Heute habe ich halbwegs spontan mal ein neues Fahrrad ausprobiert – ein Gravelbike.
Ich stöbere hin- und wieder durch Youtube, Blogs und Fachmagazine um zu schauen, ob es nicht eine sinnvolle, stromlose Ergänzung zu meinem tollen Ampler Curt („Neuzugang im Fuhrpark: Ampler Curt„) gibt. Dabei habe ich das geniale und kultige Brompton Falterad („In Motorradklamotten auf dem Klapprad„) und tolle Fitnessräder ausprobiert („Vier flotte Fahrräder fix gefahren„) und bin sogar vor Liegerädern nicht zurückgeschreckt („Warum nicht mal ein Dreirad?„). Nur eine Fahrradkategorie hatte ich bisher eher gemieden: Gravelbikes – wörtlich Schotterräder. Warum?
Gravelbikes – die Klischeefahrräder
Diese Fahrradkategorie ist wohl der Gewinner der Coronapandemie. Für mich war das gleichzeitig etwas abschreckend: Überall im Berliner Umland machten plötzlich MAMILS die Waldwege mit diesen Rädern unsicher: Und ich möchte nicht zu diesen mittelalten Männern in engen Lycra Klamotten auf teuren Rädern gehören, die sich unbedingt beweisen müssen, dass sie körperlich noch gut in Form sind und das ganze Zeug aus Statusgründen kaufen.
Vom Alter her passe ich natürlich dazu. Aber körperlich bin ich ’ne Nulpe (war es auch immer) und muss und kann mir daher gar nichts beweisen. Zudem: Mit Anfang 20 hatte ich mal ein Rennrad und die Sitzhaltung fand ich schon damals recht unbequem. Mit Mitte 50 wird das sicherlich nicht besser.
Andererseits: Gravelbikes sind recht beliebt bei Menschen, die gerne auch mal längere Strecken fahren oder Radwandern (warum muss man das jetzt eigentlich „Bikepacking“ nennen?). Das hat sicherlich Gründe.
Was spricht für Gravelbikes?
Cube Nuroad C:62 Pro
Gravelbikes sind je nach Auslegung irgendwas zwischen Tourenfahrrad, Mountainbike und Rennrad. Das bedeutet, einerseits dass sie sich in jeder einzelnen Disziplin nicht gegen die Spezialisten durchsetzen (langsamer als Rennräder, weniger Geländegängig als Mountainbikes, weniger Gepäck als Tourenräder), aber sie sind ein ziemlich guter Kompromiss: Recht flott auf der Strasse, gut genug für Feld- und Waldwege und man kann mit Gepäck unterwegs sein. Schutzbleche, Ständer, Gepäckträger und Licht lassen sich nachrüsten. Gute Allrounder also.
Und die Sitzposition?
Ich hatte mehrfach gelesen und gehört, dass die Geometrie und die Sitzposition wesentlich komfortabler als bei Rennrädern sein soll. Zudem sei der Dropbar Lenker auf längeren Fahrten besser, weil man die Griff- und Sitzposition wechseln kann. Da dachte ich mir: Also gut, fahr doch so ein Ding einfach mal.
Und wo finde ich so etwas?
Gesagt und – gar nicht so leicht getan. Weil sich diese Räder wie geschnitten Brot verkaufen. Also recherchieren, wo ein Rad vorrätig ist, das so ungefähr in die Richtung (und Preiskategorie) geht, die einem liegen würde. Und dann muss noch die Rahmengröße stimmen.
Ich war bei Nanobike in der Karl-Marx-Allee. Das ist immerhin der Cube Flagship Store in Berlin. Und selbst die hatten nur ein einziges Gravelbike in meiner Größe vorrätig: Das Modell Nuroad C:62 Pro – also eine Variante mit Carbonrahmen und einer 1×11 Shimano GRX Ausstattung für ca. €2200,-. Ziemlich teuer für ein Fahrrad, aber ziemlich günstig für ein Sportrad mit Carbonrahmen.
Und wie fährt sich das Ding nun?
Wirklich gut und angenehm. Das Rad wiegt mit nur 9,4 kg sehr wenig und rollt trotz seiner immerhin 4cm breiten, profilierten Schwalbe G-One Reifen sehr leicht. Selbst ich komme zügig auf 30 km/h. Schaltung und Scheibenbremsen von Shimano sind wie erwartet klasse.
Meine Bedenken wegen der Sitzposition waren auch größtenteils unbegründet. Zwar sitzt man stärker vorne übergebeugt, als auf einem City- oder Tourenrad, aber auch nicht mehr, als auf meinem Rad mit geradem Lenker. Die Handhaltung auf den Bremshebelhörnchen (oder wie heissen die Dinger?) scheint mit entspannter, als bei geradem Lenker und man hat immer noch die Alternative, aufrechter zu sitzen, falls man nicht dauernd bremsbereit sein muss.
Das zunächst ungewohnte Schalten mit dem Bremshebel klappt nach zwei Minuten ganz intuitiv. Dank der breiten Reifen und dem Carbonrahmen ist das Rad zwar straff aber nicht bretthart. Die 1×11 Schaltung reicht für mich sowohl von der Übersetzungsbandbreite, als auch von der Abstufung locker aus.
Reicht dicke: Shimano GRX RD-RX812 Schaltwerk mit 11-42 Kassette
Natürlich kann ich nach einer kurzen Probefahrt nicht beurteilen, wie man sich nach einem kompletten Tag auf dem Rad fühlt, aber der erste Eindruck ist sehr gut.
Fazit
Es hat gute Gründe, weshalb diese Fahrradgattung so beliebt ist. Ich habe tatsächlich kurz gezuckt, ob ich das Rad gleich mitnehme. Andererseits möchte ich eigentlich keinen Carbonrahmen, weil die Dinger doch recht empfindlich sein sollen. Und so schick die komplett innenverlegten Züge und Bremsleitungen sind: Wehe man muss das mal reparieren. Aber einer etwas schlichteren Alu-Variante für ein paar hunderter weniger wäre ich nicht abgeneigt.
Sonntag. Anstatt des angedrohten Dauerregens bleibt der Tag trocken und sogar die Sonne lässt sich hier und da blicken. Also rauf auf das Fahrrad und gemütlich durch die Stadt treiben lassen. Dabei habe ich unter anderem am Potsdamer Platz und bei einer Galerie in Friedrichshain halt gemacht. Das verlief etwas anders als gedacht. Ich erzähle mal chronologisch rückwärts.
Feine Kunst
Zum Abschluss der kleinen Berlinrundfahrt machte ich halt um den Projektraum in der Alten Feuerwache an der Weberwiese in Friedrichshain zu besuchen. Dort war die Ausstellung „Eigenleben“ von Katrin Wegemann zu sehen. Ich war eigentlich gekommen, um die Zeichnungen zu sehen. Umso erstaunter war ich dann von der Qualität der Keramikarbeiten. Die stellten für mich die durchaus guten und ansprechenden Zeichnungen in den Schatten.
Alte Feuerwache in der Marchlewskistr.
Möglicherweise bin ich da meinem eigenen Vorurteil etwas erlegen. Keramik ist für mich emotional vorbelastet: Werkunterricht in der Schule, Töpferkurse in der Toskana für Frauen mittleren Alters auf Selbsterfahrungstrips, usw.
Davon ist hier gar nichts zu merken. Das hier sind durchwegs ästhetisch ansprechende und handwerklich hochwertige Kunstwerke. Schön, wenn man über die eigenen Vorturteile stolpert und positiv überrascht wird.
Schöner Raum – tolle Werke
Geistloser Kommerz-Shice!
Mein erstes Ziel war der Potsdamer Platz. Dort findet zur Zeit mal wieder die Berlinale statt. Von den verschiedensten öffentlich-rechtlichen Medien stehen dort ganze Karawanen von Lastwagen mit Übertragungstechnik und sonstwas herum und allerlei wichtige Leute scheinen dort auch rumzulaufen.
Nicht dass mich das im geringsten interessiert.
Ich lebe seit 37 Jahren in Berlin ohne auch nur ein einziges Mal auf der Berlinale gewesen zu sein oder aktiv das Programm gelesen oder die Berichte verfolgt zu haben. Der ganze Rassel lässt mich völlig kalt.
Also Potsdamer Platz.
Als ich 1986 nach Berlin kam war das eine Wüste, die durch Mauer und Todesstreifen durchtrennt war. Da war nichts. Dort wollte man nicht hin.
Nach der Wiedervereinigung 1996 war es die größte Baustelle Europas mit einer Baugrube, in der man ohne Probleme eine Kleinstadt versenken könnte. Technisch spannend, ansonsten nur nervtötend.
2006 Gab es dort hochmoderne Büroflächen, mehrere Kinocenter (u.a. eines, in der unsynchronisierte Originalversionen liefen), und in den Potsdamer Platz Arkaden einige Läden, in denen ich gerne eingekauft habe. Ich war alle paar Wochen mal dort.
Nochmal zehn Jahre später – 2016 – habe ich selber im ehemaligen Debis-Hochhaus gearbeitet. Ich habe es gehasst. Die Büroflächen waren laut, die Klimatechnik hat 50% der Zeit nicht funktioniert, im Shoppingcenter waren nur noch Läden, die ich nicht mehr interessant fand, Mittags gab nur minderwertiges Fast Food und der Verkehr morgens hin und abends zurück war die Hölle – und zwar gleichgültig, ob ich Bus, U-Bahn, S-Bahn oder Moped benutzt habe. Dann hat auch noch die Mall of Berlin eröffnet und der ganze Bereich Potsdamer Platz war im ökonomischen Sturzflug. Irgendwann wurden die Arkaden dann geschlossen.
Jetzt – Anfang 2023 – haben die Arkaden nach Totalumbau wieder eröffnet. Ich las, dass irgendein amerikanischer Investor ein neuen Konzept hatte – unter anderem mit einem neuen Gastronomiebreich. Das wollte ich mir ansehen.
Wie ich oben schrieb, bin ich nicht ganz frei von Vorurteilen. Was ich für völlig in Ordnung halte, so lange ich die hin und wieder auch überprüfe.
Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu den USA. In manchen Dingen halte ich die USA für brilliant, in vielen für hemdsärmelig und in anderen für völlig inkompetent. Stadtplanung und Gastronomie zähle ich auf jeden Fall in die letzte Kategorie. Von daher war meine Erwartungshaltung nicht hoch.
Kurz gesagt – es ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe. Der Umbau ist nicht nur gestalterisch völlig ideenlos, sondern stellenweise sogar verblüffend disfunktional. Vor dem Umbau gab es verschiedene Stellen, an denen man zwischen UG, EG und 1.OG wechseln konnte. Jetzt gibt es zwar noch verschiedene „Löcher“ durch die man nach unten gucken kann, aber habe ich nur noch eine recht versteckte Stelle gefunden, die ins UG geführt hat. Das ist definitiv erheblich schlechter als zuvor.
Und vom tollen Betreiberkonzept konnte ich nur so viel entdecken: Amerikanischer Betreiber bevorzugt amerikanische Marken. Mattel und TK-Max? Echt jetzt? Zwei Schrottmarken?
Zudem sind 3/4 der Läden noch nicht fertig, aber die Ankündigungen sind derart langweilig, dass ich keinen Grund sehe, hier jemals herzufahren.
3/4 der Läden sehen im Moment so aus – ob das jemals anders wird?
Ach so – ich hatte übrigens Hunger und war durchaus nicht abgeneigt, im riesigen Gastro-Bereich etwa Geld zu lassen. Alleine die Tatsache, dass hier überall nur noch englisch angesagt zu sein scheint und kein Bargeld mehr akzeptiert wird halte ich für völlig inakzeptabel – aber dazu kommt noch, dass die Preise ungefähr das zweieinhalbfache der üblichen Berliner Preise betragen – und damit meine ich schon die neuen. Ich will einfach für einen zwischendurch-Happen nicht € 15,- bezahlen. Es waren zwar recht viele Leute dort – aber der Optik nach schätze ich 90% als Berlinale Funktionäre oder -Besucher. Schauen wir mal in ein paar Wochen noch mal nach.
