennweite (Panasonic Lumix 14mm 1:2,5).

ISO 200, 16mm (Zoom), f/4,5, 10 Sekunden
ISO 800, 14mm (Zoom), f/4,5, 3 Sekunden
ISO 800, 14mm (Festbrennweite), f/2,8, 1 Sekunde

Interessant an der Bildserie, wie schnell sich der Mond bewegt. Die Aufnahmen habe ich innerhalb weniger Minuten gemacht. Beim ersten Bild bewegen sich die Wolken so schnell, dass sie unscharf sind. Beim letzten Bild habe ich mir leider Reflexionen (zwei rote Punkte links vom Mond) eingefangen.

Was habe ich hier gelernt:

  • Bei Nachtaufnahmen scheint ein möglichst kurze Belichtungszeit positiv zur Bildschärfe und Farbechtheit einzuzahlen.
  • Eine höhere Empfindlichkeit ist daher von Vorteil. Andererseits nimmt bei richtig hohen Empfindlichkeiten das Bildrauschen zu. Viel hilft also nicht viel, aber ISO 800 ist ein guter Kompromiss.
  • Wenn der Fokus auf unendlich geht, ist auch eine offene Blende besser, weil sie die Belichtungszeit weiter verkürzt.

Schon die ersten Übungen haben die grundlegenden Zusammenhänge wieder in mein Gedächtnis zurückgeholt. Genauso wichtig ist aber auch, die eigene Ausrüstung besser kennenzulernen. Bis jetzt habe ich nur mit Blendenautomatik gearbeitet, musste mir aber schon zusammensuchen, wo man die Belichtungsempfindlichkeit einstellt, die Art der Belichtingsmessung und den Autofokus-Modus. Und die Verstellmöglichkeiten an einem Stativ sind auch nicht völlig selbsterklärend. Aber mit der Zeit und etwas Übung kommt das wieder zurück.

Also werde ich weiterhin üben und die Kamera auch wieder häufiger auf Ausflüge mitnehmen.

Kunst im Breisgau

Am letzten Wochenende im November verschlug es mich in den südwestlichsten Zipfel Deutschlands – ins Breisgau. Anlass war die Eröffnung der Ausstellung zum 7. internationalen André-Evard Preises für konkret-konstruktive Kunst.

Einladung und Ausstellungskatalog

Die Ausstellung, die noch bis zum 23.02.2025 in den Räumen der Kunsthalle Messmer in Riegel am Kaiserstuhl zu sehen ist, zeigt Werke von 101 internationalen Künstlern. Ich habe nun bereits zum dritten Mal als Gast an der Eröffnung teilnehmen dürfen und fand die gezeigten Arbeiten auch in diesem Jahr wieder sehr ansprechend und hochwertig. Das betrifft sowohl Material, Farbe und handwerkliche Ausführung, als auch künstlerische Komposition.

Es kommt auch bei guten Ausstellungen nicht sehr häufig vor, dass ich jedes gezeigte Werk gut finde. Hier ist das der Fall. Jede Arbeit hätte in meinen Augen den Preis verdient. Keine leichte Aufgabe für die Jury.

Kunsthalle Messmer

Von der Eröffnung kann ich leider keine Fotos zeigen, da ich alle Personen und Künstler um die Erlaubnis zur Veröffentlichung hätte fragen müssen. Immerhin kann ich stellvertretend die Werke einiger Künstler zeigen, von denen mir eine Erlaubnis vorliegt:

Mary Kim
Petra Tödter
Fumiari Ogawa
Viktória Körösi
Robert Dufter

Wenn ich schon mal in der Gegend bin um Kunst anzusehen, darf auch ein Abstecher in die Paul Ege Art Collection nicht fehlen. Auch hier konnte ich jedes Mal großartige Arbeiten bewundern. In diesem Jahr erfreute mich die Ausstellung Look Loop von Elodie Seguin. Leider habe ich keine Rechte, die raumfüllenden Arbeiten hier zu zeigen. Erwähnen wollte ich es aber auf jeden Fall.