Das ganze Ding ist für mich schlechteste Investorenarchitektur. Geplant von Leuten mit viel Geld, völligem Desintresse an Ort und Kultur und keinerlei sinnvoller Idee, außer unnützen Konzernen Spielfläche zu schaffen.
Grausam!
Ach so – und der Name: THE PLAYCE! Oh Gott! Für mich passender: THE SHICE!
Potsdamer Platz – The Shice
Fazit:
Das Alexa ist und bleibt das hässlichste Einkaufszentrum Berlins – aber es funktioniert, weil es am richtigen Platz steht und offensichtlich mit genügend Läden bestückt ist, die die Leute interessieren.
Für die ehemaligen Potsdamer Platz Arkaden sehe ich eigentlich überhaupt keine Chance. Da ist nichts – da will man nicht hin. So schließt sich für mich der Kreis zu 1986: Die Gegend ist wieder untinteressante Wüste – bloß mit Gebäuden.
Es ist gerade mal Mitte Januar und ich glaube, ich habe mein „Platte des Jahres“ bereits gefunden:
Billy Nomates – Cacti.
Billy Nomates – Cacti. Sonderpressung auf transparentem Vinyl
Auf Billy Nomates bin ich aufmerksam geworden, als sie bei den Sleaford Mods dem Titel „Mork ’n Mindy“ das gewisse Etwas mitgegeben hat. Daraufhin hatte ich mir ihre erste EP „Emergency Telephone“ und die erste LP „Billy Nomates“ (beide aus dem Jahr 2020) gekauft und für gut befunden. Die minimalistischen Tracks mit ihrem sehr eigenen Sprechgesang hatten etwas düsteres – eine Stimmung, die ich aus meiner Jugend noch gut kannte und eine Saite in mir zum schwingen gebracht hat.
Seit einigen Wochen tauchen nun immer mehr neue Videos von ihr auf Youtube auf und ich fand alle recht gut. Also habe ich mir die neue LP gleich zum Erscheinungsdatum bestellt – transparentes Viny mit Textinlay. Optisch macht das schon mal Lust darauf, den Plattenspieler anzuwerfen und die Scheibe aufzulegen.
Das habe ich dann auch sofort getan und es ist etwas passiert, was wirklich extrem selten ist: Mir gefällt jeder einzelne der 12 Songs.
Das liegt auch daran, dass die Songs mehrschichtiger geworden sind – oder sagen wir mal eher wie „richtige“ Lieder. Die bisherigen basierten noch stark auf Loops, wie sie auch die Sleaford Mods verwenden und Billy hatte darüber den Sprechgesang in ihrem eigenen Stil gelegt.
Auf Cacti ist das weiterentwickelt. Mehr Melodie, mehr Songstruktur und sogar richtiger Gesang. Weniger „Ich haue der Welt in die Fresse, weil sie mir in die Fresse haut“-Attitüde. Nicht mehr das rebellierende Gossenkind. Immer noch Düsternis im Text, aber mehr Verletzlichkeit. Auch mehr Abwechselung im Arangement.
Kleines Detail am Rande: Beide Seiten beginnen mit ein paar dahingenuschelten, düsteren Weisheiten von Iggy Pop.
Gefällt mit ausgesprochen gut und ich habe darum auch gleich Karten für das Konzert in Berlin Ende März gekauft.
Falls ich Euch auch etwas neugierig gemacht habe: Wie Youtube funktioniert, wisst Ihr ja. ;-)
Das Jahr ist fast vorbei – Zeit für einen Rückblick. Nach zwei Jahren Pandemie war 2022 das erste Jahr, in dem man endlich wieder etwas unternehmen konnte, Leute treffen, Reisen. Und das habe ich gut genutzt, denn seien wir ehrlich – jeder von uns spürt da Nachholbedarf.
Nun ist „etwas zu unternehmen“ in der Regel leider auch mit Energieverbrauch verbunden. Daher kombiniere ich mal den Jahresrückblick mit meiner aktuellen CO2 Bilanz und vergleich sie mit der, die ich für 2019 – dem letzten Jahr vor Corona – aufgestellt hatte (Meine CO2 Bilanz im Vergleich). Damit die Zahlen vergleichbar sind, habe ich wieder den CO2 Rechner des Umweltbundesamtes verwendet.
Meine Unternehmungen und Highlights 2022
Im Mai fuhr ich bei schönstem Frühlingswetter mit dem Motorrad in die Schorfheide. Dort fand zum 27. Mal der Motorradgottesdienst Friedrichswalde statt. Eine sehr schöne Veranstaltung, die sogar mich alten ungläubigen Zausel in die Kirche bringt.
Ein Wochenende später im Mai habe ich die Die wahrscheinlich lässigste Musikmesse der Welt besucht: Die Superbooth. Eine sehr entspannte und sehr -hmm andere – Veranstaltung rund um elektronische Musik. Gefühlt eher ein Festival, statt einer Messe.
Das verlängerte Wochenende habe ich genutzt, um Himmelfahrt aufs Land nach Niedersachsen zu fahren. Dort habe ich Teile meiner Verwandschaft besucht, die ich leider viel zu selten sehe. Das war mir sehr wichtig und wir hatten viele interssante Gespräche.
Ebenfalls noch im Juni habe ich mich zum ersten Mal nach zwei Jahren wieder in ein Flugzeug gesetzt, um die Biennale Arte 2022, Venedig in Venedig zu besuchen. Die Biennale selbst hatte Höhen, Tiefen und Längen, aber Venedig ist immer eine Reise wert.
Da mein Programm für 2022 schon recht dicht war, habe ich mir den Besuch der Documenta in Kassel gespart. Nach dem wirklich peinlichen und unprofessionellen Gewürge um die Veranstaltung war ich im Nachhinein auch ganz froh.
Im Gegensatz dazu war das erste Festival für elektrische Motorräder in Berlin im Juli, sehr klein und noch etwas improvisiert aber erhellend und spassig. Vor allem hatte ich endlich die Gelegenheit, Viele Zweiräder mit Stromantrieb auszuprobieren. Mein Fazit: Ganz klar – die Zukunft ist elektrisch!
Überhaupt habe ich das ganze Jahr lang immer mal wieder (für mich) neue Fahrzeugtypen ausprobiert: sportliche Fahrräder, Klappräder, Dreiräder, E-Bikes und Elektro Motorräder.
Der Sommer war etwas ruhiger und ich habe im Wesentlichen versucht, mich von der Hitze fernzuhalten.
Im August habe ich in Hamburg Freunde wiedergesehen, die nach Kalifornien ausgewandert sind und ihren Urlaub in der alten Heimat verbrachten. Anschließend verschlug es mich für eine Woche nach Glücksburg an die Ostsee. Allerdings nicht zum Urlaub, sondern um Remote Work auszuprobieren. Ja geht, aber man muss schon etwas flexibel sein und es kostet natürlich auch.
Im September hat es mich dann für vier Tage nach Mallorca verschlagen – wiederum nicht zum Urlaub, sondern zum Besuch der Web Engineering Unconference 2022.
Der Oktober wurde Vintage Computing Festival Berlin 2022 eingeläutet. Diese Mal wieder in der Humboldt Universität und mit einem spannenden Programm und vielen interessanten Ausstellungsstücken.
Ende Oktober habe ich einen Freund in London besucht (London, Oktober 2022). In der Woche haben wir viele Dinge unternommen, Museen besucht, Spass gehabt.
Das Jahr 2022 kann ich für mich so zusammenfassen: Ich habe endlich wieder viele liebe Menschen wiedergetroffen und darüberhinaus sehr viele interessante und anregende Veranstaltungen und Orte besucht. Das war gut für die Seele und den Geist.
Meine CO2 Bilanz für 2022
Nicht so gut, dass ich drei mal geflogen bin, aber da ich im Alltag dank Homeoffice und Fahrrad mittlerweile fast vollständig nicht nur auf das Auto, sondern auch auf öffentliche Verkehrsmittel verzichte, ist das vielleicht gerade noch O.K. Schauen wir uns die Zahlen an:
Im Jahr 2019 lag die durchschnittliche CO2 Emission pro Kopf in Deutschland bei 11,61 Tonnen. Mit meinen 9,22 Tonnen war ich ca. 20% weniger schlimm.
Im Jahr 2022 ist die durschnittliche CO2 Emission pro Kopf in Deutschland um knapp 8% auf 10,78 Tonnen gesunken. Meine Emissionen sind ebenfalls gesunken. Um knapp über 4% von 9,22 auf 8,83 Tonnen. Damit liege ich weiterhin 20% unter dem Bundesdurchschnitt.
Trotz des positiven Trends – das ist natürlich immer noch meilenweit von den 2 Tonnen entfernt, die pro Kopf maximal drin sind, um die Erderwärmung zu stoppen.
Ich habe im Oktober ein paar Tage in London verbracht. Der Anlass war der Geburtstag von einem Freund. Wir haben viel zusammen unternommen, die Woche war vollgepackt mit interessanten Dingen. Ich versuche mich an einer möglichst kurzen Zusammenfassung:
Corona
Kurz gesagt: Interessiert keinen mehr. Keiner fragt nach dem Impfpass, Flugzeug, Züge, U-Bahn, Busse, Museen – alles rappelvoll und fast niemand trägt eine Maske.
Wetter
Das Wetter war sonnig – jedenfalls wenn es nicht geregnet hat. Während es in Berlin fast überhaupt nicht mehr regnet, wurde London seinem Ruf gerecht. Meine Klamotten haben sich immer irgendwie klamm angefühlt.
Blick vom Parliament Hill über die City – ausnahmsweise ohne Regen
Ankunft am LCY
London hat sage und schreibe fünf Flughäfen – und von Berlin aus kann man jeden davon anfliegen. Ich hatte mich diesmal für den London City Airport (LCY) entschieden. Goldrichtig, wie sich herausgestellt hat.
Zuerst hat man einen spektakulären Anflug über die City extrem dicht an der Spitze vom 309m hohen Shard vorbei, knapp über die Hochhäuser der Docklands und dann in steilem Sinkflug, um auf der sehr kurzen Landebahn (1500m) quasi eine Vollbremsung hinzulegen. Ich habe gelesen, dass für LCY nur wenige Flugzeugtypen zugelassen sind und die Piloten eine Spezialausbildung benötigen.
Links Themse mit Tower Bridge. Bildmitte: Spitze des Shard in ca. 200m Abstand
Außerdem ist das der schnellste Flughafen, auf dem ich jemals war. Von dem Augenblick in dem das Flugzeug auf der Standposition hielt ging es ratzfatz. Zu Fuß die 20m zum winzigen Terminal, schnell durch die Passkontrolle und die Koffer liegen auch fast sofort auf dem Gepäckband. Insgesamt 10min! Direkt vor der Tür hält die DLR mit der man schnell und bequem in die City kommt. Schneller geht es nicht mal mit einem Privatjet.
Verkehr im Allgemeinen
Abgesehen von Flugzeugen – wie ist denn jetzt der Verkehr? London hat seit Jahren eine City Maut, die nach Emissionsklasse gestaffelt und wirklich superteuer ist und ständig verschärft und ausgeweitet wird. Und ich muss sagen: Das Konzept funktioniert… einfach gar nicht!
Anstatt mit normalen Autos ist die Stadt jetzt vollgequetscht mit superteuren Autos, die mit Schrittgeschwindigkeit rumschleichen. Aber wer in dieser Stadt Auto fährt, hat ohnehin entweder einen wirklich wichtigen Grund – oder ist total bescheuert. Verkehr in London ist Tube, Eisenbahn oder Bus. Die fahren überall und ständig. Außer bei der Eisenbahn nach Bletchley habe ich nie auf einen Fahrplan schauen müssen. Und bezahlen ist extrem einfach. Entweder mit der Oyster Card oder gleich mit der Kreditkarte quasi im Vorbeigehen. Das ist eigentlich der Witz am ÖPNV in London. Einfach nutzen ohne große nachdenken oder organisieren zu müssen.
Und Fahrräder? „This is London, not Amsterdam. Deal with it!“
Ich wollte ursprünglich mit dem Rad einmal quer durch die City fahren. Angeblich wurde ja so viel für Radfahrer verbessert – und wo könnte man stilechter ein Brompton fahren, als in London? Also habe ich mir im Vorfeld die Brompton Bike Hire App auf das Handy geladen.
Automatische Ausleihstation für Klappfahrräder
Aber aus dem Plan wurde nichts. Abgesehen vom Wetter – der Verkehr ist die Hölle. Alles ist eng, jede Strasse dicht. Radspuren gab es nur auf wenigen Straßen in der City.
Fahrräder sind dort etwas für Selbstmordkandidaten oder Kuriere. Wobei das ungefähr dasselbe ist. Kuriere fahren entweder 125er Motorroller oder selbstgebaute E-Bikes mit 2-3 Akkus die ziemlich sicher völlig illegal sind – aber genauso schnell wie die Roller. Und die Art E-Bikes, wie sie in Deutschland seit Jahren Verkaufsschlager sind, habe ich dort überhaupt nicht gesehen. Ach so – und ausnahmslos NIEMAND fährt nachts mit Licht.
Militär ist sicherlich nicht jedermanns Sache, aber sowohl historisch als auch technisch sind die Exponate durchgehend sehr interessant. Im RAF Museum auf einem ehemaligen Flugfeld im Norden von London sind sagenhafte 100 Flugzeuge aus jeder Epoche in tadellosem Zustand zu sehen. Von den Anfängen, über ersten und zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Immerhin hängt in Hangar 6 sogar ein aktueller Eurofighter. Im Hangar 3-5 kann man drei der wichtigsten WWII Bomber der Aliierten sehen: Die Avro Lancaster war auf der Seite mit dem Zitat von Hermann Göring versehen, dass kein feindliches Flugzeug über Deutschland fliegen werde – und daneben Markierungen für 137 Einsätze dieses Flugzeuges, die ihn Lügen straften.
Daneben stand noch eine amerikanische Boeing B17 und eine B-24 Liberator. Und die Dinger sind erheblich größer, als ich gedacht hätte. Die größte ausgestellte Maschine war die Vulcan aus den 50er und 60er Jahren. Deutsche High Tech Waffen aus dem 2. Weltkrieg gab es natürlich auch und ich war zum ersten Mal im Inneren eines Flugbootes.
Begehbares Short Sunderland Flugboot von 1938Britischer Avro Lancaster Bomber aus dem 2. Weltkrieg mit Zitat von Hermann Göring an der linken Seite
Rechentechnik in Bletchley Park
Bletchley Park liegt ca. 70km nordwestlich von London und war im zweiten Weltkrieg die Basis der britischen Kryptoanalyse. Hier wurde der Nachrichtenverkehr des Deutschen Militärs entschlüsselt. Zu Beginn wurden vor allem die Codes der Enigma geknackt und später auch die der wesentlich besseren Lorenz SZ42. Im Museum werden die dafür gebauten Maschinen nicht nur ausgestellt, sondern auch erklärt und vorgeführt. Angefangen mit der sogenannten „Turing Bombe“ (blöder Name) über Colossus (einer der ersten Computer neben der deutschen Zuse Z3 und dem amerikanischen ENIAC ) besteht die Ausstellung aus weiteren historisch interessanten Maschinen: Darunter EDSAC und WITCH (Harwell Dekatron) aus den 50er Jahren bis zu ICL Großcomputern aus den 80er Jahren. Und das tolle ist: fast alle Maschinen liefen.
Vorführung und Erklärung der Turing Bombe, mit der Enigma Funksprüche entschlüsselt wurdenErläuterung und Vorführung des Colossus ComputersHarwell Dekatron (WITCH) – rechnete deutlich sicht- und hörbar vor sich hin
So fantastisch die Ausstellung für Computerinteressierte ist, so ernüchternd ist die bauliche Anlage. Im Großen und Ganzen sieht Bletchley Park aus, wie eine große Ansammlung von Schweineställen, die vor ein Herrenhaus gesetzt wurden. Und genau so war das aufgrund der extremen Geheimhaltung im Krieg wohl auch gedacht. Ich wurde vor dem Museum von einem anderen Besucher gefragt, ob ich wüsste wo der Eingang sei. Wir standen fast genau davor.
Weltzentrum der Kryptoanalyse – oder Schweineställe?
Alles im Science Museum
Das Science Museum hatte ich schon einmal als Kind zusammen mit meiner Mutter besucht und es hat mich damals sehr beeindruckt. 42 Jahre später war ich wieder beeindruckt. Es ist größer geworden, die Exponate sind zum Teil andere und ich kann das Gesehene sehr viel besser einordnen, weil ich mittlerweile natürlich sehr viel mehr Kenntnisse über die Wissenschafts- und Technikgeschichte habe. Das Museum beinhaltet alle möglichen Technikbereiche: Energie, Druck, Weberei, Werkzeugherstellung, Luft- und Raumfahrt, Medizin, Uhren, Chemie, Mobilität, Mathematik und Rechentechnik… ein Parforceritt durch die Geschichte der Industrialisierung.
Science Museum – einmal Quer durch Wissenschafts- und Technikgeschichte
Gleich am Eingang stehen riesige, beeindruckende Dampfmaschinen – darunter eine Boulton und Watt von 1788 (!). Und die Erläuterungen sind es wert, gelesen zu werden. Wem ist heutzutage schon klar, daß einer der Auslöser der Industrialisierung eine Energiekrise war? England hatte nämlich kein Holz mehr zum Heizen und musste deshalb mühsam Kohle aus dem Boden kratzen. Zur Entwässerung der Gruben wurden die Dampfmaschinen erfunden und damit startete das Industriezeitalter.
Die für mich wichtigsten Exponate hatten aber natürlich wieder mit der Computerhistorie zu tun.
Unter anderem wurde der von Alan Turing entworfene Pilot ACE Computer gezeigt, der anstatt mit RAM mit Quecksilber Verzögerungsspeicher arbeitet. Einen funktionsgleichen Nachbau davon habe ich neulich auf dem Vintage Computing Festival in Berlin gesehen – inklusive Ultraschall Verzögerungsspeicher.
Auch historische Supercomputer waren zu sehen. Das Museum stellte nicht nur eine Cray 1 (1976) aus, sondern ich konnte auch zum ersten Mal eine Control Data 6600 (1964) sehen. Beide entwickelt von Seymour Cray und beide zu ihrer Zeit die schnellsten verfügbaren Computer.
Control Data Supercomputer von 1964
Mindestens genau so beeindruckend waren die historischen Rechenmaschinen. Ich wusste zwar, dass es vor den Computern bereits mechanische Rechenmaschinen gab, die die vier Grundrechenarten beherrschten, aber die Menge von Spezialrechenmaschinen hat mich doch verblüfft. Es gab z.B. Maschinen zur Berechnung von Stahlbeton, für Gezeitenverlauf an der Küste oder für die statistische Berechnung durchschnittlicher Lebenserwartung, die bereits im 19. Jahrhundert von Versicherungen genutzt wurden.
Die aus 4000 Teilen bestehende und 5 Tonnen schwere Difference Engine Nr. 2 beeindruckt mit ihren Maßen von ungefähr 2,5m Höhe und 3,5m Länge. Der Entwurf aus den 1840er Jahren wurde seinerzeit nicht gebaut. Daher ist das ausgestellte Exemplar, owohl es erst 1989-1991 gebaut wurde streng genommen kein Nachbau, sondern das Original. Umso verblüffender, dass die Maschine tatsächlich funktioniert wie beabsichtigt.
Viel kleiner und optisch weniger beeindruckend das Versuchsmodell der Analytical Engine, das Babbage selbst gebaut hat. Dafür ist die Maschine wesentlich interessanter, weil sie nicht nur zur Berechnung vorher bestimmter mathematischer Probleme gedacht war, sondern frei programmierbar gewesen wäre. Wäre sie fertig gestellt worden, wäre es der erste richtige Computer gewesen. Und genau diese Grenzüberschreitung von reiner Berechnung zur komplexen Symbolbearbeitung war Ada Lovelace klar, als sie das erste Programm für diese noch nicht existierende Maschine schrieb und darauf hinwies, dass sie sich auch für nicht-mathematische Aufgaben eignet.
Charles Babbages Versuchsmodell der Analytical Engine von 1834-1871
British Library
Mein Freund hat einen Bibliotheksausweis – und zwar einen von der British Library. Er ist dort regelmäßig, um medizinische Fachliteratur zu studieren. Als ich ihn fragte, ob ich ihn dorthin begleiten kann, meinte er „ja, aber nicht überall hin. Es gibt geschlossene Bereiche, die nur für bestimmte Besucher zugänglich sind“. Okay, das ist fair. Los geht es…
Innenhof der British Library. Im Hintergrund der Bahnhof St. Pancras
Die British Library umfasst einen kompletten Straßenblock neben dem ikonischen Bahnhof St. Pancras. Als Nationalbibliothek hat sie natürlich einen unglaublichen Bestand an historisch wertvollen Büchern und Schriften. Daher hat man zu den meisten Werken nur mit Spezialausweisen oder Genehmigungen Zutritt. Damit hatte ich natürlich gerechnet. Ich wollte nur kurz die Aura dieses Koloss des Wissens und der Kultur auf mich wirken lassen.
Womit ich aber niemals gerechnet habe, ist, dass ich in einer Ausstellung einige dieser Schmuckstücke im Original sehen konnte. Gleich zu Beginn eine Doppelseite mit Notizen und Zeichnungen von Leonardo da Vinci mit Betrachtungen zur Statik (ca. 1517-18). Ich wäre fast vor Ehrfurcht in die Knie gegangen.
Leonardo da Vinci – Betrachtungen zur Statik (ca. 1517-18)
Und in dieser Güte ging es weiter: Original Noten von Georg Friedrich Händel (Atalanta, 1736), Wolfgang Amadeus Mozart (Streichquartett D-Dur, KV 575 „Preußisches Quartett“ Nr. 1, 1789), Franz Schubert („An die Musik“, D 547, ca. 1827). Das handschriftliche Original „Doctor Faustus“ von Christopher Marlowe von 1631.
Und natürlich gab es auch viele religiöse Schriften. Sehr interessant fand ich eine bebilderte Bibel aus Padua – quasi ein Comic aus dem Jahr 1400! Weiterhin ein reich verziertes altes Testament auf Deutsch und eine Original Gutenberg Bibel von 1455 (mit dem Vermerk, dass noch ein weiteres Exemplar im Bestand ist), „die fünf Bücher Moses“ in Hebräisch (1469), ein unfassbar aufwändig geschmückter und vergoldeter Koran aus dem 10. Jahrhundert und daneben ein sehr schlichter Koran in Kufi, der von der Schriftgrafik extrem modern aussieht, aber aus dem 9. Jahrhundert stammt. Aber nicht nur die drei abrahamitischen Religionen sind vertreten. Aus Indien stammt ein handschriftliches Buch mit den „heiligen Gedichten von Zarathustra“ aus dem Jahr 1661.