Untergekommen war ich bei Freunden, die vor einigen Jahren aus Berlin nach Emmendingen gezogen sind. Wir haben viel geklönt und diskutiert. Es war alles: bequem, lecker, nachdenklich, anregend und vor allem sehr, sehr nett. Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft!

Gute Kunst, gutes Essen, liebe Freunde – das versöhnt auch mit dem einzigen kleinen Wehrmutstropfen: Dem Wetter. Es war bemerkenswerte drei Tage durchgehend sehr nebelig bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Die Sonne kam lediglich für 15 Minuten zum Vorschein, als ich kurz den Markt am Freiburger Münster besucht habe, um eine Bratwurst zu essen und einen von den in der Gegend weltberühmten Käsekuchen zu kaufen.

Ehemalige Brauerei Riegel an der Elz im Nebel

Die An- und Abreise war ungefähr so, wie ich es erwartet hatte: Egal auf welcher Strecke – die 800km ziehen sich und die Fahrt ist laaaaaang!
Premiere war für mich, die Langstecke elektrisch zurückzulegen – aber dazu schreibe ich noch mal einen eigenen Artikel.

Web Engineering Unconference 2024

In diesem Jahr habe ich wieder die Web Engineering Unconference besucht, die vom 20. bis zum 22. September in Palma de Mallorca stattfand. Mittlerweile eine lieb gewonnenen Gewohnheit und auch dieses Mal waren die Vorträge, Diskussionen und Gespräche interessant und anregend.

Blick über Palma – einige Wolken und viel Sonne

Das ist umso schöner, weil Anfang des Jahres durchaus dunkle Wolken am Veranstaltungshimmel zu sehen waren. Das eingespielte Orga Team der letzten Jahre hatte aufgehört. Das neue Team musste sich erst finden, weshalb die Ankündigung recht spät kam. Zwischenzeitlich waren Flug- und Hotelpreise ordentlich gestiegen und das alles in einem wirtschaftliche schwierigeren Umfeld.

Erfreulicherweise wurden trotz der halbierten Teilnehmerzahl auch dieses Mal wieder viele interessante Themen präsentiert. Die informellen Gespräche jenseits der eigentlichen Konferenz waren anregend und vielschichtig.

Teilnehmer bei der Themenfindung

Das kommt sicherlich auch daher, dass dieses kleine, aber feine Branchentreffen keine herkömmliche Konferenz ist sondern eine Unkonferenz. Hier wird nicht zwischen Zuhörern und Vortragenden unterschieden, sondern jeder kann seine eigenen Themen mitbringen und vorstellen. Alle zusammen stimmen dann ab, welche Themen angenommen werden.

Das kann auch recht spontan sein. Einen eigenen Vortrag hatte ich dieses Mal nicht vorbereitet. Mir ging aber seit längerem ein Thema durch den Kopf, das ich nicht so recht zu fassen bekam. Am Vorabend habe ich das einigen Leuten gegenüber erwähnt und die Reaktion war immer “Mensch, das ist doch relevant und spannend – mach was dazu!”

Das Thema ist ständig steigende Komplexität.

Genauer die Frage, weshalb wir dazu tendieren, Systeme immer komplexer zu machen, bis sie nicht mehr richtig funktionieren oder aktualisert werden können. Konkreter Anlass war das Refactoring einer umfangreichen Software, aber das Problem ist nicht technisch, sondern eher universell.

Die üblichen Ansätze, steigende Komplexität in den Griff zu bekommen, laufen darauf hinaus, neue Werkzeuge und Verfahren zu etablieren, um die Komplexität zu managen. Leider wird das Problem dadurch nicht gelöst, sondern nur verschoben und die Gesamtkomplexität steigt duch die neuen Tools sogar noch weiter an.

Oft wäre es besser, stattdessen die Komplexität zu reduzieren, aber diese Weg wird fast nie gegangen. Mich interessierte die Frage, weshalb das so ist. Zumal das kein technisches Problem ist. Wir sehen dieselben Muster bei allen möglichen Organisation in der Wirtschaft und auf staatlicher Seite.