Und das Original der Magna Carta von 1225 mit Siegel wurde auch ausgestellt. Sie ist die Grundlage des britischen Verfassungsrechts. Und kurz für Kleinkrämer: Ja – die erste Version der Magna Carta stammt aus dem Jahr 1215, aber diese ist die finale und letztlich gültige Version.
Dass ich völlig unerwartet solche kulturellen Kostbarkeiten sehen konnte, hat mich wirklich sehr glücklich gemacht.
Unterkunft und Verpflegung
Ich habe bei meinem Freund in West Hampstead übernachtet. Sein Mini-Apartment ist leider nicht zum Kochen geeignet, also gab es entweder Stulle oder wir sind essen gegangen. Wenn man arabisches oder indisch/pakistanisches Essen mag, ist man in London genau richtig. Riesige Auswahl, extrem lecker und vergleichsweise bezahlbar. „Bezahlbar“ ist allerdings alles andere als selbstverständlich. Wir hatten auch einmal für zwei Portionen Cheeseburger mit Pommes und Cola £37,- (ca. €42,-) ausgegeben. Puh…
Ansonsten bekommt man an jeder zweiten Ecke leckere Sandwiches und hervorragenden Kaffee. Und für die Abendunterhaltung haben wir uns einen richtig netten Pub ausgesucht, in dem eine Bardame wie eine junge Ausgabe von Helena Bonham Carter aussah (die interessanterweise ganz in der Nähe geboren und aufgewachsen ist). Am Wochenende gab es dort sogar gute Livemusik für umsonst. So hat sich das – zugegeben leckere – Bier für £6,- (ca. €7,-) wieder etwas relativiert.
The Black Lion Pub – Kilburn High Road
Brexit und Economy
Man liest ja häufig in den deutschen Zeitschriften, wie schlecht es den Briten nach dem Brexit geht und das alles knapp sei. Nun ja – draußen in Bletchley sah die Hauptstraße so aus, wie bei unseren Kleinstädten: viel Leerstand, Nagelstudios und Ramschketten. In London habe ich davon aber absolut nichts gemerkt. Es wird irre viel gebaut, Leerstand habe ich fast gar nicht gesehen, Kaufhäuser sind nicht pleite, sondern voller Kunden, und die Regale waren alle gut gefüllt.
Alles ganz im Gegensatz zu Deutschland, wenn ich mir die Spitze mal erlauben darf.
Und wenn wir schon mal dabei sind…
Shopping
Ich bin zwar nicht dafür nach London geflogen – aber ich habe mir in der Oxford Street bei Marks & Spence zwei schöne Oberteile gekauft. Im Prinzip Zeug, das ich auch in Deutschland bekomme – aber nur fast. Material und Farbe sind im Detail dann doch noch etwas schicker.
Selfridges, Oxford Street
Ansonsten haben wir uns Covent Garden angesehen und dem dortigen Brompton Flagship Store besucht. Tiptop renovierte Gegend. Fast schon ein bisschen zuviel des Guten, aber für ein, zwei Stunden gut zum Abhängen und Essen.
Am Camden Market haben wir ebenfalls einen kurzen Zwischenstop eingelegt, aber es war derart voll, dass wir doch den nächsten Bus nach Fortune Green genommen haben.
Covent Garden nach dem Regen
Sonstiges
Mein Freund wollte mit der Seilbahn über die Themse fahren. Also sind wir morgens, als das Wetter nicht allzu garstig war mit der Tube nach North Greenwich gefahren, habe uns zunächst den Millenium Dome angesehen. Das Ding ist im Kern ein riesiges Veranstaltungszentrum, das von einer kreisrunden Shopping Mall umringt wird.
Erster Eindruck: Mann ist das riesig ! 365 Meter Durchmesser, 52 Meter Höhe.
Zweiter Eindruck: Das Ding ist ja wirklich ein Zelt! Das verdammt nochmal größte Zelt, das ich je gesehen habe.
Die Fahrt in der Seilbahn wird normal mit der Oyster Card bezahlt – und sie ist nichts für Leute mit Höhenangst!
Davon abgesehen ist die Ecke tot. Wir sind also mit der Seilbahn rüber auf das Nordufer, um von einem uninteressanten und fehldimensionierten Stadtentwicklungsgebiet in ein anderes zu fahren. Nichts wie weg und auf nach Whitechapel…
Blick aus der Seilbahn auf Themse, Millenium Dome und Canary Wharf
Fazit
Eine schöne Woche mit einem meiner ältesten Freunde. Wir hatten tolle Unterhaltungen, viel Spass, gutes Essen und haben massenhaft interessante Dinge gesehen. London kommt mir langsam vertrauter vor. Ich bekomme ein Gefühl für die Stadt.
Und vor allem merke ich, dass sich bei vielen Themen bei mir so langsam der Kreis schließt:
Ich habe den Nachbau von Zuse Z3 in Berlin und den Nachbau von Colossus in London in Aktion gesehen. Ich habe in Kalifornien auf einem Flugzeugträger eine Gemini-Raumkapsel gesehen, die tatsächlich im All war. Im Science Museum wurden eine Sojus und eine Apollo Raumkapsel gezeigt. Ich habe ein Original von Leonardo da Vinci gesehen und 1000 Jahre alte Bücher.
Das sind alles Dinge, von denen ich als Jugendlicher nicht zu träumen gewagt habe.
Im Dezember 2021 hatte ich mir ein E-Bike gekauft: Das wirklich tolle und schicke Ampler Curt (siehe „Neuzugang im Fuhrpark: Ampler Curt“ . Ein E-Bike deshalb, weil ich als Asthmatiker auf normalen Fahrrädern an manchen Tagen ernsthaft Probleme bekomme, wenn es mal ein bischen bergan geht oder der Wind von vorne kommt. Es nicht immer so, aber wenn, dann ist das wirklich extrem unangenehm. Im Endeffekt hat das dazu geführt, dass ich eigentlich so gut wie nie das Fahrrad genommen habe. Das E-Bike hat mir die Angst genommen, irgendwo mit einem Asthmaanfall liegen zu bleiben.
Seitdem bin ich mit dem Rad regelmäßig ins Büro gefahren und wenn ich mal nach Mitte, Friedrichshain, oder Kreuzberg muss, ist es häufig das Verkehrsmittel der Wahl. So weit so schön.
Das E-Bike speichert die Fahrstecken und seit einiger Zeit fahre ich auch mit Tachometer. Nach mehreren hundert Kilometern sind mir beim Betrachten der Daten nun zwei Dinge aufgefallen:
30% der Strecken bin ich komplett stromlos gefahren.
70% der Strecken hatte ich zwar die Unterstützung eingeschaltet, aber die Hälfte davon fahre ich zwischen 25km/h und 30km/h – auf kurzen Abschnitten auch schon mal (ganz kurz) bis 38km/h. Also ebenfalls stromlos.
Das ist deutlich weniger Unterstützung und sehr viel schneller, als ich ursprünglich erwartet hatte.
Der Grund dafür ist, dass das Curt leicht ist (15kg für ein E-Bike ist super), mit sehr hochwertigen Komponenten ausgestattet ist und dehalb sehr leicht rollt. Mir ist im Berufsverkehr folgendes aufgefallen: Wo ich einmal trete und dann die nächsten 50-80m rolle, treten andere mit billigeren Rädern die ganze Zeit und sind dennoch langsamer. Da kam mir folgende Frage in den Sinn:
„Wenn ich den Elektroantrieb eigentlich nur dafür verwende, an der Ampel schneller loszufahren, warum schleppe ich dann die Kilos für Motor und Akku mit? Tut es nicht auch ein vergleichbares Bio-Bike, das dafür nochmal ein paar Kilo leichter ist?“
Gut, probiere ich also entsprechende Räder aus. Aber wie nennt man eigentlich die Art Fahrrad? Sportliche Geometrie, aber ohne Rennlenker, leicht, so wenig dran wie möglich, aber STVZO konform (wenn man Schutzbleche, Klingel und Licht nachrüstet)? Nach etwas Recherche kam ich auf den Begriff „Fitnessbike“ oder „Citybike“. Hmm, na gut – ist ja nur ein Label.
Ich konnte vier Räder ausprobiert: Drei von Cube und eines von Rose. Zwei hatten Kettenschaltungen (Fitnessbike) und zwei Nabenschaltungen und Zahnriemen statt Kette (Citybike).
Cube SL Road Race
Eckdaten: 10,6 kg für € 1199,-.
Cube SL Road Race
Das Cube SL Road Race in schickem Petrolblau hat einen sauber verarbeiteten Alurahmen mit einer Carbongabel. Es ist mit der 11-fach Kettenschaltung Shimano GRX RD-RX810 ausgestattet. Die weiteren Komponenten (Kassette, Tretlager, Kubelgarnitur) sind ebenfalls von Shimano und von entsprechender Wertigkeit. Die Reifen (Schwalbe G-One Allround, Kevlar, 40-622) rollen trotz ihrer Breite und des Noppenprofils verblüffend leicht und leise. Das Rad fuhr sich sehr angenehm, wendig, leicht und flott.
Für den Preis von €1199,- wäre das Teil ein echtes Schnäppchen – wenn es auch gute Bremsen hätte. Hat es aber leider nicht. Dabei sehen die hydraulischen Scheibenbremsen von Tektro auf dem Papier und in echt gut aus, aber die Bremsleistung ist leider ungenügend – auch wenn ich berücksichtige, dass das neue Rad noch nicht eingefahren war. Schade.
Rose Multistreet 2
Eckdaten: 9,6 kg für € 1549,-.
Rose Multistreet 2
Der Aluminiumrahmen des Rose Multistreet ist in dezentem mattschwarz lackiert, aber die knallrot lackierten Innenseiten von Gabel und Hinterbau machen es aus einigen Blickwinkeln zu einem Hingucker. Mit 9,6 kg ist es das leichteste Rad im Vergleich. Das Rad ist mit der 22 Gang Kettenschaltung Shimano GRX 400, entsprechenden Komponenten und hydraulischen Shimano BL-MT200 Scheibenbremsen ausgestattet. Nicht absolute Oberklasse, aber gut. Die Reifen sind Schwalbe G-One Allround Performance, Classic Skin 700x38C.
Vom Fahrgefühl lag dieses Rad am dichtesten am Curt. Wendig, sportlich, flott. Die Carbongabel zeigte sich beim scharfen Bremsen flexibler, als die vom Curt. Das Gewicht ist ein Traum. Dieses Rad aus dem Keller zu holen stellt niemanden vor ein Problem.
Als einzigen möglichen Negativpunkt sehe ich, dass Rose-Räder eben nur von Rose verkauft werden. Es gibt nur 13 Stores in Deutschland, in denen man das Rad warten lassen kann.
Cube Hyde Race
Eckdaten: 11,8 kg für € 1199,-.
Cube Hyde Race
Die auffällige Lackierung des Cube Hyde Race ändert je nach Blickwinkel und Lichteinfall die Farbe – von metallic Rosa über Silber bis metallic Mint. Rahmen und Gabel sind aus Aluminium, In der Hinterradnabe ist eine 8 Gang Shimano Alfine SG-S700 verbaut, die Kraft wird per Gates CDX Zahnriemen übertragen, gebremst wird mit hydraulischen Shimano BR-MT200 Scheibenbremsen. Bereift ist das Rad mit Schwalbe G-One Allround, Kevlar, 40-622.
Mit knapp unter 12 kg ist das Rad noch einigermaßen leicht, aber im Vergleich doch spürbar schwerer, als z.B. das Rose. Da ich, wie ich eingangs geschrieben habe, Wert auf Effizienz lege, war ich gespannt, ob sich die Kombination aus breiten Reifen, Nabenschaltung und Karbonriemenantrieb auf die Leichtgängigkeit auswirkt.
Zu meiner Verblüffung muss ich sagen, dass sich das Rad richtig gut fährt. Es rollt leicht, die Spreizung der Gänge ist für die Stadt mit leichten Hügeln absolut ausreichend. Auf der Karl Marx Allee war ich im 5. Gang zügig unterwegs. Im Gegensatz zu den Kettenschaltungen kann man auch im Stand schalten. Das ist praktisch, wenn man z.B. beim Heranrollen an die Ampel vergessen haben sollte, runterzuschalten. Es ist auch kaum ein Freilaufgeräusch zu hören. Am besten kann ich das Fahrgefühl mit „geschmeidig“ bezeichnen.
Cube Editor
Eckdaten: 11,5 kg für € 1699,-.
Cube Editor
Das Cube Editor kommt in einer matt Grünmetallic Lackierung und hervorragend dazu passenden matt Champagnermetallic farbenen Felgen. Das Setup ist ähnlich wie beim Hyde, aber die Komponenten sind ein Stufe hochwertiger. In der Hinterradnabe steckt eine 11 Gang Shimano Alfine SG-S7001 Schaltung, für die Kraftübertragung sorgt hier ebenfalls ein Gates CDX Zahnriemen, gebremst wird mit sehr guten Shimano Deore BR-M6000. Die Bereifung ist hier ebenfalls Schwalbe G-One Allround, Kevlar, 40-622.
Das Editor ist dem Hyde auch vom Fahrgefühl recht ähnlich. Die wichtigsten Unterschiede sind Antrieb und Bremsen. Man bemerkt im direkten Vergleich, dass die Alfine 11 Gang mit 409% gegenüber der Alfine 8 Gang Schaltung mit 309% eine etwas weiter gespreizte Gesamtübersetzung hat. Wichtiger ist, dass die Sprünge zwischen den wichtigen mittleren Gängen kleiner sind. Auf der Karl Marx Alle hatte ich hier den 6. Gang zum zügigen Cruisen gewählt. Außerdem sind die 6000er Bremsen richtig gut.
Ich habe gelesen, dass die Alfine 8 und 11 Gang Schaltungen unterschiedlich aufgebaut sind (8er Kugellager, 11er Nadellager) und auch unterschiedliche Pflege benötigen (9er Fett erneuern, 11er Ölwechsel). Jedenfalls ist es wichtig zu wissen, dass auch Nabenschaltungen nicht völlig ohne Pflege funktionieren.
Fazit
Ich habe die Räder alle kurz hintereinander zur Probe gefahren und konnte sie so gut vergleichen. Alle wiegen wenig, fahren gut und wendig und laufen sehr leichtgängig. Interessant fand ich, daß alle mit Schwalbe G-One bereift sind. Die Unterschiede zwischen Kettenschaltung und hochwertiger Getriebenabe mit Zahnriemen sind bei normaler Alltagsfahrerei längst nicht so groß, wie ich dachte. Am wichtigsten ist wohl, das sich die Kettenschaltungen etwas knackiger und trockener anfühlen und nur während der Fahrt geschaltet werden können. Die Nabenschaltungen sind leise, geschmeidig und lassen sich im Stand schalten. Die Bremsen sind beim Cube Editor am besten, beim Cube Hyde Race und dem Rose Multistreet 2 gut und beim Cube SL Road Race leider nicht gut.
Alle vier Räder kann man mit Schutzblechen, Ständer und Gepäckträger nachrüsten. Das bringt zwar etwas zusätzliches Gewicht, aber man liegt immer noch spürbar unterhalb eines normalen Trekkingrades. Als Lichtanlage wird für alle vier Räder eine Batterieanlage empfohlen.
Mir hat vom Fahrgefühl das Rose Multistreet 2 am besten gefallen, weil es sehr leicht und knackig fährt.
Das Cube Editor ist geschmeidig, hat die besten Bremsen und man braucht keine Angst vor Kettenfett an der Hose zu haben.
Das Cube Hyde Race ist nicht viel schlechter, dafür €500,- günstiger.
Das Cube SL Road Race kommt vom Fahrgefühl sehr nahe an das Rose heran – wenn nur nicht die schlechten Bremsen wären.
Vom letzten Punkt abgesehen sind alle vier Räder gut und würden für mich als stromlose Alternative zu meinem Ampler in Betracht kommen. Sie fahren spürbar leichter als normale Touren- oder Trekkingräder und nehmen so meinem Asthma etwas den Schrecken.
Nachdem das Vintage Computing Festival Berlin im letzten Jahr nach der Corona Zwangspause noch etwas verhalten ausfiel, war dieses Jahr die Beteiligung wieder zahlreicher und das Programm recht spannend. Selbst ich als „Veteran“ (siehe meine Berichte von 2014,2015,2016,2017 und 2019 ) habe noch viel neues gelernt. Das gilt sowohl für die Ausstellungen, als auch für die Vorträge, die dank dem Chaos Computer Club unter https://media.ccc.de/c/vcfb22 abrufbar sind.
In der Ausstellung fand ich z.B. ein Gerät, das ich noch nie live gesehen hatte: Den BBC Micro Master. Schon der normale Acorn BBC Microcomputer von 1981 war seinerzeit in Deutschland kaum zu finden, aber in Großbritannien ist fast jeder damit in der Schule in Kontakt gekommen. Den normalen BBC Micro Model B hatte ich zwar schon ein paar mal gesehen, aber nun stand auch die größere „Lehrerversion“ daneben. Sie zeichnet sich durch größere Tastatur, Modulports und mehr Speicher aus und sie konnte bereits damals mit den Rechnern der Schüler vernetzt werden.
BBC Micros: Master und Model B
Ein weiteres historisches Gerät aus dem Jahr 1982 konnte ich ebenfalls live sehen: Den Grid Compass. Das war der erste Notebook, der seinerzeit sogar im Space Shuttle zum Einsatz kam. Er war zwar bereits mit einem Intel 8086 Prozessor ausgestattet, hatte aber ein eigenes proprietäres Betriebssystem und war mit seinem 320×240 Pixel Elektrolumiszenz-Display und dem 340KB Magnetblasenspeicher technisch durchaus ungewöhnlich.
GRID Compass von 1982
Eine in mehrfacher Hinsicht größere Lücke in meinem Computerwissen sind die Deutschen Computerhersteller der 60er bis 80er Jahre. Sicherlich – daß Siemens Großrechner hergestellt hat und es eine sehr erfolgreiche Firma mit dem Namen Nixdorf gab, war mit bekannt – aber „Computer Technik Müller“ (CTM)?
Das klingt wie der kleine PC Schrauber aus der nächsten Seitenstraße. Doch weit gefehlt. Die Firma war zeitweise nach Umsatz der zweitgrößte Computeranbieter in Deutschland nach Nixdorf und noch deutlich vor IBM oder Digital Equipment!
CTM 70 von 1974Sieht aus wie ein PC – ist aber keiner. CTM 9016 aus den 80ern
Es gab damals für 15-20 Jahre eine gar nicht mal so kleine Nische im Computerbereich, die von deutschen Computerherstellern gut bedient wurde: Die sogenannte mittlere Datentechnik machte Datenverarbeitung auch für mittelständische Unternehmen bezahlbar, für die die großen Computer unerschwinglich waren. Typische Aufgaben waren Lohn- und Finanzbuchhaltung und Fakturierung. Die Systeme wurden meist als Komplettlösung verkauft. Erst in den 80er Jahren wurde diese Nische durch die standardisierten und immer günstigeren und leistungsfähigeren Personalcomputer besetzt, was zum Ende der Nixdorf/CTM-Ära und in der Konsequenz zum Ende der Computerentwicklung in Deutschland führte.
Ein kleines aber feines Projekt stellte Jürgen Müller vor. Er hat sich mit der Automatic Computing Engine befasst, die Alan Turing in den 1940er Jahren konzipiert hat. Daraus hat er ein sowohl technisch interessantes, als auch optisch schönes Funktionsmodell – den Tiny ACE – gebaut, das kleinere Programme ablaufen lassen kann.
Tiny ACE – mit Ultraschallspeicher, „Lochkartenleser“ und Telefonwählscheibe zum Debugging(!)
Aus heutiger Sicht besonders bemerkenswert ist das Konzept, den Arbeitsspeicher als Ultraschall Verzögerungsleitungen zu bauen. Im Original waren das 1,5m lange Röhren, die mit Quecksilber gefüllt waren. Daraus ergab sich, dass bei der Programmierung nicht direkt auf Speicheradressen zugegriffen werden kann, sondern stattdessen mittels korrektem Timing darauf gewarten werden muss, bis der entsprechende „Speicherplatz“ anliegt. Das macht die Programmierung sehr ungewöhnlich und kompliziert.
Das wirklich verblüffende an dem Tiny ACE ist nun, dass neben konventionellen 74xx Logikbausteinen tatsächlich drei Ultraschall-Umlaufspeicher verwendet werden. Sie basieren auf kleinen Glasplättchen und wurden früher in Fernseher zur Erzeugung des PAL Signals verwendet.
Sonstige Ausstellungsstücke
Es gab so viele interessante Ausstellungsstücke, dass ich hier nur kurz eine unvollständige Auflistung wiedergeben kann. Angefangen beim Game-Room in dem man historische Computer und Telespiele ausprobieren konnte, über diverse Heimcomputer, einen halben Raum voller Apple vom Apple III über Lisa bis zu Macs aus allen Generationen – und sogar die iPods sind mittlerweile bereits retro. Weiterhin gab es eine Original PDP-8 mitsamt Terminal und Telex zu sehen, auf der OS8 lief, zwei Rechner von Telefunken und AEG, die früher bei der Bundeswehr eingesetzt wurden. Ich habe mir an einem VT101 Terminal (ca. 1980) über einen in der TU Berlin selbstentwickelten Computer eine E-Mail geschickt. Ein Projekt ermöglicht es mittels Signalumsetzer alte Modems über das Internet kommunizieren zu lassen und somit Mailbox Systeme stilecht zu betreiben, was mangels analogem Telefonnetz ansonsten nicht mehr möglich ist. Und es gab noch viel mehr, das ich hier nicht mehr erwähnen kann.
Computer der BundeswehrAnaloge Telefone und DFÜ über Internet
Kurztagung Hard Bit Rock – Computer und Musik
Neben den Ausstellungen und Vorträgen gab es auch in diesem Jahr wieder eine Kurztagung. Dieses Mal ging es um das weite Feld „Computer und Musik“. Diese Kombination ist heutzutage natürlich alles andere als ungewöhnlich. Die meisten Musikproduktionen werden heute zumindest im Computer abgemischt und gemastert und volldigitale Produktionen sind im Zeitalter von Digital Audio Workstations und Plugins normal. Solch ein digitales Studio habe ich auch zu Hause. Dennoch waren die Vorträge und Darbeitungen interessant und zum Teil auch verblüffend.
Zu Beginn gab Rainer Siebert einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der digitalen Klagsynthese und überraschte mich mit vielen Details, wie damit, dass PCM (Pulse Code Modulation) bereits 1921 als optomechnisches Verfahren erfunden wurde und das erste 5 Bit Sampling schon 1937 durchgeführt wurde, noch bevor es überhaupt einsatzfähige Digitalrechner gab. Die thematische Tour de force endete mit dem Durchbruch der Digitalsysthesizer der Großserienhersteller Yamaha, Casio und Roland in den 80er Jahren.
Vorführungen Computer und Musik – verblüffend analog
Zwei der praktischen Vorführungen fand ich aufgrund der extrem originellen Setups bemerkenswert. Beide Male kamen Computer bei der Klagerezugung zum Einsatz – aber völlig anders als bei heute üblichen digitalisierten Studios.