Session “Komplexität” mit Julia und Dirk (Foto von Maria Adler)

Ich hatte also Szenarien und Fragen mitgebracht. Passenderweise hatte Julia Dorandt (Beratung Judith Andresen) einen Vortrag vorbereitet, in dem sie Strategien vorstellte, die Individuen nutzen, um in einem komplexen System handlungsfähig zu bleiben. Stichwort “fight flight freeze fawn“.
Wir haben also zusammen einen Slot genutzt, in dem ich einleitend die Fragestellung aufgeworfen habe und Julia anschließend die Theorien aus der Verhaltenspsychologie erläutert hat.

Für das Thema haben wir viel positives Feedback bekommen. Ich konnte jedoch leider keine konkreten Handlungsempfehlungen ableiten. Als ich in der darauf folgenden Woche in meiner Firma davon erzählte, wurde das Thema aufmerksam aufgenommen und ich bekam einige gute Hinweise auf Quellen zu dem Thema.

Weitere weiche Themen auf der WEUC waren Neurodiversität, “Talking to people” und Kommunikation in schwierigen Organisationsstrukturen.

Technische Vorträge gab es natürlich auch.

Alexander M. Turek hielt einen Vortrag zu “Strict PHP”. Was bedeutet das, wozu ist es gut und weshalb es nicht reicht, das einfach im Programm zu deklarieren.

Rainer Schuppe (Oberservability Heroes) stellte Open Telemetry vor – ein Framework zur Erfassung von Messdaten. Er demonstrierte Einsatzzwecke und Möglichkeiten zur Datenauswertung.

Und natürlich gab es auch in diesem Jahr wieder einige Slots zum Thema “Künstliche Intelligenz”. Während KI in den vergangenen zwei Jahren eher als enormes Potential gesehen wurde, nimmt nun die tatsächliche Nutzung sprunghaft zu. Beispiele:

  • Automatisierte Websiteanalyse
  • Suche in und Zusammenfassung von großen Dokumentensammlungen
  • Unterstützung beim Programmieren und Einsatz bei personaliserter Akquise.
  • Automatische Erstellung von “best of presentation” Videos. Der Teilnehmer kommentierte das so: “Das Ergebnis sind so eine Art TikTok Videoschnipsel von unseren Vorträgen.”

Bei generativer KI zur Erzeugung von Bildern und Videos sind die enormen Verbesserungen der letzten zwei Jahre augenfällig, aber es gibt noch immer zu viele eigentümlichen Artefakte. Dennoch wurde gerade die Zusammenarbeit von Runway (AI basierte generierung von Videos) mit der Filmproduktionsfirma Lionsgate bekanntgegeben.

Joschua Ziethen (Yet Another Agency) zeigte interessante Beispiele zum Einsatz von KI Toolchains mit Hilfe von make.com. Zudem hat mich der Bastian Hofmann (Qdrant) zum Thema Vektordatenbanken sehr angesprochen.

Trotz des reduzierten Umfangs gab es also auch in diesem Jahr wieder reichlich spannenden fachlichen Austausch. Ein Teilnehmer meinte sogar, dass er es gut fand, dass wir in diesem Jahr nur zwei, anstelle von drei parallelen Tracks hatten, weil man so weniger verpasst.

Nur zwei anstelle von drei parallelen Tracks – aber interessante Themen

Es gibt also viel Positives zu berichten. Dennoch haben mir aber viele von meinen Buddies aus der E-Commerce Szene gefehlt. Ohne Marco, Lars, Fabian oder Thomas ist es nicht so ganz dasselbe. Andererseits habe ich darum bei der Abendgestaltung nicht über die Stränge geschlagen. Das ist dann wiederum ganz gut für die Gesundheit des alten Mannes.

Hat die WEUC noch Zukunft?

Die Diskussion, ob wir die Veranstaltung im nächsten Jahr weiterführen sollen, wurde einstimmig bejaht. Wir waren uns auch einig, dass 50 Teilnehmer die Untergrenze sind und wir eher wieder auf 75 bis 90 kommen sollten.

Diese zusätzlichen Teilnehmer wollen wir vozugsweise in anderen Branchen als e-commerce und außerhalb von Deutschland finden, um die Diversität an Themen und Sichtweisen zu fördern. Denn trotz Englisch als Konferenzsprache wurde der Anspruch, eine internationale Konferenz zu sein, in diesem Jahr nur knapp erreicht.