Am ersten Tag führte Hainbach im Medientheater vor, wie man mit einem Sinusgenerator, einer analogen Bandmaschine, einem Casiotone und einem HP87 Computer aus dem Jahr 1982 interessante Soundloops erzeugen kann. Was das Setup wirklich speziell macht: Bis auf den kleinen Casiotone war keines dieser Geräte für musikalische Anwendungen vorgesehen. Es handelt sich vielmehr um alte, früher sündhaft teure analoge messtechnische Geräte.
Die Bandmaschine wurde für die analogen Messdatenaufzeichnung z.B. von Schwingungsversuchen im Flugzeugbau verwendet. Daher hat sie im Gegesatz zu normalen Tonbandmaschinen einige Besonderheiten: Einen extrem starken Antriebsmotor um präzise Bandgeschwindigkeit sicherzustellen, keinen Löschkopf, damit wichtige Daten nicht versehentlich gelöscht werden, und die Möglichkeit in verschiedenen Geschwindigkeiten vor- und rückwärts zu laufen. Und sie hat ein Interface über das Steuersignale übertragen werden können.
Hainbach in Aktion mit Sinusgenerator, Messwertrekorder und Laborcomputer
Der Computer ist wiederum kein PC, sondern ein Spezialrechner zur Steuerung von Laborgeräten – in diesem Fall der Bandmaschine. In der Vorführung sorgte ein kleines Basicprogramm dafür, dass das Band mit verschiedenen Geschwindigkeiten zunächst vorwärts, dann rückwärts zum Ausgangspunkt läuft und das ganze stetig wiederholt. Währenddessen wird mit dem Sinusgenerator ein Signal erzeugt und dieses manuell in der Frequenz geändert. Durch die Überlagerung der verschiedenen Frequenzen und der Rhythmik der ständig veränderten Bandlaufs entstanden interessante Klangschleifen.
Als im zweiten Durchlauf anstelle des Sinusgenerators der kleine Casio als Signalquelle verwendet wurde, steigerte das für mich die inhaltliche Qualität nochmals deutlich. Die Veranstaltung ist auf Hainbachs Youtube Kanal zu sehen – inklusive erklärender Zwischenszenen: Endgame Tape Music Techniques: HP’s Computer Controlled Reel-To-Reel.
Am zweiten Tag setzte Andrea Taeggi weitere Akzente, indem er für seine Vorführung keinen Digitalcomputer, sondern einen Analogcomputer von Telefunken aus den 60er Jahren zur Signalerzeugung nutzte. Auch hier basierten die Klänge auf Sinuswellen, die sich gegenseitig beeinflussten und damit sowohl den Klang, als auch die Rythmik ständig änderten.
Das ist nicht völlig ungefährlich, weil der Analogrechner auch mit Frequenzen jenseits des Hörspektrums arbeiten kann. Bei einigen Klängen bebte das Signallabor und ich machte mir Sorgen, ob die Lautsprecher diese Belastung überleben. Spannend fand ich hier, dass auch jenseits der zu erwartenden Sinusbässe recht interessante Klangfarben entstanden, wie z.B. ein Anblasgeräusch. Da ganze Krachen, Stampfen, Klingeln lies mich an einen Tanztheater denken.
Andrea Taeggi performt am Telefunken Analogcomputer
Nach der Livevorführung spielte Taeggi noch einige komplexere Aufnahmen ab, die er mit Hitachi Analogcomputern in den Willem Twee Studios von Hans Kulk aufgenommen hatte.
Die Vorführungen von Hainbach und Andrea Taeggi fand ich sowohl klanglich spannend, als auch dahingehend, den Ansatz „Computer und Musik“ völlig anders zu denken.
Hainbach nutzte den Digitalcomputer nicht zur eigentlichen Erzeugung oder Berechnung des Audiosignals, sondern um indirekt über analog-/machnischen Umweg die Frequenzen des Signals zu beeinflussen.
Taeggi liess das Audiosignal zwar von einem Computer „berechnen“, aber eben nicht von einem heutzutage üblichen Digitalcomputer, sondern von einem alten Analogcomputer, mit dem in den 60er Jahren Diffentialgleichungen gelöst wurden.
Fazit
Schön, dass auch in diesem Jahr wieder das Vintage Computing Festival durchgeführt werden konnte. Obwohl die Vorzeichen nicht so gut waren (Rückkehr aus dem Deutschen Technikmuseum in die Humboldt Universität, Corona Nachwehen, zwei wichtige Menschen aus der Organisation sind nicht mehr in Berlin, …) waren sowohl die Exponate, als auch die Vorträge und Vorführungen sehr interessant. Zudem habe ich Bekannte wiedergetroffen und nett gefachsimpelt.
Vom 9.-11. September fand in Palma de Mallorca die Web Engineering Unconference statt. Das ist ein Treffen auf dem sich 100 Menschen, die im Bereich Webentwicklung tätig sind, zu diversen Themen austauschen.
Parc de la mar, Palma de Mallorca in der Abendsonne
Das klingt etwas vage, was daran liegt, dass es sich um eine Unkonferenz handelt. Bei solch einer Veranstaltung gibt es zu Beginn keine feststehenden Vorträge und es ist noch nicht einmal klar, wer überhaupt etwas erzählen oder vorführen wird. Die Idee ist, dass jeder Teilnehmer auch Vortragender sein kann. Jeder kann Themen vorschlagen, über die sie/er/es reden oder etwas erfahren möchte. In einer gemeinsamen Abstimmung wird dann festgelegt, welche Themen genommen werden.
Wie der Veranstalter zu den Teilnehmern zu Beginn sagte: „We provide the rooms, the internet and food. You provide the content“.
Web engineering unconference – Veranstaltungsplakat
Der harte Kern der Teilnehmer und Sponsoren stammt aus der deutschen PHP E-Commerce Szene. Im Gegensatz z.B. zum E-Commerce Camp Jena ist die Web Engineering Unconference jedoch internationaler. Es waren Teilnehmer aus ganz Europa anwesend – darunter auch einige aus Mallorca ;-) und eine Gruppe kam sogar aus Vietnam. Die Konferenzsprache war daher Englisch.
Socializing
Bei solch einer Veranstaltung ist das gegenseitige Kennenlernen und die Kontaktpflege natürlich ebenfalls sehr wichtig, zumal sich aus diesen Gesprächen auch Themen für Vorträge entwickeln können. Fast alle waren bereits am Vortag angekommen, weil am Freitag Abend das erste Zusammentreffen in lockerer Umgebung stattfand: Einer Cocktail Bar am Rande der Altstadt von Palma.
Kurz vor dem Ansturm – Ginbo Cocktail Bar in Palma
Trotz des gemeinsamen „Vorglühens“ startete die Veranstaltung am Samstag Morgen pünktlich um 9:00. Die Vorträge und Workshops begannen nach der Themenfindung um 12:15, wobei es stets drei parallele Tracks gab.
Der Beginn der Unkonferenz – Die Sammlung der Themen
Themen
Herkömmliche Konferenzen sind häufig verkappte Verkaufsveranstaltungen, auf denen die Sponsoren in Vorträgen für ihre Produkte werben. Hier war es anders, weil Techniker unter sich waren, um über interessante Herausforderungen zu reden.
Von denen sind viele gar nicht mal technischer Natur. Es ging zum Beispiel über kulturelle Stolperfallen in internationalen Teams und Herausforderungen, wenn man selbst in anderen Ländern arbeitet. Zu dem Thema konnten die Mitarbeiter von NFQ Asia aus Vietnam einiges erzählen. Methoden zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit in Zeiten von Homeoffice waren ebenfalls gefragt.
Moderation und Abstimmung zu den eingereichten Themen
Aber technische Themen kamen natürlich auch vor. Ich habe mir angesehen, wie sich das Headless CMS Storyblok in Shops und andere Websites oder Apps einbinden lässt.
Dass ein Vortrag zum Thema Zeit- und Datumsberechnungen mit viel Interesse aufgenommen wurde, können Nicht-Programmierer eventuell nicht ganz nachvollziehen. Jeder, der schon einmal damit zu tun hatte, weiß aber, dass es ein Thema mit kilometertiefen Abgründen ist. Stichworte wie Zeitzonen, Sommer-/Winterzeit, Schaltjahre, Julianischer und Gregorianischer Kalender können zu vorzeitig ergrauten Haaren beitragen.
Die Mitarbeiter von Shopware leiteten eine für mich sehr spannende Diskussion darüber, wie man komplexe Software automatisiert testet. Welche Arbeitstechniken und Tools sichern die Qualität bei vertretbarem Aufwand?
Mehrere Slots hatten die Grundlagen, wie Webhosting und Sicherheit in Containerarchitekturen zum Thema. Sie wurden u.a. von Mitarbeitern von Suse und Scale gehalten.
Mehrere Vorträge befassten sich im weiteren Sinne mit Künstlicher Intelligenz und Machine Learning. Es gab eine Live Vorführung der beiden viel besprochenen KI Bildgeneratoren Dall-E und Midjourney, die aus kurzen Textbeschreibungen Bilder generieren. Die Ergebnisse reichen von absurd über praktisch bis zu verblüffend. Schnell kam die Frage nach Einsatzszenarien, Zukunft von Grafikern und Anbietern von Stockfotos auf, aber auch inwieweit sich diese Technik mit dem Konzept des Urheberrechts verträgt.
Zwei Mitarbeiter von Scale führten den Stand ihrer Forschung vor, wie sie Machine Learning einsetzen wollen, um im Hosting möglichst in Echtzeit Schwachstellen (Sicherheitslücken, Angriffsszenarien, Performanceprobleme etc.) entdecken zu können.
Zwischendurch war für das leibliche Wohl gesorgt. Sowohl die Mittagessen am den beiden Konferentagen, als auch das Abendessen am Samstag fand im Restaurant des Konferenz Hotels INNSIDE Palma Bosque statt.
Innenhof des Hotels am AbendGemeinsames Abendessen als geschlossene Veranstaltung
Ein technisches und optische Highlight war die Vorführung des fotorealistischen 3D Konfigurators für Audi. Ursprünglich wurde die Technik entwickelt, um in den Showrooms per VR Brille jede mögliche Fahrzeugkonfiguration in 3D vorführen zu können. Dies wurde so weiter entwickelt, dass diese Echtzeitrenderings auch in jedem Webbrowser angesehen werden können. Grob zusammengefasst nimmt der Browser die Steuerbefehle entgegen, schickt sie per WebRTC an eine Renderengine in der Cloud, die das Ergebnis in Echtzeit berechnet und per Videostreaming an den Browser zurücksendet.
Die Wirkung ist verblüfend. Die Fahrzeuge lassen sich in jedem beliebigen Blickwinkel von außen und innen ansehen. Man kann jederzeit die Farbe, Räder und sonstige Ausstattung ändern, Türen und Kofferraum öffnen und schließen und sich das ganze in verschiedene Tag- und Nachtszenarien anzeigen lassen. Die Animationen sind butterweich, die Bildqualität extrem hochwertig, inklusive der Reflexionen der Umgebung.
Wie ich bereits schrieb, finden interessante Gespräche häufig abseits der Konferenzräume statt. So hatte ich mit einem Mitarbeiter von Innogames ein interessantes Gespräch über Personalführung und Karrierewege. Andere Gespräche hatten auch politische Dimensionen, wie Datenschutz, Mobilitätsverhalten und Umweltschutz auf individueller und struktureller Ebene. Und so schaffe ich die Überleitung zum Elefanten im Raum:
Denkt denn keiner an die Umwelt?
Wobei – die Umweltfrage ist eigentlich kein Elefant im Raum mehr, weil sie eben doch angesprochen wird.
Diese Web Engineering Unconference findet bereits seit einigen Jahren statt und natürlich wird die Frage diskutiert, ob es man überhaupt noch eine Veranstaltung abhalten sollte, bei der die meisten Teilnehmer mit dem Flugzeug anreisen.