Bei der Frage, ob es wieder Mallorca sein muss, gab es unterschiedliche Meinungen. Mir selbst ist das nicht so wichtig (“Meinetwegen Kassel oder Bielefeld”), so lange sich eine gute Mischung aus Teilnehmern und Themen findet. Die überwiegende Mehrheit fand jedoch, dass die entspannte Atmosphäre und das Ambiente zum Erfolg der Veranstaltung beiträgt.

Da ist etwas dran. Das Besondere, weshalb ich jedes Jahr gerne wieder teilnehme ist die Offenheit, mit der hier Herausforderungen und Lösungsansätze besprochen werden. Im Gegensatz zu anderen Konferenzen, steht hier nicht Verkauf und Selbstdarstellung im Vordergrund, sondern ehrlicher Gedankenaustausch.

Zum Ende der Veranstaltung ein Zeichen zu setzen, sagte eine Sponsorin bereits die Unterstützung für 2025 zu. Nun ist es an uns, den längeren zeitlichen Vorlauf für eine gute Organisation und Medienarbeit zu nutzen.

Auf dass die Web Engineering Unconference 2025 wieder interessant, spanned und lehrreich wird.

Meine ersten Stolperschritte in das Thema Künstliche Intelligenz

Seit einiger Zeit ist künstliche Intelligenz ein allgegenwärtiges Thema. Ich bin da selber stets skeptisch gewesen. Jahrzenhntelang was das Thema eher ein fahler Witz. Zudem – wie soll ich an künstliche Intelligenz glauben, wenn ich schon kaum an natürliche Intelligenz glaube? (siehe: Zustand der Welt)

Zynismus beiseite – letztlich ist KI nur “Statistik auf Speed”. Die Grundlagen sind mathematisch verblüffend banal. Das sollte jeder verstehen können, der sich durch das Abitur geboxt hat. Von neuronalen Netzen war auch bereits zu meiner Schulzeit in den 80ern die Rede. Der Grund, weshalb das Thema jetzt so abhebt, ist die Verfügbarkeit von früher unvorstellbarer Rechnpower und digitalen Datenbergen.

Man muss zugeben, dass das Feld gerade explodiert. Texte, Bilder und Videos werden nach allen Regeln der Kunst und Manipulation zurechtgelogen und -gebogen. Selbstfahrende Autos haben (in den USA) bereits Fähigkeiten, die sie durch normale Programmierung in den nächsten 50 Jahren nicht erreicht hätten. KI wird uns in den nächsten Jahren überrollen, wie es die Computer in den 80er und 90er Jahren gemacht haben. Millionen von Arbeitnehmern werden ihre Jobs verlieren – und zwar diesmal die hochqualifizierten Angestellten. Höchste Zeit also, sich das Ganze etwas näher anzusehen.

Erste Schritte zwischen “Wow” und “Was zum Geier…”???

Bisher habe ich nur hier und da etwas Theorie gelesen, aber selbst noch nichts aktiv genutzt. Aus gegebenem Anlass beschäftige ich mich jetzt selber mit diesem Thema.
Mein Ziel war es, eine Serie von Bildern inhaltlich analysieren zu lassen, und die Erkenntnisse zu verschlagworten. Dabei sollten nicht nur Objekte in den Bildern erkannt werden, sondern auch bestimmte Situationen, dmit daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können.

Noch vor fünf Jahren hätte ich abgewunken und “unmöglich” gesagt. Nun stehen mir etliche Werkzeuge aus der Microsoft Azure Cloud und GPT4 zur Verfügung. Die Anwendung ist nicht schwer zu programmieren, weil die eigentlich anspruchsvolle Arbeit ja von den Cloudservern erledigt wird.

Ich musste nur dafür sorgen, dass die Bilder nacheinander zur KI hochgeladen werden, die Antwort entgegennehmen und verarbeiten. Ach ja, und der “Prompt” muss natürlich sinnvoll sein. Damit sagt man der KI, was sie machen soll – und zwar in natürlicher Sprache.