In der Diskussion stand eine Verlegung an einen Ort, der zentraler liegt und per Bahn erreicht werden kann. Aufgrund der internationalen Teilnehmer ist es aber so, dass es diesen zentralen Ort nicht gibt und in beinahe jedem Fall mindestens ein Drittel per Flugzeug kommen würde.
Diese etwas unbefriedigende Situation hat man damit etwas abgemildert, indem pro Teilnehmer Umweltzertifikate für die Flugkompensation bezahlt wurden. Manche kommen auch mit Partnern/Famile und kombinieren das mit einem Urlaub, den sie ohnehin gemacht hätten. Viele haben ihre alltägliche Zwangsmobilität durch Homeoffice auch so heruntergefahren, dass sie nur noch wenige, aber dafür inhaltlich effektivere Treffen zum persönlichen Austausch, wie diese Veranstaltung besuchen.
Immerhin gibt es das Problembewusstsein und viele versuchen damit konstruktiv umzugehen. Das war auch an der sehr anregenden Diskussion zu merken, deren Ausgangspunkt war, wie wir Entwickler dazu beitragen können, dass unsere Software weniger Strom verbraucht. Zu Beginn wurde die Frage gestellt, welche der Frameworks und Libraries, die wir verwenden, den wenigsten Rechenaufwand erfordern. Aber schnell wurde klar, dass das nur ein kleiner Teil des Problems ist.
Sicherlich ist die Frage, weshalb ein einfacher E-Mail Client heutzutage eigentlich hundert mal soviel Speicher verbraucht, wie ein komplettes Betriebssystem vor 25 Jahren richtig und wichtig. Andererseits sind die hier erreichbaren Reduzierungen wenig wert, solange Geschäftsmodelle wie Streaming und KI zu explodierenden Datenmengen sorgen. Das oben erwähnte technisch sehr beeindruckende 3D Konfigurator von Audi ist zumindest in dieser Hinsicht sicherlich ein sehr schlechtes Beispiel.
Fazit
Ich war mir trotz Neugier zu Beginn nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, an dieser Konferenz teilzunehmen. Ich arbeite ja bereits seit einiger Zeit nicht mehr im Bereich E-Commerce und befürchtete, dass mich die Themen nicht ansprechen würden. Die Teilnahme habe ich aus eigener Tasche bezahlt und für nur vier Tage zu fliegen, möchte ich eigentlich mittlerweile auch vermeiden.
Nach der Veranstaltung, den Tag noch in kleinem Rahmen gemütlich ausklingen lassen.
Zum Schluss war ich aber doch froh, teilgenommen zu haben. Die Bandbreite der Themen war groß, die Anregungen, die ich mitgenommen habe, waren vielfältig und die Gespräche, die ich hatte waren angenehm und interessant. Zudem habe ich liebe und interessante Menschen wiedergesehen. Ich bin mir sicher beim nächsten Mal wieder dabei zu sein und dann auch ein interessantes Thema vorzubereiten.
Ich bin heute mit einem Klapprad gefahren – in Motorradklamotten!
So, jetzt kurz das schön alberne Bild setzen lassen, an das ihr gerade denkt, und dann erzähle ich, wie es dazu kam.
Kleine Motorradausfahrt am Samstag
Samstag Vormittag, zurück vom Einkauf. Draußen schönstes Motorradwetter. Ich bin dieses Jahr noch nicht viel gefahren und muß zusehen, nicht aus der Übung zu kommen. Also beschloß ich, meinen Mittagssnack im 45 über Null zu mir zu nehmen. Der Bikertreff für beide Sorten – Motorrad- und Fahrradfahrer – am Ende der nördlichen Startbahn des Flughafens BER in Selchow. Das ist so eine Art Biergarten, in dem man prima Planespotting machen kann. Es ist schon etwas Besonderes, wenn Ryanair im Landeanflug knapp über die Klappstühle hinwegfegt.
Okay, das erklärt die Motorradklamotten, aber noch nicht das Klapprad. Schließlich bin ich mit meiner „süßen Suzi“ dorthin gefahren und nicht mit dem Fahrrad.
Seit ewigen Zeiten wollte ich das Faltrad von Brompton ausprobieren. Ich komme gleich darauf, weshalb ich genau das interessant finde. Leider stellte sich das als verblüffend schwierig heraus. Es gibt zwar ein paar kleine Händler in Berlin, die das Brompton führen, aber die sind so gnadenlos überlastet, dass ich nie einen Beratungstermin bekommen konnte, wenn ich gerade Zeit hatte und bei Zweirad Stadler kaufe ich aus Prinzip kein Fahrrad.
Der besondere Fahrradladen
Es blieb noch ein Laden übrig, den ich noch nicht angefragt hatte: „The urban mobility store“ in der Kolonnenstraße in Berlin Schöneberg. Und genau der fiel mir ein, als ich gerade unterwegs war. Ohne große Hoffnung habe ich also einen Schlenker nach Schöneberg gemacht und zunächst dorthin gefahren.
Als ich an dem kleinen, aber feinen Laden angekommen bin, musste ich auch ein paar Minuten draußen warten, weil gerade alle Mitarbeiter zu tun hatten. Durch das Fenster konnte ich bereits sehen, dass sie nur zwei Fahrradmarken im Sortiment haben: Brompton und Moulton. Beides Falträder aus Großbritannien.
Nach kurzer Zeit kam ein Mitarbeiter (der sich später als Inhaber herausstellte) auf mich zu. Ich erzählte, dass ich schon länger ein Auge auf die Brompton Räder geworfen habe, wofür ich mir solch ein Rad vorstellen kann und was ich sonste so fahre. Mir wurde flott erklärt, welche Modellinien es gibt und wofür welche besonders gut geeignet ist. Und schon nach ein paar Minuten fiel dann der Satz, daß ich das Rad unbedingt ausprobieren müsse, getreu dem Motto:
‚You don’t get Brompton until you get a Brompton‘ – man begreift Brompton dann, wenn man sich eins greift.
Sehr gerne – aber ohne Helm, Handschuhe und Lederjacke Immerhin waren 20 Grad und die Sonne schien. Motorradhose und Stiefel konnte ich natürlich nicht ablegen, aber für eine kurze Probefahrt ging es auch so.
Zunächst fuhr ich ein Modell der ‚C‘-Linie mit 6 Gang Schaltung. Als ich wieder zurück kam, kam auch gerade ein anderer Kunde von einer Probefahrt zurück und mir wurde gesagt, ich solle das Modell auch noch einmal zum Vergleich fahren. Ein Modell der ‚P‘-Linie mit 4 Gang Schaltung. Was daran sonst noch anders ist, wollte er mit im Nachgang sagen.
An dieser Stelle muss ich mal kurz erklären, was an diesem Fahrrad das Besondere ist und weshalb ich mich dafür interessiere.
Das besondere Fahrrad
Generell mag ich schlichte, leichte Fahrräder ohne Gedöns, die leicht rollen. Ich habe mir im letzten Jahr das Ampler Curt E-Bike angeschafft, das ganz fantastisch ist. Ich fahre damit regelmäßig ins Büro und bin super zufrieden. Außer, dass ich es nicht gut mitnehmen kann, weil es ein ausgewachsenes 28″ Rad mit großem Diamantrahmen ist. In Bus und Bahn braucht man einen extra Fahrschein und an mein Auto kann ich keinen Fahrradträger anbauen, weil es ein Cabrio ist.
Für dieses Problem wurden in den 70er Jahren Klappräder erfunden. Die Räder waren sehr kompakt und ließen sich durch ein Scharnier am Rahmen relativ einfach zusammenklappen, um sie im Auto Kofferraum zu verstauen. Böse Zungen redeten allerdings von „Knickrädern“, weil sie so schlecht fuhren, dass man sie sich auch gleich knicken konnte.
Ich hatte als Kind auch mal so ein Ding. Selbst vom Sperrmüll gezogen und wieder flott gemacht. Nur war das Teil leider schwer wie Bleibarren, hatte keine Schaltung und lausige Bremsen. Damit zu fahren machte soviel Spaß, wie ein Klavier vor sich her zu schieben, nämlich gar keinen.
Das von dem Briten Andrew Ritchie Ende der 70er Jahre entwickelte Faltrad fährt sich dagegen leicht wie ein normales Fahrrad, gehört aber aufgrund einiger technischer Besonderheiten zusammengefaltet zu den kleinsten Fahrrädern überhaupt. Es ist daher hervorrgend dafür geeignet, in Bus und Bahn als kostenloses Handgepäck mitgenommen zu werden. In den Kofferraum passt es sowieso locker.
Kleiner als so manche Handtasche – allerdings 12 kg schwer
Der Grund für die Kompaktheit liegt in den 16″ kleinen Rädern und dem ungewöhnlichen Faltmechanismus. Das sieht auf den ersten Blick kompliziert aus, aber mit etwas Übung kann man das Fahrrad in weniger als 30 Sekunden zusammen- und gleich wieder auseinanderfalten. Sehr verblüffend, wenn man das zum ersten Mal sieht.
Die Probefahrten
Meine erste Fahrt war mit einem Modell der ‚C‘-Linie. Das ist „die gute Mitte“. Stahlrahmen, mittelhoher Lenker, 6 Gang Schaltung, 12 kg. Nach kurzer Einweisung ging es los – mitten in das Schöneberger Fahrradgetümmel.
Obwohl der Rahmen gefühlt auf Knöchelhöhe ist, sind Lenker, Sitz und Pedale dort, wo man sie erwartet. Die Sitzposition ist tatsächlich wie auf einem normalen Touren- oder Stadtrad. Und es fährt sich auf fast so: Leichtgängig und die Übersetzungen sind für die Stadt mit leichten Hügeln mehr als ausreichend. Ich bin auch in der Motorradhose nicht ins Schwitzen gekommen.
Brompton ‚C‘-Line. Das Stadt-/Tourenrad
Die Schaltung ist jedoch etwas erklärungsbedürftig. Es handelt sich um eine 3 Gang Nabenschaltung (Schalter rechts) in Kombination mit einer 2 Gang Kettenschaltung (Schalter links), deren Gänge mit ‚+‘ und ‚-‚ bezeichnet sind. Anstatt die Gänge 1-6 schaltet man so: 1-, 1+, 2-, 2+,3-, 3+.
Aufgrund der winzigen Räder ist der Geradeauslauf recht nervös, aber daran hat man sich nach ein paar hundert Metern gewöhnt. Ich bin auch über mittelschlimmes Kopfsteinpflaster gefahren und das Rad schlug sich verblüffend gut: Nicht klapperte, nichts hat sich verwunden oder geknirscht und als Highlight ist das Heck sogar leicht gefedert.
Ich kann mir gut vorstellen, auf dem Bromton weiter, als nur Kurzstrecke zu fahren. Vermutlich etwas langsamer, als auf meinem Ampler, aber entspannt.
Die zweite Fahrt habe ich auf einem Modell der ‚P‘-Linie gemacht. Tiefer Lenker, 4 Gang Kettenschaltung (einfach 1-4), nur 10 kg Gewicht. Im Kern das selbe Fahrrad, aber mit sportlicher Sitzposition, es schien noch etwas leichter zu rollen, die Schaltung ist gut abgestuft, aber möglicherweise fehlt ein Gang für richtige Steigungen. Dafür hatte ich das Gefühl etwas zügiger unterwegs zu sein. Die fehlenden zwei Kilo gegenüber der ‚C‘-Linie sind beim Tragen deutlich spürbar.