Erster Eindruck: Die Objekterkennung ist ziemlich gut. Man bekommt eine Liste von Dingen, die die KI auf dem Foto erkannt zu haben glaubt, zusammen mit einem “Confidence” Wert. Ein Eintrag wie “Hardhat (confidence: 0.93)” bedeutet sinngemäß: “Ich bin mir zu 93% sicher, dass dort ein Bauarbeiterhelm ist”. In diesem Fall war es zwar ein roter Ball unter einem Schreibtisch – aber da der Kontext “Baustelle” war, ist das völlig in Ordnung. Da muss man halt später noch mal mit einer Plausibilitätsprüfung drüber. Die anderen Dinge wurden verblüffend korrekt erkannt.

Aus den Objekten alleine kann man aber noch nicht viel ableiten. Die Beziehung untereinander und der Kontext ergibt eine Situationseinschätzung. Und auch die ist verblüffend gut gewesen.

So wurde gelobt, dass das Baugerüst ordentlich aufgestellt war und bemängelt, dass die Bauarbeiter keine ausreichende Schutzkleidung trugen. Selbst potentiell gefährlich Situationen wurden erkannt “Bauarbeiter unter schwebender Kranlast”. Sehr sehr beeindruckend.

Nun habe ich versucht die Analyseergebnisse selber weiter zu verarbeiten. Dazu müssen sie in einen standardisiertes Format gebracht werden. Das ist an und für sich kein großes Thema: Man analysiert den Rückgabetext und erzeugt daraus Schlagworte die mit dem Bild verbunden werden.

Dabei ist mir aber schnell einen Manko aufgefallen: Wenn ich der KI das identische Bild wieder und wieder vorlege, bekomme ich jedes mal andere Antworten. Das reicht von unterschiedlicher Wortwahl über unterschiedliche Reihenfolge und Gewichtung und tatsächlich sind auch die erkannten Sachverhalte nicht völlig identisch.
Das ist ein Verhalten wie es Menschen in einer Diskussion zeigen würden. Leider ist es damit aber völlig ungeeignet um damit verlässliche Schlagwortlisten aufzubauen. Insbesondere wenn es um wirklich wichtige Themen wie Sicherheit geht und nicht nur um Smalltalk.

So bin ich gerade etwas hin- und hergerissen. Einerseits ist die Bildanalyse wirklich beeindruckend. Andererseits macht die mangelhafte Reproduzierbarkeit das vernünftige Arbeiten nahezu unmöglich.

Taugt das was? Ich weiss noch nicht so recht…

Neulich habe ich einmal irgendwo gelesen, KI sei nur ein stochastischer Papagei, der Intelligenz vorgaukelt. Man könnte natülich etwas bösartig sagen, dass das auch für 85% der Menschen zutrifft.

Von solchen philosophischen Betrachtungen abgesehen, habe ich wahrscheinlich nur noch nicht die richtigen Schalter und Parameter gefunden. Ich bleibe erst mal am Thema dran…

Mit dem E-Auto in den Urlaub – Oh mein Gott!!!

Wenn man einem bekannten deutschen Nachrichtensender glauben möchte, ist es ein wahres Abenteuer, elektrisch von Stuttgart nach Colmar (222km!) und dann in den Schwarzwald in den Urlaub zu fahren. Die Story verlinke ich jetzt mal absichtlich nicht. Zudem halte ich halte diese Tour eher für einen etwas längeren Tagesausflug, als einen Urlaub.

Ich fahre meist zweimal pro Jahr für ein paar Tage in den Norden an die dänische Grenze (450km) um Freunde und Verwandte zu besuchen. Anfang August war es mal wieder so weit. Zum ersten Mal mit dem E-Auto und es gab noch eine Premiere:

Ich bin nach 22 Jahren endlich mal auf die andere Seite nach Dänemark rübergefahren und habe mich dort etwas umgesehen.

Wie habe ich mich auf mein Wagnis vorbereitet?

Ich habe die Karte in meiner Maingau App angesehen und danach noch die Karte von Tesla. Tatsächlich sind Schnelllader im Norden etwas dünner gesäät, aber entgegen landläufiger Meinung muss man ja nicht jede Stunde an die Steckdose.

Ein schöner An- und Ausblick: Model 3 vor Yachthafen an der Förde

Ich bin mit knapp 100% Ladung in Berlin losgefahren, genauso wie ich früher vor der Abfahrt vollgetankt habe. Dann habe ich dem Auto gesagt “Navigiere mich nach Flensburg”. Die angezeigte Strecke entspricht genau der, die ich seit Jahren fahre. Es wurde ein Ladestopp ungefähr auf der Hälfte der Strecke angezeigt – in Wittenburg, wo ich ebenfalls seit Jahren meinen Zwischenstopp mache. Als ich noch meinen kleinen Peugeot hatte, musste ich dort auf dem Autohof auch immer noch Zwischentanken. Der hatte die Strecke nämlich auch nicht in einem Rutsch geschafft.

Invasion der Wikinger an der Skipiste in Mecklenburg-Vorpommern?

Bis hierhin also überhaupt nichts Neues. Lediglich, dass ich nicht auf den Autohof gefahren bin, sondern 500m weiter zu den Superchargern an der Skihalle. Die 8 Ladesäulen waren auch gut besucht. Ich war der einzige mit deutschem Kennzeichen – der Rest Norweger, Schweden und Dänen.

Die “Wikingerinvasion” mit Tesla statt mit Drachenboot.

Das Auto zeigte mir irgendwann an, dass die Ladung genügt, um das Ziel zu erreichen. Zur Vorsicht habe ich noch 5% draufgelegt und dann ging es weiter.

Da ich aufgrund des etwas dünneren Ladenetzes (und vor allem der unverschämten Roaming-Preise für Ladestrom) gerne mit genügend Kapazität im Akku am Urlaubsort ankommen wollte, habe ich das Auto noch einmal in der Nähe von Schleswig auf 95% geladen. Das sollte für die kleineren Touren in den nächsten Tage genügen.

Die ersten drei Tage habe ich mich auch nur im Umfeld von Glücksburg aufgehalten. Die Sonne schien und es war Strandwetter. Das ist hier selbst im Sommer nicht selbstverständlich und wurde daher ausgenutzt.

Strand von Holnis: Auf dem Foto leer, tatsächlich sehr gut besucht.

Was geht denn so in Dänemark?

In diesem Jahr hatte ich mir fest vorgenommen, endlich auch mal die Nordseite der Flensburger Förde zu besuchen. Morgens ging es zunächst zum Strand nach Dreiby. Die Landschaft ist genauso grün, hügelig und mit Wasserflächen durchzogen, wie auf der deutschen Seite. Trotzdem ist die Atmosphäre anders. Die Gegend ist dünner besiedelt, die Häuser ducken sich flacher hinter die Büsche und Bäume und der Strand war naturbelassen und sehr viel leerer, als in Holnis.

Strand von Dreiby in Dänemark

Mittags fuhr ich in die Altstadt von Sønderborg um dort einen ein leckeres Sandwich und köstlichen Kaffee zu mit zu nehmen. Sønderborg wird manchmal “die kleine Schwester von Flensburg” genannt und das trifft es auch recht gut.

Altstadt von Sønderborg
Hafen von Sønderborg

Westlich von Sønderborg befindet sich die Dybbøl Banke (Düppeler Schanze). Hier verlor Dänemark im zweiten Deutsch-Dänischen Krieg1864 die Herzogtümer Schleswig und Holstein and Preußen und das aliierte Österreich. Die Anhöhen werden von Dänemark als historische Orte erhalten. Man kann die teilweise geschleiften Befestigungen noch sehen und es gibt ein Museum.

Mühle und Kanonen auf der Düppeler Schanze

Danach bin ich in die Kleinstadt Broager gefahren. Die beiden charakteristischen weißen Kirchtürme habe ich jahrelang von Holnis aus gesehen. Nun habe ich mir den Ort und den ganzen Kirchberg endlich einmal aus der Nähe betrachtet. Sonst ist in dem verschlafenen 3.300 Seelen Ort nicht viel los und es zog mich wieder zurück nach Deutschland.

Kirchtürme von Broager

…und was ist jetzt mit aufladen?