Brompton ‚P‘-Line. Der flotte Stadtflitzer
Aber wie bei jedem Fahrzeug: Leichtbau kostet Geld. Die Gewichtsersparnis kommt zum guten Teil daher, dass Gabel und Heckrahmen aus Titan hergestellt sind und das macht sich deutlich im Preis bemerkbar. Während der Preis bei der ‚C‘-Line je nach Ausstattung bei ca. €1.800,- liegt, sind es bei der ‚P‘-Line bereis ca. €2.700,-. Wer mag, kann aber natürlich noch deutlich mehr Geld ausgeben. Es gibt noch ein E-Bike von Brompton und ein Modell, dessen Rahmen vollständig aus Titan hergestellt ist und das nur 7,5 kg wiegt.
Mein Fazit
Das Brompton Faltrad ist nicht ohne Grund Kult und seit über 40 Jahren auf dem Markt erfolgreich. Es fährt sehr gut, und lässt sich sensationell klein zusammenfalten. Das ist nicht einfach nur ein interessantes technisches Detail, sondern sorgt dafür, dass es hervorragend als Ergänzung zum ÖPNV genutzt werden kann. Die Räder sind zwar recht filigran, aber haltbar. Mehr als 20 Jahre Nutzung sind eher die Regel, als die Ausnahme.
Es gibt aufgrund der ungewöhnlichen Konstruktion ein paar Besonderheiten, auf die man nicht sofort kommt („Warum hat das Rad keinen Ständer?“, „Warum hat das Rad keinen Gepäckträger“), und auch ein paar Einsatzszenarios, die sich vielleicht erst im Laufe der Zeit erschliessen.
Wer sich in Berlin für das Brompton interessiert, dem kann ich einen Besuch beim „The urban mobility store“ in der Kolonnenstraße in Berlin Schöneberg empfehlen. Die Jungs sind super freundlich, echte Überzeugungstäter und mit dem Herz bei der Sache. Obwohl recht viel in dem kleinen Laden los war, wurde ich ausführlich und ohne Hektik beraten – inklusive kleiner Annekdoten und trotzdem musste niemand lange warten.
Ich hatte spontan die Möglichkeit, ein ungewöhnliches Fahrzeug auszuprobieren: Ein Trike – ein Liegerad mit drei Rädern.
Wieso denn sowas?
Auf das Thema Liegerad bin ich vor kurzem aufmerksam geworden, als ich Berichte von der Zweiradmesse Eurobike angesehen habe. Ich mag ja ungewöhnliche Fahrzeugkonzepte und fand das spontan interessant – nicht nur, aber auch auch technisch. Trotz meiner Neugier war ich aber zunächst skeptisch; Weil man tief sitzt, nicht das eigene Gewicht auf die Pedale bringen kann, das doch bestimmt recht wackelig ist und überhaupt sind die Teile trotz des momentanen Fahrradbooms selbst in Berlin noch immer recht selten. Das wird doch bestimmt Gründe haben…
Neugier siegt
Nachdem ich mich ein bischen in die neue Materie eingelesen habe, wollte ich mir ein eigenes Urteil bilden. Und das geht nur, indem man so ein Gefährt einmal selber fährt. Entsprechende Händler gibt es in ganz Deutschland nur eine Handvoll. Aber ich lebe ja in Berlin, wo es für jede schräge Idee oder seltene Nische irgendwo Spezialisten gibt. Und tatsächlich existiert unweit von meinem Büro ein kleiner Spezialladen für Liegeräder: Hofrad.
Die Inhaber sind sehr rührig und fahren selbst mit Liegerädern auf große Tour (z.B. durch Südamerika). Ich habe, nachdem ich meine Neugier und fachliche Unkenntnis gestanden habe, ein ziemlich langes und umfassendes und ehrliches Beratungsgespräch bekommen, bevor wir dann zum Punkt kamen „Wenn Du noch nie ein Liegerad ausprobiert hast, suchen wir Dir jetzt eines raus und dann fährst Du mal eine Runde durch den Kiez“.
Obwohl das Geschäft recht klein ist, haben sie doch eine verblüffende Zahl recht unterschiedlicher Modelle von verschiedenen Herstellern dort. Von extrem flach und sportlich über Reiserad bis zu Modellen, die eher an Krankenfahrstühle erinnern, mit und ohne Strom, mit zwei und mit drei Rädern usw.. Was davon taugt denn für einen ersten Eindruck?
Das Scorpion fs 26 vor dem Laden – gleich geht es los
Bei normalen Fahrrädern mag ich es möglichst puristisch, leicht, ungefedert und schnell. Davon sollte es sich deutlich abgrenzen, also drei anstelle von zwei Rädern. Ich habe mich für ein Modell der Mitte entschieden. Nicht zu sehr Reha, nicht zu sportlich, geeignet für lange Touren. Da man bei Kopfsteinpflaster nicht wie bei normalen Rädern einfach mal aus dem Sattel steigen kann, gerne auch eines mit Federung. Erst mal ohne Motor, weil ich einen Eindruck bekommen wollte, wie schwer sich so ein Gerät bewegen lässt. Es wurde dann ein Scorpion fs 26 mit 26″ Hinterrad, Vollfederung, Pinion Getriebeschaltung und hydraulischen Scheibenbremsen von Shimano vom deutschen Hersteller HP Velotechnik.
Als das Rad fertig auf meine Beinlänge eingestellt vor der Tür stand, gab es erst einmal eine Einweisung. Zum Beispiel braucht das Trike natürlich keinen Ständer, aber dafür eine Feststellbremse, damit es nicht einfach wegrollt. Und dann die Frage, wie man sich eigentlich draufsetzt. Eigentlich ganz einfach: Die Beine zwischen Pedale und Vorderachse stellen und hinsetzen, wie auf einen kleinen Stuhl. Aufstehen geht auch gut, obwohl der Sitz nur 38cm über der Fahrbahn ist.
Ungewohnte Perspektive (nein, ich bin nicht auf dem Fußweg gefahren)
Los geht’s…
Gleich nach den ersten Metern ging es vom Bürgersteig runter auf die Fahrbahn – und die besteht wie bei sehr vielen Nebenstrassen in Berlin aus Kopfsteinpflaster. Natürlich ist das Liegerad keine Sänfte, aber die Federung machte ihre Sache gut und ich wurde nicht durchgeschüttelt. Die Sitzposition ist natürlich erst einmal ungewohnt, aber bequem. Anstatt einer Lenkstange direkt vor sich hat man links und rechts einen Steuerknüppel in der Hand. Die Lenkung der beiden Vorderräder ist sehr leichtgängig und direkt. Am besten fasst man nicht zu fest zu, weil man sonst schnell Zickzack fährt. Mit lockerem Griff geht es stabil geradeaus.
Nach hundert Metern kam ich dann zu einer Querstrasse und hier machte sich die niedrige Sitzposition negativ bemerkbar – ich konnte nicht über die parkenden Autos schauen, sondern musste recht weit vor fahren, um den Querverkehr einzusehen. Das war aber kein großes Problem und so konnte ich nacht rechts abbiegen und auf glattem Asphalt ein gutes Stück geradeaus fahren. Dabei habe ich dann auch ein paar Gänge raufschalten können und war zügig unterwegs. Nicht so schnell, wie auf meinem Ampler Curt, aber doch flott. Das hohe Gewicht des Rades und der höhere Rollwiderstand wegen der drei Räder machten sich kaum bemerkbar. Am Anfang war meine Haltung etwas verkrampft und so bekam ich nicht die volle Kraft auf die Pedale. Als ich es mir in dem Sitz so richtig bequem gemacht hatte, ging es aber sehr gut. Genial fand ich die beiden Rückspiegel. So konnte ich gut beobachten, was ich schon vorher von Trikefahrern gehört und gelesen hatte: Aufgrund der Breite nehmen Autofahrer die Trikes ernster als normale Radfahrer und überholen nur, wenn wirklich genug Platz ist.
Nachdem es geradeaus auf Asphalt ganz gut ging, war es Zeit für die nächste Herausforderung. Ich bog an der nächsten Ampel rechts ab. dort erwarteten mich ein schmaler Radweg aus Ziegeln und eine Brücke über die Eisenbahn – eine Strecke, die 200m bergan ging. Also zwei Gänge zurückschalten und schon ging es über die Brücke, ohne dass es sehr viel Anstrengung gekostet hätte. Der Radweg war kaum breiter, als das Trike, aber weil man die breiteste Stelle des Fahrzeugs im Blick hat und die Lenkung sehr präzise ist, war das kein Problem. Die Abfahrt auf der anderen Seite war angenehm und an der nächsten Ampel zeigte sich, dass die hydraulischen Scheibenbremsen ordentlich zubeißen können. Unten habe ich gewendet, um die Brücke gleich nochmal in die entgegengesetzte Richtung zu befahren und oben ein kleines Fotoshooting zu machen, bevor ich das Trike zurückgebracht habe.
Das Scorpion fs 26 von vorne…und von hinten
Fazit
Was war denn nun mein Eindruck nach der Probefahrt und dem langem Gespräch mit der Inhaberin von Hofrad?
Auf jeden Fall fährt so ein Trike erst mal ziemlich deutlich anders, als ein normales Fahrrad. Meine Bedenken haben sich nicht bestätigt: Die Sitzposition ist sehr lässig, das Rad hat aufgrund des tiefen Schwerpunktes eine super Strassenlage und es ist auch nicht anstrengender, als ein normales Fahrrad. Nach kurzer Eingewöhnung macht es richtig Spass und ich fand es auch irgendwie lustig. Das Ganze hat mich ein bischen daran erinnert, wie ich als Kind mit meinem Kettcar durch die Gegend gefahren bin. :-D
Kommen wir zum letzten Punkt meiner Bedenken – wieso fahren selbst in Berlin nur sehr wenige mit Liegerädern?
Ich denke das hat vor allem drei Gründe:
In dem wuseligen Stadtverkehr hat man auf einem normalen Fahrrad mehr Überblick, weil man höher sitzt.
Man benötigt mit einem Trike ziemlich viel Stellfläche (wie mit einem Lastenrad), während man ein Fahrrad schnell mal irgendwo anschließen kann. Man kann das Rad zwar zusammenklappen, aber das dauert etwas und ist eher dafür gedacht, dass man das Rad im Auto verstauen kann.
Last but not least – der Preis. Der ist nämlich recht heftig. Deutlich zu hoch für „finde ich lustig“. So ein Rad muss man wirklich haben wollen und dann auch wissen warum.
Liegeräder sind ein völliges Nischenprodukt und es gibt nur eine Handvoll Hersteller – fast alle in Europa. Die Räder werden in extrem kleiner Stückzahl gebaut – meist nur auf Auftrag. Der Vorteil ist, dass man sich die Räder daher so zusammenstellen kann, wie man möchte. Federung, Bremsen, Schaltung, eBike oder nicht, Licht, Schutzbleche, Gepäckträger und Sitze nach Wahl. Daher ist die preisliche Spannbreite auch groß. Als Faustregel kann man im Moment sagen: Irgendwo zwischen €5.000 und €10.000,-. Die Konfiguration, die ich gefahren bin kostet ca. €7.500,-
Also als Stadtrad ist das eher nichts. Als Sportrad auch nicht – zum schnell fahren gibt es deutlich besseres, wenn auch nicht unbedingt billiger. Wer kauft diese Räder also und vor allem weshalb?
Liegeräder werden vor allem für lange Radtouren gekauft, weil sie auch auf Langstrecke sehr bequem sind und sich mit sehr viel Gepäck beladen lassen. Viele fahren auch mit größeren Anhängern – im Extremfall sogar mit Fahrradwohnwagen(!). Und es gibt natürlich auch Menschen, die Trikes aufgrund körperlicher Einschränken wie z.B. gestörter Gleichgewichtssinn, Knie OP, Hüftprobleme o.ä. fahren.
Momentan habe ich keine Verwendung für so ein Fahrzeug. Wenn ich aber häufiger große Fahrradtouren unternehmen würde, wäre das eine überlegenswerte Ergänzung zu meinem E-Bike. Spass macht es allemal.