Stimmt. Jetzt bin ich schon drei Tage durch die Gegend gefahren und der Akku ist immer noch nicht leer. Auf dem Weg habe ich einige 11KW Ladesäulen gesehen, aber in Klipev stehen Supercharger und dort kostet mich der Strom trotz Nachmittagszuschlag nur DKK 2,50 (€0,33) pr kWh. Der Ladepark liegt an der Autobahn E-45 (in Deutschland A7) und hat sagenhafte 48 Ladesäulen von Tesla und noch weitere von anderen Anbietern. Also mal eben wieder auf 90% und in der Zeit bei Mecces einen Kaffee ziehen.

Sagenhafte 48 Supercharger – plus weitere Anbieter (nicht mit im Bild)

Als ich an meiner Pension in Bockholm angekommen bin, war ich von dem unfassbar niedrigen Stromverbrauch fasziniert. Für die knapp 40km über Autobahn, Schnell- und Landstrassen habe ich nur etwas über 4kW benötigt. Zugegeben – ich bin gemütlich gerollt, aber nicht einmal €1,50 für die Strecke finde ich sensationell!

Noch billiger ist nur Fahrrad

Ich habe ein paar Minuten nur gelacht, weil mir zum Vergleich einfiel, was ich im Jahr zuvor ausgerechnet hatte. Da war ich von derselben Pension aus abends noch mal kurz zur Tankstelle gefahren. Die liegt 5km entfernt in Glücksburg, also hin und zurück 10km. Der Mercedes benötigte auf Kurzstrecke gerne mal 12 Liter/100km oder mehr. Rechnen wir der Einfachheit halber mit 10. Für die Fahrt zur Tankstelle und zurück habe ich also einen Liter verbraucht – für damals €1,80.

Kein weiterer Kommentar mehr zu den Betriebskosten.

Obwohl doch – einen hab ich noch.
Zwei Tage und etliche gefahrene Kilometer später fahre ich bei der Verwandschaft in Nordfriesland auf den Hof. Die haben schon vor Jahren ihr Scheunendach mit Photovoltaik voll und auch eine Wallbox in der Garage, obwohl noch kein E-Auto auf dem Hof steht (O-Ton: “…die hat damals zusammen mit der Anlage nur €150,- gekostet. Dann habe ich das gleich mitinstallieren lassen”). Ich frage, ob ich mal anstöpseln darf. Durfte ich. Wir waren alle interessiert, ob die Anlage richtig funktioniert. Das Auto meckert etwas, weil nur auf zwei von drei Phasen geladen wird, aber es geht. Mit gemütlichen 7kW. Aber der Nachmittag ist lang und sonnig und am Abend ist der Akku trotzdem voll.

Die nächsten 200km bin ich also völlig klimaneutral mit Solarstrom gefahren. Einfach klasse!

Nach 6 Tagen zurück nach Berlin

Leider war der Urlaub nur sehr kurz und ich musste am Sonntag zurück nach Berlin. Die Fahrt war eher zäh. Die Autobahnen waren sehr voll. Mehr als 120km/h selten möglich. Zwischenladen wieder in Wittenburg. Zwei längere Staus vor Berlin. Schlecht für die Durchschnittsgeschwindigkeit, gut für den Verbrauch. In Berlin mit 40% im Akku angekommen.

Und wo war jetzt das Drama?

Es gab keines. Und das, obwohl ich nur das Modell mit dem kleinen Akku habe (60kWh statt 80kWh). Ich hatte allerdings auch keine echten Probleme erwartet.

Ich bin insgesamt 1.350 km gefahren, habe 194kWh verbraucht (inkl. Ladeverluste etc.) und weniger als €75,- bezahlt.

Zugegeben – die gute Infrastruktur von Tesla hilft, aber ich hätte auch stets woanders laden können. Allerdings zu höheren Kosten mit weiteren Stromverträgen. Und das ist meines Erachtens das eigentliche Problem der E-Mobilität: Die völlige Intransparenz an den Ladesäulen. Da muss die Politik dringend ran.

Die Wahl, die Jugend, die Grünen, die Medien

Der Schock über die Ergebnisse der Europawahl am letzten Wochenende sitzt bei vielen tief – auch bei mir.

Was mich aber fast noch sprachloser macht, sind die hilflosen und inhaltlich mangelhaften Erklärungsversuche auf die Frage:

Weshalb haben so viele junge Leute rechts gewählt?

Ich kontere mal mit einer provokannten Gegenfrage:

Ja, warum denn eigentlich nicht?
Sie machen es, weil sie es können und weil sie es wollen.

Der Schock wäre eine gute Gelegenheit, die eigenen Vorurteile und Standpunkte zu hinterfragen. Ein Beispiel:

Jahrelang wurde propagiert, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.
Diese Forderung kam überwiegend aus der grünen und linken Ecke.
Das unausgesprochene Kalkül dahinter ist die Stärkung der eigenen politischen Positionen. Konservativismus wurde als alt und männlich gesehen und die Jugend sei automatisch grün und links.
Die offiziell ausgesprochene Begründung war bessere politische Beteiligung der Jugend, immer verbunden mit dem Hinweis, mit 16 sei man auf jeden Fall geistig reif genug.

Nichts davon hat mir jemals eingeleuchtet.

Das fängt schon mal damit an, daß hier das Prinzip der Volljährigkeit nicht verstanden wurde.
Zugegeben ist 18 Jahre eine halbwegs willkürliche Grenze. Nur weshalb man einerseits mit 16 nicht voll verantwortlich für sein eigenes Handeln in Hinsicht auf Geschäfte, Sexualität und Straftaten sein soll,
aber auf der anderen Seite genügend geistige Reife für politische Entscheidungen haben soll, erscheint mir einfach nur unlogisch und inkonsequent.

Jetzt, wo sich herausgestellt hat, dass das politische Kalkül “Jugend = links” nicht aufgegangen ist, wird die zuvor attestierte geistige Reife auch gleich wieder in Frage gestellt, indem über den verwerflichen Einfluss von Tik-Tok Videos geschwafelt wird.
Spiegel titelt sogar “Vielen Jugendlichen ist gar nicht bewusst, wie extrem rechts die AfD ist“.

Also irgendwas stimmt hier im Weltbild nicht.
Entweder sind junge Leute doch nicht so geistig reif, oder…
oder…

Schon mal in Erwägung gezogen, dass sie es doch sind und genau das wollen, was sie wählen?

Es hat keinen Sinn, ständig von “Brandmauern gegen rechts” zu fantasieren, die es ehrlich gesagt niemals gab. Es ist völlig unlogisch, Jugendliche automatisch mit politisch links zu assoziieren.

Jugendliche machen sich zuerst mal sorgen, welchen Platz in der Gesellschaft sie einnehmen können.

Wenn sie, wie wir damals in den 80ern in Westdeutschland den Eindruck haben, der Staat ist stockkonservativ und versperrt ihnen alle Wege, werden sie sich eher nach links wenden und versuchen freiheitlicher zu werden.

Heutzutage ist die Ausgangslage aber eine völlig andere.
Der Mainstream ist extrem liberal geworden. Jeder macht, was er will. Strukturen sind zwar noch vorhanden, funktionieren aber nicht mehr, während gleichzeitig jede Form von Autorität in Frage gestellt und herausgefordert wird.
Kontrollverlust auf allen Ebenen.

Nicht nur Alte, sondern auch viele Jugendliche fühlen sich damit überfordert.
Viele haben den Wunsch nach mehr Struktur und Sicherheit.

Das sind genau die Beweggründe, die meinem Großvater 1929 in die NSDAP haben eintreten lassen. Er sagte mir damals ehrlich “Ich wollte, dass das Chaos [der Weimarer Republik] aufhört und da waren Leute, die Struktur und Disziplin versprachen.”

Möglicherweise denken heute auch wieder viele so.

Ich habe die Wahrheit auch nicht, aber die akademische Innenstadtblase, aus der die meisten Medienschaffenden kommen, sollte mal die eigenen Moralvorstellungen und Hybris zurückstellen, um sich mit mal mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen. Immer nur die eigenen Vorurteile widerzukäuen bringt keinen Erkenntnisgewinn.

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